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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 06.09.2004
Aktenzeichen: 10 U 1155/03
Rechtsgebiete: AUB 95, VVG


Vorschriften:

AUB 95 § 2 IV
AUB 95 § 7 I (2)
AUB 95 § 17
VVG § 6 Abs. 3
1. Bei dem Erfordernis des Eintritts der Invalidität binnen Jahresfrist und deren ärztlichen Feststellung spätestens innerhalb von 15 Monaten handelt es sich nicht um die Begründung einer Obliegenheit, sondern lediglich um eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung. Auf ein Verschulden des Versicherungsnehmers kommt es nicht an. Die 15-Monats-Frist zur Geltendmachung der Invalidität ist hingegen eine Ausschlussfrist, deren Versäumen entschuldigt werden kann. Es genügt zur Wahrung dieser Frist, dass innerhalb derselben dem Versicherer gegenüber behauptet wird, es sei eine Invalidität eingetreten (im Anschluss an BGHZ 130, 171, 173 f. = VersR 1995, 1179, 1180; BGHZ 137, 174, 176 = VersR 1998, 175, 176; Senatsurteile vom 27. August 1999 r+s 2000, 129; vom 19. Mai 2000 Zfs 2000, 454; Senatsbeschlüsse vom 23. März 2001 OLGR 2001, 421 und vom 20. Februar 2003 - 10 U 1201/02 ).

2. Die in § 2 IV AUB 95 enthaltene Ausschlussklausel (Psychoklausel) verstößt weder gegen das AGBG a.F. noch gegen §§ 305 c, 307 Nr. 2 BGB n.F. (entgegen der Ansicht des Thüringischen Oberlandesgerichts VersR 2002, 1019 = NVersZ 2002, 402; offen gelassen BGH VersR 2003, 634 = NJW-RR 2003, 881).


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

(gemäß § 522 Abs. 2 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 1155/03

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert

am 6. September 2004

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 28. August 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Der Senat hat gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO mit Hinweisbeschluss vom 25. Juni 2004 darauf hingewiesen, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erforderten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Berufung des Klägers habe auch keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Hinweisbeschluss vom 25. Juni 2004 Bezug.

Der Senat hat mit Hinweisbeschluss vom 25. Juni 2004 ausgeführt:

"I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus Unfallversicherung (AUB 95) auf Zahlung einer Unfallrente in Anspruch.

Der Kläger ist von Beruf Polizeibeamter. Er erlitt am 27.1.2001 in Ausübung seines Dienstes einen Unfall, den er mit Schreiben vom 26.3.2001 der Beklagten meldete.

Der Kläger hat behauptet, er habe bei diesem Unfall eine schwere Schulterverletzung erlitten, die für sich allein schon einen Invaliditätsgrad von mehr als 50 % rechtfertige. Er sei bei dem Unfall in akute Lebensgefahr geraten, dadurch habe er eine Angstphobie erlitten. Der Unfall habe zu schweren neurologischen Schäden geführt, die sich als organische Schädigungen erwiesen. Er könne seinen Dienst als Polizeibeamter im Schichtdienst nicht mehr ausführen und befürchte, dass Dienstunfähigkeit eintrete.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung einer monatlichen Unfallrente, beginnend ab dem 30.01.2001, in Höhe von 1.729,30 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30.01.2001 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, dass der Unfallbericht erst verspätet eingereicht worden sei, und hat im Übrigen die vom Kläger behauptete schwere Schulterverletzung bestritten. Der Kläger habe nur eine Prellung erlitten. Ferner beruft sie sich auf einen Leistungsausschluss, da die behaupteten unfallbedingten psychischen Störungen gemäß § 2 IV AUB nicht versichert seien. Die psychischen Beschweren seinen nicht auf unfallbedingte organische Störungen zurückzuführen.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe aufgrund der vorgelegten Krankenunterlagen nicht den Nachweis erbringen können, dass die Schulterverletzung zu einer 50 prozentigen Invalidität geführt habe. Der Kläger habe lediglich eine schwere Prellung mit nachfolgendem sekundären Impingement erlitten und sei arthroskopisch operativ behandelt worden. Hinsichtlich der psychischen Störungen berufe sich die Beklagte zu recht auf den Leistungsausschluss nach § 2 IV AUB 95.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form - und fristgerecht eingelegten Berufung.

II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht aus der Unfallversicherung kein Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsrente zu.

