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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 23.01.2009
Aktenzeichen: 10 U 213/08
Rechtsgebiete: ZPO, SGB V, MB/KK 94, BGB


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 529
ZPO § 531
SGB V § 315
SGB V § 315 Abs. 1
MB/KK 94 § 1 Nr. 1
MB/KK 94 § 1 Nr. 2
BGB § 314
BGB § 314 Abs. 2 S. 2
BGB § 323 Abs. 2
BGB § 323 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 213/08

Verkündet am 23. Januar 2009

in dem Rechtsstreit Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2008 für Recht erkannt: Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 17. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung des Fortbestehens eines Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses mit dem Beklagten.

Der Kläger ist seit mehr als 30 Jahren bei dem Beklagten krankenversichert. Im Jahr 2005 reichte er zwei Kostenvoranschläge in Höhe von insgesamt 1.071,50 € der Firma A. für eine neue Brille und eine Ersatzbrille ein und vermerkte auf den Kostenvoranschlägen u. a. "Ersatz für Bruch und neue Glasstärke". Die Beklagte erbrachte aufgrund der Kostenvoranschläge die entsprechenden Leistungen. Mit Leistungsantrag vom 5. November 2006 legte der Kläger erneut eine Brillenrechnung vor und gab unter der Rubrik "Sonstiges" "Ersatz für Bruch" an. Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin auf, die angeblich beschädigte Brille einzureichen, woraufhin der Kläger dann irgendeine ihm gehörende Brille vorlegte, nicht aber die, die vermeintlich kaputt gegangen sein sollte. Der Beklagte ließ die eingereichte Brille von einem Sachverständigen untersuchen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass weder die eingereichten Korrektionsgläser den in den aus dem Jahr 2005 stammenden Kostenvoranschlägen entsprachen, noch dass die eingereichte Fassung mit den in den Kostenvoranschlägen enthaltenen Angaben übereinstimmte. Weiterhin kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass auch die Beschädigungen an der eingereichten Brille nicht mit der Schadensschilderung des Klägers in Einklang zu bringen sei. Der Beklagte nahm daraufhin Rücksprache bei der Firma A. und erfuhr, dass die Sehhilfen gemäß Kostenvoranschlag aus dem Jahr 2005 vom Kläger dort nie bezogen worden seien. Im Hinblick darauf erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 23. Februar 2007 die fristlose Kündigung des Versicherungsvertrages aus wichtigem Grund.

Daraufhin teilte der Kläger dem Beklagten mit, er habe die Brillen bezogen, jedoch nicht bei der Firma A.. Die tatsächlich erworbenen Brillen seien sogar teurer gewesen, er habe jedoch auf eine Erstattung des Differenzbetrages verzichtet. Der Beklagte lehnte eine Rücknahme der Kündigung ab, woraufhin der Kläger einen Rechtsanwalt einschaltete. Dieser teilte dem Beklagten in einem Schreiben vom 5. März 2007 mit, der Kläger habe die Brillen bei der Firma A. nie abgeholt, da Beratung und Service bei dieser Firma nicht seinen Wünschen entsprochen habe. Die Brillen seien deswegen bei einem anderen Optiker gekauft worden.

Auf die Bitte des Beklagten um Vorlage der Rechnung bezüglich der tatsächlich bezogenen Brillen reichte der Kläger eine Rechnung der Firma "Die B. GmbH" vom 7. November 2005 in Höhe von 1.094,75 € ein, wobei in dieser Rechnung ein Mehrwertsteuersatz von 19% ausgewiesen ist. Auf Rückfrage des Beklagten teilte der Geschäftsführer der Firma "Die B. GmbH" mit, dass es sich bei der Rechnung um einen Freundschaftsdienst für einen guten Kunden gehandelt habe, der den Kläger kenne. Dieser Kunde habe ihn gebeten, für den Kläger eine Rechnung anzufertigen, da dieser angeblich eine Rechnung verloren habe und der die Rechnung ausstellende Optiker nicht mehr tätig sei. Aus Gefälligkeit sei dann die Rechnung ausgestellt worden. Hierüber unterrichtet, teilte der Bevollmächtigte des Klägers daraufhin mit, dass es sich um ein Missverständnis handele, jedenfalls sei die Rechnung nicht fingiert. In der Folgezeit meldete sich der Geschäftsführer der Firma "Die B. GmbH" bei dem Beklagten und teilte mit, dass der Kläger ihn angerufen und angekündigt habe, dass er dessen Geschäft aufsuchen werde, um sich von ihm der Wahrheit zuwider eine Bestätigung ausstellen zu lassen, dass er die Brillen tatsächlich dort bezogen habe. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27. April 2007 wandte sich der Kläger erneut an den Beklagten und wies u. a. darauf hin, dass er die beschädigte Brille, die Anlass für den Neuerwerb in 2006 gewesen sei, tatsächlich nicht behalten habe. Auf die Anforderung des Beklagten, die beschädigte Brille einzureichen, habe er deshalb auf Empfehlung eines bei einer Versicherung tätigen Bekannten irgendeine andere Brille eingereicht. Mit Schreiben vom 7. Mai 2007 teilte die Beklagte mit, dass eine Fortführung des Versicherungsvertrages unter keinen Umständen in Betracht komme.

