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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 29.04.2004
Aktenzeichen: 10 U 1275/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
Kann aufgrund einer Kernspintomographie und einer MR-Angiographie gesichert davon ausgegangen werden, dass bei einem zum Unfallzeitpunkt 71 Jahren alten VN ein Stoß mit dem Hinterkopf gegen den Querholm eines Gabelstaplerdaches nicht zu einer traumatisch bedingten Subarachnoidalblutung (Blutung in die Hirnwasserräume) geführt hat, sondern diese auf eine arteriosklerotische Veränderung aller Hirngefäße zurückzuführen ist, bestehen keine Ansprüche aus der Unfallversicherung(in Anknüpfung an Senatsurteil vom 9.10.1998 VersR 2000, 218 = r+s 1999, 348).
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Hinweisbeschluss

(gemäß § 522 Abs. 2 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 1275/03

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert am 29. April 2004 einstimmig

beschlossen:

Tenor:

Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Gründe werden nachfolgend dargestellt. Dem Kläger wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 17. Juni 2004.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus Unfallversicherung auf Invaliditätsleistung und Krankenhaustagegeld in Anspruch.

Der am 21.7.1992 geborene Kläger war Betreiber eines Sägewerkes. Am 17.5.1993 erlitt er eine Subarachnoidalblutung (Blutung in die Hirnwasswerräume).

Der Kläger hat vorgetragen, er sei am 17.5.1993 gegen 17.00 Uhr von einem Gabelstapler abgestiegen und mit dem Hinterkopf gegen die Querholmen des Daches des Gabelstaplers gestoßen. Der Anstoß sei heftig und schmerzhaft gewesen. Er habe sich zum Haus geschleppt, seiner Ehefrau den Unfallhergang kurz geschildert und sei danach von dem herbeigerufenen Hausarzt, dem Zeugen Dr. K., behandelt worden. Die Subarachnoidalblutung sei auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Der Kläger hat beantragt,

1) die Beklagte zur Zahlung von monatlich 447,23 DM und

2) zur Zahlung von weiteren 1.290,--DM (659,57 €) zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Gesundheitsschädigung des Klägers durch einen Unfall bestritten. Die Subarachnoidalblutung sei nicht durch einen Anstoß des Kopfes an einen Holm des Gabelstaplers verursacht worden. Vielmehr habe der Kläger auf dem Gabelstapler eine Gehirnblutung aus der Arteria basiliaris erlitten und sei erst danach mit einer reflektorischen Bewegung im Sinne einer Streckung gegen den Holm des Fahrzeugsdaches gestoßen.

Im Hinblick auf die im Parallelverfahren 6 O 333/94 LG T. (10 U 1357/97 OLG Koblenz) durchgeführte Beweisaufnahme wurde (GA 34 RS) auf Antrag beider Parteien mit Beschluss vom 19.7.1995 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung.

Der Kläger beantragt nunmehr unter Abänderung des angegriffenen Urteils nach den erstinstanzlichen Schlussanträgen zu entscheiden. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

1) Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat nachvollziehbar und mit zutreffender Begründung die Annahme eines Unfallereignisses im Sinne der den Versicherungsverträgen zugrunde liegenden Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) verneint. Nach § 2 Ziffer 1 AUB liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein von außen auf seinen Körper wirkendes plötzliches Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. § 10 Ziffer 2 AUB enthält eine Einschränkung der Leistungspflicht dahingehend, dass bei Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen eine Leistung nur gewährt wird, wenn für diese Schäden die überwiegende Ursache ein Versicherungsfall, nicht aber eine innere Erkrankung oder ein Gebrechen gewesen ist. Für den Eintritt des Versicherungsfalles, des Unfallereignisses als solches und für die dadurch bedingte Gesundheitsschädigung ist der Versicherungsnehmer voll beweispflichtig (BGH Urteil vom 19.12.1990 - IV ZR 255/89 - r+s 1991, 143; Senatsurteil im Parallelverfahren vom 9.10.1998, VersR 2000, 218 = r+s 1999, 348 ). Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger für das Vorliegen eines Unfallereignisses beweisfällig geblieben ist.

