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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 31.05.2002
Aktenzeichen: 10 U 1039/01
Rechtsgebiete: VVG, BGB


Vorschriften:

VVG § 22
BGB § 123
Eine wirksame Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung liegt vor, wenn die Versicherungsnehmerin (selbständige Gastwirtin) beim Abschluss des Versicherungsvertrages über den gefahrerheblichen Umstand einer bei ihr diagnostizierten Hirnatrophie täuscht, sie ca. 2 Jahre nach Versicherungsabschluss wegen Multipler Sklerose berufsunfähig wird.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 1039/01

Verkündet am 31. Mai 2002

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert und Dr. Koch auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 30. Mai 2001 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin ist selbständige Gastwirtin und leidet an Multipler Sklerose. Sie begehrt die Feststellung, dass ein mit dem Beklagten geschlossener Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung fortbesteht und der Beklagte ihr zur Zahlung aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung verpflichtet ist.

Die Klägerin befand sich vom 31.03 bis 03.04.1995 in stationärer Behandlung im Krankenhaus I. Dort wurde eine Sehnerventzündung mit möglicher Multipler Sklerose festgestellt. Am 04.04.1995 unterzog sich die Klägerin einer Kernspintomographie. Mit Schreiben vom gleichen Tag teilten die untersuchenden Ärzte mit, dass die Untersuchungsergebnisse für das Vorliegen einer Multiplen Sklerose zwar nicht beweisend, jedoch hochcharakteristisch seien. Ende der 29. Kalenderwoche 1995 litt die Klägerin unter relativ starken Kopfschmerzen. Sie selbst empfand die Schmerzen als "trümmernd" im Kopf. Auf Empfehlung des aufgesuchten Hausarztes wurde in der Folge am 25.07.1995 eine weitere Kernspintomographie durchgeführt. Hierbei wurde eine Hirnathrophie festgestellt.

Die Klägerin schloss 1996 mit dem Beklagten einen Kapitallebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab. Versicherungsbeginn war der 01.04.1996. Wegen der Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein (Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 31.05.1999) verwiesen. In dem am 15.03.1996 ausgefüllten Antragsformular bejahte sie lediglich die Frage nach einer Entzündung der Augen und Ohren, gab hierzu erläuternd an, dass 1995 eine Entzündung am Auge vorgelegen habe, und benannte ihren Hausarzt als den Arzt, der am besten über ihre Gesundheitsverhältnisse unterrichtet sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das Antragsformular (Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 31.05.1999) verwiesen. Im Rahmen der ärztlichen Untersuchung aus Anlass des Abschlusses des Vertrages machte sie ähnliche Angaben. Wegen der Einzelheiten wird auf das ärztliche Zeugnis vom 12.04.1996 (Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 31.05.1999) verwiesen.

Im April 1998 beantragte die Klägerin von dem Beklagten Leistungen wegen Berufsunfähigkeit. Mit Schreiben vom 02,12.1998 verweigerte der Beklagte die Leistung aus dem Versicherungsvertrag, erklärte den Rücktritt vom Lebensversicherungs- und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungsvertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten und focht den Vertrag hilfsweise an. Nachdem dem Beklagten während des Prozesses in der Folge der Beweisaufnahme vom 22.03.2000 erstmals die Kernspintomographie vom 25.07.1995 und das dort festgestellte Ergebnis bekannt wurde, focht er den Versicherungsvertrag mit Schriftsatz vom 14.06L2000 erneut an und trat hilfsweise vom Vertrag zurück.

Die Klägerin hat vorgetragen,

ihr sei erst 1998 die Diagnose einer Multiplen Skleroseerkrankung mitgeteilt worden. Das Ergebnis der zweiten Kernspintomographie vom 25.07.1995 sei ihr als "Kalkablagerungen" dargestellt worden. Sie sei berufsunfähig.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Anfechtung des Lebensversicherungsvertrages Nr. 20 855 750/5 mit eingeschlossener Berufunfähigkeits-Zusatzversicherung durch die Beklagte mit Schreiben vom 02.12.1998 unwirksam ist.

2. festzustellen, dass die Beklagte nicht wirksam vom Lebensversicherungsvertrag Nr. 20 855 750/5 mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zurückgetreten ist.

