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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 29.09.2000
Aktenzeichen: 10 U 1541/99
Rechtsgebiete: BB-BUZ


Vorschriften:

BB-BUZ § 1 (1)
BB-BUZ § 2 (1)
Der Leiter einer polizeilichen Einsatzstelle (Angestellter), der diesen Beruf u. a. wegen der mit dieser Tätigkeit verbundenen psychischen Belastungen nicht mehr ausüben kann, kann nicht auf die Berufe eines Sicherheitsberaters oder eines Koordinators für einen Wachdienst verwiesen werden.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil - abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO -

10 U 1541/99

verkündet am: 29. September 2000

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 8. September 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 7. September 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Anspruch.

Der Kläger, der seit August 1981 bei der Air Police in Spangdahlem (Flugplatz) als Leiter der Einsatzstelle (Angestellter) beschäftigt war, befand sich wegen Arterienverschluss, Bluthochdruck, Kopfschmerz, Muskelschwäche und Gehbehinderung ab 21.4.1993 in ärztlicher Behandlung. In der Zeit vom 23.02. bis 23.03.1994 hielt er sich stationär in einer Rehabilitationsklinik auf. Er teilte der Beklagten am 22.2.1994 mit, dass er seit dem Zeitpunkt seiner ärztlichen Behandlung arbeitsunfähig und berufsunfähig sei. Er könne keine Tätigkeiten ausüben, die mit Streß verbunden seien.

Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung von 10.090,80 DM in Anspruch genommen. Mit Urteil des Landgerichts vom 25.2.1997 (GA 189) ist die Klage abgewiesen worden. Auf die Berufung des Klägers hat der Senat durch Urteil vom 27.3.1998 (GA 242) die Entscheidung des Landgerichts insoweit, als darin laufende monatliche Zahlungsansprüche des Klägers für die Zeit ab Februar 1994 abgewiesen worden sind, aufgehoben und an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Mit Schriftsatz vom 29.4.1998 (GA 257ff.) hat der Kläger nunmehr seinen Antrag erweitert und vorgetragen, ab Oktober 1996 von der BfA eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu beziehen. Die Beklagte zahlte daraufhin an den Kläger für die Zeit von Oktober 1996 bis August 1998 nach Maßgabe ihres Vorbringens im Schriftsatz vom 25.8.1998 (GA 278) insgesamt 12.955,12 DM sowie in der Zeit von September bis Dezember 1998 monatlich 471,49 DM (Rente) und weitere 110,60 DM (Beitragsrückerstattung). Ab Januar 1999 wurden aufgrund einer weiteren Erhöhung der Rente 493 DM monatlich gezahlt.

Nachdem die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 17.8.1999 (GA 340) den Rechtsstreit in Höhe der von der Beklagten erbrachten Zahlungen übereinstimmt teilweise für erledigt haben, streiten die Parteien darüber, ob der Kläger in der Zeit von Februar 1994 bis September 1996 berufsunfähig war.

Das Landgericht hat mit Teilurteil vom 7.9.1999 die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die Zeit von Februar 1994 bis September 1996 insgesamt 17.939,20 DM nebst 4 % Zinsen aus jeweils 560,60 DM ab dem 2. eines jeden Monats, erstmals ab dem 2.2.1994 zu zahlen. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

1) Das Landgericht hat in seinem Teilurteil vom 7. September 1999, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 31.5.1999 (GA 305ff.) angenommen, dass bei dem Kläger bereits im Jahre 1993 eine schwere arterielle Hypertonie bestanden habe, die zu einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % geführt habe (GA 326/327). Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, für die Zeit von Februar 1994 bis September 1996 einen Betrag von 17.939,20 DM (450 DM + 110,60 DM x 32 Monate) zu zahlen. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Landgerichts an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug, § 543 Abs. 1 ZPO.

a) Dem Kläger stehen für den streitigen Zeitraum Ansprüche aus der abgeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu. Vollständige bzw. teilweise (mindestens 50 prozentige) Berufsunfähigkeit im Sinne von § 2 (1) und (2) i.V.m. § 1 (1) der zum Vertragsgegenstand gemachten "Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung" (BUZ) liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Im Rahmen der Ermittlung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend ist, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d. h., solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH Urteil vom 22.9.1993 -- IV ZR 203/92 -- VersR 1993, 1470, 1471). Dies gilt allerdings mit der Maßgabe, daß der Verlust der Fähigkeit den Beruf bzw. eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben, erst während der Vertragsdauer eingetreten sein darf (§ 1 (1) BB-BUZ). War der Versicherte bereits vor Vertragsabschluß nicht mehr fähig in seinem konkret ausgeübten Beruf tätig zu sein, kann die Feststellung nicht getroffen werden, daß der Versicherte die Fähigkeit zur Berufsausübung erst während der Vertragsdauer verloren hat (BGH Urteil vom 27.1.1993 -- IV ZR 309/91 -- VersR 1993, 469, 470).

