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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 02.06.2006
Aktenzeichen: 10 U 1034/05
Rechtsgebiete: VVG, AVB 87, AFB, VHB 92


Vorschriften:

VVG § 34
VVG § 61
AVB 87 § 14 Ziff. 1
AFB § 13
VHB 92 § 21
Der erforderliche Vollbeweis der vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Eigenbrandstiftung ist nicht bereits dann geführt, wenn die konkrete Brandentstehung nicht aufgeklärt werden kann und eine Eigenbrandstiftung möglich und nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 1034/05

Verkündet am 2. Juni 2006

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger und die Richterin am Landgericht Dr. Beckmann auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 23. Juni 2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte für den Brandschaden vom 3.1.2002 im Rahmen der bestehenden Gebäudeversicherung (BSG 1 750 02.336.7), der bestehenden Inhaltsversicherung (BSG 1 750 02.337.5), der Betriebsunterbrechungsversicherung (BSG 1 750 02.343.0) und der Hausratsversicherung (BSG 1 750 02.6526.5) Versicherungsschutz zu gewähren hat.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger betreibt das Restaurant "R...", in dessen Bürobereich es am 3. Januar 2002 zu einem Brand kam. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte aufgrund der mit ihr geschlossenen Versicherungsverträge für die durch den Brand verursachten Schäden Versicherungsschutz zu gewähren hat.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger, der an dem Schadenstag unstreitig nicht in dem Büro geraucht hatte, den Brand vorsätzlich oder - was die Beklagte hilfsweise geltend macht - grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Der Kläger hat die Feststellung der Gewährung von Versicherungsschutz durch die Beklagte für die Brandschäden vom 3.1.2002 beantragt, die Beklagte Klageabweisung.

Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach dem Beweisaufnahmeergebnis von einer Eigenbrandstiftung auszugehen sei. Denn nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S... scheide ein technischer Defekt an der Elektroinstallation als Brandursache aus und eine Brandstiftung durch unbekannte Dritte sei ebenfalls auszuschließen. So bleibe als plausible Brandentstehungsursache nur, dass der Kläger den Brand entweder grob fahrlässig selbst verursacht habe, indem er etwa doch unsachgemäß mit Zigarettenkippen hantiert habe, oder selbst oder gemeinsam mit anderen das Objekt vorsätzlich in Brand gesetzt habe.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrags geltend macht, nach dem Sachverständigengutachten Dr. S... - das er im Einzelnen angreift - könne ein technischer Defekt als Brandursache nicht ausgeschlossen werden. Die Annahme, als einzig plausible Brandentstehungsursache bleibe die vorsätzliche oder grob fahrlässige Eigenbrandstiftung, sei nicht gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte für den Brandschaden vom 3.1.2002 im Rahmen der bestehenden Gebäudeversicherung (BSG 1 750 02.336.7), der bestehenden Inhaltsversicherung (BSG 1 750 02.337.5), der Betriebsunterbrechungsversicherung (BSG 1 750 02.343.0) und der Hausratsversicherung (BSG 1 750 02.6526.5) Versicherungsschutz zu gewähren hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Sachvortrag.

Der Senat nimmt im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug (§ 540 Abs. 1 ZPO).

II.

Die Berufung ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für den Brandschaden vom 3.1.2002 Versicherungsschutz zu gewähren; die auf diese Feststellung gerichtete Klage ist zulässig und begründet.

Die Feststellungsklage ist zulässig (§ 256 ZPO), insbesondere ist sie nicht wegen der Möglichkeit einer Leistungsklage ausgeschlossen. Bei Klageerhebung war dem Kläger eine Bezifferung des ihm durch den Brand entstandenen Schadens nicht möglich, da die Beklagte die hierzu von ihr eingeholten Sachverständigengutachten dem Kläger nicht zur Verfügung stellte. Nachdem der Kläger die Renovierungsarbeiten abgeschlossen hat, wäre ihm zwar eine Umstellung der Feststellungsklage auf eine Leistungsklage möglich gewesen, jedoch ist diese nicht zwingend, wenn die bezifferte Leistungsklage erst nachträglich möglich wird (vgl. BGH VersR 1999, 1555).

Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist aufgrund der zwischen den Parteien abgeschlossenen Versicherungsverträge verpflichtet, dem Kläger den jeweiligen Versicherungsschutz für den Brandschaden vom 3.1.2002 in dem von ihm als Restaurant genutzten Objekt R... zu gewähren.

Unstreitig liegt der Versicherungsfall des Brandes vor.

