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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 29.09.2000
Aktenzeichen: 10 U 1887/99
Rechtsgebiete: AUB 61


Vorschriften:

AUB 61 § 8 II (2) c
Es ist wenig wahrscheinlich, dass es durch einen beim Fußballspiel erlittenen Ellenbogenschlag unter die Nase zu einer traumatisch bedingten Anosmie (Verlust des Geruchssinns) durch Zerreißung der olfaktorischen Riechfäden oder Quetschung der Riechnerven gekommen ist, da mit einem derartigen Unfallhergang regelmäßig kein stumpfes Schädeltrauma, ggf. verbunden mit einer frontobasalen Fraktur und einer Commotio cerebri verbunden ist. Wurde bereits 1/2 Jahr vor dem Unfallereignis bei dem Versicherten eine Anosmie festgestellt, so ist der später eingetretene völlige Verlust des Geruchssinns und die Verminderung des Geschmacksinns nicht ursächlich in Zusammenhang mit dem Ellenbogenschlag zu bringen.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil - abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO -

10 U 1887/99

Verkündet am: 29. September 2000

In dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 8. September 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 11. November 1999 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg.

I.

Der Kläger, der Berufssoldat ist, nimmt die Beklagte aus einer Unfallversicherung (AUB 61) auf Invaliditätsleistung in Höhe von 21.300 DM in Anspruch. Er behauptet, er habe durch einen am 2.1.1997 bei einem Fußballspiel in Israel erlittenen Ellenbogenschlag unter die Nase seinen Geruchsinn vollständig verloren. Zudem sei sein Geschmackssinn eingeschränkt. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe die Kausalität des Unfalls für die Invalidität nicht nachgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

1) Das Landgericht hat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu Recht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht keine Invaliditätsentschädigung gemäß § 8 II (2) c AUB 61 wegen Verlust des Geruchsinns und Verminderung des Geschmacksinns zu. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Landgerichts an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug, § 543 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

a) Der Sachverständige Dr. M. Facharzt für HNO am Klinikum der Universität M., hat aufgrund persönlicher Untersuchung des Klägers und Auswertung der Behandlungsunterlagen in seinem Hauptgutachten vom 9.3.1999 (GA 89ff.) dargelegt, dass durch einen Ellenbogenschlag, wie vom Kläger vorgetragen, kein vollständiger Verlust des Geruchssinns adäquat verursacht worden sein kann. Zwar könne ein derartiger Unfall durchaus zu einer Schwellung der Nase mit einer vorübergehenden Verminderung des Geruchssinns führen, nicht aber zu einem vollständigen beidseitigen Riechverlust. Der Sachverständige legte dar, dass eine traumatisch bedingte Anosmie durch Zerreißung der olfaktorischen Riechfäden, mitunter auch durch eine Quetschung der Riechnerven, entstehen könne. Zu diesen Folgen komme es u. a. bei stumpfen Schädeltraumen, entweder von vorn, verbunden mit einer frontobasalen Fraktur oder bei einem Sturz auf das Hinterhaupt, nicht selten verbunden mit einer Felsenbeinfraktur. In diesen Fällen führe nur eine erhebliche Beschleunigung des Schädels durch die relative Trägheit der Gehirnmasse gegenüber der Schädelkalotte zu einem Abriss der Riechfäden. Das vom Kläger behauptete Nasentrauma, versehentlicher Schlag mit dem Ellenbogen unter die Nase, sei als banal einzustufen und führe weder zu einer commotio cerebri noch zu einer frontobasalen Fraktur. Der Sachverständige Dr. M. hat in seinem Ergänzungsgutachten ausgeführt, dass nach dem Ergebnis einer kürzlich durchgeführten Untersuchung alle frontalen Traumen, welche einen Riechverlust herbeiführten, gleichzeitig mit Frakturen einhergingen. Beim Kläger habe weder eine Fraktur noch eine Bewusstlosigkeit vorgelegen. Im übrigen hätte der Kläger einen Riechverlust spätestens einige Tage nach dem Unfall bemerken müssen. Tatsächlich habe der Kläger dahingehende Feststellungen erst nach 4 Monaten getroffen und dann deswegen einen Arzt konsultiert. Diese Tatsache mache allein schon einen Zusammenhang des Riechverlusts mit dem geschilderten Unfall wenig wahrscheinlich. Der Sachverständige verweis ferner darauf, das bei dem Kläger bereits im Mai 1996, d. h. ein gutes halbes Jahr vor dem behaupteten (bestrittenen) und für den Sachverständigen aufgrund der Vorgaben des Landgerichts als wahr zu unterstellenden Ellenbogenschlages eine Anosmie ärztlicherseits festgestellt worden sei, so dass der nach dem Unfall im Juni 1997 diagnostizierte Zustand wahrscheinlich mit dem im Mai 1996 erhobenen Befund einer bereits bestehenden Anosmie in Zusammenhang zu bringen sei. Als mögliche Ursache für die bestehende Anosmie komme eine infektionsbedingte virale Schädigung der Riechschleimhäute in Betracht, nicht dagegen eine saisonale allergische Rhinitis.

