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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 13.07.2001
Aktenzeichen: 10 U 1300/00
Rechtsgebiete: BB Unfalltod-Zusatzversicherung, VVG


Vorschriften:

BB Unfalltod-Zusatzversicherung § 1
BB Unfalltod-Zusatzversicherung § 3 Abs. 2 a
VVG § 1
Unfalltod-Zusatzversicherung

Die Feststellung einer relativen Fahruntüchtigkeit kann auch dann erfolgen, wenn die Blutentnahme nicht aus der freigelegten Oberschenkelvene der frischen Leiche oder der vena subclavia, sondern aus dem Herzen erfolgt ist, dabei ohne Rückrechnung sich ein BAK-Wert von 1,03 Promille ergeben


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Verkündet am 13. Juli 2001

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 11. August 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des Betrages in Höhe von 12.000,-- DM abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheitsleistung kann auch durch unwiderrufliche, unbefristete und unbedingte Bürgschaft eines als Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts (§ 244 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Mutter des am 01.02.1999 bei einem Verkehrsunfall getöteten B. L..

Der Verstorbene B. L. hatte eine Kapitallebensversicherung auf den Todesfall mit Unfalltodzusatzversicherung abgeschlossen. Bezugsberechtigt für den Todesfall waren die Eltern des B. L. Zum Zeitpunkt des Todes des B. L. war dessen Vater bereits verstorben.

Der Versicherungsnehmer B. L. war am 01.02.1999 gegen 21.00 Uhr mit dem Pkw auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause. Er befuhr hierzu die K 20 von Külz kommend in Richtung Biebern/Reich. Die Fahrbahn war nass. In Höhe von Stations-Kilometer 1.395 geriet der Pkw auf den unbefestigten Randstreifen an dem in Fahrtrichtung rechts gelegenen Fahrbahnrand. Nach weiteren 24 m befuhr das Fahrzeug auf der linken Fahrspur den unbefestigten Randstreifen und befand sich dann ganz im Straßengraben. Nach weiteren 17,80 m stieß der Pkw gegen ein in dem aufgeschütteten Erdwall eines von der K 20 abgehenden Feldweges verlegtes Wasserrohr. Der Pkw des B. L. wurde weiterkatapultiert und stieß nach weiteren 28 m gegen einen Baumstumpf und gegen einen Baum. Ca. 7 m hinter dem Baum blieb der Pkw im Straßengraben auf dem Dach liegen.

Hierbei wurde der Versicherungsnehmer B. L. aus dem Pkw geschleudert und erlitt tödliche Verletzungen. Er wurde -- von der Fahrbahn aus gesehen -- 2 m hinter seinem Fahrzeug aufgefunden. Eine dem Leichnam des B. L. entnommene Blutprobe ergab einen BAK-Wert von 1,03 %o.

Gemäß Versicherungsvertrag waren aus der Unfalltodzusatzversicherung an die Bezugsberechtigte 79.361,-- DM zu zahlen.

Die Klägerin hat vorgetragen,

an der Unfallstelle beschreibe die Straße eine langgezogene Linkskurve. Der Unfall sei nicht auf eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung ihres Sohnes zurückzuführen. Ihr Sohn sei nur wenige Minuten vor dem Unfall an einer Tankstelle gewesen und habe dort auch Bier getrunken. Der Tankstellenpächter habe ihren Sohn als keinesfalls alkoholisiert, wach und nicht körperlich oder geistig übermüdet geschildert. Ihr Sohn habe keinerlei Ausfallerscheinungen gezeigt, so dass er sich fahrtauglich gefühlt habe und auch habe fühlen dürfen. Ca. 500 m vor der Unfallstelle habe ihr Sohn eine starke Linkskurve und damit eine schwierigere Verkehrssituation problemlos bewältigt. Es sei extrem neblig gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 79.361,-- DM nebst 4 % Zinsen p.a. ab 13.05.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

sie sei leistungsfrei, weil ihr Versicherungsnehmer zum Unfallzeitpunkt unter einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung gelitten habe. Da es keinerlei äußeren Anlass für den Verkehrsunfall gäbe, könnten ausschließlich subjektive Gesichtspunkte zum Unfall geführt haben. Indiz dafür sei, dass ihr Versicherungsnehmer auf gerader Strecke von der Fahrbahn abgekommen sei und es auf einer Strecke von 38 m nicht bewerkstelligt habe, das Fahrzeug wieder auf die Straße zurück oder zum Stillstand zu bringen. Dass das Fahrzeug erst nach 72 m zum Stillstand gekommen sei, deute daraufhin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Geschwindigkeit von weit mehr als 100 km/h gefahren sei, was mit den Licht-, Witterungs- und Straßenverhältnissen nicht vereinbar gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Unfall des Versicherungsnehmers sei durch eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung verursacht worden. Es habe eine relative Fahruntüchtigkeit des Fahrers vorgelegen. Es seien äußere Anzeichen für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit gegeben. Denn der Versicherungsnehmer sei hier in einer einfachen Verkehrssituation von der Fahrbahn abgekommen. Die alkoholbedingte Bewusstseinsstörung sei für den tödlich verlaufenden Verkehrsunfall auch ursächlich geworden, wofür der Anscheinsbeweis spreche.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Die Voraussetzungen für den Ausschlusstatbestand vom Versicherungsschutz seien nicht gegeben. Es habe keine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Sohnes der Klägerin gegeben. Die Blutalkoholbestimmung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, da die Probe nicht aus der Oberschenkelvene, sondern aus dem Herzen entnommen worden sei. Es seien auch keine Fahrfehler ersichtlich, die typischerweise auf Alkoholgenuss zurückzuführen seien.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