Die Beklagte macht ohne Erfolg geltend, sie sei gemäß § 61 VVG i.V.m. § 14 Ziff. 1 AVB 87 von der Verpflichtung zur Leistung frei, weil der Kläger den Brand selbst vorsätzlich oder grob fahrlässig gelegt hätte. Den Nachweis einer dementsprechenden Brandursache hat die Beklagte nicht erbracht.

Die Beklagte hat zu beweisen, dass der Brand vorsätzlich (oder grob fahrlässig) von dem Versicherungsnehmer gelegt wurde. Ihr kommen dabei keine Beweiserleichterungen zugute, sie muss vielmehr den Vollbeweis führen. Dieser Beweis kann zwar durch Indizien erbracht werden, jedoch müssen diese dem Gericht einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit vermitteln, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH NVersZ 1999, 390 m.w.N., Senat, VersR 1998 S. 181).

Dabei kommt der Beweis des ersten Anscheins für die Feststellung von Brandursachen grundsätzlich in Betracht, setzt jedoch das Feststehen eines typischen Geschehensablaufs voraus (vgl. BGH VersR 1993, 1351). Hingegen kommt eine Beweisführung mittels Anscheinsbeweises für die Feststellung der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht in Betracht; ein vorsätzliches Handeln kann aber nicht nur dann festgestellt werden, wenn bewiesen ist, in welcher konkreten Art und Weise der Versicherungsnehmer an der Brandentstehung mitgewirkt hat. Vielmehr ist dies Sache der tatrichterlichen Gesamtwürdigung (vgl. BGH NJW-RR 1997, 1112).

Die Feststellung, dass der Kläger selbst (oder ein Dritter in seinem Auftrag) das versicherte Gebäude vorsätzlich oder grob fahrlässig in Brand gesetzt hat, ist auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisse nicht möglich.

Dabei ist zunächst schon zweifelhaft, ob nach dem gerichtlichen Sachverständigengutachten Dr. S... ein zufällig aufgrund eines technischen Defekts entstandener Brand auszuschließen ist und der Nachweis einer vorsätzlichen Brandlegung geführt wurde. Nach dem Sachverständigengutachten ist das Brandbild nur erklärbar, wenn das Feuer seinen Ausgangspunkt bei einem vor der Wand befindlichen Brandgut, etwa einem gefüllten Papierkorb oder Ähnlichem, genommen habe. Damit ist jedoch weiterhin unklar, wie es zur Entzündung des vermuteten Brandgutes gekommen ist, zumal die Beklagte sich ausdrücklich den Klägervortrag, am Schadenstag im Büro nicht geraucht und auch keine Kerze angezündet zu haben, zu Eigen gemacht hat (Bl. 31 i.V.m. Bl. 26 GA). Mangels Feststehens eines typischen Geschehensablaufs lässt sich damit die Brandursache auch nicht mittels des Anscheinsbeweises klären. Die Ursache des Brandes ist nicht aufgeklärt und kann auch nicht mehr aufgeklärt werden.

Eine Feststellung, dass gleichwohl der Brand von dem Kläger vorsätzlich gelegt oder grob fahrlässig verursacht worden sei, ist auch unter einer zusammenfassenden Würdigung und Gesamtschau aller Indizien nicht möglich.

Zwar kann vorliegend eine Brandverursachung durch Dritte ausgeschlossen werden, da Einbruchsspuren unstreitig nicht vorhanden waren. Dies stellt entgegen der Auffassung der Beklagten jedoch kein gewichtiges Indiz für eine Eigenbrandstiftung dar. In der von der Beklagten hierzu herangezogenen Entscheidung (OLG Hamm VersR 1992, 736) stand gerade das Vorliegen einer Brandstiftung fest und es bedurfte lediglich des Nachweises einer Tatbeteiligung des Versicherungsnehmers. Vorliegend jedoch fehlt es - wie ausgeführt - bereits an dem Nachweis einer Brandstiftung als Brandursache. Damit liegt der Sachverhalt hier auch anders als in der von der Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Köln (vom 10.9.2002 - 9 U 220/00 - = RuS 2002, 515), in der unstreitig eine vorsätzliche Brandstiftung an sechs verschiedenen Stellen vorlag.

Auch die weiteren von der Beklagten angeführten Indizien (Aufenthalt des Klägers am Brandort bis etwa 30 Minuten vor Brandentdeckung, angeblich auffälliges Verhalten des Klägers bei den Löscharbeiten, Motiv des Klägers wegen nicht erweiterungsfähigen Restaurants) vermögen weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau dem Senat einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit zu vermitteln, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.

