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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 10.08.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 501/00
Rechtsgebiete: StPO, StVollzG, UVollzO


Vorschriften:

StPO § 119
StVollzG § 101
UVollzO § 62
UVollzO § 63
Leitsatz:

Die Weigerung eines Untersuchungshäftlings, bei Verdacht auf Drogenkonsum in die Anstalt eine Urinprobe abzugeben, kann nicht mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden, weil der Gefangene nicht verpflichtet ist, aktiv an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken.


Geschäftsnummer: 1 Ws 501/00 2113 Js 12.642/95 - StA Koblenz

OLG KOBLENZ Beschluss

In der Strafsache

gegen

U. K.,

wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a.

hier: Sicherungs- und Disziplinarmaßnahmen

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa sowie den Richter am Landgericht Hardt

am 10. August 2000 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der Vorsitzenden der 1. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 6. Juli 2000 aufgehoben.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.

Gründe:

Der Beschwerdeführer ist Untersuchungshäftling in der Justizvollzugsanstalt Koblenz. Gegen ihn ist vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Koblenz ein Verfahren wegen Betäubungsmitteldelikten anhängig.

Am 16. Juni 2000 verweigerte er "die Abgabe einer durch den ADL-B angeordneten Urinprobe zur Durchführung einer Drogenanalyse bei V. a. Drogenkonsum während der Haft" (Meldung des JVOS B. vom selben Tage, Bl. 572 d.A.). Welche tatsächlichen Grundlagen dieser Verdacht hatte, ist den Akten nicht zu entnehmen.

Nachdem der Beschwerdeführer vier Tage später seine Weigerung wiederholte hatte, ordnete der zuständige Beamte gemäß Nr. 62 Abs. 3 Satz 2 UVollzO besondere Sicherungsmaßnahmen an (zusätzliche Haftraumdurchsuchungen und Umkleidung nach jedem Besuch).

Mit Schreiben vom 30. Juni 2000, bei Gericht eingegangen am 4. Juli 2000, beantragte die Justizvollzugsanstalt die Genehmigung der vorläufigen Anordnung der Sicherungsmaßnahmen (Nr. 62 Abs. 3 Satz 2 UVollzO, § 119 Abs. 6 Satz 3 StPO) und die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gemäß Nr. 68 Abs. 1 Ziffer 1 UVollzO (Entzug des Rechts auf Beschaffung zusätzlicher Nahrungs- und Genussmittel sowie Gegenständen des persönlichen Bedarfs für die Dauer von acht Wochen).

Mit Beschluss vom 6. Juli 2000 hat die damals amtierende Strafkammervorsitzende dem Antrag stattgegeben.

Dagegen wendet sich der Häftling mit der Beschwerde.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1.

Nach § 119 Abs. 3 StPO in Verbindung mit Nr. 67 UVollzO können gegen einen Strafgefangenen Disziplinarmaßnahmen verhängt werden, wenn er schuldhaft gegen die Anstaltsordnung verstoßen hat.

Unzweifelhaft ist der Drogenkonsum in der Haftanstalt ein die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen rechtfertigendes schuldhaftes Verhalten.

Ob der Beschwerdeführer tatsächlich Drogen genommen hatte, ist nach Aktenlage ungeklärt. Die tatsächlichen Grundlagen des entsprechenden Verdachts werden nicht mitgeteilt.

Die Annahme der Justizvollzugsanstalt und der Vorsitzenden, die Verweigerung der Abgabe einer Urinprobe stelle einen schuldhaften Verstoß gegen die Anstaltsordnung dar, trifft nicht zu. Es gibt keine gesetzliche Regelung, die einen Untersuchungshäftling verpflichtet, aktiv an der Aufklärung eines mutmaßlichen Fehlverhaltens mitzuwirken, welches zugleich den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG erfüllen kann (OLG Saarbrücken NStZ 92, 350).

Die Anordnung eines Bediensteten der Justizvollzugsanstalt konnte insbesondere nicht auf §§ 101, 178 StVollzG gestützt werden (a.A. OLG Koblenz - 2. Strafsenat - NStZ 89, 550, allerdings bezogen auf Strafgefangene). Die §§ 94 bis 101 StVollzG regeln, unter welchen Voraussetzungen Bedienstete der Justizvollzugsanstalt unmittelbaren Zwang (§ 95) gegen einen Gefangenen anwenden dürfen. § 101 betrifft den Sonderfall der - ärztlich angeordneten und geleiteten -, unter engen, vorliegend offensichtlich nicht gegebenen Voraussetzungen zulässigen und unter besonderen Umständen gebotenen Zwangsmaßnahme auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge. Gegen einen Untersuchungshäftling darf eine solche Zwangsmaßnahme außerdem nur von einem - sachverständig beratenen - Richter angeordnet werden (§§ 119 Abs. 6 StPO, 178 Abs. 2 StVollzG; siehe auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 119 Rdn. 43).

Auch aus der Ermittlungskompetenz des Anstaltsleiters (Nr. 70 UVollzO) folgt nicht die Verpflichtung des Gefangenen, aktiv an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Er ist anzuhören. Ob er sich äußern will, steht ihm frei. Die Verweigerung einer Aussage zur Sache darf ebensowenig mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden wie die Ablehnung sonstiger aktiver Mitwirkung.

Besteht gegen einen Untersuchungshäftling der Verdacht des Drogenkonsums und somit einer Straftat nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG, bleibt nach derzeitiger Rechtslage der Justizvollzugsanstalt nur die Möglichkeit, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, die dann das Notwendige in dem dafür vorgesehenen Verfahren (siehe § 81 a StPO) veranlassen.

2.

Besondere Sicherungsmaßnahmen können angeordnet werden, wenn eine Gefährdung des Haftzwecks oder eine erhebliche Störung der Anstaltsordnung nicht anders vermieden oder behoben werden kann (Nr. 62 Abs. 1 UVollzO, § 119 Abs. 3 StPO).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Als Begründung für ihre Eilanordnung hat die Justizvollzugsanstalt lediglich angegeben: "Weigerung zur Abgabe der Urinkontrolle" (Bl. 571 d.A.). Auf welche konkreten Tatsachen der Verdacht des Drogenkonsums gestützt worden war, ist den Akten nicht zu entnehmen.

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