unter Abänderung des angegriffenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 79.361,-- DM nebst 4 % Zinsen seit 26.3.1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt.

die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor,

die durchgeführte Blutentnahme lasse durchaus Rückschlüsse auf den Grad der Alkoholisierung des Sohnes der Klägerin zu. Der Wert von 1,03 Promille sei durchaus richtig, allenfalls seien geringfügige Abweichungen im Bereich von 0,01 bis 0,02 Promille vorstellbar. Der zum Tode führende Unfall sei durch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Fahrers verursacht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil mitsamt den dort in Bezug genommenen Unterlagen sowie auf die Ermittlungsakte 1002 UJS 30770/99 verwiesen, ferner auf die in beiden Rechtszügen zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

1) Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

a) Der Klägerin steht kein Anspruch aus der Unfallversicherung gemäß § 1 der Bedingungen für die Unfalltod-Zusatzversicherung i.V.m. § 1 VVG zu. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Unfall durch eine alkoholbedingte Bewusstseinstörung des Versicherungsnehmers verursacht worden ist, was gemäß § 3 Abs. 2 a) der Vertragsbedingungen zu einem Leistungsausschluss führt. Der Unfall ereignete sich am 1.02.1999 gegen 21.05 Uhr. Die Entnahme der Blutprobe an der Leiche erfolgte am 2.02.1999 gegen 0.10 Uhr, d. h. ca. 3 Stunden nach dem Unfall. Die Blutentnahme ergab einen BAK-Wert von 1,03 Promille. Da das Trinkzeitende nicht bekannt ist, verbietet sich eine Rückrechnung. Selbst unter Berücksichtigung, dass in der ersten zwei Stunden nach Trinkende keine Rückrechnung erfolgen darf, spricht vieles dafür dass der Versicherungsnehmer zum Unfallzeitpunkt bei einem Rückrechnungswert von 0,1 Promille pro Stunde möglicherweise mehr als 1,1 Promille hatte und damit absolut fahruntüchtig war (Grimm, Unfallversicherung, AUB Kommentar 3. Aufl. 2000, § 2 Rn. 11, 15). Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Landgericht zugunsten der Klägerin davon, dass lediglich von einer Blutalkoholkonzentration von 1,03 zum Unfallzeitpunkt auszugehen ist und damit lediglich eine relative Fahruntüchtigkeit vorliegt.

Die Berufung wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass die Blutentnahme nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Es ist anerkannt, dass auch eine Analyse von Leichenblut zu zuverlässigen Ergebnissen führt, wobei grundsätzlich zur Bestimmung des Blutalkoholwertes das Blut aus der freigelegten Oberschenkelvene der Leiche bzw. bei einer frischen Leiche, wovon hier auszugehen ist, auch aus der vena subclavia möglich ist. Eine Entnahme aus der Oberschenkelvene war vorliegend nicht mehr möglich (Angaben Dr. H. EA 34, 36). Anhaltspunkte dafür, dass sich durch Entnahme des Blutes aus dem Herzen eine unrichtige Feststellung der vorhandenen Blutalkoholkonzentration ergeben hat, sind nicht erkennbar. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass sich durch die im Rahmen der letztlich erfolglose Reanimation verabreichten Medikamente eine nachteilige Veränderung des BAK-Wertes ergeben hat. Dabei verkennt der Senat nicht, dass ausweislich des BAK-Protokolls festgestellt worden ist, dass das Leichenblut nicht nach den Richtlinien des Bundesgesundheitsministeriums entnommen wurde und der Widmark-Wert nicht festgestellt ist.

