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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 25.09.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 989/01
Rechtsgebiete: StPO, BRAGO


Vorschriften:

StPO § 464 b
StPO § 464 d
BRAGO § 12 I 1
BRAGO § 83 I Nr. 2
BRAGO § 83 I Nr. 3
BRAGO § 83 II Nr. 2
Zur Erstattung der Verteidigerkosten bei Teilfreispruch und teilgeständiger Einlassung des Angeklagten schon vor Anklageerhebung hinsichtlich der abgeurteilten Tat.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 1 Ws 989/01

In der Strafsache

wegen sexueller Nötigung u.a. hier: Kostenfestsetzung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 25. September 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Trier vom 31. Juli 2001 abgeändert.

Die von der Staatskasse an den früheren Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 1.543,73 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 28. Februar 2001 festgesetzt.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der frühere Angeklagte, jedoch wird die Gebühr für das Beschwerdeverfahren um 9/50 ermäßigt. In diesem Umfang hat die Staatskasse auch die dem früheren Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.064,80 DM festgesetzt.

Gründe:

I. Der Beschwerdeführer wurde nach zweitägiger Hauptverhandlung durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Trier vom 13. Februar 2001 wegen einer im Jahre 1997 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt. Vom Vorwurf zweier sexueller Nötigungen (Tatzeit: Sommer 1999) wurde er freigesprochen. Das seit dem 21. Februar 2001 rechtskräftige Urteil enthält folgende Kostenentscheidung:

"Im Umfang der Verurteilung hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens sowie die der Nebenklägerin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen."

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23. Februar 2001 beantragte der Verurteilte, seine von der Staatskasse zu erstattenden, durch die Inanspruchnahme eines Verteidigers entstandenen notwendigen Auslagen auf insgesamt 3.237,33 DM festzusetzen. Dabei legte er folgende Berechnung zugrunde:

Gebühr gemäß § 84 Abs. 1 BRAGO 7.000,00 DM Gebühr gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 1.000,00 DM Gebühr gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO 1.000,00 DM Auslagenpauschale gemäß § 26 BRAGO 300,00 DM 86 Fotokopien 600,80 DM 16 % Mehrwertsteuer 4446,53 DM 33.237,33 DM

Zur Überschreitung der Mittelgebühren wurde auf die im vorbereitenden Verfahren über den Verteidiger abgegebene umfangreiche schriftliche Einlassung, die Schwere der Tatvorwürfe, von denen er freigesprochen wurde, und die daraus folgende Bedeutung der Sache hingewiesen, die zusätzlich durch ein schwebendes Einbürgerungsverfahren gesteigert gewesen sei.

Nach mehreren Hinweisen des Rechtspflegers darauf, dass nur ein Teilfreispruch vorliege und deshalb die gegen die Staatskasse festzusetzenden Gebühren nach der Differenztheorie zu ermitteln seien, erklärte der Verurteilte über seinen Verteidiger, die Vorlage einer fiktiven Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren, die bei bloßer Inanspruchnahme des Verteidigers wegen des zur Verurteilung führenden Anklagevorwurfs entstanden wären, scheide aus, weil er sich bei einer Beschränkung des Verfahrens auf den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung keines Verteidigers bedient hätte. Diese Tat sei von ihm nie bestritten, sondern lediglich "in einem etwas milderen Licht" dargestellt worden.

Durch Beschluss vom 31. Juli 2001 setzte der Rechtspfleger die dem früheren Angeklagten von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1.172,53 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 28. Februar 2001 fest. Ausgehend davon, dass für das vor der großen Strafkammer durchgeführte Verfahren eine Vorverfahrensgebühr von lediglich 500 DM, für den ersten Hauptverhandlungstermin die geltend gemachte Gebühr von 1.000 DM und für den zweiten Hauptverhandlungstermin lediglich eine solche von 530 DM angefallen sei, errechnete der Rechtspfleger zuzüglich der geltend gemachten Schreibauslagen, der Auslagenpauschale und der angefallenen Mehrwertsteuer einen Betrag von 2.460,13 DM, von dem sich der Angeklagte die fiktiven Kosten eines auf die zur Verurteilung führenden Tat beschränkten Verfahrens, das lediglich zu einer Anklage vor dem Strafrichter geführt hätte, anrechnen lassen müsse. Diese hat der Rechtspfleger unter Zugrundelegung einer Vorverfahrensgebühr von 350 DM und einer Hauptverhandlungsgebühr von 700 DM, geschätzten Schreibauslagen von 30 DM, der Auslagenpauschale von 30 DM und 177,60 DM Mehrwertsteuer auf 1.287,60 DM berechnet, so dass sich eine zu erstattende Differenz von 1.172,53 DM ergibt.