b) Ebenso wie das Landgericht sind für den Senat die Ausführungen des Sachverständigen nachvollziehbar und überzeugend. Die von der Berufung hiergegen erhobenen Einwände sind nicht geeignet, das Ergebnis des Gutachtens in Zweifel zu ziehen.

Die Berufung rügt, dass der Gutachter die Behandlungsunterlagen aus den Untersuchungen in den Jahren 1996 und 1997 nicht angefordert habe. Aus dem Befundbericht Dr. R. Dr. F. vom 16.6.1997 (GA 61) ergebe sich, dass bereits im Vorjahr. also 1996, CT-Aufnahmen der Nasennebenhöhle gefertigt worden seien. Darüber hinaus sei zu verweisen auf die von Dr. D. durchgeführte craniale Computertomographie (GA 43), die diesen zur Beurteilung veranlassten, dass sämtliche Untersuchungsergebnisse für einen Abriss der Olfaktorius-Fasern sprächen. Ohne die vollständige Beiziehung der Behandlungsunterlagen habe dem Gutachter eine gesicherte Grundlage für die von ihm vorgenommenen Bewertungen gefehlt.

c) Der Senat vermag dem nicht zu folgen. Der Sachverständige Dr. M. hat sein Gutachten auf eine eingehende, klinische und radiologische Untersuchung des Klägers am 11.1.1999 gestützt. Ferner lagen dem Sachverständigen neben der Schilderung des Klägers zum behaupteten Unfallhergang sämtliche Befundberichte der den Kläger zuvor behandelnden Ärzte und deren medizinische Einschätzung vor. Der Sachverständige Dr. M. hat sich eingehend mit diesen Befundberichten auseinandergesetzt und daraus seine medizinischen Schlussfolgerungen nach eigener eingehender Untersuchung des Klägers gezogen. Der Sachverständige hat aufgrund der vorliegenden Arztberichte auch für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass vieles dafür spricht, dass bereits vor dem behaupteten Unfallereignis vom 2.1.1997 bei dem Kläger eine Anosmie vorgelegen hat.

Denn ausweislich der in der Gerichtsakte befindlichen Arztüberweisung des Oberfeldarztes H. vom 7.5.1996 (GA 46) heißt es: "Seit 2 Jahren Anosmie bei Verdacht auf chronische Entzündung im Bereich der Sinus ethmoidalis" (Entzündung der Nasennebenhöhle). In dem Befundbericht von Dr. E., BW-Krankenhaus Koblenz vom 8.5.1996 (GA 45) findet sich der Hinweis. "Anosmie unklarer Genese sowie Tinnitus unklarer Genese".

