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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 20.08.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 729/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 172 II 1
StGB § 323 c
Das Verschweigen wesentlicher, dem Anzeigevorwurf entgegenstehender Ermittlungsergebnisse macht den Klageerzwingungsantrag unzulässig.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 729/01

In dem Ermittlungsverfahren

wegen Verdachts der unterlassenen Hilfeleistung u.a. hier: Antrag des T. M., W., auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 S. 1 StPO

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa

am 20. August 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag, gegen den Beschuldigten die Erhebung der öffentlichen Klage zu beschließen, wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wirft dem Beschuldigten als Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt K. unterlassene Hilfeleistung vor.

Während der Zeit seiner vom 23. September 1999 bis 20. September 2000 dauernden Untersuchungshaft habe er am 24. Juni 2000 über akute Schmerzen im Unterbauch geklagt. Er leide seit längerer Zeit an einer entzündlichen, in rezidivierenden Schüben auftretenden Dickdarmerkrankung, wegen der er sich in jüngerer Vergangenheit auch schon drei Mal in stationärer Behandlung befunden habe. Nachdem ihm auf Anforderung durch die Vollzugsbeamten die gewünschten Medikamente verabreicht worden seien, sei er am Montag, dem 26. Juni 2000 dem Beschuldigten in der Justizvollzugsanstalt vorgeführt worden. Obwohl sich der Verdacht einer akuten Dickdarmentzündung geradezu aufgedrängt habe, habe dieser sich im Wesentlichen auf die Empfehlung beschränkt, der Antragsteller solle sich verhalten wie in den bisherigen Fällen auch. Weder habe er eine körperliche Untersuchung vorgenommen noch eine Blutentnahme mit anschließender Laboruntersuchung veranlasst oder auch nur die Körpertemperatur gemessen. Im Hauptverhandlungstermin am Dienstag, dem 27. Juni 2000 habe er, der Antragsteller, sich in einem derart erkrankten und abgeschlagenen Zustand befunden, dass auf Antrag der Verteidigung eine fachärztliche Untersuchung veranlasst worden sei. Diese habe zu seiner sofortigen Einweisung in eine stationäre Krankenhausbehandlung geführt.

Der Antragsteller ist der Auffassung, spätestens am 26. Juni 2000 habe aufgrund seiner Erkrankung ein Unglücksfall i.S.d. § 323 c StGB vorgelegen, der eine ärztliche Behandlung durch den Beschuldigten erfordert hätte. Unverzichtbar sei zumindest eine körperliche Untersuchung, eine Blutentnahme mit anschließender Laboruntersuchung und die Ermittlung der Körpertemperatur gewesen. Statt dessen habe der Beschuldigte jegliche diagnostischen Maßnahmen unterlassen und sich auf die bereits erwähnte Empfehlung beschränkt.

Nachdem die Staatsanwaltschaft wegen dieses Vorwurfs das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt und die Generalstaatsanwaltschaft die dagegen gerichtete Beschwerde des Anzeigeerstatters mit Bescheid vom 30. Mai 2001 - dem Verfahrensbevollmächtigten zugegangen am 1. Juni 2001 - zurückgewiesen hat, stellt dieser nunmehr mit einem am Montag, dem 2. Juli 2001, eingegangenen Schriftsatz Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, weil er den zwingenden Formerfordernissen des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO nicht entspricht. Nach dieser Vorschrift muss der Antrag die Tatsachen und Beweismittel angeben, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen. Dazu gehört nicht nur eine schlüssige Darstellung des den Tatvorwurf begründenden Sachverhalts. Zumindest in groben Zügen ist auch der Gang des Ermittlungsverfahrens und die Gründe für die behauptete Unrichtigkeit der angegriffenen Bescheide mitzuteilen. Das Oberlandesgericht soll dadurch in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakte eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 172 Rdn. 27 m.w.N.).

Diesen Anforderungen hält der Antrag nicht stand. Er verschweigt wesentliche von der Staatsanwaltschaft zu dem angezeigten Sachverhalt durchgeführte Ermittlungen. Gerade die zur Beurteilung des Tatverdachts unverzichtbare Frage, wie sich der Vorgang aus Sicht des Beschuldigten und hier auch der von den Vorwürfen mit betroffenen Justizvollzugsanstalt darstellt, bleibt in der Antragsbegründung unbeantwortet.