Der Kläger hat vorgetragen:

Die bedingungsgemäßen Leistungen im Jahr 2005 seien auf ein gepfändetes Konto gezahlt worden. Er habe deswegen über diesen Betrag nicht verfügen können und auch sonst den Überblick über dieses Konto verloren. Er habe auf den Geldeingang auf einem freien Konto gewartet. Da dort kein Geld eingegangen sei, habe er die Brillen bei der Firma A. auch nicht abholen können. Wegen zahlreicher Probleme, die mit der Insolvenz seines Sohnes sowie eigener wirtschaftlicher Probleme einhergegangen seien, habe er die Sache mit den vorbestellten Brillen bei der Firma A. auch ganz vergessen und sich später in einem anderen Brillenfachgeschäft eine neue Brille fertigen lassen. Tatsächlich sei seine Brille durch einen unverschuldeten Sturz verloren gegangen und ein Bus sei darüber gefahren. Er habe die Reste der Brille nicht eingesammelt. Nachdem die Beklagte die Brille angefordert habe, habe er sich an den zuständigen Agenten der Beklagten gewandt. Dieser habe ihm dann gesagt, er solle doch einfach irgendeine beschädigte Brille einsenden, dann gebe es kein Problem.

Mit nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2007 eingegangenem Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 hat der Kläger vorgetragen, die im Jahr 2005 bestellten Brillen seien von der Beklagten bewilligt und erstattet sowie von ihm dann auch nunmehr - wenn auch verspätet - bezogen worden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsverhältnis zu der Vertragsnummer 1272893.0 nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23. Februar 2007 beendet worden sei,

hilfsweise

den Beklagte zu verurteilen, ihn, den Kläger, ab dem 1. Juli 2007 im Standardtarif für ehemals selbständig Versicherte aufzunehmen,

weiterhin hilfsweise

den Beklagten zu verurteilen, beim Wechsel in eine andere Krankenkasse dieser die bislang entstandenen Altersrückstellungen zu übertragen und dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Höhe Altersrückstellungen gebildet wurden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, zur außerordentlichen Kündigung aufgrund des Verhaltens des Klägers berechtigt gewesen zu sein.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie wegen der Begründung der landgerichtlichen Entscheidung wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie das landgerichtliche Urteil verwiesen.

Der Kläger trägt vor:

Das Landgericht verkenne die rechtlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung und gehe darüber hinaus auch von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Es sei nicht zutreffend, dass er in einem Fall zu Unrecht Leistungen vom Beklagten bezogen und dies in einem weiteren Fall zumindest versucht habe. Das Landgericht habe seine diesbezüglichen Feststellungen allein auf den angeblich widersprüchlichen Sachvortrag des Klägers und seine daraus resultierende Unglaubwürdigkeit gestützt. Insoweit habe das Landgericht seine Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO verletzt, was ausdrücklich gerügt werde. Die im Jahr 2005 bestellten Brillen habe er im Jahr 2007 lediglich verspätet abgeholt, wie sich aus den nunmehr vorgelegten Quittungen ergebe. Nach Zerstörung seiner Brille im Jahr 2005 habe er die bei der Firma A. bestellten Brillen aufgrund einer persönlich schwierigen Situation schlicht vergessen. Erst nachdem er seine Probleme wieder in Griff bekommen habe und sich seine Sehstärke verändert habe, sei ihm das Problem einer neuen Brille wieder präsent geworden. Daher habe er erneut Kostenerstattung für eine neue Brille beantragt, die ihm jedoch nicht gewährt worden sei. Dabei sei zu beachten, dass er aus seinem Versicherungsverhältnis einen jährlichen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Sehhilfe habe.

