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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 11.09.2003
Aktenzeichen: 10 U 1511/02
Rechtsgebiete: AUB 94


Vorschriften:

AUB 94 § 1 III
AUB 94 § 2 III (2)
1. Es besteht kein Anspruch aus der Unfallversicherung auf Invaliditätsleistungen u.a., wenn ein Hausmeister mit bereits vorhandenen degenerativen Veränderungen der Bandscheibe durch Anheben eines Chlorbehälterfasses mit einem Gewicht von 70 bis 75 Kg sich nach seinen eigenen Angaben den Rücken verdreht und als Verletzungsursache dabei eine Bandscheibenvorwölbung und Beckenschiefstand angegeben hat, er jedoch nicht vollen Beweis dafür erbringen kann, dass der Einwirkungsgegenstand selbst eine unerwartete Eigendynamik entwickelt hat, er dadurch ins Straucheln, Ausrutschen etc. geraten ist oder sich durch das Verdrehen seines Rückens die beschriebene Verletzung zugezogen hat. Für Schädigungen an Bandscheiben ist der Versicherungsschutz zudem ausgeschlossen, wenn das Unfallereignis nicht die überwiegende Ursache für die Verletzung ist (in Anknüpfung an Senatsurteil vom 18. 12. 1998 NVersZ 1999, 524 = VersR 2000, 45; Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2002 NJW-RR 2003, 322 = OLGR 2003, 127).

2. Das vom VN geschilderte Geschehen kann nach derzeitigem medizinischen Stand keine traumatische Bandscheibenverletzung, sondern allenfalls eine Distorsion mit einer anschließenden Arbeitsunfähigkeit von ca. 6 bis 8 Wochen herbeigeführt haben.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

(gemäß § 522 Abs. 2 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 1511/02

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert

am 11. September 2003

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 28. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus Unfallversicherung (AUB 94) auf Invaliditäts-, Übergangsleistung, Kurbeihilfe sowie Genesungs- und Krankenhaustagegeld in Anspruch.

Der Kläger ist als Hausmeister in einer Sonderschule für geistig Behinderte tätig. Am 28.2.2000 wollte er im Technikraum der Schule ein Chlorbehälterfass mit 70 bis 75 kg Gewicht umstellen. Er versuchte, das Fass anzuheben, und begab sich hierbei zunächst in die Hocke. Während des Hebevorganges schwappte die Flüssigkeit in dem Behälter hin und her, so dass dieser dem Kläger zu entgleiten drohte. Infolgedessen rutschte das Fass dem Kläger während des Hebevorganges ab und verursachte seinen Angaben zufolge ein Verdrehen des Rückens.

Am 12.04.2000 meldete der Kläger den Vorfall der Beklagten mit einer formularmäßigen Schadensanzeige. Als Verletzungsursache gab er eine Bandscheibenvorwölbung und einen Beckenschiefstand an. Zwecks Prüfung ihrer Eintrittspflicht bat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 25.04.2000 um eine genaue Schilderung des Vorfalles sowie um einen Attestvordruck. Daraufhin übersandte der Kläger eine Schilderung zum Unfallhergang sowie eine ärztliche Bescheinigung des S Krankenhauses W vom 27.04.2000, welche die Diagnose "Protrusion L 4/5 mit Wurzelreizung" ausweist.

Die Beklagte forderte daraufhin am 08.05.2000 einen ärztlichen Erstbericht mit Zusatzfragen beim S Krankenhaus in W an. Die behandelnden Ärzte Dr. S/Dr.T erklärten im Bericht vom 24.07.2000, dass dort von einem Unfall nichts bekannt sei. Der Kläger befand sich in der Zeit vom 14.04.2000 bis 27.04.2000 in stationärer Behandlung im S T Krankenhaus. Auf weitere Nachfrage der Beklagten legte der Kläger ein ärztliches Attest von Dr. Sch vom 13.07.2000 vor, welches eine Behandlung wegen chronischer Lumboischialgie bei Bandscheibenvorwölbung und degenerativen Veränderungen mit L 5 Wurzelreizung bescheinigt.