In der Ermittlungsakte findet sich dazu eine dienstliche Erklärung des Leiters der Justizvollzugsanstalt K. an das Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz vom 6. Juni 2000, die auf Grundlage dreier als Anlagen beigefügter Befundberichte des Beschuldigten und des für den Antragsteller während seiner Haftzeit geführten, ebenfalls als Anlage beigefügten Behandlungsblatts erstellt worden ist. Die ärztliche Tätigkeit, die der Beschuldigte für den Antragsteller entwickelt hat, stellt sich danach anders dar als in der Antragsschrift behauptet. Träfe dieser Bericht des Anstaltsleiters zu, wäre der Vorwurf des Antragstellers, der Beschuldigte hätte sich am 26. Juni 2000 ohne diagnostische und therapeutische Maßnahmen auf die Empfehlung beschränkt, er, der Antragsteller, solle sich verhalten wie zuvor auch, falsch. Von einem Unterlassen jeglicher Diagnose- und Behandlungsmaßnahmen könnte dann keine Rede sein. Gerade deswegen hätte der Bericht in der Antragsschrift aufgegriffen werden müssen. Denn zur Darstellung des Verfahrensgangs genügt es nicht, nur auf die Erkenntnisse einzugehen, die das Antragsvorbringen stützen. Vielmehr ist das gesamte für die objektive und subjektive Tatseite bedeutsame Ermittlungsergebnis anzugeben, da nur auf Grundlage einer vollständigen Darstellung die Schlüssigkeit der Antragsbegründung ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakte beurteilt werden kann (OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Juli 1999 - 1 Ws 175/99 -).

a)

Verschwiegen wird schon, dass ausweislich des Behandlungsblattes der Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt M. noch am 23. April 2000 vor Überstellung des Antragstellers in die Justizvollzugsanstalt K. eine Blutentnahme bei diesem durchgeführt hatte, die beanstandungsfreie Laborwerte ergab.

b)

Weiter beschreibt der ärztliche Befundbericht vom 30. Juni 2000 und ihm folgend die dienstliche Erklärung des Anstaltsleiters ein Erscheinen des Antragstellers in der anstaltsärztlichen Sprechstunde nicht erst am Montag, dem 26. Juni, sondern bereits am Donnerstag, dem 8. Juni 2000, 10 Tage nach seiner Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt K. am 30. Mai 2000. Die Unterredung zwischen Arzt und Patient wird wie folgt geschildert:

"Ausweislich des anliegenden Vermerks des Anstaltsarztes OMR W., der auf Anforderung des erkennenden Gerichts erstellt wurde, teilte der Gefangene bereits am 8.6.00 mit, er leide an einer rezidivierenden Erkrankung (entzündliche Darmerkrankung); er sei sehr gut hierüber aufgeklärt, da die Ehefrau Ärztin sei, durchuntersucht und habe sich durch Literatur sehr sachkundig gemacht. Auf Nachfrage des Anstaltsarztes äußerte er, er wünsche keine aktuelle Abklärung und gab zudem an, er sei beschwerdefrei".

Der Sprechstundentermin vom 26. Juni 2000 wird im ärztlichen Befundbericht und der Äußerung des Anstaltsleiters übereinstimmend folgendermaßen dargestellt:

"Ausweislich des Vermerk des Anstaltsarztes vom 30.6.00 und der Eintragung im anliegenden Behandlungsblatt stellte sich der Gefangene am 26.6.00 wieder in der Sprechstunde vor. Dort habe er "subjektives Wohlbefinden" mitgeteilt und den Wunsch geäußert, die begonnene Therapie fortzusetzen. Er habe weiter das Absetzen aller Nahrung bis auf stilles Wasser und Brühe gewünscht und habe auf Nachfrage erneut auf seine Erfahrung im Umgang mit dieser Erkrankung verwiesen. Auf weitere Nachfrage des Anstaltsarztes habe er weitere Maßnahmen (Diagnostik jeglicher Art) nicht für notwendig erachtet. Eine angebotene stationäre Abklärung im Justizvollzugskrankenhaus W. habe er ebenfalls nicht gewünscht. Er habe weiter darauf hingewiesen, er habe nur noch einen Verhandlungstag und werde spätestens am Dienstag, 4.7.00, nach M. zurückverlegt".