Soweit das Landgericht dem Kläger eine nicht unerhebliche kriminelle Energie unterstelle, übersehe es, dass das in diesem Rahmen gerügte Verhalten in die Zeit nach Kündigung des Vertrages durch den Beklagten fiel und dass der Kläger hier nicht aus krimineller Energie, sondern allein aus Angst um seine Krankenversicherung gehandelt habe. Bei der Abwägung, ob dem Beklagten die Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses zumutbar sei, habe sich das Landgericht nur mit der Interessenlage des Beklagten auseinandergesetzt und nicht berücksichtigt, dass der Kläger bereits seit über 30 Jahren Versicherungsnehmer beim Beklagten gewesen sei, und zwar als "Netto-Zahler". Rechtsfehlerhaft seien auch die pauschalen Ausführungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit einer Abmahnung.

Weiterhin verkenne das Landgericht den rechtspolitischen Ansatz bei der Reform des gesetzlichen wie privaten Krankenversicherungswesens. Durch die Einführung des § 315 SGB V hätten nicht die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung einer privaten Krankenversicherung gesenkt werden sollen. Hierdurch habe sichergestellt werden sollen, dass alle Menschen in Deutschland Zugang zu einer Krankenversicherung haben. Das Landgericht lege diese Norm falsch aus, wenn es dennoch davon ausgehe, dass der Beklagte den Kläger auch nicht zumindest im Standardtarif versichern müsse. Aufgrund der unzureichenden Abwägung habe das Landgericht zu Unrecht auch eine Berechtigung zur Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages angenommen. Das vorgeworfene Fehlverhalten habe sich ausschließlich auf die Krankenversicherung bezogen.

Erstinstanzlich sei bereits mit Schriftsatz vom 5.12.2007 vorgetragen worden, dass die Sehhilfen zwar verspätet, aber doch ordnungsgemäß bezogen und bezahlt worden seien. Der Beklagte habe diesen substantiierten Vortrag nicht mehr angegriffen und auch das Landgericht sei hierauf in der mündlichen Verhandlung nicht mehr eingegangen. Das Landgericht habe es daher unterlassen, zumutbare und erforderliche Maßnahmen zu unternehmen, so dass die Rüge der Verspätung nicht greife. Ein Schaden sei dem Beklagten nicht entstanden, da er, der Kläger, jedes Jahr Anspruch auf einen Zuschuss zu einer neuen Sehhilfe habe.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsverhältnis zu der Vertragsnummer .....93.0 nicht durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 23. Februar 2007 beendet worden sei,

hilfsweise

den Beklagten zu verurteilen, ihn, den Kläger, ab dem 1. Juli 2007 im Standardtarif für ehemals selbständig Versicherte aufzunehmen,

weiterhin hilfsweise

den Beklagten zu verurteilen, beim Wechsel in eine andere Krankenkasse dieser die bislang entstandenen Altersrückstellungen zu übertragen und dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Höhe Altersrückstellungen gebildet wurden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte bestreitet, dass der Kläger die aufgrund des Kostenvoranschlags von 2005 erstatteten Brillen tatsächlich jemals erworben und bezahlt habe. Er bestreitet auch, dass der Kläger sich in der Zeit zwischen 2005 und 2007 mit einer alten Ersatzbrille beholfen habe, zumal er die Ersatzbrille in der Klageschrift noch als unbrauchbar bezeichnet habe. Er ist weiterhin der Auffassung, dass der entsprechende neue Sachvortrag des Klägers nicht berücksichtigt werden könne und dass im Übrigen das Landgericht von dem Sachverhalt ausgegangen sei, der sich aufgrund des Vortrages beider Parteien ergeben habe. Auch die Gesamtabwägung des Landgerichts sei nicht zu beanstanden. Nicht zu beanstanden sei insbesondere, dass das Landgericht im Rahmen der Gesamtabwägung auch berücksichtigt habe, dass der Kläger durch die Einführung des § 315 SGB V nicht "vor dem Nichts" stehe. Ohne Rechtsfehler habe das Landgericht auch ausgeführt, dass es einer Abmahnung nicht bedurft habe.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Beklagte war berechtigt, den Versicherungsvertrag mit dem Kläger zu kündigen, da ihm auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung eines wirksamen Schutzes in der Kranken- und Pflegeversicherung für den Versicherungsnehmer aufgrund des Verhaltens des Klägers ein Festhalten an dem Versicherungsvertrag nicht zugemutet werden kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die umfassenden, alle Aspekte bedenkenden Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt und umfassend gewürdigt, dass hier ein Sachverhalt gegeben ist, bei welchem der Versicherungsnehmer in besonders schwerwiegender Weise die Belange des Versicherers seinem Eigennutz hintangestellt hat, indem er sich Versicherungsleistungen erschlichen oder zu erschleichen versucht hat. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Landgericht weder die rechtlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung in der privaten Krankenversicherung verkannt noch ist es von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