Der Kläger konnte eine plausible Erklärung für seine Anwesenheit am Brandort in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Brandentstehung angeben. Unstreitig arbeitete er mit dem Koch im Erdgeschoss und ging anschließend noch für etwa 45 bis 60 Minuten in sein Büro. Die Anwesenheit des Restaurantbetreibers in seinem Büro ist nicht als ungewöhnlich anzusehen, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt das Geschäftslokal seit zwei Tagen wegen Betriebsferien geschlossen hatte, da auch dann Bürotätigkeiten anfallen oder gerade in der Zeit der Betriebsferien erledigt werden. Ein gelassenes Verhalten eines Versicherungsnehmers während der Löscharbeiten mag in dessen jeweiligem Charakter begründet sein, ist jedoch auch auf dem Hintergrund, dass sich der Versicherungsnehmer gut versichert glaubt, nachvollziehbar. Auch ist (anders als in OLG Düsseldorf, RuS 2002, 379) ein begründeter Verdacht der vorsätzlichen Brandstiftung durch den Kläger nicht daraus herzuleiten, dass das Objekt nicht erweiterungsfähig war und der Kläger den Neuwertschaden von der Beklagten begehrt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger eine Erweiterung der Gaststätte tatsächlich beabsichtigte, und die Forderung auf Ersatz des Neuwerts stellt sich bei einer entsprechenden Versicherung nicht als auffällig dar. Es fehlt mithin an einem Motiv des Klägers für eine Eigenbrandstiftung. Dem behaupteten absichtlichen Hineinstellen in ausdringende Rauchschwaden (was tatsächlich ein ungewöhnliches Verhalten darstellen würde) käme kein so erheblicher Beweiswert zu, dass darauf allein oder in Zusammenschau mit den anderen aufgezeigten Indizien die Überzeugung einer Eigenbrandstiftung durch den Kläger begründet werden könnte, so dass es einer Beweisaufnahme hierzu nicht bedurfte.

Soweit die Beklagte sich hilfsweise auf eine grob fahrlässige Verursachung des Brandes durch den Kläger beruft, vermag sie wiederum nicht den ihr obliegenden Nachweis hierfür zu erbringen.

Den Beklagtenvortrag der Brandursache durch einen Mülleimer, Papierkorb oder Ähnlichem als wahr unterstellt, führt dieser nicht zwingend zur Annahme einer grob fahrlässigen Brandverursachung durch den Kläger. Da unstreitig der Kläger an dem Nachmittag vor dem Brand nicht im Büroraum geraucht hatte, liegen im Zusammenhang hiermit schon keine Anknüpfungstatsachen für die Annahme einer grob fahrlässigen Brandherbeiführung durch den Kläger vor. Die Vermutung der Beklagten, der Kläger habe eventuell doch eine brennende Zigarette in den Mülleimer/Papierkorb geworfen oder sonst fahrlässig mit zündfähigem Material hantiert, entbehrt konkret bewiesener Anhaltspunkte hierfür. Selbst bei Zugrundelegung der Beklagtenbehauptung, ein Mülleimer oder Papierkorb sei Ausgangspunkt des Brandes gewesen, liegen keine gesicherten Anhaltspunkte für eine grob fahrlässige Brandverursachung vor, da völlig spekulativ ist, wie der Mülleimer/Papierkorb in Brand geraten sein könnte. Hinsichtlich des eventuell fahrlässigen Umgangs des Klägers mit zündfähigem Material fehlt der erforderliche Beweis, da die Sachverständigen hierzu keine gesicherten Angaben machen konnten und nichts dafür ersichtlich ist, dass ein anderer Sachverständiger weitergehende Erkenntnisse gewinnen könnte, zumal die Brandstelle nebst Schutt nicht mehr zu einer Untersuchung zur Verfügung steht.

Die Beklagte ist auch nicht gemäß § 34 VVG i.V.m. § 13 AFB, § 21 VHB 92 wegen Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit zur wahren Brandursache leistungsfrei. Der Beklagten obliegt der Nachweis der Aufklärungspflichtverletzung durch den Kläger. Wie bereits dargelegt, vermochte sie jedoch nicht den Beweis für eine Beteiligung des Klägers an der Brandentstehung zu führen, somit auch nicht für eine Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit.

Auf die Berufung des Klägers ist mithin das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Pflicht der Beklagten, dem Kläger für den Brandschaden Versicherungsschutz zu gewähren, festzustellen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Es ist Sache der tatrichterlichen Gesamtwürdigung aller Indizien, ob von einer Eigenbrandstiftung des Versicherungsnehmers auszugehen ist (vgl. BGH NJW-RR 1996, 146). Der vorliegend zu entscheidende Einzelfall hat somit weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht der Senat von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs ab.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 300.000 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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