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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 05.07.2002
Aktenzeichen: 10 U 251/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 836
Wird während des Orkans "Lothar" ein 1750 x 230 cm großes Leuchttransparent von einem Gebäude abgerissen und beschädigt mehrere Fahrzeuge, so spricht trotz des Orkans der Anscheinsbeweis für eine unzureichende Befestigung des Leuchttransparents, wenn bereits zwei Wochen vorher das Transparent infolge unzureichender Befestigung unter Windeinwirkung aus der Verankerung gerissen wurde.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

- abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. -

Geschäftsnummer: 10 U 251/02

Verkündet am 5. Juli 2002

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 22. Januar 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin unterhält vor ihrem Werksgebäude einen Parkplatz, auf dem sie verschiedene zum Verkauf bestimmte Gebrauchtfahrzeuge abgestellt hat. An den Parkplatz grenzt ein Gebäude der Beklagten, auf dem auf der dem Parkplatz zugewandten Seite ein großflächiges Transparent angebracht war. In der Nacht des 26.12.1999 tobte über dem Gebiet der Orkan "Lothar". Dieser wies - jedenfalls nach dem Vortrag der Beklagten - Windgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h auf. Das Transparent stürzte auf den Parkplatz. Dessen Splitter fanden sich tags darauf auf dem Parkplatz zwischen den dort abgestellten Fahrzeugen verteilt vor. Bereits in der Nacht vom 11. auf den 12.12.1999 fiel das auf der Stirnseite des Gebäudes angebrachte Transparent infolge unzureichender Befestigung unter Windeinwirkung ab.

Die Klägerin hat vorgetragen,

das zersplitternde Transparent habe Schäden an acht Fahrzeugen der Klägerin verursacht, deren Gesamtschaden 11.520,02 DM betrage.

Das Landgericht hat die Beklagte am 27.07.2001 im Wege des Versäumnisurteils verurteilt, an die Klägerin 11.520,02 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 01. Mai 2000 zu zahlen. Auf den Einspruch der Beklagten hat die Klägerin ihren Anspruch unter Erhöhung ihrer Zinsforderung weiter verfolgt.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt, das Versäumnisurteil mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass 4 % Zinsen seit dem 21. Januar 2000 ausgeurteilt werden.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass sie schon deswegen für die Schäden nicht einzustehen habe, weil es sich um einen Sturmschaden handele. Vorkehrungen gegen einen derart starken Sturm wie den Orkan Lothar müsse ein Grundstückseigentümer jedenfalls nicht treffen. Im übrigen seien die Kausalität und die Schadenshöhe nicht nachgewiesen.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung unter Aufrechterhaltung des ergangenen Versäumnisurteils die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 11.250,02 DM (5.890,09 €) nebst Zinsen ab 21. Januar 2000 zu zahlen. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten.

II.

Das Landgericht hat zu Recht eine Haftung der Beklagten gemäß § 836 Abs. 1 S. 1 BGB bejaht. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochten Urteil Bezug. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

Wird durch die Ablösung von Teilen eines Gebäudes - wie hier eines Transparents - eine Sache beschädigt, so ist der Besitzer des Grundstücks, sofern die Ablösung Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist, verpflichtet, dem Verletzten den daraus resultierenden Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Besitzer die zum Zwecke der Abwendung der Gefahr im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (§ 836 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB). Die Bestimmung enthält eine Beweislastregelung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (BGH NJW 1985, 1076). Die Haftung beruht auf vermutetem Verschulden des Grundstücksbesitzers und vermutetem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verschulden des Besitzers und dem eingetretenen Schaden (Palandt-Thomas, BGB Kommentar, § 836 Rn. 1). Dafür, dass die Ablösung eines Gebäudeteils Folge einer fehlerhaften Errichtung ist, ist der Geschädigte beweispflichtig (Palandt-Thomas, § 836 Rn. 8). Zur Unterhaltungspflicht gehört die Überprüfung des baulichen und technischen Zustandes, deren Verletzung für die Ablösung des Gebäudeteils ursächlich geworden sein muss und deren Erfüllung den Schaden typischerweise hätte verhindern können. Im Gegensatz hierzu stehen außergewöhnliche Naturereignisse. Bei gewöhnlichen Witterungsverhältnissen dagegen, mit deren Einwirkung auf das Bauwerk erfahrungsgemäß, wenn auch selten zu rechnen ist, spricht bei Ablösung des Teils der Anscheinsbeweis für die Mangelhaftigkeit der Anlage oder Unterhaltung (BGH NJW 1993, 1782). Der Besitzer muss nachweisen, dass er alle Maßnahmen getroffen hat, die aus technischer Sicht geboten und geeignet sind, die Gefahren einer Ablösung von Teilen, sei es nur bei starkem Sturm, nach Möglichkeit rechtzeitig zu erkennen und ihr zu begegnen (Palandt-Thomas, § 836 Rn. 13; BGH NJW 1993, 1782, NJW 1999, 2593, 2594). Hier spricht bereits der Anscheinsbeweis dafür, dass das 1750 x 230 cm große Leuchttransparent durch das von der Beklagten beauftragte Fachunternehmen nicht ordnungsgemäß befestigt war. Denn die Beklagte räumt selbst ein, dass das andere Transparent bereits in der Nacht vom 11. auf den 12. 12. 1999 (sturmbedingt, strittig) aus der Verankerung gerissen worden sei, ohne dass dies mit dem "Orkan Lothar", der am 26.12.1999 über dem Hunsrück herrschte, im Zusammenhang stand.