In der privaten Krankenversicherung gilt das Prinzip der Kostenerstattung, d. h. der Versicherte bezahlt in der Regel zunächst Arzt, Medikamente und sonstige Heil- und Hilfsmittel selbst und erhält dann nach Vorlage der Rechnung vom Versicherer seine Aufwendungen erstattet. Ein Anspruch des Versicherten auf Leistung z. B. bei einer Sehhilfe durch den Versicherer besteht erst dann, wenn er selbst die entsprechenden Aufwendungen getätigt hat. Der Kläger hatte mit seinem Leistungsantrag 2005 bezüglich der beiden bei A. bestellten Brillen nicht die Erstattung bereits angefallener Kosten, auf welche er Anspruch gehabt hätte, begehrt. Er hat vielmehr Kostenvoranschläge vorgelegt und damit eine Zahlung beantragt, auf welche er noch keinen Anspruch hatte, wie ihm als langjährigem Versicherungsnehmer in der privaten Krankenversicherung durchaus bekannt und bewusst sein musste. In der Vorlage der Kostenvoranschläge mit dem Antrag auf Leistung liegt zugleich auch die Zusicherung, etwaige von dem Beklagten bereits auf dieser Grundlage vorab gezahlte Leistungen zweckentsprechend für die Anschaffung der beantragten Sehhilfen auszugeben. Dies hat der Kläger nicht gemacht. Er hat die Sehhilfen nach Erhalt der Kostenerstattung durch den Beklagten nicht bezogen und das erhaltene Geld im Rahmen seiner Lebensführung anderweitig - sei es auch über eine Pfändung zur Begleichung von Verbindlichkeiten - verbraucht.

Schon durch dieses Verhalten hat der Kläger gegenüber dem Beklagten einen groben Vertrauensbruch begangen, den er weder hinreichend erklärt noch entschuldigt hat. Angesichts des Umstandes, dass er vorgerichtlich unterschiedliche Erklärungen dafür abgegeben hat, warum er die Brillen nicht abgeholt hat, ist es nicht glaubhaft, dass ihm dies aufgrund familiärer Probleme entfallen sein soll. Zudem ist anhand seines Vortrages nicht ersichtlich, dass diese Probleme nicht bereits bei Bestellen der Brillen bei der Firma A. bestanden haben, sondern erst danach plötzlich eingetreten sind, so dass sie erklären könnten, dass dem Kläger entfallen sein soll, dass er bestellte Brillen abholen muss. Unerheblich ist es, ob der Kläger die Brillen, für die er bereits im Jahr 2005 aufgrund eines Kostenvoranschlages von dem Beklagten Kostenerstattung erhielt, im Jahr 2007 doch noch von der Firma A. bezogen haben sollte. Der im Jahr 2005 gegenüber dem Beklagten begangene Vertrauensbruch kann nicht - rückwirkend - dadurch geheilt werden, dass der Kläger zwei Jahre später einen entsprechenden Betrag zur Anschaffung von Brillen mit gleicher Sehstärke und gleichem Brillenmodell aufwendet.

Unabhängig davon kann der entsprechende Vortrag des Klägers auch gemäß §§ 529, 531 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden, weil er verspätet vorgebracht und nicht dargelegt wurde, dass diese Verspätung nicht auf einem Verschulden des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten beruht. Obwohl der Kläger die Brillen bereits im März 2007 bezogen haben will, wurde dies erst mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 in das Verfahren eingeführt. Dieser Vortrag war erstinstanzlich nicht mehr zu beachten, da er nach Schluss der mündlichen Verhandlung (22. November 2007) erfolgte. Der Vortrag war auch nicht im Hinblick auf den dem Kläger gewährten Schriftsatznachlass noch zu beachten, da dem Kläger lediglich die Erwiderung auf neuen Sachvortrag des Beklagten in dessen Schriftsatz vom 12. November 2007 vorbehalten worden war, nicht aber eigener neuer Sachvortrag. In Bezug auf diesen nach Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen neuen Sachvortrag waren weder prozessleitende Maßnahmen zu ergreifen, noch musste sich der Beklagte in irgendeiner Weise hierauf einlassen.