Gegen diesen, dem Verteidiger am 3. August 2001 zugestellten Beschluss hat der frühere Angeklagte durch am 9. August 2001 beim Landgericht Trier eingegangenen Schriftsatz des Verteidigers sofortige Beschwerde eingelegt, mit der die Festsetzung der ihm von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen entsprechend seinem Antrag vom 23. Februar 2001 begehrt wird. Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Das gemäß § 464 b Satz 3 StPO, 104 Abs. 3 ZPO, 11 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 RPflG zulässige Rechtsmittel hat in der Sache lediglich einen Teilerfolg.

1.

Enthält die Kostengrundentscheidung im Falle des echten Teilfreispruchs, wie er hier vorliegt, keine Quotelung nach § 464 b StPO, so kann zur Berechnung der zu erstattenden notwendigen Auslagen für den Verteidiger im Kostenfestsetzungsverfahren sowohl die Differenztheorie angewandt oder nach sachgerechter Schätzung eine Quotelung vorgenommen werden. Welche Aufteilungsmethode Anwendung findet, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Rechtspflegers (OLG Koblenz StraFo 99, 105, 106; LR-Hilger, StPO, 25. Aufl. § 465 Rdnr. 40 m.w.N.). Vorliegend hat sich der Rechtspfleger in nicht zu beanstandender Weise für die Anwendung der Differenztheorie entschieden.

Nach ihr soll der Verurteilte genau so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre; die in diesem Fall entstandenen Kosten fallen ihm zur Last. Von den Mehrkosten, die durch die Vorwürfe veranlasst sind, bezüglich derer es zum Freispruch kam, soll er freigestellt werden. Lassen sich die Mehrkosten nicht eindeutig zuordnen, weil die Aufwendungen wie z.B. die Gebühren des Verteidigers zwangsläufig das gesamte Verfahren betreffen, so müssen sie durch einen Vergleich der dem Verurteilten tatsächlich entstandenen notwendigen Auslagen mit denen im Fall des beschränkten Verfahrensgegenstandes hypothetisch erwachsenen ermittelt werden. In Bezug auf die Vergütung des Verteidigers bedeutet dies, dass vom Gesamthonorar das fiktive Honorar abzuziehen ist, welches dem Verteidiger zustehen würde, wenn nur die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Mandats gewesen wäre; die Differenz hat die Staatskasse zu tragen (OLG Koblenz a.a.0. m.w.N.). Eine Überbürdung der gesamten Verteidigerkosten kann in Betracht kommen, wenn der Angeklagte nachweislich wegen der Tat, die zur Verurteilung geführt hat, keinen Verteidiger beauftragt hätte, insbesondere wenn er bezüglich der der Verurteilung zugrundeliegenden Tat geständig war und die Aufgabe des Verteidigers sich von vornherein auf die den Schwerpunkt des Verfahrens bildenden Freispruchtaten beschränkt hat (LR-Hilger a.a.0. § 465 Rdnr. 42 m. z. N. aus der Rechtsprechung).

So liegt der Fall hier nicht. Es trifft zwar zu, dass sich der Verteidiger bestellt hatte, nachdem der frühere Angeklagte eine Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung wegen "sexueller Nötigung im August 1999 in T., J., zum Nachteil Frau G." erhalten hatte. Dass das Körperverletzungsdelikt nicht Anlass für die Verteidigerbestellung vom 3. November 1999 gewesen ist, ist aber nicht entscheidend. Auch von der dem früheren Angeklagten angelasteten zweiten sexuellen Nötigung zum Nachteil seiner früheren Freundin war in der Vorladung keine Rede. Die Verteidigerbestellung betrifft das Verfahren als Ganzes und beschränkt sich nicht auf einzelne Taten, gleichgültig, ob sie im Zeitpunkt der Bestellung bekannt oder unbekannt waren. Bezeichnenderweise hat der Verteidiger die Einlassung des früheren Angeklagten zu dem Vorfall im Jahre 1997 mit Schriftsatz vom 7. Februar 2000 über nahezu eine Seite wiedergegeben, ist im Folgenden auch auf die die Angaben der Geschädigten insoweit stützende Aussage der Zeugin R. eingegangen und hat schließlich die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Vorwurfs der Körperverletzung wegen Geringfügigkeit beantragt. Diesen Antrag hat er in seinem Plädoyer wiederholt. Damit hat sich die Aufgabe des Verteidigers nicht von vornherein auf die den Schwerpunkt des Verfahrens bildenden Freispruchtaten beschränkt.

Im Übrigen kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer hätte sich, wäre das Verfahren auf den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung beschränkt gewesen, keines Verteidigers bedient. Er war im Ermittlungsverfahren gerade nicht geständig und hat lediglich angegeben, die Geschädigte an ihrer Jacke gepackt und mit dem Rücken gegen ein Schaufenster gedrückt zu haben. Dass dies mit einer Körperverletzung verbunden gewesen sein soll, stellte er entschieden in Abrede. Außerdem war er unbestraft und sah sich erstmals mit einem Strafverfahren konfrontiert. Vor dem Hintergrund seines erst wenige Monate zuvor gestellten Einbürgerungsantrags, dessen positiver Bescheidung nach § 88 I 1 Nr. 2 AuslG Verurteilungen zu mehr als 180 Tagessätzen entgegen stehen können, und des nicht geringen Schuldvorwurfs (Schleudern der Geschädigten gegen eine Hauswand und ein geparktes KFZ mit der Folge einer massiven Kopfprellung) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der frühere Angeklagte wegen dieses Vorwurfs keinen Verteidiger beauftragt hätte. Der strafrechtlich unerfahrene Beschwerdeführer konnte nicht davon ausgehen, gegen ihn werde wegen des Körperverletzungsdelikts keine höhere Strafe als 180 Tagessätze verhängt werden.