Das Landgericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme und des vom Kläger vorgelegten Gutachtens des Sachverständigen F nachvollziehbar zur Überzeugung gelangt, dass die vorhandenen Schäden an den vorhandenen Fahrzeugen durch das herabstürzende und zersplitternde Transparent verursacht worden sind. Hierfür sprechen die jeweils gleichartigen Beschädigungen an allen acht Fahrzeugen. Sämtliche Fahrzeuge wiesen nach den Feststellungen des Sachverständigen Lackschäden auf, die mit den Splittern des Transparents durchaus in Einklang zu bringen waren. Eine anderweitige Schadensquelle, die in der Lage gewesen wäre, derart gleichartige Beschädigungen an den Fahrzeugen herbeizuführen, ist nicht ersichtlich.

Zutreffend führt das Landgericht aus, dass der Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 836 Abs. 1 S. 2 BGB nicht gelingt. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass der Besitzer eines Grundstücks auch Vorsorge dafür treffen muss, dass sich ein großflächiges und daher in besonderer Weise dem Wind ausgesetztes Plakat auch dann nicht von einem Gebäude ablöst, wenn ein Sturm von bis zu 200 km/h tobt. Dies folgt nicht nur daraus, dass erkennbar ein herabstürzendes Transparent besonders gefährlich ist, sondern auch daraus, dass Stürme zwar selten sind, gleichwohl aber auch in Deutschland vorkommen. Weiter ist für einen Sturm nicht nur charakteristisch, dass die Gewalt seiner Winde, zumal vor dem Sturm, unberechenbar ist, sondern auch, dass sich innerhalb eines Sturmes der Wind unterschiedlich schnell bewegt und daher nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einem Sturm das eigene Gebäude gerade von einer Sturmböe mit außergewöhnlich hoher Windgeschwindigkeit getroffen wird. Zu recht führt das Landgericht an, dass schließlich ein Sturm regelmäßig mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung heraufzieht. Im Wetterbericht werden regelmäßig vorab Sturmwarnungen ausgesprochen. Dies lässt eine Vorbereitung auf den Sturm zu. Es ist Aufgabe jedenfalls eines solchen Hauseigentümers, der - wie hier - eine in besonderer Weise dem Angriff des Windes ausgesetzte Anlage auf seinem Gebäude unterhält, sich über eventuelle Sturmwarnungen auf dem laufenden zu halten und in Kenntnis dieser jeweils zu aktualisierenden Informationen zu überprüfen, ob sichergestellt ist, dass im Hinblick auf den angekündigten Sturm die Verankerung aller Gebäudeteile dem Sturm standhält. Kann er nicht mit Sicherheit ausschliessen, dass sich auch nur einzelne Gebäudeteile lösen, darf er sich nicht darauf verlassen, das die ursprüngliche Verankerung ausreichen werde, sondern muss ergänzende Sicherungsmaßnahmen treffen, notfalls sofort und vor Ort. Unterschätzt er dabei die Gewalt des Sturmes oder überschätzt er die Standkraft seines Gebäudes, geht dies zu seinen Lasten (vgl. BGH NJW 1999,2593). Angesichts der Situation, dass das andere Transparent bereits in der Nacht vom 11. auf den 12.11.1999 aus der Verankerung gerissen wurde, hätte die Beklagte entsprechende Sicherungsmaßnahmen treffen müssen.

Für den Entlastungsbeweis nach § 836 Abs. 1 S. 2 BGB genügt nicht der Vortrag der Berufung, die Beklagte habe sich eines Fachunternehmens bedient, die das Transparent nach den Regeln der Technik am Gebäude angebracht habe. Denn das andere Transparent wurde bereits in der Nacht vom 11. auf den 12.12.1999 aus der Verankerung gerissen, obgleich es auch seinerzeit von einem Fachunternehmen befestigt worden war. Einer weiteren Beweiserhebung, dass das Transparent ordnungsgemäß befestigt worden ist, bedarf es deshalb nicht.

Hinsichtlich der Feststellungen der Schadenshöhe nimmt der Senat auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug. Die Ausführungen der Berufung bieten keinen Anlass, in eine weitere Beweisaufnahme einzutreten.

Die Berufung hat aus den dargelegten Gründen keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.520,02 DM festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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