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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 13.01.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 807/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 63
StGB § 67 d
1. Übersteigt die Dauer der Unterbringung die Höchststrafe für das Einweisungsdelikt, gelten für die Entlassungsprognose ähnlich hohe Prüfungs- und Begründungsanforderungen wie bei sehr langandauernden Unterbringungen i. S. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.

2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert die größtmögliche Konkretisierung der vom Untergebrachten im Falle der bedingten Entlassung ausgehenden Gefährdung der Allgemeinheit nach Gefährdungsgrad und Deliktsschwere. Auch das befürchtete Rückfalldelikt muss von einem Schweregrad sein, der nach dem Gesetz die Verhängung der Maßregel (Einweisung in eine psychiatrische Klinik) rechtfertigen würde.


Geschäftsnummer: 1 Ws 807/03 2103 Js 30718/97 StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafvollstreckungssache

wegen Brandstiftung, gemeinschädlicher Sachbeschädigung hier: Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den die Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 13. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz vom 12. September 2003 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Der vielfach vorbestrafte und seit 5. Oktober 1998 untergebrachte Beschwerdeführer ist am 10. Februar 1999 (rechtskräftig seit 18.02.1999) u. a. wegen vorsätzlicher Brandstiftung, gemeinschädlicher Sachbeschädigung und verschiedener Diebstahlsdelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden; zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Sowohl die Brandstiftung als auch die Sachbeschädigung, die ebenfalls durch Inbrandsetzung erfolgt war, hatte der Untergebrachte unter Alkoholeinfluss aus Ärger und Wut über vermeintliche Kränkungen begangen. Er erstrebt nunmehr seine Entlassung aus dem Krankenhaus, da er sich für fähig hält, künftig ein straffreies Leben zu führen.

Die ihn behandelnde Rhein-Mosel-Fachklinik hat sich (erneut) gegen seine Entlassung ausgesprochen. Die Strafvollstreckungskammer hat, gestützt auf ein im Juli 2002 eingeholtes externes Sachverständigengutachten und den die Folgezeit abdeckenden Bericht der Klinikärzte (Prognosegutachten vom 8.7.2003) die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Untergebrachten.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

Eine Entlassung des Beschwerdeführers aus der Unterbringung (§ 67 d Abs. 2 StGB) wäre verfrüht und mit einem unvertetbar hohen Rückfallrisiko belastet.

1.

Die Beschwerdeführer ist seit über fünf Jahren untergebracht. Die gesetzliche Strafandrohung für das Einweisungsdelikt Brandstiftung beträgt bis zu zehn Jahren, in einem (von der Strafkammer hier bejahten) minderschweren Fall bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Die bisherige Dauer der Unterbringung hat also die für einen Fall wie den vorliegenden mögliche Höchststrafe bereits überschritten. Zwar hindert dies nicht die Fortdauer der Maßregel; denn der Gesetzgeber hat für sie nicht nur keine absolute zeitliche Obergrenze vorgesehen, sondern ihre Dauer auch nicht an die höchste Strafandrohung für das Einweisungsdelikt geknüpft. Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass das Erreichen der maximalen Strafandrohung, die bei der nächsten von Amts wegen fälligen Prüfung sogar deutlich überschritten wäre, zu ähnlich hohen Prüfungs- und Begründungsanforderungen führt, wie sie bei sehr lange andauernden Unterbringungen nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung geboten sind.

2.

Ausgangspunkt für jede Prognoseentscheidung im Maßregelvollzug ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er gebietet, die Unterbringung eines Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur so lange zu vollstrecken, wie der Zweck dieser Maßregel es unabweisbar erfordert und weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, um so strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Das Freiheitsgrundrecht gewinnt wegen des sich verschärfenden Eingriffs immer stärkeres Gewicht für die vollstreckungsgerichtliche Wertungsentscheidung. Dabei ist die durch eine bedingte Entlassung aus der Unterbringung möglich werdende Gefährdung der Allgemeinheit zur Dauer des erlittenen Freiheitsentzuges in Beziehung zu setzen (BVerfGE 70,297,311 f.; zuletzt BVerfG, 2 BvR 366/03 vom 10.10.2003 S. 7 m. w. N.). Wegen des besonderen Gewichts des Freiheitsgrundrechts können daher nur solche (künftig zu erwartenden) Taten in die Abwägung eingestellt werden, die nicht nur geringfügig sind, sondern mindestens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen (BGH, NStZ 19,228: BVerfG aaO.) Denn auch nur Taten solchen Schweregrades wären geeignet, die Verhängung der Maßregel zu tragen.