Unstreitig hat der Kläger schon ein Jahr später mit der Behauptung, die Brille sei zerstört worden, die Erstattung einer weiteren Brille beantragt. Dass im Jahr 2006 eine noch vorhandene Brille zerstört worden sei, legt der Kläger selbst nicht dar. Er bezieht sich auch in seiner Berufungsbegründung nur auf seinen Vortrag, wonach im Jahr 2005 eine Brille dadurch zerstört worden sei, dass sie von einem Bus überrollt wurde. Damit enthält auch der Leistungsantrag aus dem Jahr 2006 eine falsche Behauptung, nämlich die Erforderlichkeit einer neuen Sehhilfe wegen Zerstörung der alten. In Wirklichkeit war für den Kläger im Jahr 2006 die Anschaffung einer neuen Brille deshalb erforderlich, weil er die beiden im Jahr 2005 von der Beklagten bezahlten Brillen nicht bezogen hatte.

Der Kläger kann sein Verhalten auch nicht damit entschuldigen, dass ihm die Geldbeträge für die Brillen in den Jahren 2005/2006 zugestanden hätten, weil er jedes Jahr Anspruch auf Kostenerstattung für eine Sehhilfe habe. Dass die Leistungsbedingungen des Beklagten derart von den üblichen Leistungszusagen in der privaten Krankenversicherung abweichen sollten, dass die Versicherungsnehmer des Beklagten jedes Jahr Anspruch auf Erstattung der für eine neue Sehhilfe erforderlichen Kosten haben, ohne Rücksicht darauf, ob sie diese anschaffen oder nicht und ob eine neue Sehhilfe aus medizinischen (Sehstärkenänderung) oder tatsächlichen (Beschädigung) Gründen erforderlich ist, erschließt sich aufgrund des Vortrags des Klägers im Hinblick auf § 1 Nr. 1 und 2 MB/KK94 (vgl. Bl. 22 d. A.) nicht.

Bei dieser Sachlage war der Beklagte berechtigt, sowohl den Krankenversicherungsvertrag als auch den Vertrag über die Pflegeversicherung zu kündigen. Zwar betraf das Fehlverhalten des Klägers nur die Krankenversicherung. Die Pflegeversicherung ist jedoch einmal insoweit an die Krankenversicherung gebunden, als diese Voraussetzung dafür ist, dass beim gleichen Versicherer auch eine Pflegeversicherung bestehen kann, so dass der Beklagte bei Beendigung der Krankenversicherung sich auch von der Pflegeversicherung lösen kann und damit zugleich der diesbezügliche gesetzliche Kontrahierungszwang (§§ 20 ff., 110 SGB XI) entfällt. Der Versicherer kann deshalb die fristlose Kündigung jedenfalls dann auf die Pflegeversicherung erstrecken, wenn er auch insoweit aufgrund des Verhaltens des Versicherungsnehmers von einem irreparablen Vertrauensverlust ausgehen muss, was vorliegend der Fall ist: Die Gefahr einer Leistungserschleichung durch Vortäuschungsverhalten besteht insoweit gleichermaßen (vgl. hierzu auch Senat, Urteil vom 14.11.2008 - 10 U 592/97 -).

Die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung gemäß § 314 BGB liegen vor. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, die dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertrages unzumutbar machen. Für die private Krankenversicherung ist dabei im Hinblick auf die soziale Funktion anerkannt, dass ein wichtiger Grund zur Kündigung erst dann gegeben ist, wenn der Versicherungsnehmer in besonders schwerwiegender Weise die Belange des Versicherers seinem Eigennutz hintanstellt. Das ist vor allem der Fall, wenn er sich Versicherungsleistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht (vgl. BGH Urteil vom 18.7.2007 - Az: IV ZR 129/06).

Auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung einer Kranken- und Pflegeversicherung für die soziale Absicherung des Versicherungsnehmers sowie der sehr lang andauernden vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ist es bei einer Gesamtwürdigung des Verhaltens des Klägers für den Beklagten nicht zumutbar, die Verträge über die Kranken- und Pflegeversicherung mit dem Kläger aufrecht zu erhalten.

