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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 04.02.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 69/05
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 52
StGB § 53
StGB § 56 Abs. 1
StGB § 57 Abs. 1
StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB § 176 II
StGB § 176 Abs. 3 Nr. 2 a.F.
StGB § 176 III Ziff. 2
StGB § 176 a Abs. 2 a.F.
StGB § 184 III Ziff. 3
StGB § 184 III Ziff. 4
StGB § 184 V
StPO § 153
1. Eine Reststrafaussetzung kommt nicht in Betracht, wenn die angestrebte Resozialisierung entweder fehlgeschlagen oder noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass der Grad des derzeit noch vorhandenen und nie völlig ausschließbaren Rückfallrisikos im Hinblick auf die bei einem Rückfall drohende Rechtsgutsverletzung hinnehmbar erscheint.

2. Verbüßt ein nicht vorbestrafter Verurteilter erstmals eine Freiheitsstrafe und gibt seine Führung während des Vollzugs keinen Anlass zu der Annahme, die Resozialisierung sei misslungen, muss die Feststellung, die Strafe habe ihre spezialpräventiven Wirkungen noch nicht ausreichend entfaltet, weshalb es unverantwortlich sei, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, auf eine aussagekräftige Tatsachengrundlage gestützt werden.

3. Die Erwägung, ein Verurteilter, der aus finanziellen Gründen gehandelt habe, werde nach einer Haftentlassung in schlechten finanziellen Verhältnissen leben, weshalb er sich "zu erneuten Rechtsbrüchen verleitet sehen könne", ist spekulativ und trägt nicht die Versagung einer Reststrafaussetzung.

4. Die Überzeugung der Strafvollstreckungskammer, der Verurteilte sei viel zu milde bestraft worden, darf bei der Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB keine Rolle spielen.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

1 Ws 69/05

In der Strafvollstreckungssache

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

hier: Reststrafaussetzung zur Bewährung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa sowie die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 4. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

1.

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 27. Dezember 2004 aufgehoben.

2.

Die weitere Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 28. Januar 2004 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wird mit sofortiger Wirkung zur Bewährung ausgesetzt.

3.

Die Bewährungszeit beträgt 4 Jahre. Der Verurteilte wird für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnsitz zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.

4.

Der Verurteilte wird angewiesen, jeden Kontakt zu Herstellern, Lieferanten und Abnehmern von Werken aller Art, die nackte Kinder zeigen, zu vermeiden.

5.

Der Verurteilte hat 2.400 € an den Deutschen Kinderschutzbund e.V (Bankverbindung: Bank für Sozialwirtschaft Hannover BLZ: 25120510, Kto: 8280000002) zu zahlen. Ihm wird gestattet, den Betrag ab Februar 2005 in monatlichen Raten von 50 € zu leisten.

6.

Der Verurteilte hat der Strafvollstreckungskammer unverzüglich nach der Haftentlassung seinen Wohnsitz und während der Bewährungszeit jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen.

7.

Die Belehrung des Verurteilten über die Bedeutung der Strafaussetzung wird dem Leiter der Justizvollzugsanstalt ... übertragen.

8.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 28. Januar 2004, rechtskräftig seit dem Tage der Verkündung, wurde der Beschwerdeführer wegen "Verbreitung kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit schweren sexuellen Missbrauchs in Tatmehrheit mit Besitz kinderpornographischer Schriften" nach "§§ 184 III Ziff. 3 + 4, V, 176 II, III Ziff. 2, 176a II, 52, 53 StGB" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 9 Monaten verurteilt.

Nach den knappen Feststellungen des erkennenden Gerichts hatte er im September 2002 mit 2 weiteren Tatbeteiligten 10- und 11-jährige nackte Mädchen beim Baden gefilmt, wobei die Kameraführung auf die Herausstellung des - wegen gespreizter Beine gut sichtbaren - Genitalbereichs gerichtet war. Die Aufnahmen sollten gewerbsmäßig veräußert werden. Weiterhin hatte der Beschwerdeführer im April und Oktober 2003 insgesamt 17 Videofilme und 12 CD-Rom mit kinderpornographischen Inhalten in Besitz.

Der Beschwerdeführer verbüßt die Gesamtfreiheitsstrafe zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt .... Unter Anrechnung von 99 Tagen Untersuchungshaft waren ? der Strafe am 21. Dezember 2004 vollstreckt. Seit dem 1. September 2004 befindet er sich im offenen Vollzug.

Die Justizvollzugsanstalt befürwortet eine bedingte Entlassung, die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Traunstein spricht sich dagegen aus.

II.

