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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 09.10.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 678/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 369
1. Wird der Wiederaufnahmeantrag für zulässig befunden, weil die Geeignetheit der Nova im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO festgestellt wird, beginnt das Probationsverfahren (§ 369 StPO). Durch eine novabezogene gerichtliche Beweisaufnahme ist zu klären, ob die der Eignungsprüfung zugrunde liegenden Unterstellungen eine reale Grundlage haben.

2. Eine solche Beweiserhebung, für die das Strengbeweisverfahren mit Anwesenheitsrechten der Verfahrensbeteiligten gilt, ist nur entbehrlich, wenn eine neue Tatsache offenkundig ist oder sich aus einer allen Verfahrensbeteiligten bekannten verlesbaren Urkunde ergibt. Die Existenz von Akten mit polizeilichen und/oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsvermerken und/oder Vernehmungsprotokollen macht hingegen eine richterliche Beweisaufnahme nicht überflüssig.

3. Der Umfang der Beweiserhebung wird, da auch im Wiederaufnahmeverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, von § 244 Abs. 2 StPO bestimmt. Das Gericht ist deshalb nicht gehalten, nur die vom Antragsteller angebotenen, beantragten und angetretenen Beweismittel zu benutzen. Es darf sie allerdings, wenn sie sachdienlich sind, auch nicht ignorieren. Hat der Antragsteller das Gutachten eines bestimmten Sachverständigen vorgelegt, muss dieser gehört werden. Erst danach kann das Gericht, falls noch notwendig, andere Gutacher zuziehen, um die Beweisfrage zu klären.

4. Die Tatsachengrundlage des Wiederaufnahmevorbringens ist vom Gericht umfassend aufzuklären. Das gilt auch für Zusatztatsachen, deren Feststellung, anders als die von Befundtatsachen, nicht Aufgabe eines gerichtlich beauftragten Sachverständigen ist.

5. Auf der Grundlage des von ihm ermittelten Beweisergebnisses hat das Gericht nach § 370 StPO dann zu prüfen, ob das in der ersten Stufe als geeignet im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO beurteilte tatsächliche Wiederaufnahmevorbringen genügende Bestätigung gefunden hat. Zur Bejahung genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit; ein jeden Zweifel ausschließender Beweis ist nicht erforderlich. Insbesondere die endgültige Entscheidung über die Glaubwürdigkeit von Zeugen oder die Überzeugungskraft von Sachverständigengutachten kann nur in einer neuen Hauptverhandlung getroffen werden.


Geschäftsnummer: 1 Ws 678/03 1009 Js 7297/98 StA Bad Kreuznach

In dem Wiederaufnahmeverfahren

gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 27. April 1999

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 9. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 7. Strafkammer des Landgerichts Trier vom 12. Juni 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur Durchführung der Beweisaufnahme nach § 369 StPO und zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an denselben Spruchkörper zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Nach Freispruch durch das Amtsgericht Bad Kreuznach und Berufung der Nebenklägerin Schm. wurde der Beschwerdeführer durch Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 27. April 1999, rechtskräftig seit dem 14. Januar 2000, wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.

Er hatte immer behauptet, die Nebenklägerin habe den Geschlechtsverkehr am 5. Mai 1998 einvernehmlich mit ihm ausgeübt. Die Strafkammer folgte jedoch aufgrund einer sehr ausführlichen, eine bewusste Falschaussage zweifelsfrei ausschließenden Beweiswürdigung den Angaben der Nebenklägerin, die bekundete, er habe ihren mehrfach geäußerten entgegenstehenden Willen und ihren - alkoholbedingt allerdings nur schwachen - körperlichen Widerstand mit Gewalt überwunden. Für die Prüfung der Möglichkeit einer unbewussten objektiven Falschaussage als Folge einer Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit gab es damals keinen konkreten Anlass.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 31. Juli 2001 (Bl. 501 ff. d.A.) beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er trug vor und stellte durch Benennung mehrerer Zeugen unter Beweis, die Nebenklägerin habe am frühen Morgen des 9. Juni 2000 unter Alkoholeinfluss objektiv wahrheitswidrig behauptet, sie sei gerade Opfer eines sexuell motivierten Angriffes eines Mannes geworden. Außerdem bezog er sich auf eine auch an diesen Tatsachenvortrag anknüpfende gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. Sch. vom Institut für Forensische Psychologie in Dortmund, der zufolge es begründeten Anlass für die Prüfung der Hypothese einer irrtümlichen Falschaussage gibt. Wegen der Einzelheiten wird auf S. 6 ff. des Verteidigerschriftsatzes Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 25. November 2001 hat die 7. Strafkammer des nach §§ 367 StPO, 140a GVG zuständigen Landgerichts Trier den Wiederaufnahmeantrag zugelassen und zur Begründung ausgeführt:

"Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist zulässig. Der Antragsteller hat neue Tatsachen behauptet und ein neues Beweismittel beigebracht, die, falls sie im Verfahren nach § 369 StPO bestätigt werden sollten, geeignet sind, den Tatsachengehalt der den Antragsteller belastenden Aussagen der Zeugin Sabine XX. und somit die Grundlage der Verurteilung erschüttern.

