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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 27.05.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 391/02
Rechtsgebiete: StBG


Vorschriften:

StBG § 68 b II
StBG § 68 f
Gemäß § 68 c Abs. 1 S. 1 StGB dauert die Führungsaufsicht im Regelfall mindestens 2 und höchstens 5 Jahre; innerhalb dieses Rahmens ist sie kraft Gesetzes von unbestimmter Dauer. Satz 2 dieser Vorschrift gibt dem Gericht nur die Möglichkeit, ausnahmsweise eine von Anfang an als unangemessen erscheinende Höchstdauer abzukürzen. Eine Festlegung von 5 Jahren in der Grundentscheidung sieht das Gesetz nicht vor.

Auch Weisungen gemäß § 68 b Abs. 2, die nicht nach § 145 a StGB strafbewehrt sind und deren Nichtbeachtung im Falle einer Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB auch keine sonstigen unmittelbaren Konsequenzen nach sich zieht, unterliegen der Überwachung durch das Gericht und müssen dem Bestimmtheitsgebot entsprechen.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 391/02

In der Strafvollstreckungssache

wegen schweren Raubes u.a.

hier: Führungsaufsicht

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe sowie die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa am 27. Mai 2002 beschlossen:

Tenor:

1. Unter teilweiser Aufhebung wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez vom 22. März 2002 wie folgt neu gefasst:

Die kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht entfällt nicht.

Der Verurteilte wird für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnort zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.

Dem Verurteilten werden folgende Weisungen erteilt:

a) Er hat jeden Wechsel des Wohnortes und des Arbeitsplatzes binnen 3 Werktagen der Aufsichtsstelle zu melden.

b) Er hat sich in Abständen von sechs Monaten bei der Aufsichtsstelle zu melden; die Bestimmung des Termins obliegt dem Leiter der Aufsichtsstelle.

2. Die Staatskasse trägt zu je 1/2 die Kosten des Beschwerdeverfahren und die notwendigen Auslagen des Verurteilten.

Gründe:

Der Beschwerdeführer wurde am 22. März 2002 aus der Justizvollzugsanstalt Diez entlassen, nachdem er u. a. eine 5-jährigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Einzelfreiheitsstrafe: 2 Jahre und 6 Monate) und wegen vorsätzlichen Vollrauschs (Rauschtat: Totschlag; Einzelfreiheitsstrafe: 3 Jahre) vollständig verbüßt hatte.

Am selben Tag hat die Strafvollstreckungskammer einen Beschluss mit folgendem Tenor erlassen:

"Die kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht entfällt nicht.

Die Dauer der Führungsaufsicht wird auf fünf Jahre festgesetzt.

Der Verurteilte wird für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnort zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.

Dem Verurteilten werden folgende Weisungen erteilt:

a) Er hat jeden Wechsel des Wohnortes und des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle zu melden.

b) Er hat sich in Abständen von sechs Monaten bei der Aufsichtsstelle zu melden; die Bestimmung des Termins obliegt dem Leiter der Aufsichtsstelle.

c) Er hat die Ausbildungsmaßnahme beim BFW Vallendar fortzusetzen.

d) Er hat an einer Gruppe der "Anonymen Alkoholiker" teilzunehmen."

Das dagegen gerichtete, teils als sofortige Beschwerde (§§ 454 Abs. 3, 463 Abs. 3 S. 1 StPO), teils als einfache Beschwerde (§§ 453 Abs. 2, 463 Abs. 2 StPO) statthafte Rechtsmittel des Verurteilten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1.

Nicht zu beanstanden ist die Entscheidung, dass die kraft Gesetzes (§ 68 f Abs. 1 StGB) eintretende Führungsaufsicht nicht ausnahmsweise entfällt. Eine Anwendung des § 68 f Abs. 2 StGB kommt vorliegend angesichts des Vorlebens und der noch nicht abgeschlossenen Resozialisierung des Beschwerdeführers nicht in Betracht.

2.

Zwingende Folge des Eintritts der Führungsaufsicht ist die Bestellung eines Bewährungshelfers (§ 68 a Abs. 1 StGB). Die unter a) und b) des angefochtenen Beschlusses aufgeführten Weisungen haben ihre Grundlagen in § 68 b Abs. 1 Nrn. 7, 8 StGB). Zur Klarstellung hat der Senat "unverzüglich" durch "binnen 3 Werktagen" ersetzt.

3.

