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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 05.07.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 401/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57 II
Leitsatz:

Bei der Entscheidung nach § 57 II StGB ist außer dem Vollzugsverhalten und den (durch die Verurteilung nicht verbrauchten) Milderungsgründen auch der Strafzweck der Sühne für schwere Tatschuld und der Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung zu beachten, so dass bei schweren Taten (hier: schwere räuberische Erpressung) i.d.R. keine Halbstrafenaaussetzung in Betracht kommt.


Geschäftsnummer: 1 Ws 401/00 StVK 228/00 - LG Trier (Wittlich) 22 VRs 101/99 - StA Bonn

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafvollstreckungssache

gegen

B. P.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt O. -

wegen schwerer räuberischer Erpressung hier: Strafaussetzung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und den Richter am Amtsgericht Schmickler

am 5. Juli 2000 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 26. Mai 2000 wird als unbegründet auf seine Kosten verworfen.

Gründe:

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Bonn vom 10. Juli 1998, rechtskräftig seit dem 9. Januar 1999, wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der er am 19. Juni 2000 die Hälfte verbüßt hat.

Nach den getroffenen Feststellungen überfiel er am 28. November 1997 die Sparkasse in Aegidienberg, bedrohte Kunden und Angestellte mit einer (ungeladenen) Gaspistole und erbeutete einen Geldbetrag von etwa 7.000 DM.

Mit Beschluss vom 26. Mai 2000 hat die Strafvollstreckungskammer die bedingte Entlassung des Verurteilten zum Halbstrafenzeitpunkt abgelehnt.

Seine dagegen gerichtete, fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) hat in der Sache keinen Erfolg.

§ 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB eröffnet die Möglichkeit, schon nach Verbüßung der Hälfte einer zwei Jahre übersteigenden zeitigen Freiheitsstrafe die Vollstreckung des Restes zur Bewährung auszusetzen, wenn - bei im Übrigen günstiger Sozialprognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) - die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen. Anders als in den Fällen des § 57 Abs. 1 StGB, in denen eine Aussetzung der Vollstreckung bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zwingend vorgeschrieben ist, steht die Reststrafaussetzung nach § 57 Abs. 2 StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. In die Gesamtwürdigung sind daher über die genannten Beurteilungskriterien hinaus auch Sinn und Zweck der Strafe, namentlich des gerechten Schuldausgleichs und der Sühne sowie die Verteidigung der Rechtsordnung mit einzubeziehen (vgl. LK-Gribbohm, § 57 StGB, Rdnr. 52, 54; Tröndle/Fischer, § 57 StGB, Rdnr. 9 g).

Die danach vorzunehmende Gesamtwürdigung der maßgeblichen Gesichtspunkte führt zu dem Ergebnis, dass bei dem Verurteilten besondere Umstände, welche als Ausnahme von der Regel die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe schon nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe rechtfertigen könnten, nicht gegeben sind.

Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung ein "quantitatives und qualitatives" Überwiegen der strafmildernden Faktoren festgestellt und deshalb einen minder schweren Fall der schweren räuberischen Erpressung nach den §§ 255, 250 Abs. 2 a.F. StGB angenommen hat. Die mildernden Umstände haben dem Verurteilten eine Bestrafung aus dem Grundtatbestand der §§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 a.F. StGB (bzw. §§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 b n.F. StGB), der eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf (bzw. drei) Jahren bis zu 15 Jahren vorsieht, für den von ihm begangenen Banküberfall erspart. Mit der Annahme eines minder schweren Falles der schweren räuberischen Erpressung sind ihm besondere Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB aber noch nicht zuerkannt. Bei der Strafzumessung nach § 250 Abs. 2 a.F. StGB liegt die verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten durchaus im mittleren Bereich des von einem bis zu fünf Jahren reichenden Strafrahmens. Besondere Umstände, die den vorliegenden Fall gegenüber anderen nach dieser Strafnorm abgeurteilten Tätern in einem besonders milden Licht erscheinen lassen, sind dementsprechend nicht festzustellen.

