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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 20.04.2001
Aktenzeichen: 10 U 1003/00
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 22
1. Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist, dass der Versicherungsnehmer mit der wissentlich falschen Angabe von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeigen- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag -- hier Berufsunfähigkeitszusatzversicherung -- anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache. Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers Einfluss einzuwirken. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann in der Praxis der Beweis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Dies bedeutet, dass in der Regel, wenn schwere Erkrankungen oder erkennbar chronische Erkrankungen oder Krankenhausaufenthalte verschwiegen worden sind, ein solches Bewusstsein anzunehmen ist, dagegen beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als solche angesehen werden, der Beweis als nicht geführt angesehen werden muss (in Anknüpfung an BGH VersR 1985, 156, 157; VersR 1987, 91; OLG Koblenz NVersZ 2001, 74; NVersZ 1999, 72f.; NVersZ 1999, 472f.).

2. Zu den Voraussetzungen der Beweislast unter Berücksichtigung der "Auge und Ohr-Rechtsprechung" (in Anknüpfung an BGH VersR 1993, 1089; BGHZ 102, 194; 113, 387).


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil (abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)

verkündet am: 20. April 2001

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz, Weiss und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 13. Juni 2000 aufgehoben und die Sache an die Kammer zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Landgerichts vorbehalten.

Tatbestand:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) in Anspruch.

Der Kläger schloss am 14.03.1989 unter Vermittlung durch den Leiter der Sparkasse in Zell, den Zeugen S., bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab. In dem Antragsformular, welches der Zeuge S. ausfüllte, nachdem er die Fragen mit dem Kläger einzeln durchgesprochen hatte und welches vom Kläger sodann unterschrieben wurde, ist die Frage danach, ob der Antragsteller zur Zeit vollkommen gesund sei, mit "ja" beantwortet. Auch die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen in den letzten fünf Jahren ist mit "ja" beantwortet. Nach den Angaben im Antragsformular fand im Jahr 1988 eine Routineuntersuchung bei dem Hausarzt des Klägers, Herrn Dr. W, statt, die im Ergebnis "ohne Befund" blieb.

Tatsächlich litt der Kläger seit ca. 1984 an "Diabetes mellitus", was ihm auch bekannt war. Seit 1988 war er insulinpflichtig. In der Zeit vom 17.10. bis zum 08.11.1988, vom 08.02. bis zum 25.02.1989 und in der Zeit vom 05.01. bis zum 19.01.1991 befand sich der Kläger jeweils wegen Diabetes mellitus in stationärer Behandlung. Nachdem der Kläger bei der Beklagten im Dezember 1998 Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit aufgrund des geschlossenen Vertrags gestellt hatte, focht die Beklagte den geschlossenen Vertrag im Hinblick auf die im Antragsformular nicht angegebene Vorerkrankung "Diabetes mellitus" wegen arglistiger Täuschung mit Schreiben vom 22.03.1999 an und verweigerte die beantragte Leistung unter gleichzeitiger Rückvergütung der durch den Kläger gezahlten Beiträge.

Der Kläger macht geltend, ab 1. Juli 1995 wegen einer Polineuropathie sowie Diabetes mellitus berufsunfähig zu sein, da er seinen erlernten Beruf nur noch weniger als halbschichtig verrichten könne. Der Leiter der Sparkasse habe ihm bei Vertragsschluss im Jahre 1989 auf ausdrückliches Nachfragen erklärt, dass eine Gesundheitsprüfung nicht erforderlich sei. Eine arglistige Täuschung liege nicht vor.

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat vorläufigen Erfolg. Das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet an einem wesentlichen Mangel. Auf die Berufung des Klägers war deshalb das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen (§ 539 ZPO).

1) Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist, dass der Versicherungsnehmer mit der wissentlich falschen Angabe von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeigen- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache (BGH Urteil vom 28.11.1984 -- IV a ZR 81/83 -- VersR 1985, 156, 157; Urteil vom 12.11.1986 -- IV a ZR 186/85 -- VersR 1987, 91; Senatsurteil vom 28.11.1997 -- 10 U 714/96 -- NVersZ 1999, 72f.; vom 9.10.1998 -- 10 U 1133/97 -- NVersZ 1999, 472f.; OLG Hamburg Urteil vom 8.7.1971 -- 6 U 62/70 -- VersR 1971, 902; Prölss/Martin, VVG Kommentar 26. Aufl. 1998, § 22 Rn. 4, 8/9). Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann in der Praxis der Beweis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Dies bedeutet, dass in der Regel, wenn schwere Erkrankungen oder erkennbar chronische Erkrankungen oder Krankenhausaufenthalte verschwiegen worden sind, ein solches Bewusstsein anzunehmen ist, dagegen beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als solche angesehen werden, der Beweis als nicht geführt angesehen werden muss (Senatsurteil vom 19. Mai 2000 10 U 824/99 NVersZ 2001, 74; OLG Hamburg, VersR 1971, 902).