d) Die Berufung argumentiert weiter, dem Sachverständigen sei in dem Beweisbeschluss vom 30.9.1998 (GA 76f.) vorgegeben worden, dass er das Vorbringen des Klägers zu dem Unfallverlauf als zutreffend unterstellen sollte, jedoch sei nicht angegeben worden, von welchen Tatsachen er bei der Begutachtung hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Klägers vom 2.1.1997 habe ausgehen sollen. Der Kläger habe hierzu unter Beweisantritt vorgetragen, dass er vor dem Unfall nur eine leichte Trübung des Geruchssinns, jedoch keinen vollständigen Riechverlust (Anosmie) gehabt habe. Der Kläger habe Beweis hierfür durch Vernehmung seiner Ehefrau angeboten. Das Landgericht sei dem Beweiserbieten in verfahrensfehlerhafter Weise nicht nachgegangen. Diesem Beweiserbieten brauchte das Landgericht nicht nachzugehen, da die Ehefrau des Klägers als Zeugin kaum in der Lage sein dürfte über innere Vorgänge, die ihren Ehemann betreffen, Angaben zu machen. Das Beweisangebot ist für die Führung eines Beweises ungeeignet.

e) Entgegen der Auffassung der Berufung ist für den Sachverständigen nicht offen geblieben, von welchem Krankheitsbild er bei dem Kläger vor dem 2.1.1997 bis zu den ärztlichen Feststellungen im Jahr 1997 ausgegangen ist (GA 186). Der Sachverständige hat alle Erkenntnisse, die aufgrund der vorgelegten Befundberichte ihm zur Verfügung gestanden haben, insbesondere, dass bereits im Mai 1996 eine seit Jahren bestehende Anosmie ärztlicherseits festgestellt wurde, mit in seine Gesamtbegutachtung einbezogen. Im übrigen hat das Landgericht nach Vorlage der Gutachten des Sachverständigen den Kläger persönlich in der Sitzung vom 21.10.1999 (GA 159) zum Unfallhergang und zur Frage, wann er sich nach dem behaupteten Unfallereignis erstmals in ärztliche Behandlung begeben habe, angehört. Der Kläger konnte zum Unfallhergang keine detaillierten Angaben machen. Er wusste selbst nicht, ob er an der Nasenspitze oder unter der Nase durch den Ellenbogen des Mitspielers getroffen wurde. Er räumte ein, 2 Monate nach dem behaupteten Unfall sich lediglich deshalb in ärztliche Behandlung begeben zu haben, um ein Rezept für Nasenspray wegen seiner Allergie zu erhalten. Wegen der Verletzung sei er jedoch erstmals im Juni 1997 zum Arzt gegangen.

f) Die Berufung rügt ohne Erfolg eine Verletzung des § 411 Abs. 3 ZPO, weil das Landgericht den Sachverständigen Dr. M. nicht von amts wegen zur Erläuterung seines Gutachtens geladen habe. Die Ausführungen im Schriftsatz des Klägers vom 14.10.1999 (GA 154) wenden sich gegen die ergänzende Stellungnahme des Gutachters vom 31.8.1999. Grundsätzlich steht die Anhörung des Sachverständigen von amts wegen im Ermessen des Gerichts. Zwar ist anerkannt, dass es sich dabei um ein gebundenes Ermessen handelt. D.h. das Ermessen muss dahingehend ausgeübt werden, dass vorhandene Aufklärungsmöglichkeiten zur Beseitigung von Zweifeln und Unklarheiten des Gutachtens nicht ungenutzt bleiben dürfen. Ein Antrag der beweispflichtigen Partei ist dazu nicht erforderlich (BGH Urteil vom 15.7.1988 -- IV ZR 206/97). Zweifel oder Unklarheiten des Gutachtens haben die Ausführungen im Schriftsatz des Klägers vom 14.10.1994 nicht aufzeigen können. Der Kläger greift die Begutachtung des Sachverständigen an, weil dieser davon ausgegangen sei, dass er einen Schlag an die Nasenwurzel bekommen habe und dabei sein Kopf nicht nennenswert zurückgeschlagen sei. Tatsächlich sei von ihm jedoch vorgetragen worden, dass der Mitspieler mit dem Ellenbogen ihn unter die Nase geschlagen habe und er selbstverständlich mit dem Kopf aufgrund des Schlages nach hinten geschlagen sei. Deshalb habe er 6 Wochen lang unter einer stark geschwollenen Nase gelitten und 2 Wochen einen erheblichen Berührungsschmerz verspürt. Außerdem gehe der Kläger davon aus, dass er sehr wohl einen Bruch im Nasenbereich erlitten habe.

