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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 26.05.2000
Aktenzeichen: 10 U 1342/99
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 1

Entscheidung wurde am 27.10.2001 korrigiert: Leitsatz eingefügt
War dem Versicherer vor Abschluß eines Leibrentenversicherungsvertrages im Dezember 1995 bekannt, daß er eine auf der Sterbetafel 1987 kalkulierte und dem Versicherungsnehmer mitgeteilte Überschußbeteiligung wegen einer "verbesserten Sterblichkeitserwartung", deren Entwicklung bereits in der Sterbetafel 1994 Berücksichtigung gefunden hatte, im Hinblick auf höhere, die Überschußbeteiligung reduzierende Rückstellungen nicht mehr gewähren konnte, ist es ihm verwehrt, sich diesbezüglich auf einen Änderungsvorbehalt im Vertrag zu berufen. Der Versicherungsnehmer hat einen Erfüllungsanspruch auf die zugesicherte Überschußbeteiligung. Der Versicherer darf nicht mit Überschußanteilen werben, wenn er weiß, daß er diese für die Zukunft nicht gewähren kann.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil - abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO -

10 U 1342/99

verkündet am: 26. Mai 2000

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Weiss und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 22. Juli 1999 wird zurückgewiesen. Zur Klarstellung wird das Urteil wie folgt teilweise neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.824 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Dezember 1998 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, im Rahmen der bestehenden Rentenversicherung Nr. 21986 an den Kläger über die derzeitige Zahlungen von 3.512,20 DM monatlich hinaus ab September 1998 monatlich weitere 353,-- DM zu zahlen, nach Maßgabe der Entscheidungsgründe vorbehaltlich evt. vertraglich oder gesetzlich vorgesehener künftiger Änderungen.

II. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Der Kläger schloss im Jahre 1995 bei der Beklagten einen Leibrentenversicherungsvertrag. Der Versicherungsschein datiert vom 12. Dezember 1995. Gegen eine einmalige Zahlung von 599.985,00 DM war nach dem Vertrag ausbedungen, dass der Kläger ab dem 1. Januar 1996 eine monatliche Rente von 2.515,20 DM erhält. Zusätzlich wurde in einer Anlage zum Versicherungsschein die Zahlung einer Zusatzrente aus den Überschussanteilen vereinbart. In dieser Anlage heißt es:

"Durch Überschussbeteiligung erhöht sich die monatliche Rentenzahlung auf 3.865,20 DM. Die Zusatzrente von 1.350,-- DM kann nicht für die gesamte Rentenlaufzeit garantiert werden. Die gegenwärtige Höhe gilt solange, bis die Überschussanteilssatze neu festgelegt werden."

Die Beklagte zahlte zunächst ab 1. Januar 1996 insgesamt monatlich 3.865,20 DM an den Kläger.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 1997 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ab dem 1. Januar 1998 nur noch 3.512,20 DM pro Monat zu zahlen und begründete dies damit, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung stark angestiegen sei. Bei Abschluss des Vertrages sei nicht absehbar gewesen, dass die Entwicklung so stark sein werde. Es müssten nun weitere Mittel gebunden werden, die nicht mehr dem Überschussguthaben zufließen würden, so dass sich die Höhe der gutzuschreibenden Überschussanteile reduziere.

Dem Leibrentenversicherungsvertrag vom 12. Dezember 1995 war die Sterbetafel von 1987 zugrundegelegt worden.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe ungeachtet der Weisungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen noch mit den entsprechenden Leistungen nach der alten Berechnungsbasis geworben, obwohl sie gewußt habe, dass die Rentenhöhe im Hinblick auf die Zusatzrente in Anbetracht der aktuellen, ihr bekannten Entwicklung, nicht habe eingehalten werden können. In Kenntnis der aktuellen Sterbetafeln seien entsprechende Leistungen angegeben und dem von ihm beauftragten Versicherungsmakler J. präsentiert worden. Der Versicherungsmakler J. habe noch vor Vertragsschluss die aktuellen Zahlen bei der Beklagten nachgefragt. Eine nachträgliche Reduzierung der Zusatzrente sei unter diesen Umständen unzulässig.

