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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 22.02.2002
Aktenzeichen: 10 U 1213/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO n.F § 543
Einem gerichtlichen Sachverständigen ist es gestattet, Hilfskräfte und Mitarbeiter - hier Assistenzarzt - zu einzelnen Untersuchungen heranzuziehen. Dies begegnet insoweit keinen Bedenken, als die Mitwirkung die persönliche Verantwortung des Sachverständigen nicht ausschließt. Der Sachverständige entzieht sich seiner Gesamtverantwortlichkeit für das Gutachten jedenfalls dann nicht, wenn er das Gutachten nicht nur mit "einverstanden", sondern mit "einverstanden aufgrund eigener Untersuchung und Urteilsfindung" unterzeichnet (in Anknüpfung an Senatsentscheidung vom 5.2.1999 - 10 U 518/98 - VersR 2000, 339 LS = r+s 2001, 211).
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 1213/01

Verkündet am 22. Februar 2002

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 28. Juni 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Der Kläger schloss am 1. September 1979 bei der Beklagten eine Unfallversicherung über eine Invaliditätssumme von 96.000,-- DM ab. Am 25. Juli 1997 zog er sich bei einem Fußballspiel einen Schien- und Wadenbeinbruch des rechten Unterschenkels, eine Distorsion des rechten Kniegelenkes sowie eine Ruptur des hinteren rechten Kreuzbandes zu. Da die Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach unstreitig war, zahlte sie bereits im November 1999 9.600,-- DM und am 18. Oktober 2000 3.840,-- DM, Insgesamt also 13.440,-- DM (= 1/5 Beinwert, wobei 1/1 Beinwert 70 % der Invaliditätssumme entspricht).

Der Kläger hat von der Beklagten eine Invaliditätsentschädigung auf der Basis einer Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines von 3/7 verlangt. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, aus Anlass des Unfallereignisses sei es zu einer dauerhaften Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines von 3/7 gekommen, so dass ihm insgesamt eine Invaliditätsentschädigung von 28.800,- DM zustehe. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 19.200,-- DM nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung unter Hinweis darauf beantragt, durch das Unfallereignis sei es lediglich zu einer dauerhaften Funktionsbeeinträchtigung von 1/5 gekommen, was einem Gesamtanspruch des Klägers von 13.440,-- DM entspreche.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Beklagte zur Zahlung eines weiteren Betrages von 15.360,-- DM nebst Zinsen verurteilt. Gestützt auf das Gutachten von Dr. E ist es von einer Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines von1/3 Beinwert ausgegangen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht die Beklagte verurteilt, auf der Basis einer Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines von 1/3 Beinwert einen noch offenen Betrag von 15.360,-- DM nebst Zinsen zu zahlen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

1) Die Beweisaufnahme hat auch für den Senat nachvollziehbar ergeben, dass der Unfall vom 25. Juli 1997 bei dem Kläger zu einer dauerhaften Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines von 3/7 Beinwert geführt hat. Das ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. E das dieser auf Grund einer eingehenden klinischen Untersuchung des Klägers erstattet hat. Danach erlitt der Kläger durch den Unfall vom 25. Juli 1997 einen Schien- und Wadenbeinbruch, eine Kniegelenksdistorsion und einen Kreuzbandriss am rechten Bein. Nach den Feststellungen von Dr. E ist der Unterschenkelbruch knöchern gut verheilt. Der Verriegelungsnagel wurde entfernt. Die verbliebene Narbe ist druckunempfindlich und schmerzfrei. Die Unterschenkelfraktur kann somit als folgenlos abgeheilt betrachtet werden, während die bestehende hintere Kreuzbandruptur nach den auch für den Senat überzeugenden Ausführungen von Dr. E zu schwerwiegenden funktionellen Störungen im Gelenkmechanismus des rechen Kniegelenkes führt. Auch die Sachverständigen Dr. W (GA 25) und Dr. R (GA 64/65) gehen davon aus, dass auch diese Verletzung bei dem Unfall vom 25.07.1997 entstanden. Sämtliche Sachverständige schildern im Wesentlichen übereinstimmende Befunde.

Der Sachverständige Dr. E hat im Einzelnen dargelegt, dass das hintere Kreuzband für das Abrollen des Kniegelenkes eine zentrale Bedeutung hat. Bei der Bewegung des Kniegelenkes läuft ein komplexer Roll-Gleit-Mechanismus ab, der durch die beim Kläger vorhandene Kreuzbandruptur erheblich gestört ist. Auf Grund der bestehenden sagittalen Instabilität kommt es zu einer ständigen Traumatisierung vor allem der Menisken durch einen desintegrierten Bewegungsablauf. Dies wiederum führt auf Dauer zu einer Knorpelschädigung und ist damit als eine sog. Präarthrose zu werten. Dies bedeutet eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines früher als normal eintretenden Gelenkverschleißes.

Soweit der Kläger im Januar 1999 bei einem Autounfall eine offene Fraktur der rechten Patella und im Februar 1999 bei einem Sturz zu Hause eine Refraktur der rechten Patella erlitten hat, lassen sich die Auswirkungen des Unfalles aus 1997 von denjenigen der Unfälle aus 1999 durchaus trennen. Dabei lässt sich die Muskelathrophie im rechten Oberschenkel zu gleichen Teilen auf sämtliche Unfallereignisse zurückführen, die Instabilität des Kniegelenkes infolge des Kreuzbandrisses beruht jedoch ausschließlich aus dem Unfall von 1997.