Mit Beschluss vom 27. Dezember 2004 hat die Strafvollstreckungskammer eine Reststrafaussetzung zur Bewährung abgelehnt:

Der Verurteilte sei bemüht, seine Tatbeiträge abzuschwächen und zu verharmlosen. Er versuche herauszustellen, daß er selbst lediglich aus finanziellen Motiven gehandelt habe, jedoch keine eigenen sexuellen Vorlieben im Hinblick auf Kinderpornographie hege. In seiner Vorstellungswelt komme er sich damit als "etwas Besseres" vor. Dies werde insbesondere in seiner Bemerkung deutlich, in welcher er sein Unverständnis darüber ausdrücke, daß jemand, der mit diesen Dingen aus finanziellen Gründen handele, als schlimmer angesehen werde als jemand, der aus sexuellen Motiven zu Kinderpornographie neige. Der Verurteilte gebe damit zu erkennen, daß er zur Bagatellisierung und Verharmlosung seiner Tat neige. Damit widerspreche er jedoch der Sichtweise des Gesetzgebers, welcher in § 176 a Abs. 2 StGB a.F. (Anm. des Senats: heute Abs. 3) gerade auch den aus finanziellen Motiven handelnden Täter einer erhöhten Strafandrohung aussetze. Zwar habe er im Rahmen seiner Anhörung wiederholt beteuert, ihm tue leid, was er getan habe, er schäme sich dafür und möchte nicht den Eindruck erwecken, die Dinge zu verharmlosen. Dabei handele es sich hierbei nach der festen Überzeugung der Kammer ausschließlich um bloße Lippenbekenntnisse. Der Verurteilte habe seit der letzten Anhörung (Anm. des Senats: anlässlich der Prüfung seines Halbstrafenantrags) dazugelernt und sei sichtlich bemüht, immer wieder zu betonen, daß er seine Tat bereue und sie nicht bagatellisieren wolle. Im gleichen Atemzug gebe er dann jedoch seine tatsächliche Einstellung zu erkennen, indem er versuche, auf die vergleichsweise Geringfügigkeit seines Tatbeitrages bzw. seiner lediglich finanziellen Motive hinzuweisen. Hierdurch habe er seine vorangegangenen Beteuerungen als bloßes taktisches Verhalten entlarvt.

Fehle es also nach wie vor an einem tatsächlichen Sinneswandel bei dem Verurteilten, so lasse schließlich auch der soziale Empfangsraum keine positive Zukunftsprognose zu. Er werde wieder in dasselbe soziale und berufliche Umfeld zurückkehren, in welchem er sich auch bei Tatbegehung befunden habe. Im Unterschied zur seinerzeitigen Situation werde er sich jedoch einem größeren finanziellen Druck ausgesetzt sehen, da er sein seit rund einem Jahr brachliegendes Funkmietwagenunternehmen erst wieder reaktivieren müsse. Nachdem er immer wieder hervorgehoben habe, aus rein finanziellen Motiven gehandelt zu haben, müsse davon ausgegangen werden, dass seine finanziellen Interessen besonders stark ausgeprägt seien. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden geringen Einnahmen aus legaler Tätigkeit werde eine Situation entstehen, in welcher sich der Verurteilte wiederum aus finanziellen Motiven zu erneuten Rechtsbrüchen verleitet sehen könne. Unter diesen Voraussetzungen sei eine Strafaussetzung nicht verantworten.

III.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten hat Erfolg, weil die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB weder mit der Argumentation der Strafvollstreckungskammer noch aus sonstigen Gründen verneint werden können.

Im Gegensatz zu § 56 Abs. 1 StGB stellt die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffende Prognoseentscheidung nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung - weiteren - Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Haftentlassung unter Berücksichtigung desSicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Dieser unterschiedliche Maßstab beruht darauf, daß der Verurteilte die gegen ihn verhängte Strafe bereits teilweise als Freiheitsentzug erlitten hat und im Strafvollzug resozialisierend auf ihn eingewirkt worden ist. Eine Reststrafaussetzung kommt somit nicht in Betracht, wenn die angestrebte Resozialisierung entweder fehlgeschlagen oder noch nicht so weit fortgeschritten ist, daß der Grad des derzeit noch vorhandenen und nie völlig ausschließbaren Rückfallrisikos im Hinblick auf die bei einem Rückfall drohende Rechtsgutsverletzung hinnehmbar erscheint.