Mit Schreiben vom 08.08.2000 lehnte die Beklagte eine Leistung aus der Unfallversicherung ab. Als Begründung führte sie an, es sei weder erkennbar, dass ein Unfallereignis im Sinne der Versicherungsbedingungen vorgelegen habe, noch dass einem solchen Ereignis eine überwiegende Ursache an dem aufgetretenen Beschwerdebild zukäme. Der Kläger bat daraufhin die Beklagte, mit der Berufsgenossenschaft in Verbindung zu treten, um dort neue Erkenntnisse über das Geschehen vom 28.02.2000 zu erlangen. Die Beklagte wandte sich am 30.08.2000 an die Unfallkasse Rheinland-Pfalz in A, die das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneinte. Hiervon unterrichtete die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 22.09.2000 und zog sich auf ihre im Schreiben vom 08.08.2000 dargelegte Rechtsposition zurück. Nach weiterer Korrespondenz erteilte die Beklagte mit Schreiben vom 15.05.2001 der Unfallklinik F den Auftrag, ein neurochirurgisches Gutachten zu erstatten. In diesem Gutachten gelangte der Oberarzt Dr. K zu dem Ergebnis, dass verletzungsspezifische Veränderungen der Bandscheibe nicht feststellbar seien. Auch wäre das Ereignis als solches nicht geeignet gewesen, eine nur altersdurchschnittlich degenerativ veränderte Lumbalbandscheibe im Sinne der traumatischen Prolapsbildung umzuformen. Die Bandscheibenprotrusion L4/5 sei als eine ausschließlich unfallunabhängig (degenerativ) verursachte Erkrankung zu bewerten. Auf Grund dieses Gutachtens lehnte die Beklagte eine Versicherungsleistung endgültig ab.

Der Kläger hat vorgetragen, trotz Bestehens einer gewissen Vorschädigung sei der in Rede stehende Vorfall die Ursache seiner nunmehr bestehenden Schädigung. Er habe durch das Unfallereignis zwei Bandscheibenvorwölbungen, und zwar im Bereich der Lendenwirbelsäule L3/4 sowie L4/5, erlitten. Auf Grund des Unfallereignisses sei er auch ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt, so dass die Beklagte leistungspflichtig sei.

Die Beklagte hat vorgetragen, durch das Ereignis vom 28.2.2000 habe der Kläger keinen Unfall erlitten, sondern allenfalls eine erhöhte Kraftanstrengung ausgeführt. Für die Bandscheibenschäden bestehe Versicherungsschutz nur, wenn ein Unfallereignis die überwiegende Ursache für den Bandscheibenschaden gesetzt habe. Bei dem Kläger beständen aber bereits seit Jahren Wirbelsäulenbeschwerden im Bereich L 4/5, so dass die Bandscheibenprotrusion ausschließlich unfallunabhängig degenerativ verursacht sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Der Senat hat gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO mit Hinweisbeschluss vom 22. Mai 2003 darauf hingewiesen, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO); auch habe die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.

Der Kläger hat sich hierzu mit Schriftsatz vom 18. August 2003 geäußert.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.

Voraussetzung für den Eintritt der Unfallversicherung ist, dass ein Unfall im Sinne des § 1 Abs. 3 AUB 88 vorliegt. Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. § 2 III (2) AUB 88 bestimmt einschränkend, dass der Versicherungsschutz für Schädigungen an Bandscheiben ausgeschlossen ist, es sei denn, ein Unfallereignis im Sinne des § 1 Abs. 3 AUB 88 ist die überwiegende Ursache. Bei einem Unfall muss es sich um ein äußeres Ereignis handeln, das - nicht willensgesteuert - auch im Ablauf einer willentlich in Gang gesetzten Eigenbewegung des Versicherten auftreten kann und dann zumindest mitursächlich für die Gesundheitsbeschädigung wird (BGH VersR 1989, 73; OLG Hamm, VersR 1988, 242; OLG Karlsruhe VersR 1988, 242, 243). Bei Kraftanstrengungen, die eine willensgesteuerte Eigenbewegung darstellen und zu einer inneren Verletzung führen, liegt kein Unfall im Sinne des § 1 III AUB 88 vor. Anders kann es sich verhalten, wenn von dem Einwirkungsgegenstand selbst eine unerwartete Bewegung verursacht und dadurch der Versicherungsnehmer ins Straucheln oder Ausgleiten gerät. Die Arbeit mit oder an einem Gegenstand ist keine Einwirkung, solange dieser ausschließlich Objekt von Bemühungen bleibt, also keine Eigendynamik entwickelt und der Geschädigte nicht stürzt oder umknickt (Prölss/Knappmann, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl. 1998, § 1 Rn. 8 zu § 1 AUB 88). Die durch das Anheben eines Gegenstandes ausgelöste Gesundheitsschädigung stellt keinen Unfall in diesem Sinne dar. Dem Geschädigten obliegt die volle Beweislast dafür, dass die Gesundheitsschädigung eingetreten ist und das Unfallereignis für die Gesundheitsschädigung kausal war (Senatsurteil vom 18. 12. 1998 NVersZ 1999, 524 = VersR 2000, 45; Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2002 NJW-RR 2003, 322 = OLGR 2003, 127).

Das Landgericht hat zu Recht Ansprüche aus der Unfallversicherung verneint. Der vom Kläger geschilderte Hebevorgang war keine Ursache, insbesondere keine überwiegende Ursache, für eine Bandscheibenschädigung des Klägers.