Gemäß § 68 c Abs. 1 S. 1 StGB dauert die Führungsaufsicht im Regelfall mindestens 2 und höchstens 5 Jahre; innerhalb dieses Rahmens ist sie kraft Gesetzes von unbestimmter Dauer. Satz 2 dieser Vorschrift gibt dem Gericht nur die Möglichkeit, ausnahmsweise eine von Anfang an als unangemessen erscheinende Höchstdauer abzukürzen. Macht das Gericht davon wie vorliegend keinen Gebrauch, so bleibt es bei dem gesetzlichen Regelfall. Es hängt dann vom weiteren Verlauf der Führungsaufsicht ab, ob deren vorzeitige Aufhebung (§ 68 e Abs. 1 StGB) oder eine nachträgliche Verkürzung der Höchstdauer (§ 68 d StGB) in Betracht kommt. Eine Festlegung von 5 Jahren in der Grundentscheidung sieht das Gesetz nicht vor.

4.

Gemäß § 68 b Abs. 2 StGB kann das Gericht über den Katalog des Abs. 1 hinausgehende Weisungen erteilen, die allerdings nicht nach § 145 a StGB strafbewehrt sind und deren Nichtbeachtung im Falle einer Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB auch keine sonstigen unmittelbaren Konsequenzen nach sich zieht. Es handelt sich um Richtlinien, die dem Verurteilten den Weg in ein straffreies Leben weisen und ebnen sollen.

Trotzdem unterliegen sie der Überwachung durch das Gericht. Die (Nicht-) Einhaltung solcher Weisungen lässt Schlüsse auf den Resozialisierungswillen des Verurteilten zu und kann die Entscheidung nach § 68 e Abs. 1 StGB beeinflussen. Außerdem kann ein Weisungsverstoß dem Gericht Veranlassung geben, nachträglich eine strafbewehrte Weisung nach § 68 b Abs. 1 StGB zu erteilen. Diese mittelbaren Konsequenzen sowie Sinn und Zweck erfordern, dass Weisungen dem Bestimmtheitsgebot entsprechen und auch tatsächlich kontrollierbar sind. Es ist also notwendig, so genau wie möglich und im Einzelfall erforderlich - festzulegen, welches nach Art, Umfang, Dauer und gegebenenfalls Ort konkretisierte Tun oder Unterlassen vom Verurteilten erwartet wird.

Dass die unter c) und d) des angefochtenen Beschlusses erteilten Weisungen nicht dem Bestimmtheitsgebot entsprechen und deshalb gesetzwidrig i. S. d. § 453 Abs. 2 S. 2 StPO sind, bedarf keiner weiteren Darlegung.

Von der grundsätzlich möglichen Präzisierung im Beschwerdeverfahren (§ 309 Abs. 2 StPO) hat der Senat aus folgenden Gründen abgesehen:

zu c)

Ob die ausbildungsbezogene Weisung wegen des von den mittelbaren Konsequenzen eines Weisungsverstoßes ausgehenden mittelbaren Zwangs mit Art. 12 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist, kann vorliegend offen bleiben. Es erscheint nicht sinnvoll, einem Verurteilten die Fortsetzung einer bestimmten, während der Haftzeit begonnenen Ausbildung aufzugeben, ohne dass etwas über seine beruflichen Neigungen und Fähigkeiten bekannt ist. Die Betreuung und Beratung in Fragen der Berufsausbildung und -ausübung gehört zu den Aufgaben des Bewährungshelfers, der situationsabhängig und flexibel tätig werden kann, wenn sich etwa herausstellen sollte, dass der Verurteilte bei der jetzigen Tätigkeit überfordert ist oder der Arbeitsmarkt eine Neuorientierung notwendig macht. Wenn frühestens in knapp 2 Jahren (§ 68 e Abs. 1 S. 2 StGB) über die Aufhebung der Maßregel oder über eine Verkürzung der Höchstdauer zu befinden sein wird, muss ohnehin die gesamte Entwicklung des Verurteilten einer umfassenden Prüfung unterzogen werden. Dabei kann auch ohne Weisung berücksichtigt werden, ob er seiner Resozialisierung dienende Maßnahmen oder Angebote schuldhaft nicht genutzt hat.

zu d)

Bei den "Anonymen Alkoholikern" handelt es sich um lokale oder regionale Selbsthilfegruppen, die keine Behandlung oder Beratung im medizinischen oder sozialen Sinne bieten, sondern gegenseitige Aussprache vor dem Hintergrund der gemeinsamen Probleme im Umgang mit Alkohol. Die Teilnahme an den in der Regel einmal pro Woche stattfindenden Zusammenkünften ist freiwillig; jeder kann kommen und gehen, wann er will. Es steht jedem Teilnehmer frei, sich aktiv an den Gesprächen zu beteiligen oder auch nur zuzuhören. Die Teilnehmer sprechen sich untereinander nur mit Vornamen an. Niemand muss weitere Angaben zu seiner Person machen.

Eine dem Bestimmtheitsgebot entsprechende und kontrollierbare Weisung wäre mit dem Selbstverständnis einer solchen "anonymen" Gruppe nicht zu vereinbaren.

Kosten: §§ 464 d, 473 Abs. 1 u. Abs. 4 StPO

Ende der Entscheidung

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