Zwar sind entgegen den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer in die nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorzunehmende Gesamtabwägung auch die Gesichtspunkte einzubeziehen, die bereits bei der Strafzumessung Berücksichtigung gefunden haben. Denn die Vorschrift verlangt eine Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit, also (auch) von Umständen, die bereits zum Zeitpunkt der Urteilsfindung vorlagen und demgemäß nach § 46 Abs. 2 StGB bei der Festsetzung der Strafe zu berücksichtigen waren. Solche Umstände, die schon bei der Strafzumessung herangezogen wurden, sind daher für die Vollstreckungsentscheidung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht "verbraucht" (vgl. OLG Koblenz, StV 91, 428; Tröndle/Fischer, a.a.0., Rdnr. 9 f).

Vorliegend können jedoch weder die im Urteil des Landgerichts aufgeführten Strafmilderungsgründe - objektiv ungefährliche Tatwaffe, finanzielle Zwangslage des Verurteilten, Geständnis und aktive Mithilfe bei der Tataufklärung - noch die von der Verteidigung im Beschwerdeverfahren zusätzlich vorgetragenen Umstände - einwandfreies Vollzugsverhalten, geregelte Wohn- und Arbeitssituation im Falle einer Entlassung - für sich genommen oder in ihrer Gesamtheit eine Strafaussetzung zur Bewährung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe rechtfertigen.

Die erforderliche Gesamtabwägung verlangt nämlich auch eine Einbeziehung der gegen den Verurteilten sprechenden Strafzumessungsgründe sowie der Gesichtspunkt des gerechten Schuldausgleichs und der Verteidigung der Rechtsordnung. Der Verurteilte hat die Tat planmäßig vorbereitet und ausgeführt. Zwar befand er sich in einer - selbst verschuldeten - schlechten finanziellen Lage, jedoch handelte er nicht etwa aus einer besonderen Konfliktsituation heraus. Die von ihm bedrohten Bankangestellten und Kunden haben teilweise erheblich unter den psychischen Folgen der Tat zu leiden gehabt.

Auch der Strafzweck der gerechten Sühne für schwere Tatschuld muss bei der Abwägung berücksichtigt werden. Der Verurteilte hat ein für die Allgemeinheit besonders gefährliches Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung begangen. Bei Verkürzung der Verbüßungsdauer der vom Gericht als angemessen festgesetzten Strafe um die Hälfte bestünde die Gefahr einer nachträglichen Verharmlosung der von der Tat ausgehenden Gefährlichkeit und einer dementsprechend unzureichenden Entwicklung des beim Täter angestrebten Sühneempfindens.

Schließlich gehört auch die Verteidigung der Rechtsordnung zu den anerkannten Strafzwecken, denen im Rahmen der Gesamtwürdigung Rechnung zu tragen ist. Nicht nur der Täter selbst, sondern auch andere, die in Gefahr sind, ähnliche Taten zu begehen, sollen von ihrem Vorhaben abgeschreckt werden (spezielle Generalprävention). Eine selbstverschuldete schlechte finanzielle Lage, die für den Verurteilten das Tatmotiv gewesen ist, ist eine typische Situation, aus der heraus Raub- und Erpressungsdelikte begangen werden. Würde bekannt, dass bei solchen, für die Allgemeinheit besonders gefährlichen Taten die Verbüßung der Strafe durch bloße Kooperationsbereitschaft nach Entdeckung der Tat und anstaltskonformes Verhalten im Vollzug um die Hälfte verkürzt werden kann, wäre eine hinreichend abschreckende Wirkung der Strafe nicht mehr gewährleistet. Eine Vielzahl potentieller Straftäter, die sich in einer der tatursächlichen Situation des Verurteilten vergleichbaren Lage befinden, könnten sich dadurch ermutigt fühlen, in gleicher Weise vorzugehen.

Trotz der für den Verurteilten positiven Gesichtspunkte führt daher die Gesamtabwägung aller Kriterien nicht zur Annahme besonderer Umstände, die eine Aussetzung des Strafrestes schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt rechtfertigen.

Dagegen wird eine Entlassung des Verurteilten nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe durchaus erwogen werden können, falls die zur Zeit gegebene günstige Sozialprognose bis dahin fortbesteht und die übrigen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB vorliegen.

Kosten: § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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