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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 22.10.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 993/01
Rechtsgebiete: StPO, GG


Vorschriften:

StPO § 24
StPO § 34
GG Art. 103 I
1. Die Mitwirkung eines Richters an früheren, den Ablehnenden beschwerenden Entscheidungen rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit nicht. Bei verständiger Überlegung kann ein Betroffener von der richterlichen Entscheidungstätigkeit nicht mehr für sich erwarten, als es die Verfassung und die ihr nachgeordneten Rechtsnormen allgemein gültig vorgeben.

2. Das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 I GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen; die gesetzliche Begründungspflicht nach § 34 StPO verlangt dagegen nicht, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen; das gilt insbesondere für letztinstanzliche Entscheidungen.


Geschäftsnummer: 1 Ws 373, 993 und 1173/01

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

Beschluss

In der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

hier: Ablehnung von Mitgliedern des 1. Strafsenats

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richterin am Oberlandesgericht Hardt und die Richter am Oberlandesgericht Pott und Henrich

am 22. Oktober 2001 beschlossen:

Tenor:

Die Ablehnung der Mitglieder des 1. Strafsenats Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht v. T., Richter am Oberlandesgericht V. und S. wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Verurteilte betreibt die Wiederaufnahme des rechtskräftig durch Urteil des Landgerichts Koblenz vom 30. April 1985 abgeschlossenen Strafverfahrens 101 Js 852/84 der Staatsanwaltschaft Koblenz. Durch die genannte Entscheidung wurde er wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen, in einem Fall weiter tateinheitlich mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von Strafen aus mehreren Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt.

Zuständiges Wiederaufnahmegericht ist das Landgericht Mainz, das in vorliegender Sache bereits mehrere Beschlüsse betreffend die Bestellung eines Verteidigers und die Ablehnung des Kammervorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit erlassen hat. Gegen einen Teil dieser Entscheidungen hat der Verurteilte Rechtsmittel eingelegt, über die gemäß Geschäftsverteilungsplan der 1. Strafsenat in der Besetzung mit den eingangs im Tenor bezeichneten Richtern zu befinden haben wird.

Nach Erhalt der beantragten Besetzungsmitteilung hat der Verurteilte mit Schreiben vom 28. August 2001 am 30. August 2001 ein Gesuch angebracht, mit dem er "den 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in der Besetzung VROLG v. T., ROLG V. und ROLG S." ablehnt. Zur Begründung bezieht er sich auf zwei Beschlüsse des Senats, die dieser in genannter Besetzung am 10. und 24. November 1998 im Verfahren 1 Ws 745/98 gefasst habe. Der erste, nur 1 1/2 Seiten umfassende Beschluss lasse nicht erkennen, dass das Gericht die damalige 34 Schreibmaschinenseiten lange Beschwerdeschrift des Verurteilten zur Kenntnis genommen und sich damit tatsächlich auseinandergesetzt habe. Auch der zweiten Entscheidung vom 24. November 1998 könne nicht entnommen werden, dass der Senat das Vorbringen des Beschwerdeführers tatsächlich in Erwägung gezogen habe. Die Beschlüsse seien daher "objektiv nachvollziehbar nicht geeignet, Dritte vom Gegenteil überzeugen zu können".

II.

Das Gesuch bleibt ohne Erfolg.

Es ist nach dem Inhalt des Begründungsvorbringens dahin auszulegen, dass die Ablehnung der Senatsmitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit begehrt wird (§ 24 Abs.1 Alternative 2 StPO). Eine darauf gestützte Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Das ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass die abgelehnten Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Daran gemessen erweist sich das Gesuch als offensichtlich unbegründet.