Als neue Tatsache trägt der Verurteilte vor, die Nebenklägerin sei in der Nacht zum 09.06.2000 gegen 01:30 Uhr in stark alkoholisiertem Zustand auf der Hauptstraße in Seesbach völlig hysterisch und schreiend aufgefunden worden. Sie habe erklärt, ein Mann habe versucht, sie zu vergewaltigen. Im Laufe der Befragung zum Tathergang habe die Nebenklägerin widersprüchliche Angaben gemacht. Weitere Ermittlungen, insbesondere Zeugenaussagen, hätten keinen Anhaltspunkt für eine Straftat ergeben. Die Zeugin sei zunächst hartnäckig bei ihrer Behauptung geblieben, habe später jedoch nicht ausschließen können, dass sie sich den von ihr geschilderten Vorfall nur eingebildet haben könne. Sie habe in diesem Zusammenhang die von ihr früher erlebten Vergewaltigungen erwähnt, insbesondere auch, dass der angebliche Angreifer vom 09.06.2000 dem Mann geglichen habe, der sie mit 16 Jahren vergewaltigt gehabt habe.

Das unter dem Aktenzeichen 1002 UJs 33849/00 - StA Bad Kreuznach eingeleitete Ermittlungsverfahren sei am 07.07.2000 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Als neues Beweismittel bringt der Antragsteller ein Sachverständigengutachten des Leiters des Instituts für forensische Psychologie Dortmund Prof. Dr. B. Sch. bei, das - unter Berücksichtigung des oben geschilderten Vorfalls vom 09.06.2000 und aufgrund der Aktenlage des vorliegenden rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens - zu dem Ergebnis kommt, dass die Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin weiterhin offen sei, da im Verfahren die Alternativhypothese einer irrtümlichen Falschaussage der Zeugin aufgrund von Einflüssen, die zu einer Verzerrung und Verfälschung der Wahrnehmung, der Erinnerung und der entsprechenden Aussage geführt haben könnten, unberücksichtigt geblieben sei. Die Hypothese einer irrtümlichen Falschaussage sei jedoch durch mehrere Einfluss-Variablen nachdrücklich begründet und könne keinesfalls ausgeschlossen werden; die forensisch-psychologischen Voraussetzungen seien nicht gegeben, um zweifelsfrei von der Aussage auf die vermutete Erlebnisgrundlage schließen zu können.

Der behauptete Vorfall vom 09.06.2000 ist eine neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO, da er naturgemäß zur Zeit der Urteilsfindung am 04.05.1999 dem erkennenden Gericht nicht bekannt sein und daher nicht berücksichtigt werden konnte. Der Vorfall als solcher, sollte er in einer Beweisaufnahme bestätigt werden, ist zwar nicht geeignet, dem Urteil vom 04.05.1999 die Grundlage zu entziehen. Er ist jedoch geeignet, als neue Anknüpfungstatsache im Rahmen einer Begutachtung der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin Wirkungen zu entfalten, die zu dem in der Antragsschrift behaupteten abweichenden Ergebnis der Einschätzung des Erlebnisgehalts der Zeugenaussage der Nebenklägerin führen könnte.

Das beigebrachte Sachverständigengutachten stellt ein neues Beweismittel dar. Das erkennende Gericht hat die Glaubwürdigkeit der Zeugin und Nebenklägerin im wesentlichen aufgrund eigener Sachkunde beurteilt. Sachkundig beraten wurde die Kammer zwar durch die Zeugin und Sachverständige Dr. H., eine frühere Therapeutin der Nebenklägerin, und den Gerichtsmediziner Prof. Dr. R..

Der neue Sachverständige verfügt jedoch im Hinblick auf den behaupteten Vorfall vom 09.06.2000 über neue Anknüpfungstatsachen, die zusammen mit denen zur Zeit der Urteilsfindung bereits bekannten eine andere Ausgangslage schaffen können. Im übrigen geht das von dem Antragsteller vorgelegte vorläufige Gutachten des neuen Sachverständigen von Beweisfragen [richtig: einer anderen Beweisfrage, Anm. des Senats aus, nämlich der, ob aufgrund der früheren Traumatisierung der Zeugin eine irrtümliche Falschaussage vorgelegen haben könnte und ob es notwendigerweise der Vergewaltigung bedurfte, um die Aussage der Zeugin erklären zu können, die bei den Ausführungen der in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen keine Rolle gespielt haben."