Gemäß § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 der vereinbarten AVB (= AUB 94, vgl. Prölss/Martin, VVG Kommentar, 27. Aufl. 2004, S. 2529) muss eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) als Unfallfolge innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet eingetreten sein. Sie muss darüber hinaus spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten nach dem Unfalljahr ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein. Bei dem Erfordernis des Eintritts der Invalidität binnen der Jahresfrist und der ärztlichen Feststellung innerhalb von 15 Monaten handelt es sich nicht um die Begründung einer Obliegenheit im Sinne von §§ 17 AUB bzw. § 6 Abs. 3 VVG, sondern lediglich um eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung (BGH VersR 1978, 1036; VersR 1998, 175, 176). Es kommt demnach nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer die Einhaltung der Frist verschuldet hat. Die Klausel bezweckt, dass der Versicherer unabhängig vom Verhalten des Versicherungsnehmers nicht für regelmäßig schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden eintreten muss. An die ärztlichen Feststellungen der Invalidität sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere braucht zu einem bestimmten Grad der Invalidität noch nicht abschließend Stellung genommen zu sein (BGH Urteil vom 6.11.1996 - IV ZR 215/95 - VersR 1997, 442 = NJW-RR 1997, 277). Erst recht ist nicht erforderlich, dass die Feststellung einen an der Gliedertaxe ausgerichteten Invaliditätsgrad enthält (BGH Urteil vom 9.12.1990 - IV ZR 255/89 - NJW-RR 1991, 539). Die ärztliche Feststellung braucht nicht einmal richtig und auch dem Versicherer nicht innerhalb der Frist zugegangen zu sein (BGH Urteil vom 16.12.1987 - IV a ZR 195/86 - VersR 1988, 286).

Die 15-Monats-Frist zur Geltendmachung der Invalidität ist hingegen eine Ausschlussfrist, deren Versäumen entschuldigt werden kann (BGHZ 130, 171 , 173 f. = VersR 95, 1179, 1180). Es genügt zur Wahrung der Frist, dass innerhalb der Frist dem Versicherer gegenüber behauptet wird, es sei eine Invalidität eingetreten (BGHZ 137, 174, 178 = VersR 1998, 175, 176; vgl. ferner Senatsurteile vom 27.08.1999 - 10 U 1848/98 - r+s 2000, 129; vom 19.02.1999 - 10 U 1912/97; vom 26.11.1999; vom 19.5.2000 - 10 U 1122/97 - zfs 2000, 454; Senatsbeschlüsse vom 23.3.2001 - 10 W 88/01 - OLGR 2001, 421; vom 5.7.2002 - 10 U 1867/01 - zfs 2003, 140 = VersR 2002, 57; vom 20.5.2003 - 10 U 1201/02 - OLGR 2003, 297).

Der Kläger hat vorliegend nicht innerhalb des 15-Monatszeitraums eine etwaige Invalidität ärztlich feststellen lassen. Darüber hinaus sind auch nach diesem Zeitraum keine ärztlichen Feststellungen getroffen worden, die eine Invalidität von mindestens 50 %, wie vom Kläger behaupten, ergeben. Ausweislich des unfallchirurgischen Gutachtens des St. E. Krankenhauses in W. vom 22.6.2003 (GA 57) beträgt die dauernde Gebrauchsbeeinträchtigung des linken Schultergelenkes allenfalls 10 %.

Soweit der Kläger geltend macht, aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigungen sei er zu mehr als 50 % in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, hat das Landgericht zu Recht auf den Ausschlusstatbestand des § 2 IV AUB 95 verwiesen. Danach sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, gleichgültig wodurch diese verursacht sind. Darunter fallen nach der Rechtsprechung und Schrifttum Schäden infolge von Schock-, Schreck- und Angstreaktionen (BGH VersR 1972, 582; OLG Düsseldorf VersR 1964, 130, 131; 1998, 886;) bzw. psychische Beeinträchtigung, die auf einer psychischen Fehlverarbeitung beruhen (BGH VersR 2003, 634 = NJW-RR 2003, 881; Thüringer Oberlandesgericht, VersR 2002, 1019 = NVersZ 2002, 402; Knappmann, VersR 2002, 1230 f.; Prölss/Martin -Knappmann, VVG Kommentar, 27. Aufl. 2004, AUB 94 § 2Rn. 41; Rixecker ZfS 2003, 304; Schwintowski NVersZ 2002, 395; Wussow, VersR 2000, 1183 ). Diese Fehlverarbeitung muss ihrerseits Krankheitswert haben und nicht adäquat kausal auf einem organischen Schaden beruhen (Prölss/Martin-Knappmann, aao unter Hinweis auf OLG Koblenz VersR 2001, 1150 = NVersZ 2002, 15 auch zu somatoformen Schmerzstörungen; ferner OLG Koblenz, OLGR 2001, 467 zur Frage der Beweisführung).

Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die psychischen Störungen des Klägers auf neurologische Störungen zurückzuführen sind. Der Kläger hat hierzu weder etwas Dezidiertes vorgetragen noch ergibt sich dies aus den vorgelegten Krankenunterlagen. Vielmehr lässt sich dem ärztlichen Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. H. entnehmen, dass der Kläger an einer endoreaktiven Depression mit situationsassozierten panikartigenZuständen leidet. Der Kläger wird mit Antidepressiva behandelt. Es sind keine Anzeichen ersichtlich, dass die Depression auf einer neurologischen bzw. organischen Störung beruht.

Die Berufung macht schließlich auch ohne Erfolg geltend, die in § 2 IV AUB 95 enthaltene Ausschlussklausel (Psychoklausel) verstoße gegen das AGBG a.F. bzw. §§ 305 c , 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F. Richtig ist zwar, dass das Thüringische Oberlandesgericht die "Psychoausschlussklausel" als unwirksam erachtet hat (VersR 2002, 1019 = NVersZ 2002, 402). Der BGH hat im sich anschließenden Revisionsverfahren zu dieser Frage nicht Stellung nehmen müssen, da im konkreten Fall die eingetretene Aortendissektion infolge einer unfallbedingten Stresshormonausschüttung erfolgte. Der BGH verneinte das Vorliegen einer psychischen Reaktion im Sinne des § 2 IV AUB 95.

Vorliegend stellt sich die Problematik der Wirksamkeit der Ausschlussklausel des § 2 IV AUB 95 nicht in aller Schärfe. Ungeachtet dessen, dass bereits die 15-Monatsfrist nicht eingehalten ist, ist auch nicht gesichert, dass das vom Kläger beschriebene Unfallereignis zu den psychischen Beeinträchtigungen geführt hat. Denn ausweislich des ärztlichen Befundberichts von Dr. H. vom 23.9.2002 (GA 46) leidet der Kläger an einer depressiven Störung, die auch in einer Alltagssituation vorhanden ist."

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20. Juli 2004 der Zurückweisung der Berufung in Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO widersprochen. Die Ausführungen geben dem Senat zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

Die Berufung führt aus, dass die beim Kläger vorhandenen Erkrankungen nicht auf einer psychischer Fehlverarbeitung, sondern auf organischen Ursachen beruhen. Er hat hierfür Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten und sich auf die ärztliche Stellungnahme des Facharztes für Psychriatie Dr. C. vom 29.12.2003 bezogen. Wie bereits ausgeführt, sind aus dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die beim Kläger festgestellten psychischen Störungen auf neurologische, organische Störungen zurückzuführen sind. Auch aus der jetzt vorgelegten Bescheinigung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Aus der nunmehr vorgelegten Bescheinigung von Dr. C. lässt sich ebenfalls das Krankheitsbild einer Depression mit Suizidgefahr entnehmen. Dieser Zustand wird über mehrere Seiten beschrieben. Hinsichtlich des körperlichen Untersuchungsbefundes heißt es in dem Arztbericht, dass die internistisch-neurologische Aufnahmeuntersuchung keinen nennenswerten pathologischen Befund an den inneren Organen gezeigt habe. Soweit dort eine Bewegungseinschränkung der rechten Schulter beschrieben wird, ist diese nicht auf das hier maßgebliche Unfallereignis vom 27.1.2001 zurückzuführen. Das hier streitgegenständliche Unfallereignis betrifft die Verletzung der linken und nicht der rechten Schulter, die bereits Gegenstand eines früheren Rechtsstreits war (vgl. Senatsurteil vom 5. Juli 2002 - 10 U 1867/01 - VersR 2002, 57) Die jetzt vorgelegten Unterlagen geben keinen Anlass, eine weitere Begutachtung der Verletzung vorzunehmen.

Ungeachtet dessen, scheitert der geltend gemachte Invaliditätsanspruch schließlich auch daran, dass der Kläger, wie bereits ausgeführt, nicht binnen der 15-Monatsfrist des § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 eine etwaige Invalidität ärztlich hat ärztlich feststellen lassen.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 119.213,10 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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