2.

Die in dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Berechnung ist jedoch fehlerhaft.

a) Zu Unrecht ist die von dem Verteidiger geltend gemachte Vorverfahrensgebühr von 700 DM auf 500 DM herabgesetzt worden. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Dabei steht ihm ein Ermessensspielraum zu. Ist die Gebühr von Dritten ganz oder teilweise zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung verbindlich, sofern sie nicht unbillig ist. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein Fall der Unbilligkeit erst dann vorliegt, wenn die von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die von dem Gericht für angemessen erachtete um mehr als 20 % überschreitet, so dass in der Regel eine Überschreitung um bis zu 20 % zu tolerieren ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juni 2001 1 Ws 597/01 -; ständige Rechtsprechung).

Mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung des Verfahrens für den früheren Angeklagten sowie den Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Ermittlungsverfahren (umfangreiche schriftliche Einlassung und Benennung zahlreicher Zeugen) ist die Gebühr für das Vorverfahren gemäß § 84 Abs. 1 i.V.m. § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO (Gebührenrahmen 60 bis 760 DM; Mittelgebühr 410 DM) trotz des unterdurchschnittlichen Einkommens des Beschwerdeführers allenfalls mit 600 DM ausreichend abgegolten. Da Überschreitungen bis 20 % nicht unbillig sind, ist die von dem Verteidiger geltend gemachte Gebühr von 700 DM nicht zu beanstanden.

Die von dem Verteidiger für den zweiten Hauptverhandlungstermin in Ansatz gebrachte Gebühr von 1.000 DM liegt jedoch nicht innerhalb des Gebührenrahmens des § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO, der eine Höchstgebühr von 760 DM vorsieht, und muss schon deshalb herabgesetzt werden. Mit 650 DM ist die Tätigkeit des Verteidigers unter Berücksichtigung der bereits genannten Bewertungskriterien und der siebenstündigen Dauer dieses Hauptverhandlungstermins, in dem unter anderem neun Zeugen vernommen wurden, angemessen abgegolten.

Damit errechnen sich Auslagen für die Inanspruchnahme des Verteidigers in Höhe von 2.831,33 DM (700 DM zuzüglich 1.000 DM, 650 DM, 30 DM, 60,80 DM und MwSt 390,53 DM).

b) Nicht zu beanstanden sind hingegen die in dem angefochtenen Beschluss angesetzten fiktiven Verteidigerauslagen. Der Rechtspfleger ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Hauptverhandlung, wäre das Verfahren auf den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung beschränkt gewesen, vor dem Strafrichter des Amtsgerichts durchgeführt und voraussichtlich in einem Termin abgeschlossen gewesen wäre. Die Vorverfahrensgebühr gemäß § 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO und die Hauptverhandlungsgebühr nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO sind unter Beachtung der Bewertungskriterien des § 12 Abs. 1 BRAGO auch nach Auffassung des Senats in Höhe der Mittelgebühren in Ansatz zu bringen. Die Bedeutung der Angelegenheit war für den Verurteilten wegen seines laufenden Einbürgerungsverfahrens nicht gering. Da der Angeklagte zum entscheidenden Punkt gerade nicht geständig war, kann uch die anwaltliche Tätigkeit nicht als besonders einfach gelagert bewertet werden. Auch unter Berücksichtigung der unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse ist die Mittelgebühr sowohl für das Vorverfahren als auch für die Hauptverhandlung angemessen, in der zumindest zwei Zeuginnen zu vernehmen waren, wobei die Einwendungen des früheren Angeklagten gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten möglicherweise weitere Beweiserhebungen erforderlich gemacht hätten. Unter Berücksichtigung einer Vorverfahrensgebühr von 350 DM (Gebührenrahmen 50 bis 650 DM), der Hauptverhandlungsgebühr von 700 DM (Gebührenrahmen 100 bis 1.300 DM), geschätzter Schreibauslagen von 30 DM, der Auslagenpauschale von 30 DM und Mehrwertsteuer in Höhe von 177,60 DM ergeben sich fiktive Verteidigungsauslagen von 1.287,60 DM.

c) Die dem früheren Angeklagten von der Staatskasse zu erstattenden Verteidigerauslagen betragen mithin 1.543,73 DM (2.831,33 DM abzüglich 1.287,60 DM).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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