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass sich mit der eingeschränkten Abrollfähigkeit des Kniegelenkes lediglich der Sachverständige Dr. E ausführlich auseinandergesetzt hat. Im Gutachten des Sachverständigen Dr. W wird auf diese Problematik nicht eingegangen, weshalb auch seine Ausführungen hinsichtlich der Höhe der Funktionsbeeinträchtigung nicht durchschlagend sind. Der Sachverständige Dr. R erwähnt in seinem Gutachten in der Beiakte eine verminderte Abrollbewegung des rechten Fußes, geht aber in seiner Beurteilung nicht mehr auf diesen zentralen Aspekt der Unfallfolge ein, so dass auch seine Einschätzung hinsichtlich der Höhe der Funktionsbeeinträchtigung als Folge des Unfalles aus 1997 auch aus der Sicht des Senats nicht zu überzeugen vermag. Hinzu kommt, dass das Beweisthema im Gutachten des Dr. R. primär die Auswirkungen der Patellafrakturen aus dem Jahre 1999 betraf. Der Gutachter Dr. R stellte zwar fest, dass die Unfälle unterschiedliche Bereiche des Knies betreffen, nämlich 1997 Kreuzband und 1999 Kniescheibe, vermag jedoch die daraus resultierenden Folgeschäden nicht den einzelnen Unfallereignissen zuzuordnen. Er geht lediglich von einer Gesamtbeeinträchtigung der Kniefunktion nach beiden Ereignissen aus. Zugleich macht er aber deutlich, dass als Folgewirkung der Kreuzbandläsion eine Überlastungsschädigung des Femoropatellagelenkes angenommen werden muss. Somit strahlt der Unfallschaden aus dem Jahre 1997 noch auf die Rückseite der Kniescheibe aus, weshalb auch dort eine Knorpelschädigung zu befürchten ist.

2) Die Angriffe der Berufung gegen das Gutachten von Dr. E überzeugen nicht. Die Berufung macht ohne Erfolg geltend, das Landgericht habe die Erkenntnisse aus dem Gutachten von Dr. R in dem Parallelverfahren nicht hinreichend berücksichtigt. Dabei lässt die Berufung unberücksichtigt, dass die Beweisfragen in dem Parallelverfahren 4 O 429/00 sich in erster Linie auf die Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Beines aus den Unfällen vom 5.1.1999 und 13.2.1999 erstreckten, dabei auch der Behauptung der dortigen Beklagten nachzugehen war, dass aufgrund des Unfallereignisse aus dem hier interessierenden Jahre 1997 eine Beeinträchtigung von 1/7 Beinwert erfolgt. Damit war die Vorgabe an den Sachverständigen hinsichtlich der Beweisfrage zunächst eine andere als die, welche der gerichtliche Sachverständige in diesem Verfahren zu erörtern hatte. Ob eine über 2/7 Funktionsbeeinträchtigung hinausgehende Beeinträchtigung aufgrund des Unfallereignisses aus dem Jahre 1997 herrührte, war nicht Gegenstand des Gutachtens. Zwar ist der Sachverständige nicht an die Beweisfrage hinsichtlich des Bewertungsmaßstabes gebunden, indiziell liegt es aber nahe, dass sich der Sachverständige an die Vorgaben im Beweisthema - hier Grad der Beeinträchtigung - hält und nicht weitergehende Beeinträchtigungen erörtert, die nicht unter Beweis gestellt sind.

Soweit die Berufung rügt, das Gutachten sei von dem wissenschaftlichem Assistenten Dr. R und nicht von Dr. E gefertigt worden, geht dieser Angriff fehl. Dr. E hat das Gutachten als Leitender Oberarzt der Klinik mit "einverstanden aufgrund eigener Untersuchung und Urteilsfindung" unterschrieben. Der Senat hat hierzu in seinem Urteil vom 5.2.1999 - 10 U 518/98 - VersR 2000, 339 LS = r+s 2001, 211 dargelegt, dass es einem gerichtlichen Sachverständigen gestattet ist, Hilfskräfte und Mitarbeiter - hier Assistenzarzt - zu einzelnen Untersuchungen heranzuziehen. Dies begegnet insoweit keinen Bedenken, als die Mitwirkung die persönliche Verantwortung des Sachverständigen nicht ausschließt Der Sachverständige entzieht sich seiner Gesamtverantwortlichkeit für das Gutachten jedenfalls dann nicht, wenn er das Gutachten nicht nur mit "einverstanden", sondern mit "einverstanden aufgrund eigener Untersuchung und Beurteilung" unterzeichnet.

Entgegen der Auffassung der Berufung hält der Senat die Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens anstelle eines unfallchirurgisches Gutachten für nicht geboten. Denn zwischen den Feststellungen der einzelnen Gutachter, was den Befund der vom Kläger im Jahre 1997 erlittenen Verletzungen anbelangt, besteht kein nennenswerter Unterschied. Dies gilt sowohl für das fachchirurgische Privatgutachten Dr. H vom 18.6.1999 (GA 4), das Privatgutachten Dr. W (GA 21), das Gerichtsgutachten Dr. E (GA 45), das fachorthopädische Gutachten Dr. R (Anlage BB 2), das orthopädische Gutachten Dr. F (Anlage BB 3) und das fachorthopädische Gutachten Dr. R (Anlage BB 4). Lediglich hinsichtlich der Bewertung der Funktionsbeeinträchtigung gibt es geringfügige graduelle Unterschiede von 3/7 (H E), 1/5 (W), 1/7 (R F) und R 5/20, allerdings dauernde Beeinträchtigung. Der Senat hält die Einholung eines Obergutachtens für nicht erforderlich und hält die von Dr. E unter Mitwirkung von Dr. R in Übereinstimmung mit der Bewertung von Dr. H getroffene Einschätzung von 3/7 Funktionsbeeinträchtigung des rechtes Beines aufgrund des Unfallereignisses aus dem Jahre 1997 für vertretbar und nachvollziehbar. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 543 ZPO n.F nicht vorliegen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.853,44 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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