Die Beklagte hat vorgetragen, es habe im Dezember 1995 noch keine Möglichkeit bestanden, die neuen Erkenntnisse in die Vertragsgestaltung einzubeziehen. Wenn die Sterbetafel 1994 zur Vertragsgrundlage gemacht worden wäre, hätte sie von vornherein ein höheres Deckungskapital reservieren müssen mit der Folge, dass bei gleicher Zahlung eine niedrigere garantierte Rente für die Gesamtlaufzeit des Vertrages gezahlt worden wäre.

Mit seinem Leistungsantrag macht er Rückstände für die Zeit Januar bis August 1998 in Höhe von 2.824,-- DM (8 x 353,-- DM Differenzbetrag) geltend, darüber hinaus begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte über die Zahlungen von 3.512,20 DM ab September 1998 hinaus weitere 353,-- DM monatlich zu zahlen hat, vorbehaltlich evt. vertraglich oder gesetzlich vorgesehener künftiger Änderungen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet, sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

II.

Das Landgericht hat zu Recht der Klage entsprochen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug, § 543 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

1) Dem Kläger steht aus § 1 VVG i.V.m dem Leibrentenversicherungsvertrag Nr. 21986 und der Zusatzvereinbarung über die Zahlung einer Zusatzrente aus den Anteilen der Überschussbeteiligung ein Anspruch auf Nachzahlung der gekürzten Zusatzrente in der geforderten Höhe zu. Der Kläger hat einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, der sich nach den vertraglichen Grundlagen richtet, wie sie bei Vertragsabschluss gemäß Versicherungsschein vom 12. Dezember 1995 zum Gegenstand des Leibentenvertrages gemacht wurden. Er ist nicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus vorvertraglicher Pflichtverletzung (culpa in contrahendo) beschränkt.

a) Das Landgericht hat zutreffend und überzeugend ausgeführt, dass es der Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich bereits jetzt auf den Änderungsvorbehalt in der Zusatzvereinbarung zu berufen. Der Beklagten war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt, dass sie eine Leistung, errechnet anhand der Sterbetafel 1987, nicht mehr in Zukunft erbringen könne.

Das Landgericht hat angenommen, der Vertragsschluß sei am 12. Dezember 1995 erfolgt. Die Berufung wendet diesbezüglich ein, daß der Vertragsschluss bereits mit der Annahme des Versicherungsantrages zum 20.9.1995 erfolgt sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 20.9.1995 (Anlage B 5) kann nicht entnommen werden, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der Versicherungsvertrag durch Annahme des Versicherungsantrages des Klägers vom 21.8.1995 (Anlage B 2) erfolgt ist. Aus dem Schreiben vom 20.9.1995 ergibt sich, das die Beurteilung des Versicherungsantrages abgeschlossen ist und die Annahme zu normalen Bedingungen erfolgen könne. Die Beklagte hat sich jedoch bis zur Ausfertigung des Versicherungsscheins vorbehalten, im Falle einer nicht unerheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes erneut in eine Überprüfung des Versicherungsantrages einzutreten. Außerdem weist die Berufungserwiderung zutreffend darauf hin, dass sich aus dem weiteren Schreiben der Beklagten vom 11.12.1995 (Anlage B 6) ergibt, dass die Versicherungsunterlagen erst zu diesem Zeitpunkt über die M. GmbH an den Kläger weitergeleitet wurden. Die Beklagte hat im übrigen in erster Instanz mit Schriftsätzen vom 20.1.1999, S. 3 (GA 21) und 26.3.1999, Seite 3 (GA 47) zugestanden (§ 288 BGB), dass der Vertragsabschluss erst im Dezember 1995 erfolgt ist. Die Berufung versucht demnach ohne Erfolg, den Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages von Dezember auf September 1995 vorzuverlegen.