Wäre dieser Geschehensablauf richtig, träfe der Vorwurf des Antragstellers, der Beschuldigte habe keine diagnostischen Maßnahmen durchgeführt, nicht zu. Dieser hätte sich gerade eines zentralen Diagnosemittels, nämlich der Befragung des Patienten bedient (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, "Diagnostik"). Zutreffend weist der Antragsteller daraufhin, dass der Arzt über diagnostische Maßnahmen selbst und in eigener Verantwortung zu entscheiden hat. Aus den ärztlichen Befundberichten wäre jedenfalls kein Grund ersichtlich, weshalb der Beschuldigte weitere Untersuchungen hätte anstellen müssen. Die Richtigkeit der Berichte unterstellt, hätte er am 8. Juni 2000 aus der Unterredung mit dem Patienten Kenntnis von Art und dem bisherigen Verlauf der Krankheit erlangt. Anlass, den Angaben des Patienten zu misstrauen, hätte für ihn nicht bestanden, wenn es zuträfe, dass dieser sich ihm gegenüber als umfassend ärztlich beraten, aufgeklärt und krankheitserfahren offenbart hätte. Allein aufgrund des Berufs des Patienten als praktizierender Rechtsanwalt, hätte er unterstellen dürfen, dass dieser ausreichend Verstandeskraft besitzt, um die Bedeutung einer ärztlichen Befragung zu erkennen sowie seine Erklärungen nach Inhalt und Tragweite zu überschauen.

Schließlich wäre der Beschuldigte nach den vorliegenden Eintragungen im Behandlungsblatt mit dem diagnostischen Mittel der Anamnese auch zu dem richtigen Ergebnis gelangt. Denn unter dem 26. Juni 2000 ist dort vermerkt: "Jetzt Schub", womit ersichtlich nur ein erneuter Schub der rezidivierenden Darmerkrankung des Antragstellers gemeint sein konnte. Damit hätte der Beschuldigte an diesem Tag genau die Diagnose gestellt, zu der er nach Auffassung des Antragstellers aus seiner nachträglichen Sicht eines beschwerde- und schmerzfreien Patienten erst nach weiteren, möglicherweise unnötig zeitraubenden und den Kranken belastenden Untersuchungen hätte gelangen sollen.

Nichts davon findet sich in der Antragsschrift.

c)

Entspräche die Darstellung des Sachverhalts aus Sicht des Anstaltsleiters und des Beschuldigten den Tatsachen, wäre auch der weitere Vorwurf unzutreffend, der Anstaltsarzt hätte keine Behandlung des Patienten durchgeführt. In der dienstlichen Erklärung des Anstaltsleiters ist dazu folgendes ausgeführt:

"OMR W. wies den Gefangenen (Erl.: am 8. Juni 2000) darauf hin, dass er regelmäßig lediglich montags und donnerstags in der Anstalt sei. Der Gefangene entgegnete, dass er hier dennoch bleiben könne, da er nach seiner Auffassung nicht in eine medizinische Einrichtung müsse. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit der Erkrankung könne der Gefangene selbst sehr gut einschätzen, wann er eine antibiotische Therapie (Anmerkung: im Hinblick auf seine Darmerkrankung) benötige. Er schlug als Medikation vor: Ciprobay 250 (abends), sodann 1-1-1. Dementsprechend wurde im Behandlungsblatt vom Anstaltsarzt u.a. vermerkt: "5 b.B. (Anmerkung: = bei Bedarf) Ciprobay 250 2.1.1 für 10 Tage, 1.1.1".

Wäre das richtig, hätte der Beschuldigte zum frühestmöglichen Zeitpunkt Behandlungsmaßnahmen eingeleitet und zwar die, die sich gemäß den Angaben des eigener Erklärung nach umfassend ärztlich beratenen und krankheitserfahrenen Beschuldigten in der Vergangenheit stets als erfolgreich erwiesen haben. Die Medikamente sind diesem unstreitig auch unverzüglich nach Auftreten von Beschwerden am 25. Juni 2000 verabreicht worden. Träfe dieser dokumentierte Behandlungsverlauf zu, wäre nicht ersichtlich, welche zusätzliche Therapie der Beschuldigte einen Tag später am 26. Juni 2000, an dem die antibiotische Behandlung noch gar nicht durchgreifen konnte, hätte anstrengen müssen. Jedenfalls ist es aus heutiger Sicht geradezu ein Glücksfall für den Antragsteller, dass der Beschuldigte nicht der Empfehlung des Verfahrensbevollmächtigten in seinem der Antragsschrift als Anlage 3 beigefügten, an das Amtsgericht Koblenz gerichteten Schriftsatz vom 25. Oktober 1999 gefolgt und bei Auftreten des Entzündungsschubs "zur umgehenden Dickdarmresektion" geschritten ist.

All das wird in der Antragsschrift nicht erwähnt. Demgemäß fehlt es an der vom Gesetz geforderten vollständigen Grundlage für die vom Senat vorzunehmende Schlüssigkeitsprüfung.

Der Antrag ist daher mangels ausreichender Begründung als unzulässig zu verwerfen. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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