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat der Senat mit Beschluss vom 29. Januar 2002 als unbegründet verworfen und ausdrücklich bestätigt, dass die vorgebrachten Nova die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin in Frage stellen und geeignet sind, Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer den Beschwerdeführer belastenden Angaben zu begründen.

Am 30. April 2002 beschloss der (neue) Vorsitzende der 7. Strafkammer des Landgerichts Trier:

"Gemäß § 369 StPO wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet dazu,

ob die neue Tatsache,

dass die Zeugin Sabine XX. nach dem Ermittlungsergebnis des Verfahrens 1002 UJs 33849/00 - StA Bad Kreuznach am 09. Juni 2000 bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 3 Promille infolge eines sie an eine 1984 oder 1985 erlebte Vergewaltigung erinnernden Schlüsselreizes einige Tage nach dem Anschauen eines sie an jenes Ereignis erinnernden Filmes glaubte, erneut Opfer eines sexuell motivierten Angriffs geworden zu sein, obwohl es ein solches Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben hatte,

die Annahme rechtfertigt (ggfls: mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit?),

dass die Zeugin im vorliegenden Strafverfahren, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, objektiv falsche Angaben zu der vom Angeklagten am 05. Mai 1998 angeblich an ihr verübten Vergewaltigung gemacht hat.

Bei der Begutachtung wird auch zu bedenken sein, dass die Zeugin zu dem Vorfall vom 09. Juni 2000 bei ihrer polizeilichen Vernehmung noch am gleichen Tage unter anderem angegeben hat, sie glaube, dass ein Mann dagewesen sei, der sie berührt habe. Ob tatsächlich ein Mann da gewesen sei, wisse sie nicht. Jedenfalls habe sie ihn gesehen, zumindest habe sie es sich eingebildet. Vielleicht sei es auf den Alkoholgenuss zurückzuführen (Blatt 27, 28 d. Beiakten 1002 UJs 33849/00).

Mit der Erstattung des Gutachtens wird beauftragt

Dipl.- Psychologin Ursula K.,

...

Die Nebenklägerin Sabine XX. soll über ihren Beistand mitteilen, ob sie bereit ist, sich von der Sachverständigen untersuchen zu lassen und ob sie die behandelnden Ärzte und Psychologen von der beruflichen Schweigepflicht entbindet.

Soweit das zur Begutachtung notwendig ist, soll die Sachverständige die Zeugin Sabine XX. selbst untersuchen, falls die Zeugin dem zustimmt, und die Unterlagen der behandelnden Ärzte und Psychologen unmittelbar beiziehen, falls die Zeugin sie von der Schweigepflicht entbindet.

Sollte die Sachverständige es für erforderlich halten, dass in ihrer Gegenwart die Zeugin Sabine XX. oder weitere Zeugen vom Gericht vernommen werden, so mag sie das mitteilen."

In ihrem schriftlichen Gutachten vom 13. Januar 2003 kam die Sachverständige, gestützt auf das Ergebnis einer Exploration der Nebenklägerin und eine Aktenauswertung, zu dem Schluss, "dass sich Schlüsselreize nicht auf die Zuverlässigkeit der Wahrnehmung ... im Zeitpunkt der inkriminierten Begegnung mit Herrn K. auswirken konnten" und auch keine sonstigen, die Aussagetüchtigkeit entscheidend beeinträchtigenden Faktoren feststellbar seien (S. 78 Gutachtenband).

Nach mündlicher Anhörung der Sachverständigen am 30. April 2003 und Schlussanhörung der Verfahrensbeteiligten (§ 369 Abs. 4 StPO) hat die Strafkammer mit Beschluss vom 12. Juni 2003 den Wiederaufnahmeantrag als unbegründet verworfen, weil aufgrund des Gutachtens Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin nicht gerechtfertigt seien und folglich die neuen Tatsachen und Beweismittel nicht zu einer für den Antragsteller günstigeren Beurteilung des Geschehens vom 5. Mai 1998 führen könnten.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Gestützt auf eine Stellungnahme des Prof. Dr. Sch. vom 16. April 2003 behauptet er, das Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen leide unter "gravierenden fachlichen Mängeln" und sei deshalb nicht geeignet, durchgreifende Zweifel am objektiven Wahrheitsgehalt der ihn belastenden Aussage auszuräumen.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1.