b) Der Sachverständige Prof. Dr. G. hatte sich nach den Vorgaben des Landgerichts mit der Frage zu befassen, ob der Kläger seit dem 21. April 1993, insbesondere ab dem 1.2.1994 wegen seiner Erkrankungen zu mindestens 50 % berufsunfähig war. Zutreffend führt das Landgericht aus, dass entscheidend für die Feststellung des Zeitpunktes des Versicherungsfalles die rückschauende Feststellung desjenigen Zeitpunktes maßgebend ist, zu dem erstmals ein Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartung mehr auf eine Besserung rechtfertigte. Dem Sachverständigen wurde aufgegeben, die Frage nach der Berufsunfähigkeit des Klägers für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abschließend aus medizinischer Sicht zu würdigen.

Die Berufung wendet sich gegen die Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G., weil dieser in seinem Gutachten vom 31. Mai 1999 die Auffassung vertreten habe, dass aus rückschauender Sicht bei dem Kläger seit 1993 eine zumindest 50 prozentige Berufsunfähigkeit vorgelegen habe, obgleich der Vorgutachter der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universität M. Prof. Dr. Dr. M. B. sich zu dieser Aussage im zeitlich vorgelagerten Gutachten vom 20. September 1996 aufgrund einer unmittelbaren eigenen Untersuchung außerstande gesehen habe. Der Vorgutachter sei damals der Auffassung gewesen, dass erst nach Durchführung intensiver Therapiemaßnahmen eine abschließende Beurteilung hinsichtlich der Berufsunfähigkeit möglich sei. Da der Kläger eingeräumt habe, keine Therapie vorgenommen zu haben, sei schlechterdings nicht nachvollziehbar, wie das Gutachten Prof. Dr. G. nunmehr im Jahre 1999 abweichend von den Feststellungen des Vorgutachtens im Jahre 1996 rückschauend eine Berufsunfähigkeit des Klägers zu mindestens 50 % ab 1993 habe annehmen können.

c) Die Ausführungen der Berufung überzeugen nicht. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. macht deutlich, dass es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine aggressive Erkrankung handelt, bei der therapeutische Bemühungen das Fortschreiten der Organschäden lediglich verlangsamen können. Die kernspintomographische Untersuchung von 26. November 1993 habe verdeutlicht, dass bereits im Jahre 1993 schwere Sekundärkomplikationen der arteriellen Hypertonie bei dem Kläger nachweisbar gewesen seien. Da diese kleinen fleckförmigen mikroangiopathischen Läsionen im zentralen Nervensystem erst als Folge einer langjährigen gravierenden arteriellen Hypertonie aufgetreten seien, könne davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger auch in den Jahren vor 1993 eine schwere arterielle Hypertonie bestanden habe. Die unspezifischen Beschwerdesymptomatik aus Kopfschmerzen, Müdigkeit, Leistungsknick und Konzentrationsmangel täuschten hierbei über die Schwere der Erkrankung hinweg.

Die Ausführungen des Sachverständigen sind für den Senat nachvollziehbar und überzeugend. Dass die BfA nach umfangreichen Untersuchungen dem Kläger erst ab 1. Oktober 1996 eine Rente bewilligt hat (GA 259), steht der Bewertung der von Sachkunde getragenen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G. nicht entgegen. Der Einwand, bei den Ausführungen im Gutachten handele es sich nur um nachträgliche Spekulationen, entbehrt jeder Grundlage. Das fachinternistische und wissenschaftliche Gutachten Prof. Dr. G. hat umfassend das von der Berufung zitierte Gutachten der eigenen Klinik vom 20. September 1996, das sozialmedizinische Gutachten vom 17. Juni 1994, die neurologischen Untersuchungsbefunde vom 23.11.1993 und 18.10.1996 (Dr. K.) und 1.9.1993 (Dr. A.), den ophthalmologischen Untersuchungsbefund vom 27.11.1998 (Dr. van A.) in die eigene Beurteilung einbezogen. Im übrigen fand am 1.7.1999 eine Zusatzuntersuchung in der Medizinischen Klinik und Poliklinik der Johannes Gutenberg-Universität M. statt.