a) Ausgehend von diesen grundsätzlichen Gegebenheiten kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Dabei ist in materiell-rechtlicher Hinsicht zu bemerken, dass das Landgericht im Ansatz die Beweislast für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung verkannt hat. Beweispflichtig für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist der Versicherer. Schließlich hat das Landgericht bei seiner Beweislastverteilung, die es zu Lasten des Klägers angenommen hat, die "Auge und Ohr-Rechtsprechung" des BGH nicht beachtet. Die Empfangsvollmacht des Vermittlungsagenten bezieht sich außer auf die Entgegennahme des Antrags und seines Widerrufs auch auf die Entgegennahme aller im Zusammenhang mit dem Antrag, insbesondere mit den Fragen des Antragsformulars und/oder des Vermittlungsagenten mitgeteilten Tatsachen (Wissenserklärungen) (BGH VersR 1993, 1089; BGHZ 113, 387; 102, 194). Gemäß § 166 Abs. 1 BGB ist damit alles zur Kenntnis des Versicherers gelangt, was dem Agenten bei Antragstellung oder im Rahmen von Vorgesprächen mit Bezug auf die Antragstellung mitgeteilt worden ist. Dies gilt auch für mündliche Erklärungen. Die Entgegennahme des Antrags und die Kenntnisnahme der in bezug auf den Antrag abgegebenen mündlichen Erklärungen stellt nach der Rspr. einen einheitlichen Lebensvorgang dar, der keine juristische Aufspaltung erlaubt. Bei der Entgegennahme des Antrags steht dem Antragsteller -- auf alleinige Veranlassung des Versicherers -- der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent bildlich gesprochen als "Auge und Ohr des Versicherers" gegenüber. Was ihm gegenüber gesagt und vorgelegt ist, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt. Darum ist es dem Versicherer gegenüber auch dann wirksam, wenn der Vermittlungsagent es falsch, unvollständig oder gar nicht an den Versicherer weiterleitet (Prölss/Martin, VVG Kommentar, 26. Aufl., § 43 Rn. 17 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der Versicherungsnehmer das Antragsformular nicht selbst ausfüllt, sondern der Vermittlungsagent das Ausfüllen des Antragsformulars übernimmt und hierzu dem Versicherungsnehmer anhand des Formulars Fragen stellt. Was der Versicherungsnehmer dem Agenten dabei mündlich mitteilt, ist dem Versicherer mitgeteilt, auch wenn der Agent diese Mitteilung falsch, unvollständig oder gar nicht ins Antragsformular einträgt (BGH VersR 1992, 217; BGHZ 107, 322; 102, 194; Prölss/Martin, aaO, § 43 Rn. 18).

b) Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung vor der Kammer (GA 74ff.) dezidiert dargelegt, dass er den Sparkassenleiter, der als Vermittlungsagent für die Beklagte aufgetreten ist, über seine "Zuckerkrankheit" aufgeklärt habe und dieser die erörterte Frage, ob ein Gesundheitsscheck erforderlich sei, verneint habe. Der Kläger hat schließlich angegeben, dass der Sparkassenleiter, wenn auch (wohl private) Kenntnis davon gehabt habe, dass der Kläger Tabletten einnehme und im Krankenhaus wegen Diabetes mellitus behandelt worden sei. Hinzu kommt, dass nach Angaben des Klägers der Sparkassenleiter in Kenntnis dieses Informationsstandes das Antragsformular selbst ausgefüllt und die gemachten Angaben über die Diabetes und die Krankheitsgeschichte des Klägers nicht eingetragen habe. Wenn das Landgericht ausführt, der Kläger habe durch seine Unterschrift unter das Antragsformular die in Abweichung zu den tatsächlichen Gegebenheiten stehenden Angaben im Antragsformular (LG Urteil S. 6, GA 86) sich zu eigen gemacht, hat es materiell-rechtlich die "Auge und Ohr-Rechtsprechung" und die zum Nachteil des Versicherers bestehende Beweislast verkannt.

c) Die Verkennung der materiell-rechtlichen Beweislast rechtfertigt zwar nicht die Aufhebung des Urteils nach § 539 ZPO. Ausgehend von dem materiell-rechtlichen falschen Standpunkt des Landgerichts liegt indes in verfahrensrechtlicher Hinsicht ein Mangel vor, der eine Aufhebung des Urteils und eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur weiteren Sachaufklärung erfordert. Das Landgericht hat in seinem Urteil die Angaben des Klägers, er habe das Antragsformular unterschrieben, ohne es vorher durchzulesen und könne sich nicht erklären, wieso in dem Antragsformular ärztliche Untersuchungen in den letzten 5 Jahren verneint worden seien ("ohne Befund"), als nicht glaubhaft erachtet. Der Kläger wie auch die Beklagte haben zum Verlauf des Antragsgesprächs Beweis durch Vernehmung des Zeugen S. angeboten. Diesem Beweisangebot des Klägers hätte das Landgericht -- ausgehend von der materiell-rechtlich fehlerhaften Beweislastverteilung -- nachgehen müssen, bevor es in allgemeine Erwägungen über die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers eintritt. Unter Berücksichtigung der Auge und Ohr-Rechtsprechung und der Beweislastverteilung zum Nachteil des Versicherers wird das Landgericht nunmehr (auch) den Beweisangeboten des Versicherers nachgehen müssen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren und die Beschwer der Beklagten werden auf 36.511,92 DM festgesetzt (Rückstände Rente bis Klageeinreichung 5.400,-- DM + 7.200,-- DM x 3,5 = 25.200,-- DM + Rückstände Beitragsbefreiung mit Feststellungsbegehren 144,90 DM x 9 x 80 % = 1.043,28 DM + Feststellung Beitragsbefreiung ab Klageeinreichung 144,90 DM x 12 x 3,5 x 80 % = 4.868,64 DM).

Ende der Entscheidung

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