Das Wiederaufnahmeverfahren ist ein mehrstufiges Verfahren.

a) In der 1. Stufe, dem Aditionsverfahren, werden die speziellen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsbehelfs der Wiederaufnahme geprüft (§ 368 StPO). Ist der Antrag auf neue Tatsachen und/oder Beweise gestützt, gehört dazu auch die Prüfung der Geeignetheit im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO. Dabei ist im Rahmen einer hypothetischen Schlüssigkeitsprüfung zunächst zu unterstellen, dass die behaupteten Tatsachen richtig sind und dass die beigebrachten Beweismittel den ihnen zugedachten Erfolg haben werden. Um festzustellen, ob diese Nova geeignet sind, ist dann zu prüfen, ob sie sich, wenn sie dem erkennenden Richter bekannt gewesen wären, im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO zugunsten des Verurteilten ausgewirkt hätten (BGHSt 17, 303,304). Ist dies hinreichend wahrscheinlich, ist die Geeignetheit zu bejahen.

b) Wird der Wiederaufnahmeantrag für zulässig befunden, weil - wie hier - die Geeignetheit der Nova festgestellt wird, beginnt die 2. Stufe, das Probationsverfahren (§ 369 StPO). Durch eine novabezogene (siehe auch § 370 Abs. 1 StPO) gerichtliche Beweisaufnahme ist zu klären, ob die der Eignungsprüfung zugrunde liegenden Unterstellungen eine reale Grundlage haben. Eine solche Beweiserhebung, für die das Strengbeweisverfahren mit Anwesenheitsrechten der Verfahrensbeteiligten gilt (LR-Gössel, StPO, 25. Aufl., § 369 Rdn. 9), ist nur entbehrlich, wenn eine neue Tatsache offenkundig ist oder sich aus einer allen Verfahrensbeteiligten bekannten verlesbaren Urkunde ergibt (die dann nicht in einem Beweistermin verlesen werden muss). Die Existenz von Akten mit polizeilichen und/oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsvermerken und/oder Vernehmungsprotokollen macht hingegen eine richterliche Beweisaufnahme nicht überflüssig.

Der Umfang der Beweiserhebung wird, da auch im Wiederaufnahmeverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, von § 244 Abs. 2 StPO bestimmt. Das Gericht ist deshalb nicht gehalten, nur die vom Antragsteller angebotenen, beantragten und angetretenen Beweismittel zu benutzen. Es darf sie allerdings, wenn sie sachdienlich sind, auch nicht ignorieren. Hat beispielsweise der Antragsteller das Gutachten eines bestimmten Sachverständigen vorgelegt, muss dieser gehört werden. Erst danach kann das Gericht, falls noch notwendig, andere Gutacher zuziehen, um die Beweisfrage zu klären (LR-Gössel, a.a.O., § 369 Rdn. 8).

Auf jeden Fall ist die Tatsachengrundlage des Wiederaufnahmevorbringens vom Gericht umfassend aufzuklären. Das gilt auch für Zusatztatsachen, deren Feststellung, anders als die von Befundtatsachen (zur Abgrenzung siehe Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 79 Rdn. 10, 11), nicht Aufgabe eines gerichtlich beauftragten Sachverständigen ist.

Auf der Grundlage des von ihm ermittelten Beweisergebnisses hat das Gericht nach § 370 StPO dann zu prüfen, ob das in der ersten Stufe als geeignet im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO beurteilte tatsächliche Wiederaufnahmevorbringen genügende Bestätigung gefunden hat. Zur Bejahung genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit; ein jeden Zweifel ausschließender Beweis ist nicht erforderlich. Insbesondere die endgültige Entscheidung über die Glaubwürdigkeit von Zeugen oder die Überzeugungskraft von Sachverständigengutachten kann nur in einer neuen Hauptverhandlung getroffen werden (LR-Gössel, a.a.O., § 379 Rdn. 16 ff. m.w.N.).

Der Wiederaufnahmeantrag ist begründet, wenn es unter Berücksichtigung des gesamten - auch des bereits vom erkennenden Gericht festgestellten - Beweisergebnisses hinreichend wahrscheinlich ist, dass eine neue Hauptverhandlung eine für den Verurteilten günstige Entscheidung ergeben wird, weil das Wiederaufnahmevorbringen dort nachgewiesen oder in Anwendung des Zweifelssatzes nicht ausgeschlossen werden kann.

2.

Diesen Grundsätzen wird das von der Strafkammer gewählte Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, nicht gerecht.

