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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 13.03.2009
Aktenzeichen: 10 U 1038/08
Rechtsgebiete: VVG, ZPO


Vorschriften:

VVG § 61
ZPO § 286
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 1038/08 Verkündet am 13. März 2009 in dem Rechtsstreit Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2009 für Recht erkannt: Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 7. August 2008 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Gründe: I. Der Kläger begehrt aus einer bei der Beklagten bestehenden Fahrzeugversicherung Ersatz in Höhe von 18.000 € für seinen bei einer Urlaubsreise in der Tschechischen Republik am 11. August 2007 entwendeten PKW Skoda Octavia mit dem amtlichen Kennzeichen A sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.105,51 €. Am Schadenstag stellte der Kläger sein Fahrzeug in B. in der C.straße ordnungsgemäß verschlossen ab. Versehentlich ließ er den zweiten Autoschlüssel in der Innentasche seiner Wanderjacke, die im Fußraum hinter dem Fahrersitz abgelegt war, zurück. Nach Rückkehr zu dem Abstellort des Fahrzeugs stellte der Kläger das Fehlen des PKWs fest und erstattete bei der örtlichen Polizei Strafanzeige wegen Fahrzeugdiebstahls. Das Fahrzeug wurde bisher nicht wieder aufgefunden und auch der Täter wurde bislang nicht ermittelt. Die Beklagte verweigert die begehrte Versicherungsleistung wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles. Der Kläger hat vorgetragen, über der Jacke im Wagen habe eine schwarze Decke gelegen. Der Kläger hat beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27. September 2007 zu zahlen; 2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.105,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, beim Zurücklassen eines Fahrzeugschlüssels im Fahrzeug spreche der erste Anschein dafür, dass der Schlüssel zur Entwendung des Fahrzeugs verwendet wurde. Da es allgemeiner Erkenntnis entspreche, dass in osteuropäischen Staaten ein erhöhtes Kraftfahrzeugdiebstahlsrisiko bestehe, hätte der Kläger für die ordnungsgemäße Sicherung aller Fahrzeugschlüssel sorgen müssen. Das Landgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben, da nach dem unstreitigen Sachverhalt von einem Diebstahl des Kfz auszugehen sei. Es könne nicht von einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles ausgegangen werden, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass das Zurücklassen des Ersatzschlüssels für die Entwendung des PKWs ursächlich geworden sei. Bei einem nicht offen sichtbaren Zurücklassen des Fahrzeugschlüssels spreche kein Beweis des ersten Anscheins für die Mitursächlichkeit dieses Verhaltens. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie geltend macht, das Landgericht habe die Anforderungen an den von dem Versicherer zu erbringenden Kausalitätsnachweis zwischen grob fahrlässigem Verhalten des Versicherungsnehmers und Eintritt des Versicherungsfalls überspannt. Für eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises spreche, dass bereits das Risiko zum Aufbruch des Fahrzeugs durch das Zurücklassen eines mit einer Decke versteckten Gegenstandes erhöht worden sei und da es sich bei dem Fahrzeugmodell des Klägers nicht unbedingt um ein bevorzugtes Objekt von Fahrzeugdiebstählen handele, sei es naheliegend, dass der Täter wegen des mit der Decke verdeckten Gegenstandes zunächst nur das Fahrzeuginnere nach Diebesgut habe durchsuchen wollen und der Tatentschluss zur Entwendung des Fahrzeugs erst durch das Auffinden des Schlüssels geweckt worden sei. Es stelle ein unbilliges Ergebnis dar, wenn die Beweisschwierigkeiten der Beklagten, für deren Eintritt der Kläger zumindest eine ganz signifikante Risikoerhöhung gesetzt hat, sich gleichwohl zu dessen Gunsten auswirken würde. Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Trier die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Sachvortrag. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 63 - 64 d. A.) sowie auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die Beklagte zur Zahlung der nach dem bestehenden Fahrzeugversicherungsvertrag als Ersatz für das entwendete Fahrzeug des Klägers geschuldeten 18.000 € sowie der vorgerichtlich dem Kläger bei der Geltendmachung dieses Anspruchs entstandenen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Dabei ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles gemäß § 61 VVG von ihrer Verpflichtung zur Leistung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag frei geworden ist. Auch das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Würdigung der Sach- und Rechtslage. Das Vorliegen eines Versicherungsfalls in Form der Entwendung des versicherten Fahrzeugs ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte ist daher zur Leistung der nach dem Versicherungsvertrag geschuldeten Entschädigung verpflichtet. Die Beklagte ist nicht nach § 61 VVG von ihrer Leistungsverpflichtung frei geworden, da der Kläger den Versicherungsfall nicht grob fahrlässig herbeigeführt hat. Die Anwendung von § 61 VVG setzt ein Verhalten des Versicherungsnehmers voraus, von dem er wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt des Versicherungsfalls oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern. Dabei muss die Wahrscheinlichkeit des Schadens offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe lag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen. Der Versicherungsnehmer muss also im konkreten Fall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände seine Pflicht zum sorgsamen Umgang mit der versicherten Sache objektiv besonders schwerwiegend und auch subjektiv unentschuldbar verletzt haben. In subjektiver Hinsicht ist dies anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Es muss sich demnach um ein Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt und als schlechthin unentschuldbar anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1996 - IV ZR 321/95 -). Ob bereits das einmalige, versehentliche und von außen nicht erkennbare Zurücklassen eines Fahrzeugschlüssels im Fahrzeuginneren entsprechend diesen Anforderungen als grob fahrlässiges Verhalten anzusehen ist, kann vorliegend dahinstehen, da jedenfalls die Ursächlichkeit dieses Verhaltens für die Entwendung des Fahrzeuges nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann. § 61 VVG erfordert, dass der Versicherungsfall gerade infolge der groben Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers eingetreten sein muss. Den Beweis für die Kausalität des grob fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers für die Herbeiführung des Versicherungsfalls hat der Versicherer zu führen. Dabei hat der Versicherer grundsätzlich den Vollbeweis zu erbringen (vgl. Senat, Urteil vom 5.3.1999 - 10 U 155/98 -, VersR 2000, 720), wobei sich der Versicherer grundsätzlich nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen kann, sondern einen für die Überzeugungsbildung im Sinne des § 286 ZPO erforderlichen "Mindestsachverhalt" positiv nachweisen können muss. Dabei kommen dem Versicherer grundsätzlich keine Beweiserleichterungen zu; vielmehr hat er durch die Darlegung und den Beweis von Indizien die für seine Leistungsfreiheit erforderliche Kausalität des grob fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers für die Herbeiführung des Versicherungsfalles zu beweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.04.2005 - IV ZR 62/04 -, VersR 2005, 1387). Unter Anlegung dieser Maßstäbe kann vorliegend nicht von dem Nachweis einer Ursächlichkeit des in dem Fahrzeuginneren zurückgelassenen Fahrzeugschlüssels für die Entwendung des PKWs des Klägers ausgegangen werden. Das von außen nicht sichtbare Belassen von Fahrzeugschlüsseln im Fahrzeuginneren ist jedenfalls für einen in der Regel vorher gefassten Diebstahlsentschluss nicht ursächlich (vgl. BGH, VersR 1996, 621). Für eine hiervon abweichende Beurteilung sind Tatsachen weder vorgetragen noch nachgewiesen. Der Umstand, dass das Fahrzeugmodell des Klägers kein bevorzugtes Diebstahlsobjekt in osteuropäischen Ländern darstellt, ist kein hinreichendes Indiz dafür, dass der Entschluss des Täters zur Entwendung des Fahrzeugs erst durch das Auffinden des Autoschlüssels im Inneren des Fahrzeugs geweckt worden wäre. Auch der Abstellort des klägerischen Fahrzeugs ist nicht zu beanstanden. Selbst wenn es sich um einen vorwiegend von Touristen benutzten Parkplatz gehandelt haben sollte, ergibt sich daraus noch nicht, dass der Kläger durch das Zurücklassen des Fahrzeugschlüssels in von außen nicht sichtbarer Weise den als vertragsgemäß vorausgesetzten Standard an Sicherheit gegenüber der Diebstahlsgefahr deutlich unterschritten hätte. Voraussetzung dafür wäre nämlich, dass im Hinblick auf die Art des Abstellens und des gewählten Platzes dringende Diebstahlsgefahr bestanden hätte (vgl. BGH, VersR 1996, 621 m. w. N.). Es kann auch nicht unter einer Gesamtwürdigung der Umstände - Abstellen des Fahrzeugs auf einem überwiegend von Touristen benutzten Parkplatz bei von außen nicht sichtbarem Zurücklassen eines Fahrzeugschlüssels im Fahrzeuginneren - eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers angenommen werden, da mangels Ursächlichkeit das Zurücklassen des Fahrzeugschlüssels unberücksichtigt bleiben muss (vgl. BGH a. a. O.). Nach § 61 VVG ist zu entscheiden, ob der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt, also erst ermöglicht oder veranlasst hat. Das ist nicht der Fall, wenn der Täter vor seinem Diebstahlsentschluss nicht gesehen hat, dass sich der Fahrzeugschlüssel in dem Fahrzeug befindet, da es dann an der Kausalität fehlt (vgl. BGH, VersR 1995, 909). Da die Beklagte für einen die Ursächlichkeit begründenden Sachverhalt bislang nichts vorgetragen hat, vermag der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht nicht die gemäß § 286 ZPO erforderliche Überzeugung zu gewinnen, dass das Zurücklassen des Fahrzeugschlüssels in von außen nicht sichtbarer Weise die Entwendung des klägerischen Fahrzeugs in irgendeiner Weise ermöglicht oder gefördert hätte. Insbesondere ist eine Entwendung des Fahrzeugs auch ohne das Auffinden oder die Benutzung des in dem Fahrzeuginneren zurückgelassenen Schlüssels möglich und denkbar. Die Berufung der Beklagten ist daher zurückzuweisen. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Nach Überprüfung ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass, anders als in der mündlichen Verhandlung erwogen, eine Zulassung der Revision nicht gerechtfertigt ist. Zumal auch unter Berücksichtigung von BGH IV ZR 62/04 (unter anderem in VersR 2005, 1387) dürften die Fragen des Beweismaßes allgemein und insbesondere die einer möglichen Beweiserleichterung für den Versicherer bezüglich der Entwendungskausalität nicht als grundsätzlich zu thematisieren sein. Der BGH hat in dieser Entscheidung klargestellt, dass es eine Frage der im tatrichterlichen Ermessen liegenden Überzeugungsbildung ist, ob im Einzelfall dem Versicherer Beweiserleichterungen zu Gute kommen oder eine Beweislastumkehr eintritt. Der BGH hat dabei jedoch klargestellt, dass grundsätzlich der Versicherer ohne Beweiserleichterungen voll zu beweisen hat, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat und diese Anforderungen nicht unbillig sind. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.000 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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