Selbst wenn sich eine geringfügige Abweichung im BAK-Wert ergäbe, besteht dennoch für den Senat ein im Sinne von § 286 ZPO gesicherter Grad an Gewissheit, dass hier von einer relativen Fahruntüchtigkeit des Versicherungsnehmers auszugehen ist. Bei einem Alkoholgehalt von weniger als 1,1 Promille entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn äußere Anzeichen für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit vorliegen. Ergeben sich diese nicht aus sonstigen Ausfallerscheinungen, müssen Fahrfehler festgestellt werden, die typischerweise auf Alkoholgenuss zurückzuführen sind. Ein typisch alkoholbedingter Fahrfehler kann angenommen werden, wenn der Fahrer in einer einfachen Verkehrssituation von der Fahrbahn abkommt, ohne dass eine Behinderung durch Gegenverkehr oder sonstige Umstände ernsthaft in Frage kommen (OLG Hamm r+s 1993, 236; OLG Celle VersR 1997, 98).

b) Aufgrund der Erkenntnisse aus der polizeilichen Ermittlungsakte, insbesondere den Lichtbildern und Spurenuntersuchungen, ist der Versicherungsnehmer auf gerader Fahrbahn nach Durchfahren einer langgezogenen Linkskurve zunehmend und in schräger Fahrtrichtung von der Fahrbahn abgekommen. Die Fahrbahn befand sich vor und nach der Unfallstelle in einem einwandfreien Zustand. Auch auf dem Seitenstreifen und im Straßengraben waren keine Hindernisse vorhanden, die die Fahrweise des Versicherungsnehmers nachvollziehbar erscheinen ließen. Nachdem er zunächst nur mit der rechten Fahrzeugseite auf den unbefestigten Seitenstreifen aufgefahren war, befand sich das Fahrzeug nach etwa 24 m Fahrt insgesamt, also auch mit der linken Fahrzeugseite in dem abschüssigen Straßengraben. Das Fahrzeug ist anschließend in durch den Straßengraben bedingter, leichter Schräglage noch etwa 17.80 m weitergefahren, bis es gegen das im Erdwall liegende Wasserrohr stieß. Für einen Fahrfehler des Versicherungsnehmers spricht, dass er insgesamt auf einer Fahrstrecke von 41,80 m keinerlei Gegenmaßnahmen zur Verhinderung des Unfalls oder Korrektur der Fahrtrichtung vorgenommen hatte. Denn nach dem polizeilichen Ermittlungsbericht vom 2.2.1999 ist der PKW weder abgebremst worden noch wurde eine Lenkbewegung ausgeführt. Die Radspuren verlaufen gerade und gleichmäßig in den Straßengraben. Dieses langsame und gleichförmige Abgleiten von der Straße steht der Annahme entgegen, dass der Versicherungsnehmer durch ein plötzlich von außen eintretendes Ereignis, etwa Gegenverkehr, Wildwechsel etc. von der Straße abgekommen ist. Für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit lässt sich schließlich anführen, dass der Versicherungsnehmer in einer einfachen Verkehrssituation auf einer ihm bekannten Strecke die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor.

Der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit widerspricht nicht, dass der Versicherungsnehmer B. L. kurz vor dem Unfall -- nach dem Vorbringen der Klägerin etwa 500 m vor dem Unfall -- eine starke Linkskurve problemlos durchfahren hat. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass ein unter Alkoholeinfluss stehender Fahrer gerade dann zu relativ banalen Fahrfehlern neigt, wenn äußere schwierigere Reize fehlen und es deshalb zu einem Nachlassen der Konzentration kommt. Eine vor dem Unfall durchfahrene schwierige Kurvenstrecke ändert deshalb an der Annahme alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit nichts (OLG München, VersR 1981, 373, 374).

Schließlich ist ein Indiz für das Enthemmungsverhalten des Versicherungsnehmers, dass dieser nicht angeschnallt war, was von einem verantwortungsbewussten Geschäftsführer einer GmbH und Familienvater zu erwarten gewesen wäre.

c) Die alkoholbedingte Bewussteinsstörung ist für den Unfall auch ursächlich geworden, wofür hier der Anscheinsbeweis spricht. Im Hinblick auf die einfache Straßenführung ist davon auszugehen, dass einem nüchternen Fahrer dieser Fahrfehler nicht passiert wäre. Jedenfalls hätte er beim Abkommen von der Straße durch Gegenlenken einen Unfall verhindern können. Die Tatsache, dass es zum Unfallzeitpunkt dunkel und neblig war (Aussagen der Zeuginnen P. Kramer und K. im Ermittlungsverfahren) ist nicht geeignet, den Anscheinsbeweis für die alkoholbedingte Ursächlichkeit des Unfalls zu entkräften. Denn die Zeuginnen K. und P. waren trotz der geschilderten Sichtverhältnisse in der Lage, den im Straßengraben ihrer Gegenfahrbahn liegenden PKW des Verunfallten zu bemerken. Im übrigen kann sich ein nüchterner Fahrer auf neblige Sicht- und Witterungsverhältnisse einstellen.

Die Berufung hatte aus den dargelegten Gründen keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren und die Beschwer der Beklagten werden auf 79.361,-- DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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