a) Der Sachverständige Prof. Dr. E. hat bereits im Parallelverfahren 6 O 333/93 LG T. hierzu ausgeführt, dass mit an Sicherheit angrenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass die beim Kläger aufgetretene Subarachnoidalblutung aus der arteriosklerotisch veränderten Wand der Arteria basilaris stamme. Diese Wandveränderung sei als ein vorgegebener, altersbedingter degenerativer Gewebszustand anzusehen, der keinesfalls einen traumatisch ausgelösten Befund darstelle. Aus medizinischer Sicht falle die kausale Zuordnung von Subarachnoidalblutung aus der Arteria basilaris zu einer Schädelprellung außerordentlich schwer. Für eine normale nicht arteriosklerotisch veränderte Arterie sei sie praktisch nicht denkbar. Hinsichtlich des Klägers sei arteriografisch nachgewiesen, dass eine ausgeprägte arteriosklerotische Veränderung der betreffenden Arterie vorgelegen habe. Eine Verursachung durch eine Schädelprellung sei zwar nicht mit völliger Sicherheit auszuschließen. Der Sachverständige verwies indes darauf, dass Hinweise auf eine adäquate Schwere des Unfallereignisses fehlten. Nach Aktenlage sei davon auszugehen, dass die Schädelprellung von allen Beteiligten als Bagatelltrauma aufgefasst worden sei. Unter der Voraussetzung, dass der Querholm des Gabelstaplers so niedrig stehe, dass der mit den Gegebenheiten vertraute Kläger dennoch dort am Hinterkopf so heftig anstoßen könne, dass er sich dabei eine vom Hausarzt diagnostizierte Fünf-Mark-Stück große Prellmarke zugezogen habe, sei nicht völlig auszuschließen, dass hierdurch eine Subarachnoidalblutung aus der stark arteriosklerotisch vorgeschädigten Arteria basilaris ausgelöst worden sei. Der Sachverständige stellte dabei jedoch eindeutig fest, dass mit weitaus überwiegender Wahrscheinlichkeit (mehr als 50 %) anzunehmen sei, dass es sich um eine spontane arteriosklerotisch bedingte Subarachnoidalblutung gehandelt habe. Auch wenn der Kläger wiederholt erklärt habe, dass er sich zuerst angestoßen und dann den Kopfschmerz verspürt habe, sei es denkbar und mit erheblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Abfolge der beiden Ereignisse umgekehrt gewesen sei. Es sei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Kläger erst die sehr schmerzhafte Subarachnoidalblutung erlitten und dann gegen den Holm gestoßen sei. Es sei völlig verständlich, wenn im Hinblick auf die objektive Schwere des Krankheitsbildes und Gefühls in der Erinnerung des Klägers die beiden Ereignisse ineinander flössen. In seinem Ergänzungsgutachten führte der Sachverständige aus, dass bedingt durch das sehr schmerzhafte Ereignis der Körper dabei eine, möglicherweise sogar kräftige reflefktorische Bewegung im Sinne einer Streckung ausführen könne und es sei dann verständlich, wenn der Patient gegen den Holm des Fahrzeugdaches stoße.

b) Der Kläger hat sich in dem hiesigen Verfahren gegen die gutachterlichen Schlussfolgerungen von Prof. Dr. E. gewandt und sich dabei auf ein Privatgutachten des Oberarztes Dr. med. H. der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität Mainz vom 22.3.2001 gestützt (GA 47). Dr. H. beanstandete zunächst, dass Prof. E. nicht berücksichtigt habe, dass in den Krankenunterlagen keine Befundberichte vorhanden gewesen seien und auf keinen richtigen Anamnesebericht zurückgriffen werde, so dass die von Prof. E. getroffenen Schlussfolgerungen nicht nachvollziehbar seien. Außerdem verwerte der Sachverständige veraltete Literatur aus den 80'er Jahren, die neuere Erkenntnisse der Computertomographie und Kernspintomographie noch nicht berücksichtige. Dr. H. führte aus, dass der Kläger zwar eine Subarachnoidalblutung, also eine Blutung in die Hirnwasserräume (GA 49/50), nicht jedoch aus einem Aneurysma (Schlagadererweiterung) der Arteria basilaris erlitten habe, da ein solches Aneurysma expressis verbis durch die Angiographie in der Neurochirurgischen Abteilung des Brüderkrankenhauses in T. ausgeschlossen worden sei. Aus der arteriografischen Röntgenuntersuchung könne nicht auf eine Subarachnoidalblutung geschlossen werden (GA 67/68), die in einem Zusammenhang mit einem Aneurysma stehe. Die Feststellung von Prof. Dr. E., dass mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls anzunehmen sei, dass die Blutung aus der arteriosklerotisch veränderten Wand der arteria baislaris stamme, erachtet Dr. H. ebenfalls als falsch. Denn es sei wissenschaftlich heute erwiesen, dass eine große Anzahl von Subarachnoidalblutungen ohne Nachweis eines Aneurysma verliefen. Dr. H. führte weiter aus, dass er die vorliegende Subarachnoidalblutung als offensichtlich geringgradig ausgeprägt betrachte. Unter Berücksichtigung, dass die Arteria basilaris durch beide Vertrebralarterien gespeist werde, eines der kaliberstärksten Arteriengebiete im hirnversorgenden Arterienbereich liege, der Kläger keine Vorschädigungen durch Bluthochdruck oder sonstige Risikofaktoren habe, sei es aus seiner Sicht ausgesprochen gewagt, eine Subarachnoidalblutung auf eine Gefäßwandunregelmäßigkeit zu stützen. Dr. H. hält es für undenkbar, dass eine nur mäßig ausgeprägte Subarachnoidalblutung bei einem leichten Meningismus einen Strecksynergismus verursacht haben könne, so dass der Kläger am Holm des Gabelstaplerdaches angeschlagen sei. Dr. H. gelangte zu dem Ergebnis, dass das Anstoßen an den Querholm zu einer Kopfschmerzsymptomatik geführt habe, die durch eine Subarachnoidalblutung begrünet sei. Jedenfalls sei mit weitaus überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer traumatisch bedingten Subarachnoidalblutung auszugehen.