Aufgrund der gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass die bei dem Kläger jetzt bestehende Bandscheibenschädigung nicht Folge des Geschehensablaufes vom 28.02.2000 ist. Ein Nachweis für einen Bandscheibenvorfall liegt nicht vor. Die CT-Aufnahmen der LWS aus den Jahren 1991, 1996, 1998 und vom 04.04.2000 zeigen lediglich eine Protrusion bei L4/L5, die sich in ihrer Darstellung unverändert zeigt. Der Sachverständige hatte den Eindruck, dass die Protrusion vor dem Vorfall vom 28.02.2000 noch etwas ausgeprägter war als bei der letzten CT-Untersuchung. Der Kläger selbst räumt ein, bereits vor dem geschilderten Ereignis Lumbalbeschwerden gehabt zu haben, und dass er sich deswegen in ärztliche Behandlung habe begeben müssen. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. Sch, daraus gezogene Schlussfolgerung, der Vorgang vom 28.02.2000 könne unmöglich als Ursache für eine Veränderung angesehen werden, erscheint auch dem Senat in eigener Bewertung des Gutachtens in sich nachvollziehbar.

Das Sachverständige hat schließlich ausgeführt, dass das Geschehen vom 28.2.2000 nicht geeignet gewesen wäre, eine derartig traumatische Bandscheibenverletzung herbeizuführen. Im Hinblick darauf, dass die Bandscheibe bereits vorgeschädigt war, hätte ansonsten eine Verletzung schon bei anderen Ereignissen auftreten müssen. Der vom Kläger geschilderte Vorfall könne, so der Sachverständige, lediglich zu eine Distorsion der Wirbelsäule führen, die eine sich anschließende Arbeitsunfähigkeit von maximal 6 bis 8 Wochen nach sich ziehe. Darüber hinaus bestehende Beschwerden seien diesem Ereignis nicht zuzuordnen. Der fortschreitende Degenerationsprozess der Bandscheibe L4/L5 sei jedenfalls unabhängig von einer solchen Distorsion, weder hierdurch verursacht, noch wesentlich oder richtungsgebend verschlimmert worden.

Entgegen den Ausführungen der Berufung sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass durch das Ereignis vom 28.2.2000 ein struktureller Neuschaden im Sinne einer traumatischen Bandscheibenvorwölbung verursacht worden ist. Der Senat hat im Hinblick auf die von Sachkunde getragenen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sch keinen Anlass, ein Obergutachten einzuholen. Das wenige Zeilen umfassende und im Wesentlichen sich auf die Wiedergabe des Vorgangs vom 28.2.2000 beschränkende ärztliche Attest des Hausarztes des Klägers (GA 15), Dr. med. K, ist nicht geeignet, das unter Auswertung von CT-Aufnahmen zustande gekommene umfassende gerichtliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sch in Zweifel zu ziehen.

Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Sachverständige den geschilderten Vorgang im Tatsächlichen missverstanden hat. Die Berufung wendet ein, der Gutachter habe bei seiner Begutachtung lediglich auf den Hebevorgang abgestellt, tatsächlich habe sich der Kläger jedoch nicht beim Hebevorgang, sondern dadurch verletzt, dass er das Fass habe anheben wollen, dieses ihm entglitten sei und er sich verdreht habe. Dies hat der Sachverständige durchaus richtig gewürdigt, wie sich aus seinen Feststellungen in der Unfallanamnese seines Gutachtens vom 1.6.2002 (dort S. 13, GA 65) ergibt.

Das Ereignis vom 28.2.000 war weder geeignet, die Lumbalbandscheibe im Sinne einer traumatischen Prolapsbildung umzuformen, noch ist der Vorfall überwiegende Ursache für eine Bandscheibenschädigung der Bandscheiben L 3/4 und L 4/5.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 18. August 2003 der Zurückweisung der Berufung in Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO widersprochen. Die Ausführungen geben dem Senat zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung. Der Senat nimmt auf den Hinweisbeschluss vom 22.5.2003 Bezug. Soweit der Kläger vorträgt, dass er vor dem Unfallereignis keinerlei Arbeitsausfälle gehabt habe und er sich jetzt nur kurzfristig körperlich anstrengen und belasten könne, nicht einmal das An- und Entkleiden schmerzfrei möglich sei, rechtfertigt diese (bestrittene) Behauptung keine andere Beurteilung. Es sind nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sch keine Anhaltspunkte für einen strukturellen Neuschaden im Sinne einer traumatischen Bandscheibenvorwölbung ersichtlich. Das Geschehen vom 28.2.2000 war nicht geeignet, eine derartig traumatische Bandscheibenverletzung herbeizuführen. Es liegen hier degenerative Veränderungen der Bandscheibe L 4/L 5 vor, welche durch das behauptete Geschehen nicht richtungsgebend verschlimmert worden sind.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.209,65 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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