3. festzustellen, dass die Beklagte dazu verpflichtet sei, ihr aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ 2), die in ihrem Lebensversicherungsvertrag Nr. 20 855 750/5 eingeschlossen ist, eine jährliche Summe von 31.657,20 DM, beginnend ab dem 07.07.1998 bis zum Ablauf der vertraglich festgelegten Leistungszeit, also dem 01.04.2015, jeweils fällig zum 01.04., 01.07., 01.10. und 01.01. eines jeden Jahres, zu zahlen, wobei es der Beklagten freistehe, durch Nachuntersuchungen das Fortbestehen der Leistungsvoraussetzungen zu überprüfen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen,

die Diagnose der Multiplen Sklerose sei der Klägerin schon vor der Stellung des Versicherungsantrages bekannt gewesen. Die Klägerin habe die Diagnose einer Hirnathrophie im Rahmen des Versicherungsantrages verschwiegen, obwohl ihr diese bekannt gewesen sei. In Kenntnis der Diagnose hätte er, der Beklagte, den Versicherungsantrag nicht angenommen, was der Klägerin auch bekannt gewesen sei.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt. Die Klage sei hinsichtlich der Anträge zu 1) und 2) unzulässig, hinsichtlich des Antrages zu 3) unbegründet. Hinsichtlich des Klageantrages zu 1) habe die Klägerin kein Interesse an der alsbaldigen Feststellung, dass die Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Beklagten mit Schreiben vom 02.12.1998 unwirksam sei, da der Beklagte den Versicherungsvertrag mit Schriftsatz vom 14.06.2000 wegen arglistiger Täuschung angefochten habe, so dass er auf keinen Fall mehr zur Erbringung von Leistungen aus jenem Versicherungsvertrag verpflichtet sei. Die Klägerin habe den Beklagten arglistig über den gefahrerheblichen Umstand des Vorliegens einer Hirnathrophie getäuscht. Die Klägerin habe im Versicherungsantrag vom 15.3.1996 objektiv unrichtige Angaben gemacht. Mit ihrer falschen Angabe habe die Klägerin auf die Entschließung des Beklagten, den Vertrag anzunehmen, Einfluss nehmen wollen und sei sich bewusst gewesen, dass der Beklagte ihren Antrag möglicherweise nicht oder nur zu erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn sie die Wahrheit sage. Die arglistige Täuschung sei für die Entschließung des Versicherers, den Vertrag anzunehmen, auch ursächlich gewesen. Bei Kenntnis einer Hirnatrophie wäre der Vertrag nicht zustande gekommen. Der Klageantrag zu 3) sei unbegründet.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin. Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor: Das Landgericht habe zu Unrecht die Klageanträge zu 1) und 2) als unzulässig abgewiesen. Sie habe ein berechtigtes Interesse daran, dass der Fortbestand der Versicherungsverträge und damit die Unwirksamkeit der Anfechtungs- und Rücktrittserklärungen festgestellt werde. Die Klageanträge seien auch begründet. Der Beklagte sei nicht arglistig getäuscht worden. Sie, die Klägerin, habe zum Zeitpunkt der Antragstellung keine Kenntnis von dem Verdacht einer multiplen Sklerose oder einer Hirnatrophie gehabt. Dies ergebe sich nicht aus der Aussage des Zeugen Dr. M. Dieser habe nur von Kalkablagerungen gesprochen. Sie habe auch kein Interesse gehabt, eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abzuschließen. Die Initiative für den Abschluss des Vertrages sei von dem Versicherungsagenten G ausgegangen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils

1. festzustellen, dass die von der Beklagten erklärten Anfechtungen des Lebensversicherungsvertrages Nr. 20 855 750/5 mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung sowie die von ihr insoweit erklärten Rücktritte unwirksam seien und dieser Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung fortbestehe.