Verbüßt ein nicht vorbestrafter Verurteilter - wie hier - erstmals eine Freiheitsstrafe und gibt seine Führung während des Vollzugs keinen Anlaß zu der Annahme, die Resozialisierung sei mißlungen, muß die Feststellung, die Strafe habe ihre spezialpräventiven Wirkungen noch nicht ausreichend entfaltet, weshalb es unverantwortbar sei, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, auf eine aussagekräftige Tatsachengrundlage gestützt werden. Daran fehlt es hier.

Daß sich der Verurteilte nicht als "richtiger" Sexualstraftäter fühlt, rechtfertigt nicht die Annahme, er verharmlose sein strafbares Tun und seine Reuebekundungen seien bloße Lippenbekenntnisse. Die in den Urteilsgründen beschriebene Tathandlung aus dem Jahre 2002 kann zwar unter § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB a.F. (heute Abs. 4 Nr. 2) subsumiert werden. Es handelt sich aber nicht um ein Sexualdelikt im engeren Sinn, weil es weder zu einem Körperkontakt kam noch eine sexuelle Motivation zugrunde lag. Das ändert zwar nichtsan der Strafwürdigkeit dieser besonders verwerflichen Form sexueller Ausbeutung, insbesondere wenn sie - wie hier - aus kommerziellen Gründen geschieht. Daß sich der Verurteilte - im Einklang mit einer weitverbreiteten Einstellung unter juristischen Laien - als "normaler" Straftäter sieht und die rechtliche Einordnung seines Tuns als Sexualstraftat nicht nachvollzieht, darf aber nicht ohne das Vorliegen weiterer, hier nicht ersichtlicher Umstände zum Anlaß genommen werden, ihm eine günstige Kriminalprognose abzusprechen. Ein Verurteilter kann auch dann sein Tun bereuen und - unter dem Eindruck der Strafhaft - einen Sinneswandel vollzogen haben, wenn er zwar die rechtliche Einordnung, nicht aber die Strafwürdigkeit seines Tuns in Zweifel zieht. Auf jeden Fall hat der Beschwerdeführer inzwischen durch Inhaftierung erfahren müssen, daß das Geld, welches er mit der Tat aus September 2002 verdienen wollte (und vielleicht auch verdient hat), nur scheinbar leicht verdientes Geld war.

Vor diesem Hintergrund trägt auch nicht die Erwägung, ein Verurteilter, der aus finanziellen Gründen gehandelt habe, werde nach einer Haftentlassung in schlechten finanziellen Verhältnissen leben, weshalb er sich "zu erneuten Rechtsbrüchen verleitet sehen könne". Mit einer derartigen spekulativen Annahme könnte im übrigen nahezu jedem Straftäter, der einen finanziellen Vorteil aus der Tat ziehen wollte, die resozialisierende Wirkung des Strafvollzugs abgesprochen werden.

Soweit es in dem Urteil des Amtsgerichts Laufen heißt, der Verurteilte habe neben seiner Tätigkeit als Mietwagenunternehmer "einen regen Versandhandel mit Pornofilmen aller Art insbesondere mit kinderpornographischem Inhalt" betrieben, handelt es sich nicht um die Feststellung einer abgeurteilten Straftat, sondern um eine pauschale Mitteilung, die sich in der Darstellung des Lebenswegs des Beschwerdeführers findet.

Keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Reststrafaussetzung ergeben sich schließlich aus dem Umstand, daß gegen den Beschwerdeführer bereits ab 1998 ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften anhängig war. Wenn die Staatsanwaltschaft am 12. Oktober 2000 durch Einstellung nach § 153 StPO zum Ausdruck brachte, daß sie der Tat nur einen geringen Stellenwert beimißt, darf die davon ausgehende Warnfunktion nicht überschätzt werden. Sie bleibt auf jeden Fall weit hinter der Wirkung einer nunmehr seit etwas mehr als 15 Monaten andauernden Freiheitsentziehung zurück.

Der Vollständigkeit halber wird auf folgendes hingewiesen: Im Beschluß vom 12. Oktober 2004 (Entscheidung über den Halbstrafenantrag), auf den in dem angefochtenen Beschluß Bezug genommen wird, hatte die Strafvollstreckungskammer ihre Überzeugung dargelegt, der Beschwerdeführer sei viel zu milde bestraft worden. Dies darf bei der Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB keine Rolle spielen, weil allein der erkennende Richter über das Strafmaß entscheidet und die Korrektur eines vermeintlichen Fehlurteils durch vollstreckungsrechtliche Entscheidungen unzulässig wäre.

Insgesamt gesehen hält der Senat eine Reststrafaussetzung mit den aus dem Tenor ersichtlichen Auflagen und Weisungen für verantwortbar.

Kosten: § 473 Abs. 1 StPO

Ende der Entscheidung

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