Weiter ist bei der Entlassungsprognose zu beachten, dass das Gesetz nicht die sichere Erwartung zukünftigen Wohlverhaltens fordert. Die kaum jemals auszuschließende bloße Möglichkeit künftiger Rechtsverletzungen kann eine weitere Maßregelvollstreckung nicht rechtfertigen (BVerfG aaO. 7). Vielmehr ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr zu konkretisieren. Daher ist zu bestimmen, wie wahrscheinlich zukünftige Straftaten sind und ob sie den für § 63 StGB erforderlichen Schweregrad erreichen.

3.

Die Anwendung dieser Grundsätze führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte zur Zeit noch nicht aus der Unterbringung entlassen werden kann.

Einweisungsdelikt war eine Brandstiftung nach § 308 StGB (a.F.), also eine Tat, die als gemeingefährliches Delikt auch bei minderschweren Fällen i. S. von § 308 Abs. 2 (jetzt § 306 Abs. 2) StGB der Schwerkriminalität zuzurechnen, von besonderer Gefährlichkeit für gewichtige Rechtsgüter ist und eine hohe statistische Rückfallwahrscheinlichkeit aufweist (Gutachten Buchholz, Bl. 92). Der Untergebrachte hatte den Urteilsfeststellungen zufolge (Seite 5 Ziff. 2) nach dem Konsum von vier bis fünf Flaschen Bier einen mit Brennholz gefüllten Schuppen angezündet, wobei er damit rechnete (und auch wollte), dass das Feuer auf einen danebenstehenden Wohnwagen übergreifen würde. In nur zwei bis drei Meter Abstand zu dem Brennholzschuppen stand ein Wohnhaus, das zur damaligen Zeit auch bewohnt war. Zumindest eine Gefährdung dieses Hauses, ggf. auch seiner Bewohner, war somit naheliegend. Tatsächlich wurden jedoch nur der Holzschuppen und der Wohnwagen eingeäschert. Motiv für diese (mit einer Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten geahndete) Brandstiftung war, dass der Untergebrachte sich über den Besitzer des Wohnwagen geärgert hatte, weil dieser ihn wegen zweier von ihm begangener Einbrüche in diesen Wohnwagen mit einer Schadensersatzforderung von 500 DM konfrontiert hatte.

Einen Monat später reagierte der Beschwerdeführer seinen Unmut in ähnlicher Weise ab: Ebenfalls unter Alkoholeinfluss hatte er in einem Kindergarten Spielsachen in Brand gesteckt, wobei das Feuer auf einen Zaun und eine Straßenlaterne übergegriffen und diese zerstört hatte. Grund seiner Wut auf den Kindergarten war, dass seinem Vater wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine Geldleistung an eine soziale Einrichtung in Höhe von 400 DM aufgegeben worden und dieses Geld dem betroffenen Kindergarten zur Anschaffung von Spielsachen zugeflossen war. Wegen dieser (gemeinschädlichen) Sachbeschädigung, die - wie auch schon zuvor die Brandstiftung - innerhalb laufender Bewährung begangen worden war, hatte die Strafkammer eine Einzelstrafe von sechs Monaten in Ansatz gebracht.

