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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 28.04.2005
Aktenzeichen: 10 U 1246/04
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 131 Abs. 1 Ziffer 1
InsO § 133 Abs. I
InsO § 142
Eine wirksame Insolvenzanfechtung liegt vor, wenn die Gemeinschuldnerin unter Androhung der Stellung eines Insolvenzantrages 2 Wochen vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Vermeidung eines derartigen Verfahrens Sozialversicherungsbeiträge an eine Krankenkasse leistet (inkongruente Deckung), die zum Teil als Einzugstelle für weitere Sozialversicherungsträger fungiert. Dem stehen weder die Richtlinien 80/987/EWG und 2002/74/EG noch die Rechtsprechung des EuGH vom 15.05.2003 (ZIP 2003, 1000 = ZInsO 2003, 514) entgegen, die dem Schutz der Arbeitnehmer in der Situation der Insolvenz des Arbeitsgebers dienen sollen (vgl. auch EuGH, NJW 1997, 2585 ff.; Peters-Lange, ZIP 2003, 1877 ff.; vgl. auch OLG Koblenz - 2 U 690/04 - vom 27.1.2005).
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Hinweisbeschluss

(gemäß § 522 Abs. 2 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 1246/04

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger am 28. April 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Gründe werden nachfolgend dargestellt. Der Beklagten wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 30. Juni 2005.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Erstattung von im März 2003 gezahlter Sozialversicherungsbeiträge von der Beklagten wegen Insolvenzanfechtung.

Die Firma H. Haushaltsprodukte GmbH in M. zahlte trotz Fälligkeit die Sozialversicherungsbeiträge für die Monate November Dezember 2002 und Januar 2003 an die Beklagte als sog. Einzugsstelle nicht. Der Vollziehungsbeamte der Beklagten versuchte mehrfach vergeblich die Rückstände einzuziehen. Mit Schreiben vom 25.02.2003 kündigte die Beklagte gegenüber der H. GmbH an, in nächsten Tagen einen Insolvenzantrag zu stellen. Falls das Beitragskonto kurzfristig ausgeglichen werden sollte, könne der Antrag zurückgenommen werden. Mit Begleitschreiben vom 11.3.2003 übersandte die H. GmbH der Beklagten einen auf den gleichen Tag datierten Verrechnungsscheck über die rückständige Summe von insgesamt 50.525,40 €. Der Scheckbetrag wurde gutgeschrieben. Am 26.03.2003 beantragte die H. GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welches mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 29.05.2003 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt wurde. Der Kläger erklärte gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 24.09.2003 die Insolvenzanfechtung und forderte erfolglos die Rückzahlung der Beträge bis zum 10.10.2003.

Der Kläger hat vorgetragen,

aufgrund der Zahlung gerade einmal 2 Wochen vor Insolvenzantragstellung unterliege diese der Anfechtung gem. § 131 Abs. 1 Ziffer 1 InsO. Jegliche Befriedigung innerhalb dieser "kritischen Zeit" im Wege der Zwangsvollstreckung oder unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung sowie der vergleichbaren Insolvenzantragstellung bzw. -Eröffnung sei als inkongruente anzusehen. Auf die Entscheidung des BGH vom 18.12.2003 (ZIP 2004, 319 ff.) werde verwiesen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 50.525,40 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH vom 15.05.2003 (ZInsO 2003, 514 ff. = ZIP 2003, 1000 ff. = NJW 2003, 2371 ff.) sei im Hinblick auf die Richtlinien 80/987/EWG und 2002/74/EG sicher zu stellen, dass die Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an rückwirkend 3 Monate für Lohnansprüche abgesichert sein müssen. Dies stelle den absoluten Schutz der Arbeitnehmer in den Vordergrund und damit auch der Sozialversicherungsträger. Letztendlich würden den Arbeitnehmern Schäden entstehen, da sie das Sozialversicherungssystem mitfinanzierten, wenn die Sozialversicherungsträger die gezahlten Beiträge zurückerstatten müssten. Dem System werde dadurch das notwendige Geld entzogen. Im Übrigen sei zumindest der Arbeitnehmeranteil an den gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen der Beklagten zu belassen, da es sich dabei um Lohnbestandteile an den Arbeitnehmer handele und entsprechend aus seinem Vermögen und nicht aus dem des Arbeitgebers gezahlt werde. Des weiteren sei vorliegend von einem sogenannten Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO auszugehen, welches nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 133 Abs. I InsO anfechtbar sei. Diese lägen nicht vor. Zudem sei zweifelhaft, ob die Beklagte überhaupt passivlegitimiert sei, da sie anteilige Beiträge an die weiteren Sozialversicherungsträger als Einzugstelle abzuführen habe, was schließlich auch geschehen sei.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß auf Zahlung von 50.525,40 € nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht die Beklagte verurteilt, dem Kläger die von der Firma H. GmbH gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe eines Gesamtbetrages von 50.525,40 EUR zurückzuerstatten. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter gem. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Anspruch darauf, dass diese Beträge an die Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch Übergabe eines Schecks am 11.03.2003 und dessen Einlösung stellt eine Veräußerung aus dem Vermögen der H. GmbH an die Beklagte dar.