In einem ersten Schritt hätte der dem Wiederaufnahmevorbringen zugrunde liegende Tatsachenvortrag, d. h. das Geschehen vom 9. Juni 2000, durch gerichtliche Zeugenvernehmung - in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten (§ 369 Abs. 3 StPO) und, falls gewünscht (§ 80 Abs. 2 StPO), des vom Beschwerdeführer benannten Sachverständigen - soweit wie möglich aufgeklärt werden müssen (so zutreffend auch der Kammerbeschluss vom 25. November 2001, Abs. 5: "sollte er in einer Beweisaufnahme bestätigt werden"). Sodann wäre Prof. Dr. Sch. anzuhören gewesen zu der Frage, ob auch unter Berücksichtigung des neuen Beweisergebnisses wissenschaftlich begründete Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin und der Zuverlässigkeit ihrer den Beschwerdeführer belastenden Angaben bestehen. Erst daran anschließend hätte die Strafkammer prüfen können (und müssen), ob die Aufklärungspflicht eine weitere Beweiserhebung - etwa durch Beauftragung eines weiteren Sachverständigen - notwendig macht.

Statt dessen hat sich das Gericht überhaupt nicht in einer Beweisaufnahme mit den im Beschluss vom 25. November 2001 für geeignet befundenen Nova befasst - deren Geeignetheit aber auch nicht, was im Probationsverfahren zulässig gewesen wäre, nach nochmaliger Prüfung verneint - , sondern mit zweifelhafter Fragestellung eine andere Sachverständige beauftragt, der es praktisch selbst überlassen blieb zu entscheiden, aufgrund welcher Informationen sie von welchen konkreten Zusatztatsachen ausgeht und ob sie eine gerichtliche Beweiserhebung über das Wiederaufnahmevorbringen durch Zeugenvernehmung für notwendig hält. Dies hatte u. a. zur Folge, dass es beispielsweise auf S. 61 des Gutachtens - an zentraler Stelle - heißt:

"Wenn die Sachverständige Dr. H. vor dem Landgericht Bad Kreuznach von denkbaren "Erinnerungsbildern" der Zeugin bei einem durch äußere Umstände reaktualisierten psychischen Trauma sprach, so kann sie damit nach den nun getroffenen Feststellungen keine konkrete Vorstellung gemeint haben, allenfalls reaktualisierte Affekte und Emotionen." (Hervorhebung im Original)

Die "nun getroffenen Feststellungen" beruhen auf einer Exploration der - zwischenzeitlich therapierten - Nebenklägerin mehrere Jahre nach dem Vorfall vom 5. Mai 1998. Ob die Annahme der Sachverständigen K. dazu, was ihre Kollegin 1999 (siehe dazu Urteil vom 24. April 1999 S. 17 unten = Bl. 394 d. A.) gemeint haben könnte, tatsächlich zutrifft, wurde nie überprüft. Diese Annahme ist aber eine der Säulen ihres eine irrtümliche Falschaussage verneinenden Gutachtens (siehe S. 76).

3.

Die Fehlerhaftigkeit der Verfahrensweise der Strafkammer macht nicht nur die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sondern abweichend von § 309 Abs. 2 StPO auch die Zurückverweisung an das für die Beweisaufnahme nach § 369 StPO zuständige Wiederaufnahmegericht notwendig.

III.

Abschließend weist der Senat auf folgendes hin:

Die Besonderheit des Verfahrens besteht hier darin, dass im Wiederaufnahmeverfahren erstmals ein grundsätzliches Beweiswürdigungsproblem aufgeworfen wird, das in dem zu den angegriffenen Urteil führenden Verfahren überhaupt keine Rolle gespielt hatte. Das Wiederaufnahmevorbringen kann nicht, wie sonst üblich, gedanklich in die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts eingefügt und zusammen mit dieser einer umfassenden Prüfung unterzogen werden (zum Prüfungsumfang im Probationsverfahren siehe LR-Gössel, a.a.O., § 370 Rdn. 20). Vielmehr würde die gesamte, sich nur mit der Frage einer vorsätzlichen Falschaussage der Nebenklägerin befassende Beweiswürdigung des Landgerichts Bad Kreuznach obsolet, wenn das eine irrtümliche Falschaussage in den Raum stellende Antragsvorbringen bestätigt würde. Notwendig wären dann also eine gänzlich andere Beweiserhebung und -würdigung unter einem völlig neuen Gesichtspunkt. Eine solche Beweiswürdigung steht nach der Struktur des Strafprozesses am Ende einer Hauptverhandlung und gehört nicht in das Probationsverfahren.

Ende der Entscheidung

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