2. festzustellen, dass die Beklagte dazu verpflichtet sei, ihr aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die in ihren Lebensversicherungsvertrag Nr. eingeschlossen sei, eine jährliche Summe von 31.657,20 DM, beginnend ab dem 7.5.1998 bis zum Ablauf der vertraglich festgelegten Leistungszeit, also dem 1.4.2015, jeweils fällig zum 1.4., 1.7., 1.10. und 1.1. eines jeden Jahres zu zahlen, wobei es der Beklagten freistehe, durch Nachuntersuchung das Fortbestehen der Leistungsvoraussetzung zu überprüfen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor,

das Landgericht habe zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe über gefahrerhebliche Umstände getäuscht. Auf Grund der Bekundungen des Zeugen Dr. M stehe fest, dass bei der am 8.8.1995 stattgefundenen Besprechung des Befundberichts der Dres. B und N vom 25.7.1995 der Zeuge die Klägerin über degenerative Veränderungen im Gehirn aufgeklärt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil mitsamt den dort in Bezug genommenen Unterlagen, Gutachten, Arztberichten Bezug genommen, ferner auf die in beiden Rechtszügen zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug. Das Berufungsvorbringen gibt für eine abweichende Beurteilung keine Veranlassung.

1) Mit der Berufung ist zunächst davon auszugehen, dass die von der Klägerin erhobenen Feststellungsanträge nach § 256 ZPO zulässig sind. Das Landgericht hat darauf abgestellt, dass die Klägerin kein Interesse mehr an der Feststellung der Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages aufgrund der Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Beklagten mit Schreiben vom 2.12.1998 habe, da der Beklagte den Versicherungsvertrag mit Schriftsatz vom 14.6.2000 wegen arglistiger Täuschung angefochten habe, so dass er auf keinen Fall mehr zur Erbringung von Leistungen aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet sei. Dies wird dem Anliegen der Klägerin nicht gerecht, deren Ziel es in der Sache ist, den Fortbestand der Versicherungsverträge und damit die Unwirksamkeit der Anfechtungs- und Rücktrittserklärungen festgestellt zu wissen. Für die BUZ-Versicherung gilt dies im Übrigen auch unabhängig von dem diesbezüglichen "Leistungsantrag", auch wenn der Fortbestand der Versicherung für diesen Vorfrage ist, denn ein zusätzliches Feststellungsinteresse kann insoweit bereits auf § 7 BBUZ (vgl. Bl. 54 d A.) gestützt werden - Fortbestand des Versicherungsschutzes auch bei entfallender Berufsunfähigkeit -. Sowohl die erstinstanzlichen als auch die im Berufungsverfahren modifizierten Feststellungsanträge sind zulässig.

2) Das Landgericht hat sich in der Sache mit der Begründetheit der Klage im Rahmen des Feststellungsantrages zu 3) befasst. Es sei davon ausgegangen, dass der Beklagte mit Schriftsatz vom 14.6.2000 den Versicherungsvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten habe (§ 22 VVG, § 123 BGB).

Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist, dass der Versicherungsnehmer mit der wissentlich falschen Angabe von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeigen- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag - hier Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung - anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache. Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann in der Praxis der Beweis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Dies bedeutet, dass in der Regel, wenn schwere Erkrankungen oder erkennbar chronische Erkrankungen oder Krankenhausaufenthalte verschwiegen worden sind, ein solches Bewusstsein anzunehmen ist, dagegen beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als solche angesehen werden, der Beweis als nicht geführt angesehen werden muss (in Anknüpfung an BGH VersR 1985, 156, 157; VersR 1987, 91; OLG Koblenz VersR 1995, 689; VersR 1998, 1226; OLGR 2001, 468; NVersZ 2001, 74, NVersZ 1999, 72 f.; NVersZ 1999, 472 f. Urteil vom 20. April 2001 NVersZ 2001, 503).

a) Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zunächst zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages noch keine Kenntnis von dem Verdacht einer bestehenden oder sich entwickelnden Multiplen Sklerose hatte und diesbezüglich bewusst keine wahrheitswidrigen Angaben im Versicherungsantrag gemacht hatte. Dr. B hat in seiner schriftlichen Erklärung vom 14.3.2000 (GA 124) und in der Beweisaufnahme (GA 142) die Frage, ob bei der Klägerin seit dem Jahr 1995 eine Multiple Sklerose mit motorischer Sprachstörung bekannt gewesen sei, verneint. Ende März 1995 sei plötzlich bei der Klägerin eine Entzündung des rechten Sehnervs mit vorübergehender, fast an Blindheit grenzender Sehminderung des rechten Auges aufgetreten, deretwegen eine stationäre Behandlung in der neurologischen Abteilung der städtischen Krankenanstalten I erfolgt sei. Die Neuritis des Sehnervs sei auch ein mögliches Symptom der Multiplen Sklerose, so dass diese Erkrankung in die Differentialdiagnose einbezogen worden sei, aber zu diesem Zeitpunkt weder durch Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit noch durch Kernspintomographie des zentralen Nervensystems zu beweisen gewesen sei. Die Diagnose habe dementsprechend gelautet - Neuritis nervi optici rechts bei möglicher Encephalomyelitis disseminata. Nachfolgende ambulante neurologische Untersuchungen in der genannten neurologischen Abteilung im Mai 1995 und Juli 1995 hätten ebensowenig die Sicherung der Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose ergeben. Die Sicherung der Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose sei 1995 nicht gelungen. Der Klägerin sei ein möglicher Verdacht dieses Krankheitsbildes nicht mitgeteilt worden, um sie nicht unnötig ohne entsprechende Sicherung des Verdachts zu verunsichern. Eine entsprechende Aufklärung sei deshalb nicht erfolgt. Diese Aussage deckt sich mit den Bekundungen, die die damalige, die Klägerin behandelnde Ärztin im Städtischen Krankenhaus I, L W (GA 138) gemacht hatte. Sie habe seinerzeit bei der Klägerin eine Sehnerventzündung festgestellt, vorgeschlagen, dass sich die Klägerin einer Kernspinuntersuchung unterziehe, sei sich aber sicher, dass sie der Klägerin von einem Verdacht einer Multiplen Sklerose nichts gesagt habe, auch wenn in dem Bericht vom 9.11.1998 (Anlage B 10, GA 93/94) ausgeführt sei, dass der Klägerin diese Diagnose seit 31.3.1995 bekannt sei. Die Ärztin erklärte den scheinbaren Widerspruch damit, dass im November 1998 rückschauend betrachtet, sich der Verdacht der Multiplen Sklerose auf Grund der früheren Befunderhebung bestätigt habe, die Klägerin aber im Jahre 1995 hierüber noch keine Kenntnis hatte. Auch der in der Beweisaufnahme vernommene Neurologe und Psychiater Dr. von A (GA 140) hat eindeutig bekundet, dass er seinerzeit (1995) der Klägerin die Diagnose Sehnerventzündung, nicht aber den Verdacht einer Multiplen Sklerose mitgeteilt habe. Grund hierfür sei gewesen, dass bei einer Sehnerventzündung nur 30 % der Patienten später tatsächlich an einer Multiplen Sklerose leiden. Auch Dr. M (GA 143) hat bestätigt, dass er im Jahre 1995 die Klägerin nicht über eine mögliche Erkrankung hinsichtlich einer Multiplen Sklerose aufgeklärt habe.

Das Landgericht hat auf Grund dieses Ergebnisses der Beweisaufnahme zu Recht nicht mehr darauf abgestellt, ob die Klägerin, die bei der Antragstellung die Sehstörung und den behandelnden Arzt wahrheitsgemäß angegeben hat, bewusst wahrheitswidrig den Verdacht einer Multiplen Sklerose verschwiegen hat.

b) Das Landgericht hat allerdings auf Grund der Erkenntnisse aus der Beweisaufnahme gleichwohl zu Recht die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung bejaht. Denn die Klägerin hat über den gefahrerheblichen Umstand einer Hirnatrophie getauscht.

Der Zeuge Dr. M hat hierzu in der Beweisaufnahme vor dem Landgericht bekundet, dass er am 8.8.1995 die Klägerin über den Befundbericht der Ärzte Dr. B und N vom 25.7.1995 hinsichtlich einer weiteren Kernspintomographie aufgeklärt habe. Er habe der Klägerin mitgeteilt, dass bei ihr degenerative Veränderungen im Gehirn vorlagen. Er habe sie dabei nicht unterrichtet, dass möglicherweise auch eine MS-Erkrankung vorliege. Der Zeuge führte aus, dass er nicht mehr wisse, wie er diese Diagnose mitgeteilt habe. Der Zeuge hat angegeben, dass er bei der Wiedergabe des Befundberichts sehr vorsichtig vorgegangen sei, meinte andererseits aber auch, sich doch erinnern zu können, dass die Klägerin in gewisser Weise erschrocken gewesen sei. Der Zeuge erklärte ausdrücklich, dass er sicherlich nicht davon gesprochen habe, dass nur Kalkablagerungen im Gehirn vorhanden seien, denn dieses sei etwas ganz anderes.