Diese Ausführungen mussten dem Landgericht keine Veranlassung geben, den Sachverständigen von amts wegen zu laden. Wie bereits ausgeführt, hat das Landgericht den Kläger nach Vorlage der ergänzenden Stellungnahme des Gutachters im Termin vom 21.10.1999 angehört. Der Kläger war selbst nicht in der Lage, anzugeben, wie der Ellenbogenschlag konkret erfolgte, d. h. auf die Nasenspitze oder unter die Nase. Anhaltspunkte für eine Fraktur der Nase haben sich aufgrund der röntgenologischen Untersuchung des Klägers nicht ergeben. Der Senat sieht sich nicht veranlasst, wie vom Kläger im Berufungsverfahren beantragt, ein weiteres Gutachten zu der Behauptung einzuholen, es sei im Hinblick auf die mehrwöchige starke Schwellung der Nase und den Berührungsschmerz ohne weiteres denkbar, dass doch eine Fraktur vorgelegen habe.

g) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht deshalb vor, weil das Landgericht die Oberfeldärzte P. vom BW-Krankenhaus K. und D. vom BW-Krankenhaus Z. nicht als sachverständige Zeugen vernommen hat. Beide genannten Ärzte haben den Kläger nicht zeitnah zum behaupteten Unfallgeschehen untersucht. Die medizinische Einschätzung dieser Ärzte, dass bei dem Kläger aufgrund eines traumatischen Ereignisses vom 2.1.1997 ein Ausfall des Nervus olfactorius vorliege, beruht zunächst auf den übernommenen Angaben des Klägers zum Unfallgeschehen und stellt lediglich eine medizinische Schlussfolgerung dar. Da die Untersuchungen erst im November 1997, d. h. ca. 10 Monate nach dem behaupteten Unfallereignis erfolgten, konnten diese Zeugen dem Gericht keine Wahrnehmungen über vergangene Tatsachen oder Zustände vermitteln, die aufgrund der besonderen Sachkunde dieser Zeugen, genügende Anhaltspunkte für eine traumatisch bedingte Anosmie des Klägers bieten konnten. Soweit es darum geht, dass beide Zeugen eine andere sachverständige Einschätzung des Geschehens hatten, als der gerichtliche Sachverständige, kann das Beweismittel des "sachverständigen Zeugen" nicht dazu dienen, sachverständige Ausführungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen durch die Einschätzung von sachverständigen Zeugen zu ersetzen. Es bestand für das Landgericht im Hinblick auf die medizinische Einschätzung der Oberfeldärzte P und D., die von einem posttraumatischen Ausfall des Nervus olfactorius ausgegangen sind, mit der sich der Gerichtsgutachter auseinadergesetzt hat, keine Veranlassung ein Obergutachten nach § 412 ZPO einzuholen. Der Senat hält es aus den dargelegten Gründen auch nicht für geboten, die Oberfeldärzte D. und P. als sachverständige Zeugen vor dem Senat zu vernehmen, da beide den Kläger nicht zeitnah zum behaupteten Unfallgeschehen gesehen haben.

2) Eine Verminderung des Geschmackssinns konnte aus medizinischer Sicht nicht festgestellt werden. Der Kläger war anlässlich seiner Untersuchung in der Lage, die Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig und bitter sicher wahrzunehmen (GA 108, 145).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert der Berufung beträgt 21.300 DM. Er entspricht der Beschwer des Klägers.

Ende der Entscheidung

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