b) Letztlich kommt es hierauf nicht entscheidend an. Denn bereits am 26. September 1994 hatte die deutsche Aktualvereinigung ihre Mitglieder in der Mitteilung Nr. 3/94 auf die "vorliegenden Zwischenergebnisse einer erheblichen Verbesserung der Sterblichkeit und daraus resultierend entsprechende Anforderungen an die Rückstellungsbildung" hingewiesen. Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen wies in der Zeitschrift VerBAV, Ausgabe Nr. 2/95 (Anlage B 9) auf die neuen Rechnungsgrundlagen im Hinblick auf die von der deutschen Aktualvereinigung erstellten "DAV-Sterbetafel 1994 R" hin. In VerBAV 8/95 wurde ein Rundschreiben R 1/95 des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen veröffentlicht, in welchem die Anordnung erging, die Deckungsrückstellung der nach dem 31. Dezember 1995 geschlossenen Rentenversicherungsverträge gemäß DAV-Sterbetafel 1994 R zu berechnen. Weiterhin beinhaltet das Rundschreiben ein ausdrückliches Verbot der Werbung mit Überschussanteilen, bei denen eine künftige Herabsetzung bereits absehbar ist. Die aktuellen Sterbetafeln lagen im Februar 1995 vor. Die Beklagte hatte im Jahre 1995 die Firma T. bereits mit der Neuberechnung beauftragt. Auch wenn diese Neuberechnung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Dezember 1995 noch nicht vorgelegen hat, war ihr doch bei Vertragsabschluss bewußt, dass eine Reduzierung der Überschussanteile aufgrund der veränderten "verbesserten Sterblichkeitserwartung" eintreten werde.

c) Der Einwand der Beklagten, die Rundschreiben in der Zeitschrift VerBAV 2/95 und 8/95 hätten nur Lebensversicherungen betroffen, ist unerheblich. Die Veränderung der Sterblichkeitsentwicklung betrifft Lebensversicherungsverträge wie Rentenversicherungsverträge gleichermaßen. Auch der Hinweis, die Verwendung der DAV-Sterbetafel 1994 R für abgeschlossene Rentenversicherungsverträge sei erst für nach dem 31.12.1995 abgeschlossene Versicherungsverträge durch die Anordnung des Bundesaufsichtsamts für Versicherungswesen (VerBAV 2/1995 vom 28.2.1995) vorgeschrieben, geht an der Sache vorbei. Denn die Beklagte wusste bereits Anfang 1995, dass eine Überschussbeteiligung auf der Basis der Sterbetafel 1987 für die Zukunft nicht mehr zu erzielen war.

d) Der Berufung kann nicht gefolgt werden, soweit sie argumentiert, in den Anlagen zum Versicherungsschein sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Zusatzrente nicht für die gesamte Rentenlaufzeit garantiert werden könne und die gegenwärtige Höhe nur solange gelte, bis die Überschussanteilsätze neu festgelegt werden. Der Kläger musste nicht mit einer kurzfristigen Kürzung seiner Zusatzrente rechnen. Die Anlage zum Versicherungsschein enthält nicht den Hinweis, dass die Höhe der Zusatzrente auf der Basis der Sterbetafel 1987 beruht und unter Ansatz der Sterbetafel 1994 die Zusatzrente in Kürze reduziert werde. Hätte die Beklagte einen entsprechenden Hinweis gemacht, wäre es dem Kläger möglich gewesen, bei einem anderen Versicherer einen Rentenversicherungsvertrag abzuschließen, der bereits die Sterbetafel 1994 berücksichtigt hatte. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 18.2.1999 (GA 40ff.) hierzu detailliert vorgetragen.

2) Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Der Senat nimmt auf das Urteil des Landgerichts Bezug. Klarstellend ist zu bemerken, dass eine Änderung der Höhe der Zusatzrente aufgrund eventuell vertraglich oder gesetzlich vorgesehener künftiger Änderungen vorbehalten bleibt. Dem Beklagten ist es jedoch auf Dauer verwehrt, eine Änderung darauf zu stützen, dass sie die Höhe der Zusatzrente und Überschussbeteiligung aufgrund der alten Sterbetafel 1987 und nicht nach Maßgabe der Sterbetafel 1994 ermittelt hat. Auch bei einer eventuellen künftigen Änderung der Sterblichkeitsentwicklung und einer neuen Sterbetafel ist dieser Umstand bei der Ermittlung der Zusatzrente rechnerisch zu berücksichtigen.

Die Berufung hatte aus den dargelegten Gründen keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 14.684,80 DM (2.824 DM Klageantrag zu 1, 353 DM x 42, § 9 ZPO x 80 % = 11.860,80 DM) festgesetzt. Er entspricht der Beschwer der Beklagten.



Ende der Entscheidung

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