Die Feststellung, dass beide Taten dem zu kontrolliertem, rationalem Umgang mit Frustrationsempfindungen unfähigen Beschwerdeführer dazu gedient hatten, aufgetretene Frustrationsspannungen über (tatsächlich oder vermeintlich) erlittene Kränkungen abzureagieren (Gutachten Bl. 102: "Er habe sich geärgert, sei zu dem Wohnwagen gegangen, habe alles angezündet. Er sei dann nach Hause gegangen, habe sich ins Bett gelegt und alles sei rum gewesen"), führt zu der für die Kriminalitätsprognose entscheidenden Frage, ob sich seine Persönlichkeit während der bisherigen Unterbringung so weit zum Positiven entwickelt hat, dass er nunmehr aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest Brandstiftungsdelikte nicht mehr begehen wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Untergebrachte inzwischen zu einer normalen Frustrationstoleranz gefunden hat, die es ihm ermöglichen würde, mit den in Freiheit erneut auf ihn zukommenden vermeintlichen oder tatsächlichen Kränkungssituationen angemessen und ohne Rückfall in einschlägige Delinquenz umzugehen. Wäre das nicht der Fall, würde dies nicht nur mit Wahrscheinlichkeit, sondern sogar mit Sicherheit zu neuen Brandstiftungen als Ventil für aufgestaute Wut- und Hassempfindungen führen. Das ergibt sich aus dem Gutachten des klinikexternen Sachverständigen Dr. B., der den Untergebrachten im Mai 2002 eingehend untersucht hat:

Dr. B. hat bei seinen Testuntersuchungen ein "sehr ungünstiges und auch hohes Gewaltsrisiko" (Bl. 110) festgestellt und darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um zwei im Sinne einer Ko-Morbidität nebeneinander wirksam werdende Persönlichkeitsstörungen handelt, nämlich um eine "emotional instabile Persönlichkeit vom impulsiven Typus" (ICD 10 F 60.3) und eine "dissoziale Persönlichkeitsstörung" (ICC 10 F 60.2), wobei letztere sich erst während der Zeit seines Aufenthalts in der Klinik herausgebildet habe und sich in folgenden sein stationäres Alltagsverhalten dominierenden Störungen manifestiere:

* sehr geringe Frustrationstoleranz, * niedrige Hemmschwelle für aggressives Verhalten, * Unfähigkeit zum Lernen aus negativer Erfahrung, * Neigung, für eigenes Fehlverhalten "Rationalisierungen" anzubieten und andere zu beschuldigen.

Hinzu tritt eine

* intellektuelle Minderbegabung (ICD 10 F 70.1), die sich zwar im oberen Normbereich bewegt, aber seine Empfangsbereitschaft für psychotherapeutische Interventionen dennoch deutlich reduziert, sowie ein * Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD 10 F 10.21), das zwar in der beschützenden Umgebung der Klinik durch (erzwungene) Abstinenz zurückgedrängt wurde, in Freiheit aber sofort wieder virulent werden, ihn emotional labilisieren und emotionale Impulsdurchbrüche begünstigen würde (Bl. 125).

Vor diesem Hintergrund des Zusammenwirkens zweier tiefgreifender Persönlichkeitsstörungen, verstärkt durch eine keineswegs überwundene Alkoholabhängigkeit und eine deutliche intellektuelle Leistungsreduzierung hat der Sachverständige Dr. Buchholz die Prognose des Untergebrachten im Juli 2002 als "außerordentlich ungünstig" beurteilt (Bl. 125), ein Befund, der von der Beschwerde im Grunde auch nicht angegriffen wird.

4.

Der Untergebrachte ist allerdings der Auffassung, dass sich sein Zustand inzwischen entscheidend verbessert habe, so dass er davon ausgehe, keine nennenswerte Gefahr für die Allgemeinheit mehr darzustellen.