Zwar haben die genannten Richter als Mitglieder des 1. Strafsenats am 10. und 24. November 1998 zwei den Verurteilten beschwerende Beschlüsse erlassen. Mit dem erstgenannten hat der Senat dessen sofortige Beschwerde gegen die durch die Strafvollstreckungskammer ausgesprochene Versagung einer Reststrafaussetzung zur Bewährung als unbegründet verworfen, mit dem zweiten Beschluss einen Antrag des Verurteilten auf Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 33 a StPO als unbegründet zurückgewiesen. Die Mitwirkung an früheren Entscheidungen ist jedoch regelmäßig kein Befangenheitsgrund. Bei verständiger Überlegung kann ein Betroffener von der richterlichen Entscheidungstätigkeit nicht mehr für sich erwarten, als es die Verfassung und die ihr nachgeordneten Rechtsnormen allgemeingültig vorgeben. Diese binden den Richter und seine Rechtsprechung einzig und allein an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG, § 25 DRiG). Dass der Richter bei seiner daran ausgerichteten Tätigkeit auch für Verfahrensbeteiligte ungünstige Entscheidungen treffen muss, liegt in der Natur der Sache und ist unvermeidbar. Die Wertung eines solchen Ergebnisses als persönlichen Angriff des Richters gegen den Betroffenen verkennt die Grundlagen der Entscheidungsfindung und unterstellt ihm eine innere Haltung, die sachlich nicht begründbar ist. Da der Richter gerade ohne Ansehen der Person zu urteilen hat, kann bei verständiger Überlegung vielmehr nur erwartet werden, dass er sich nicht zum Nachteil des Betroffenen festgelegt hat und künftig ggf. auch zu dessen Gunsten entscheiden wird, wenn Recht und Gesetz auf seiner Seite sind. Ein Anhaltspunkt, der Grund zu der Annahme geben könnte, die abgelehnten Senatsmitglieder hätten mit den früheren Beschlüssen die dargestellten Richterpflichten verletzt, besteht nicht.

Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der Abfassung der jeweiligen Entscheidungsgründe. Zu unterscheiden ist zwischen dem Gebot des rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG und der strafprozessualen Begründungspflicht. Die Verfassungsnorm verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dass die Gerichte dieses Gebot befolgen, ist grundsätzlich anzunehmen (BVerfGE 47,182,187; 65,293,295). Positiver Feststellungen dazu bedarf es nicht. Der Umfang der Begründungspflicht folgt dagegen aus § 34 StPO. Danach sind die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, mit Gründen zu versehen. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, die Anfechtungsberechtigten in die Lage zu versetzen, ihr weiteres prozessuales Vorgehen auf die Meinung des Gerichts einzustellen. Außerdem soll dem Rechtsmittelgericht eine Überprüfung der Entscheidung ermöglicht werden. Inhaltsanforderungen dahingehend, dass die Gründe auch geeignet sein müssten, die betroffenen Verfahrensbeteiligten von ihrer Auffassung abzubringen und von der Richtigkeit der richterlichen Meinung zu überzeugen, enthält das Gesetz nicht. Daran würde in der Praxis ohnehin eine Entscheidungsbegründung, so ausführlich sie auch sein mag, oftmals scheitern.

Schon bei den mit Rechtsmitteln anfechtbaren Entscheidungen verlangt die Begründungspflicht daher nicht, dass das Gericht sich mit jedem Vorbringen schriftlich zu befassen habe. Auch wenn es dieses zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen hat, kann es sich auf die Erörterung der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte beschränken. Dies gilt um so mehr, wenn das Gericht, wie in den vom Verurteilten herangezogenen Senatsentscheidungen geschehen, letztinstanzlich entscheidet und der Begründungszweck damit entfällt. Es verstößt daher nicht gegen die Begründungspflicht, wenn der Senat sich in den Beschlüssen nicht ausdrücklich mit den vorgetragenen Argumenten des Verurteilten auseinandergesetzt hat. Ist die Begründung ordnungsgemäß, kann aus ihr auch nicht geschlossen werden, die Richter hätten Vorbringen außer Acht gelassen und einseitig zu Lasten des Verurteilten entschieden. Darauf, dass sie sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt haben, hat der Senat im übrigen in seiner Entscheidung vom 24. November 1998 nochmals besonders hingewiesen.

Nach alledem ist das Ablehnungsgesuch unbegründet.

Gegenstand dieses Beschlusses ist das Ablehnungsgesuch des Verurteilten vom 30.August 2001 mit der dazu abgegebenen Begründung. Soweit in der auf die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter zu den Akten gereichten Stellungnahme des Verurteilten gemäß seinem Schreiben vom 11. Oktober 2001 weitere Ablehnungsgründe ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht v. T. angeführt werden, hat der Senat darüber in gegebener Besetzung nicht zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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