Daraus wird ersichtlich, dass die Klägerin erkannte, dass die ihr mitgeteilte Diagnose gefährlich und beängstigend für sie war. Dass der Klägerin klar war, dass sie unter einer Erkrankung des Gehirns litt, räumte sie selbst ein, in dem sie im Schriftsatz vom 22.05.2000 angab, dass ihr das Ergebnis der Untersuchung als Kalkablagerungen dargestellt worden sei, Kalkablagerungen insofern, als bei ihr in gewisser Weise eine frühzeitige Verkalkung festgestellt worden sei, was üblicherweise erst bei Personen in vorangeschrittenem Alter auftreten würde. Darüber hinaus ist die Behauptung der Klägerin, ihr sei lediglich eine Mitteilung über Kalkablagerungen gemacht worden, durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Die Berufung greift diese Beweiswürdigung ohne Erfolg an.

Aufgrund der Bekundungen des Zeugen Dr. M steht fest, dass die Klägerin vor Abschluss des Versicherungsvertrages im Jahre 1996 zwar nicht Kenntnis über den Verdacht einer möglichen MS-Erkrankung hatte, aber davon wusste, dass bei ihr degenerative Veränderungen des Gehirns in Form einer Zurückbildung der Hirnrinde (Hirnatrophie) vorhanden waren. Der Senat hat ebenso wie das Landgericht keine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Arztes.

c) Die Klägerin hat diese Diagnose eines Krankheitsbildes im Versicherungsantrag vom 15.3.1996 zur Überzeugung des Senats bewusst wahrheitswidrig verschwiegen. Im Versicherungsantrag vom 15.03.1996 war u.a. danach gefragt, ob die Klägerin an einer Erkrankung des Gehirns, Rückenmarks oder der Nerven leide (Frage 2 j GA 56) und ob zu irgendeiner Zeit nicht normale Ergebnisse bei Spezialuntersuchungen festgestellt worden seien (Frage 5). Beide Fragen hatte die Klägerin verneint. Gleichermaßen machte die Klägerin objektiv falsche Angaben bei der Erstellung des ärztlichen Zeugnisses vom 12.04.1996, als sie die Frage nach einer Krankheit des Gehirns oder der Nerven verneinte. Denn eine Hirnathrophie, also eine Rückbildung des Hirnorgans, ist eine Erkrankung des Gehirns. Auch ist eine Kernspintomographie eine Spezialuntersuchung. Sofern im Rahmen dieser Untersuchung eine Hirnathrophie festgestellt wird, ist dies ein nicht normales Ergebnis.

3) Der Senat ist mit dem Landgericht der Auffassung, dass die Klägerin bewusst wahrheitswidrig ihre Kenntnis von der Hirnatrophie im Versicherungsantrag verschwiegen hat, um den Abschluss des Versicherungsvertrages nicht zu gefährden. Sie war sich darüber bewusst, dass der Beklagte bei Kenntnis der Situation ihren Antrag nicht oder nur zu erschwerten Bedingungen annehmen werde. Denn es ist für jedermann offensichtlich, dass eine degenerative Hirnerkrankung zu einer Berufsunfähigkeit führen kann und auch das mit einer Lebensversicherung abgedeckte Risiko für den Versicherer steigert. Für das arglistige Verhalten, der Klägerin spricht insbesondere, dass die Klägerin im Prozess zwar die erste Kernspintomographie im Zusammenhang mit der Diagnose einer möglichen MS-Erkrankung angegeben hatte, sich zu der zweiten Kernspintomographie mit der vernichtenden Aussage der Diagnose einer Hirnatrophie aber erst äußerte, als dies in der Beweisaufnahme für alle Beteiligten offenbar wurde. Hierin spiegelt sich das Bemühen der Klägerin wieder, den Beklagten über jene zweite Kernspinuntersuchung im Unklaren zu lassen. Im Übrigen war die der Klägerin mitgeteilte Diagnose einer Hirnatrophie von einem derartigen Gewicht, dass der Klägerin auch eine Spontanoffenbarungspflicht oblegen hätte, wenn in dem Versicherungsantrag nach Erkrankungen des Gehirns nicht gefragt worden wäre.