Dem kann sich der Senat nicht anschließen.

a) Nach den Beobachtungen der Klinikärzte sind zwar in der Tat gewisse therapeutische Teilerfolge zu verzeichnen (vgl. Bl. 190 ff.). Bemerkenswert ist auch der Umstand, dass der Untergebrachte in der Zeit vom 21.12.2002 bis 04.02.2003 sogar die Funktion eines Patientensprechers innehatte, und der Senat teilt nicht die Auffassung der Fachklinik, dass die dabei deutlich gewordene Überforderung (und sein primäres "Eintreten für Interessen nach seinen eigenen Vorstellungen", Bl. 191), also sein "Scheitern an einer verantwortungsvollen Aufgabe" (Bl. 191), bereits auf einen ungünstigen Behandlungsverlauf und insbesondere auf "geringe soziale Kompetenz" (die an anderer Stelle, Bl. 139, eher positiv bewertet wurde) hindeuten; Scheitern an besonders verantwortungsvollen Aufgaben ist ein in allen Lebensbereichen ständig anzutreffendes Phänomen, und zwar auch bei Personen, die zweifellos nicht an Persönlichkeitsstörungen leiden. Vielmehr ist es die Aufgabe der Fachklinik, solche Überforderungssituationen, die unweigerlich in Enttäuschung und Frustration münden und daher als kontraproduktiv angesehen werden müssen, zu vermeiden bzw. zu verhindern.

b) Von entscheidender Bedeutung für die hier zu treffende Prognoseentscheidung sind jedoch Verhaltensmuster und Eigenschaften, mit denen der Beschwerdeführer auch im letzten Jahr weiterhin aufgefallen ist und die nach der (insbesondere vor dem Hintergrund der noch nicht lange zurückliegenden externen Begutachtung) nicht in Zweifel zu ziehenden Interpretation der Klinikärzte nach wie vor auf gravierende Persönlichkeitsdefizite hindeuten: dissoziale Grundstimmung, dysfunktionaler Umgang mit Frustrationssituationen, geringe Frustrationsschwelle (Bl. 190), manipulativer Charakter, "totale Ignoranz (gemeint dürfte sein: totales Ignorieren) gegenüber spezifischen Personen" (womit ersichtlich Personen gemeint sind, von denen er Kritik empfängt), Fehlen jeglicher Konfliktlösungsstrategien (Bl. 191), deutlich geminderte Willenssteuerung, impulsives Verhalten (Bl. 194), deutlich begrenzte Kommunikationsfähigkeiten (Bl. 193) sowie geringer bis vollständiger Verlust der Kontroll- und Steuerungsfähigkeit (Bl. 194). Dabei waren es vor allem die Reaktionen des Untergebrachten auf Frustrationssituationen, die aufzeigten, dass im Falle einer bedingten Entlassung, also einer Herauslösung aus der beschützenden Umgebung der Fachklinik, mit erneuten Rückfällen in frustrationsbedingte Brandstiftungen gerechnet werden muss.

c) Die weiteren Therapiebemühungen der Fachklinik werden daher ihren Schwerpunkt dort haben müssen, wo das im Beschwerdeführer virulente Gefährdungspotenzial seine Wurzeln hat: in der emotionalen Instabilität und den dissozialen Komponenten seiner Persönlichkeit. Diese beiden Faktoren, die für seine Brandstiftungsdelinquenz maßgeblich kausal waren, werden zwar zur Zeit durch die stringente Umsetzung des sozialtherapeutischen Konzepts der Fachklinik weitgehend beherrscht; sie sind aber - ebenso wie seine tatbegünstigende Alkoholabhängigkeit - noch keineswegs überwunden.

Eine bedingte Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt würde daher den Untergebrachten, der noch nicht über das nötige Rüstzeug verfügt, um Frustrations- und Kränkungssituationen gewaltfrei verarbeiten zu können, überfordern, in alte Verhaltensmuster (Alkoholmissbrauch, Spannungsabbau durch Brandstiftung) zurückfallen lassen und so alle bisherigen therapeutischen Teilerfolge zunichte machen. Die damit einhergehende Gefährdung der Allgemeinheit ist so erheblich, dass sie auch vor dem Hintergrund, dass ein gewisses Restrisiko bei bedingten Entlassungen nie völlig ausgeschlossen werden kann und daher grundsätzlich hinzunehmen ist, nicht vertretbar erscheint.

Ende der Entscheidung

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