c) Der vom Landgericht in diesem Verfahren mit der Erstellung eines fachneurochirurgischen Zusammenhangsgutachten beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Stefan K., Universität H., hat sich eingehend mit den Einwenden von Dr. H. gegen das Gutachten von Prof. E. befasst. Der Sachverständige Prof. K. hat hierzu ausgeführt, dass aufgrund einer aktuell durchgeführten zerebralen Kernspintomographie inclusive MR-Angiographie sich kein Hinweis erkennen lasse, der auf ein traumatisches Residuum nach dem Ereignis vom 17.5.1993 hinweise. Die Gefäßuntersuchung der MR-Angiographie lasse nachweislich arteriosklerotische Veränderungen aller Hirngefäße mit Betonungen im basalen Kreislauf erkennen (GA 178/179). Aufgrund der vorliegenden Computertomographie könne davon ausgegangen werden, dass das Anstoßen des Kopfes an der linken Schädelhälfte nicht zu einer nachweisbaren Hirnverletzung im Bereich des Anstoßes geführt habe. Die Subarachnoidalblutung sei nicht durch ein Trauma ausgelöst worden. Aus den CT-Bildern vom 18.5.1993 seien keine Anzeichen für eine traumatische Läsion erkennbar. Die Frage nach einer direkt ausgelösten Subarachnoidalblutung durch das Ereignis könne eindeutig mit "nein" beantwortet werden. Alle Befunde sprächen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine sog. spontane Blutung auf dem Boden einer arteriosklerotisch veränderten Arterie vertrebralis/basilaris eingetreten sei. Die Frage des zeitlichen Ablaufs sei für die letztendliche Entscheidung der hier anstehenden Frage einer traumatisch oder nicht traumatischen Verursachung einer Subarachnoidalblutung von untergeordneter Bedeutung. Es sei sehr wohl möglich, dass im Rahmen des Ereignisses auch ein Kopfanprall vorgelegen habe. Dieser stehe jedoch nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit den später aufgetretenen Krankheitserscheinungen. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 15.5.2003 (GA 202) an seiner Auffassung festgehalten.

Das neuroradiologische Gutachten von Prof. Dr. S., Universität H., vom 24.6.2003 stützt schließlich die Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K.. Danach ergibt sich aufgrund einer kranialen Magnetresonanztomographie vom 16.12.2002, dass keine posttraumatischen Veränderungen des Hirnparenchyms zu erkennen sind. Es bestehen danach hämodynamische Infarkte der rechten Hirnsphäre bei zwischenzeitlich aufgetretenem, am ehesten arteriosklerotischem Verschluss der rechten Arterie carotis interna.

Der Senat stimmt mit dem Landgericht darin überein, dass aufgrund der von Sachkunde getragenen, auf eine aktuelle Kernspintomographie gestützten Untersuchung des Klägers gesichert davon ausgegangen werden kann, dass die Subarachnoidalblutung nicht traumatisch durch einen Anstoß an einen Querholm des Gabelstaplers verursacht worden ist. Das Gutachten von Prof. Dr. K. wiederlegt gleichzeitig die Schlussfolgerungen des Privatgutachters Dr. H. und bestätigt letztlich die Einschätzung des Sachverständigen Prof. E., die dieser in seinem im Parallelverfahren erstatten Gutachten getroffen hat. Der Kläger ist damit für das Vorliegen eines Unfallereignisses beweisfällig geblieben, so dass es nicht mehr auf die Frage ankommt, ob eine Einschränkung der Leistungspflicht wegen einer inneren Erkrankung oder Gebrechen des Versicherungsnehmers nach § 10 AUB in Betracht kommt, ebenso wenig ob es sich bei der arteriosklerotisch veränderten Arterie um eine innere Erkrankung oder ein Gebrechen handelt.

Die Ausführungen in der Berufungsbegründung, die sich gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. wenden, geben dem Senat kein Anlass ein Obergutachten einzuholen, da die Ausführungen im Gutachten Prof. K. für den Senat nachvollziehbar, widerspruchsfrei und in jeglicher Hinsicht überzeugend sind.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 15.294,13 € festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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