Nach § 129 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten. Nach § 131 Abs. 1 Ziffer 1 InsO ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, anfechtbar, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Beklagten wurde eine Befriedigung als Gläubigerin der Sozialversicherungsbeiträge durch Scheckzahlung gewährt, die sie nicht zu dieser Zeit zu beanspruchen hatte. Denn ca. 2 Wochen vor dem Insolvenzantrag Ende März 2003 erlangte sie Befriedigung durch Einlösen des Schecks vom 11.03.2003.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. Urteil vom 11.04.2002 in ZIP 2002, 1159 ff.; Urteil vom 18.12.2003 - IX ZR 199/2002 in ZIP 2004, 319 ff.) stellt die Gewährung einer Deckung während der sogenannten kritischen Zeit, nämlich 3 Monate vor dem Insolvenzeröffnungsantrag, eine sogenannte inkongruente Deckung dar, wenn sie im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt. Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird in dieser Zeit zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger eingeschränkt. Rechtshandlungen, die während dieses Zeitraums auf hoheitlichem Zwang beruhen, bezeichnet der BGH als inkongruent. Eine inkongruente Deckung stellt nicht nur eine im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgte Befriedigung, sondern auch eine solche zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung sowie eine zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens dar, wenn der Empfänger die Befriedigung durch Drohung mit einem Insolvenzantrag erhalten hat (vgl. BGH, ZIP 2004, 319 321). Denn die Androhung kann bei dem Schuldner eine ähnliche - eher noch stärkere - Drucksituation erzeugen wie ein in Aussicht gestellter Akt der Einzelzwangsvollstreckung. Wer die Ankündigung eines Insolvenzantrages anstelle der gesetzlich vorgesehenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einsetzt, kann anfechtungsrechtlich nicht besser stehen, wenn er auf diese Weise Zahlung erhält (BGH ZIP 2004, 321).

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 25.02.2003 konkret mit der Stellung eines Insolvenzantrages gedroht, welcher nur durch eine kurzfristige Befriedigung abgewendet werden konnte. Die Gemeinschuldnerin hat daraufhin mit Scheckzahlung vom 11.03.2003 die Forderung befriedigt. Diese Befriedigung ist als inkongruent anzusehen, da der Insolvenzantrag gezielt als Mittel der persönlichen Anspruchsdurchsetzung verwendet wurde. Die Befriedigung erfolgte auch vollständig aus dem Vermögen der späteren Insolvenzschuldnerin.

Die von der Berufung vorgebrachten Argumente rechtfertigen keine andere Beurteilung. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, sie sei nur bezüglich der auf die Krankenversicherung entfallenden Beitragsanteile, nicht aber für den überwiegenden Teil der Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung passivlegitimiert, ist dies unzutreffend.

Das Landgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die Anfechtung auch die Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung betrifft. Die inkongruente Deckung betrifft auch die Arbeitnehmeranteile. Die von der Berufung in Bezug genommene Entscheidung des OLG Dresden vom 16.1.2003 (ZIP 2003, 360) steht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH (BGHZ 149, 100= NJW 2002, 512; Urteil vom 12.2.2004, NJW 2004, 2163). Zwar tragen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge grundsätzlich zur Hälfte und der Arbeitgeber behält den Arbeitnehmeranteil von vorneherein ein und leitet ihn an die Einzugsstelle weiter, jedoch ist alleiniger Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegenüber der Einzugstelle der Arbeitgeber gem. § 28 e Abs. 1 Satz 2 SGB IV (BGH Urteil vom 16.5.2000, ZIP 2000, 1339, 1342; OLG Hamburg, ZIP 2001, 708). Die Beklagte ist als Gläubigerin und Einzugstelle gem. § 28 h Abs. 1 SGB IV auch passivlegitimiert. Diese leitet die Beiträge an die zuständigen anderen Sozialversicherungsträger weiter gem. § 28 k SGB IV. Es bleibt der Beklagten unbenommen, bei diesen ggf. Rückgriff zu nehmen, falls sich herausstellt, dass Zahlungen zu Unrecht weitergeleitet wurden. Auf eine fehlende Gläubigerstellung oder Entreicherung kann die Beklagte sich nicht berufen (BGHZ 149, 100= NJW 2002, 512; BGH NJW 2004, 2163).

Zutreffend führt das Landgericht aus, dass sich aus den vom Landgericht zitierten Richtlinien 80/987/EWG und 2002/74/EG sowie der zitierten Rechtsprechung des EuGH vom 15.05.2003 (ZIP 2003, 1000 = ZInsO 2003, 514) nicht anderes ergibt (vgl. auch EuGH, NJW 1997, 2585 ff.; Peters-Lange, ZIP 2003, 1877 ff.). Die Richtlinien dienen dem Schutz der Arbeitnehmer in der Situation der Insolvenz des Arbeitgebers und einem bestimmten Zeitraum vor der Insolvenz. Die Mitgliedstaaten wurden verpflichtet, eine Einrichtung zu schaffen, die die Befriedigung der nichterfüllten Arbeitnehmeransprüche garantiert zur Gewährung eines Mindestschutzes. Es handelt sich dabei um das Institut des Konkurs- bzw. Insolvenzausfallgeldes gemäß den Vorschriften des SGB III. Die Richtlinien behandeln nicht die Problematik, dass Sozialversicherungsträger im Zusammenhang mit einem Insolvenzfall gegenüber anderen Gläubigern privilegiert sein sollen. Diese Problematik wird auch in der zitierten EuGH-Entscheidung nicht angesprochen. Der von der Beklagten ins Feld geführte Schaden durch eine Rückzahlungsverpflichtung der Beklagten im Insolvenzfalle steht nicht unter dem Schutzzweck der europäischen Richtlinien. Der Schaden tritt innerhalb des Sozialversicherungssystems auf und mag zu internen haushaltsrechtlichen Problemen der Sozialversicherungsträger führen, was in mögliche künftige Beitragsrechnungen einzufließen hat. Einen direkten Schaden erleiden die Arbeitnehmer jedoch aus der Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge nicht. Ihr Anspruch gegen die Sozialversicherungsträger im Falle der Rückerstattung der Beiträge seitens der Beklagten bleibt unberührt.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 50.525,40 € festzusetzen.



Ende der Entscheidung

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