Bei dieser Abwägung kann im Ergebnis letztlich auch das Verhalten des Klägers, das er nach der Kündigung durch den Beklagten an den Tag gelegt hat und mit welchem er den Beklagten zur Rücknahme der Kündigung bewegen wollte, nicht außer acht gelassen werden, denn es hätte wiederum eine hinreichende Grundlage für eine neuerliche fristlose Kündigung ergeben, rechtfertigt damit auch das endgültige Festhalten an der bereits ausgesprochenen, unabhängig davon bereits begründeten fristlosen Kündigung. Nicht nur hat er sein Fehlverhalten zu keiner Zeit eingeräumt und als entschuldigenden und nachfühlbaren Grund seine persönliche Situation angeführt. Er hat vielmehr durch eine Vielzahl falscher Angaben, die Übergabe einer falschen Brille und die Vorlage einer fingierten Rechnung über seine Leistungserschleichung hinweg zu täuschen versucht. Als er erkennen musste, dass der Täuschungsversuch mit der fingierten Rechnung ohne Erfolg war, hat er versucht, den Aussteller dieser Gefälligkeitsrechnung zu bewusst wahrheitswidrigen Angaben gegenüber dem Beklagten zu veranlassen. Unter Abwägung des gesamten Verhaltens des Beklagten kann auch bei Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger seit sehr vielen Jahren Versicherungsnehmer des Beklagten ist, überwiegend "Nettozahler" war und bei fortgeschrittenem Alter durch den Verlust seiner Kranken- und Pflegeversicherung besonders hart getroffen wird, es dem Beklagten nicht zugemutet werden, das Vertragsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen.

Dabei bedarf der vorliegende Sachverhalt keiner Entscheidung zu der Frage, ob im Rahmen der Abwägung, ob dem Versicherer im Einzelfall ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zusteht, mit berücksichtigt werden kann, dass mit der Einführung des Standardtarifs dem Versicherungsnehmer die zuvor nicht gegebene Möglichkeit eröffnet wird, aufgrund des Kontrahierungszwangs bei einem anderen Versicherer eine Krankenversicherung zu erhalten, so dass die sozialen Folgen der außerordentlichen Kündigung des bisher bestehenden Versicherungsvertrages gemildert sind.

Entgegen der Auffassung des Klägers bedurfte es einer Abmahnung vor Ausspruch der fristlosen Kündigung nicht. Die Abmahnung soll dem Vertragspartner, der seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt hat, die Gelegenheit geben, zu vertragsgemäßem Verhalten zurückzukehren. Durch die Verweisung auf den Katalog aus § 323 Abs. 2 BGB stellt § 314 Abs. 2 S. 2 BGB klar, dass es einer Abhilfefrist oder einer Abmahnung nicht bedarf, wenn diese Maßnahmen keinen Sinn ergeben. Dies gilt gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Beendigung des Vertragsverhältnisses rechtfertigen. Letzteres ist der Fall, wenn durch die Pflichtverletzung eine irreparable Störung der Vertrauensbasis gegeben ist, die auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann (Gaier in MünchKomm BGB, 5. Aufl., § 413 Rdn. 17). Diese Voraussetzungen sind im Falle einer Leistungserschleichung oder einer versuchten Leistungserschleichung gegeben.

Die Klage ist auch hinsichtlich der Hilfsanträge unbegründet. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass es trotz des in § 315 Abs. 1 SGB V auch für die privaten Krankenversicherer eingeführten Kontrahierungszwangs eine Verpflichtung des Beklagten, den Kläger in einem anderen Tarif weiterhin zu versichern, nicht besteht. Der Beklagte war aufgrund eines erheblich treuwidrigen Verhaltens des Klägers zu einer außerordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrages über die Krankenversicherung berechtigt. Bei dieser Sachlage ist er auch berechtigt, einen erneuten Vertragsschluss mit ihm im gleichen Versicherungszweig, jedoch in einem anderen Tarif abzulehnen. Zutreffend hat das Landgericht auch den Anspruch auf Übertragung der bislang entstandenen Altersrückstellungen sowie den diesbezüglich geltend gemachten Auskunftsanspruch abgelehnt, da es hierfür eine gesetzliche oder vertragliche Anspruchsgrundlage nicht gibt. Einwendungen hiergegen hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung nicht erhoben. Der Senat teilt in vollem Umfang die Auffassung des Landgerichts und nimmt zur Begründung auf dessen Ausführungen Bezug.

Da das landgerichtliche Urteil somit richtig ist, ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegeben sind.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 30.563,80 € festgesetzt (Antrag zu 1: 12 X (428,81 € + 38,92 €) X 5 = 28.063,80 €, Hilfsantrag zu 1): nicht werterhöhend; Hilfsantrag zu 2): 2.500 €).

Ende der Entscheidung

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