Die Berufung wendet demgegenüber ohne Erfolg ein, gegen das Vorliegen einer arglistigen Täuschung spreche, dass der Versicherungsvertrag auf Initiative des Versicherungsagenten G zustande gekommen sei, dieser das Formular ausgefüllt habe, die Klägerin während des Ausfüllens des Formulars zwischendurch habe in der Gaststätte bedienen müssen, die Klägerin ihre Probleme mit den Augen erklärt und auf eine Kernspinuntersuchung hingewiesen habe und der Agent erklärt habe, nähere Angaben im Formular seien nicht erforderlich, da ohnehin eine spezielle Untersuchung durch den Beklagten veranlasst werde. Dieser Vortrag wird von dem Beklagten bestritten. Der Senat hält hierzu eine weitere Beweiserhebung nicht für nötig. Denn es ergibt sich aus diesem Vortrag nicht, dass der Agent von der Klägerin vollständig, auch über die Durchführung einer zweiten Kernspintomographie mit der Diagnose Hirnatrophie, aufgeklärt worden wäre. Dies behauptet sie selbst nicht. Die Art des Vertrags im erstinstanzlichen Verfahren spricht, wie ausgeführt dagegen. Wäre der Versicherungsagent tatsächlich vollständig unterrichtet worden, wofür keine Anhaltspunkte bestehen, läge jedenfalls dann ein kollusives Handeln zum Nachteil des Versicherers vor, welches ebenfalls die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung rechtfertigen würde.

Die arglistige Täuschung der Klägerin war für die Entschließung des Beklagten zum Abschluss des Versicherungsvertrages auch ursächlich. Die Anfechtungsfrist des § 124 BGB ist eingehalten, da der Beklagte erst in der Sitzung vom 22.03,2000 Kenntnis von der zweiten Kernspintomographie und deren Ergebnis erhielt und mit Schriftsatz vom 14.06.2000 die Anfechtung des Versicherungsvertrages erklärte.

4) Im Übrigen sieht der Senat auch die Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Vertrag - von dem Beklagten hilfsweise erklärt - gemäß §§ 16 Abs. 1, 17 VVG als gegeben an. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um gefahrerhebliche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich. Der Versicherer ist zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt, wenn der Versicherungsnehmer für die Übernahme der versicherten Gefahr erhebliche Umstände bei Abschluss des Vertrags verschweigt. Im Falle ausdrücklicher und schriftlicher Befragung kommt es nicht einmal darauf an, ob der Versicherungsnehmer Kenntnis von der Erheblichkeit des Gefahrumstands hatte. Es ist Sache des Versicherers, das Risiko von Beschwerden, Krankheiten und Gesundheitsstörungen, ggf. unter Einschaltung der Gesellschaftsärzte oder nach Rückfrage bei den behandelnden Ärzten, zu beurteilen. Da ein Versicherungsnehmer in der Regel mangels medizinischer Kenntnisse nicht in der Lage ist, die Gefahrerheblichkeit körperlicher Beschwerden zu beurteilen, muss er alle, auch die als belanglos empfundenen Krankheiten oder Beschwerden anzeigen (vgl. auch Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. 1998, §§ 16, 17 Rn. 10; Senatsurteil vom 16.3.2001 - 10 U 187/00 - NVersZ 2001, 413 = r+s 2001, 339 = OLGR 2001,376). Hier war ausdrücklich nach Erkrankungen des Gehirns und nicht normalen Ergebnissen von Spezialuntersuchungen gefragt, die von der Klägerin objektiv unrichtig angegeben wurden.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 177.333,14 DM festgesetzt: (Lebensversicherung 131.905 DM x 50 % = 65.952,50 DM; Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung 31.657,20 DM x 3,5 x 80 % = 88.640,16 DM; Beitragspflicht 676,80 DM x 42 x 80 % = 22.740,48 DM). Bei der Lebensversicherung sieht der Senat vorliegend angesichts der noch offenen Restlaufzeit bis 2015 (vgl. Bl. 27 d.A.) einen Ansatz von 80 % der Versicherungssumme (vgl. BGH, NJW-RR 1992 S. 608; BGHR ZPO § 3 Feststellungsantrag 3) als überhöht an. Er hält eine Bemessung mit 50 % vorliegend für angemessen (Mittelwert zwischen 80 % und dem Ansatz von 20 % für eine bloße Risikolebensversicherung, vgl. BGH, NJW-RR 1997 S. 1562).

Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 543 Abs. 1 ZPO n. F.

Ende der Entscheidung

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