2) Im Ansatz berechtigt ist die Kritik der Berufung, dass sich das Landgericht nicht damit befasst habe, ob der Kläger eine vergleichbare Tätigkeit habe ausüben können. Die Beklagte habe erstinstanzlich darauf hingewiesen und unter Beweis gestellt, dass der Kläger als Sicherheitsberater in der freien Wirtschaft, als Koordinator von Einsätzen für einen Wachdienst, als Versicherungsangestellter oder als Baustofflagerarbeiter tätig sein könne. Im übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum (konkret Oktober 1994 bis 22. April 1996) einer beruflichen Tätigkeit als Bürogehilfe nachgegangen sei. Im Ergebnis hat die Berufung mit ihren Einwänden keinen Erfolg.

a) Es gehört grundsätzlich zur Vortragslast des Versicherers, einen Vergleichsberuf, auf den er den Versicherten verweisen will, bezüglich der ihn prägenden Merkmale (wie z. B. Vorbildung, Arbeitsbedingungen, Arbeitsverhältnisse, Entlohnung, erforderliche Fähigkeiten, körperliche Kräfte) näher zu konkretisieren (BGH Urteil vom 23.6.1999 -- IV ZR 211/98 -- VersR 1999, 1134, 1135; Urteil vom 29.6.1994 -- IV ZR 120/93 -- VersR 1994, 1095; Urteil vom 28.9.1994 -- IV ZR 226/93 -- NJW-RR 1995, 20). Der Versicherer muss um mit der Verweisung Erfolg zu haben, einen oder mehrere Berufe benennen, die nach seiner Auffassung einen bedingungsgemäßen Vergleichsberuf entsprechen. Zeigt der Versicherer einen möglichen Vergleichsberuf konkret auf, dann (und erst dann) muss dargelegt werden, dass dieser Vergleichsberuf nicht für den Versicherten in Betracht kommt. Das hat der Anspruchserhebende ebenso zu beweisen wie die Unfähigkeit des Versicherten, seinen bisherigen Beruf weiter auszuüben. Übt der Versicherte bereits eine andere Tätigkeit aus, so muss er hingegen darlegen und beweisen, dass diese Tätigkeit keine bedingungsgemäße Vergleichstätigkeit ist (BGH VersR 1999, 1134, 1135; Urteil vom 30.11.1994 -- IV ZR 300/93 -- VersR 1995, 159; Senatsurteil vom 14.6.1996 -- 10 U 996/95 -- VersR 1997, 688).

b) Es mag offen bleiben, ob die Beklagte die von ihr angeführten Verweisungsberufe hinreichend konkretisiert hat. Der Senat ist aufgrund der vorgelegten Gutachten der Auffassung, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung die genannten Verweisungsberufe teilweise nicht ausüben kann. Dies gilt besonders für die Tätigkeiten als Sicherheitsberater in der freien Wirtschaft und als Koordinator von Einsätzen bei einem privaten Wachdienst. Der Kläger darf aufgrund der eingeholten Gutachten keine Tätigkeiten ausüben, die mit einer psychischen Belastung verbunden sind. Die Tätigkeiten als Sicherheitsberater und Koordinator für einen Wachdienst verlangen indes ein besonderes Maß an psychischer Belastbarkeit. Die Tätigkeiten als Bausstofflagerarbeiter und Versicherungsangestellter, die der Kläger in früheren Jahren einmal ausgeübt hatte (1.7.1978 bis 15.8.1981 Baustofflagerarbeiter; zuletzt 1.9.1976 bis 31.5.1977 Versicherungsangestellter, GA 49) entsprechen nicht seiner zuletzt ausgeübten und herausgehobenen beruflichen Stellung als Leiter einer polizeilichen Einsatzstelle, so wie sie in seiner dienstlichen Arbeitsplatzbeschreibung vom 25.10.1994 (Anlage B 4, GA 43) zum Ausdruck kommt.

c) Soweit der Kläger tatsächlich in dem Zeitraum von Oktober 1994 bis 22. April 1996 als Bürogehilfe tätig war, stellte diese Tätigkeit keine bedingungsgemäße Vergleichstätigkeit dar. Zum einen hatte der Kläger in diesem Zeitraum ein um rund 500 DM geringeres Gehalt. Zum anderen hat der Kläger durch Vorlage eines Auszugs aus dem Jahreskalender dargelegt, dass in dieser Zeit seine Tätigkeit durch häufige Krankheitsperioden unterbrochen war und der Arbeitsversuch letztlich fehlgeschlagen ist, was ihn schließlich zur Stellung des Rentenantrags veranlasste. Im Hinblick auf die Erkenntnisse, die der Senat aus den vorgelegten Gutachten über den Krankheitsverlauf des Klägers hat, erachtet er es für nicht geboten, dem Antrag der Berufung auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen, ob in dem streitigen Zeitraum dem Kläger eine weitere Vergleichstätigkeit zumutbar war.

Die Berufung hatte aus den dargelegten Gründen keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 17.939,20 DM. Er entspricht der Beschwer der Beklagten.

Ende der Entscheidung

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