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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 09.03.2001
Aktenzeichen: 10 U 407/00
Rechtsgebiete: AKB, VVG


Vorschriften:

AKB § 71 Nr. 2 S. 3 V Nr. 4
VVG § 6 III S. 1
Eine Obliegenheitsverletzung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer nach einem von ihm behaupteten Unfall am Nürburgring nicht an der Unfallstelle verbleibt, um dort in zeitlicher und räumlicher Nähe zum vermeintlichen Unfallort zur Sachaufklärung beizutragen, insbesondere weder die Polizei noch die Streckenleitung informiert.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil - abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO -

verkündet am: 9. März 2001

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Weiss und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 4. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus Vollkaskoversicherung in Anspruch.

Mit Schadensanzeige vom 27.6.1997 behauptete der Kläger, am 22.6.1997 gegen 18.00 Uhr auf der Nordschleife des Nürburgrings mit seinem PKW Porsche verunfallt zu sein. Er sei bei nasser Fahrbahn in einem Bergabgeschlängel ins Schleudern geraten, habe sich gedreht und sei dann linksseitig in die Leitplanken gefahren. Trotz Aussteigen und Zurückgehen habe er eine konkrete Beschädigung an der Leitplanke nicht feststellen können. Danach habe er den Nürburgring verlassen, den Zeugen H verständigt, mit dem er ca. 1 Stunde später vergeblich versucht habe, die konkrete Unfallstelle zu finden. Der Kläger verständigte weder den Streckendienst der Nürburgring GmbH noch die Polizei. Die Unfallstelle konnte von dem Kläger gegenüber dem von der Beklagten beauftragten Sachverständigen nicht angegeben werden. Der Kläger fordert von der Beklagten unter Berücksichtigung der vertraglich vereinbarten Selbstbeteiligung einen Betrag von insgesamt 53.600,-- DM. Die Beklagte hat wegen vorsätzlicher Aufklärungspflichtverletzung Leistungen abgelehnt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

II.

1) Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen, weil die Beklagte wegen Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei geworden ist (§ 7 I Nr. 2 S. 3 und V Nr. 4 AKB i.V.m. § 6 III S. 1 VVG). Leistungsfreiheit des Versicherers besteht, wenn der Versicherungsnehmer seine Obliegenheit verletzt hat, nach Eintritt des Versicherungsfalls alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann, es sei denn, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich maßgeblich nach den vom Versicherer im Schadensanzeigeformular gestellten Fragen (Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. (1998), § 7 AKB Rdnr. 13; Senatsurteil vom 12.3.1999 - 10 U 419/98 - NVersZ 1999, 273, 274). Zur Obliegenheit des Versicherungsnehmers gehört es, dass die in der Schadensanzeige gemachten Angaben wahrheitsgemäß und vollständig sind. Unter die Aufklärungspflicht fallen sämtliche Umstände, die zur Feststellung des Entschädigungsbetrags von Bedeutung sein können.

a) Zutreffend hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Kläger nach dem von ihm behaupteten Unfall am Nürburgring nicht an der Unfallstelle geblieben ist, um dort in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zum vermeintlichen Unfallort zur Sachaufklärung beizutragen. Es hätte im Hinblick auf die Erheblichkeit des Schadens (laut Dekra-Gutachten 56.358,61 DM) nahe gelegen, die Polizei oder zumindest die Streckenleitung über das Schadensereignis zu informieren, auch wenn mit Ausnahme der an sich an der Leitplanke zu erwartenden Beschädigung angeblich kein Fremdschaden entstanden ist. Aufgrund des Ergebnisses des unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen B kann der Schadenshergang nicht mit der Unfallörtlichkeit in Einklang gebracht werden. Insbesondere sind die massiven Eindrückungen der Karosseriebeblechung im unteren und mittleren Abschnitt des Seitenteils links hinten vor dem Radlaufbogen am Porsche einer Streifkollision nicht zuordnungsfähig. Die Beschädigungen und Spurzeichnungen an der Fahrzeugfront sowie an der linken Aufbauseite des Porsche lassen sich in ihrer Gesamtheit einer bzw. mehreren Kollisionen mit den Schutzplanken im bezeichneten Bauabschnitt der Nordschleife des Nürburgringes ebenfalls nicht zuordnen. Die Nordschleife in dem vom Kläger so bezeichneten Bergabgeschlängel im Bereich der Kurven 105, 109, 110 weist durchweg 3-fach Leitplanken auf. Der kollisionsdynamische Vorgang ist nur beim Unterfahren der Leitplanke möglich. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass auszuschließen sei, dass sich ein Anstoß an einer 3-fachen Leitplanke so zugetragen habe, wie vom Kläger beschrieben. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich zudem daraus, dass der Kläger, auch gegenüber dem Gutachter, nicht in der Lage war, die Unfallörtlichkeit konkret anzugeben. Soweit die Berufung die Parteivernehmung bzw. Anhörung des Klägers und des Zeugen H beantragt, ist dieses Beweiserbieten unerheblich. Denn der Kläger kann auch heute die Unfallstelle nicht konkret angeben. Der Zeuge H soll nach den Angaben des Klägers erst nachträglich gemeinsam mit dem Kläger die Unfallstelle gesucht, aber nicht gefunden haben. Der Zeuge H kann deshalb ebenfalls keine sachdienlichen Angaben machen. Die Einholung eines weiteren unfallanalytischen Gutachtens ist aus der Sicht des Senats angesichts der unzureichenden Angaben des Klägers zum Unfallort nicht angezeigt. Da der PKW unstreitig Unfallschäden erlitten hat, muss sich der Unfall auf andere Art und Weise, insbesondere unter anderen Umständen, die hier keiner tieferen Erörterung bedürfen, zugetragen haben. Die Angaben in der Kasko-Schadensanzeige hinsichtlich Unfallort, Unfallhergang und Unfallzeit waren deshalb falsch.

b) Der Senat geht davon aus, dass der Kläger vorsätzlich seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen ist (zur Vorsatzvermutung BGH VersR 1976, 849, 850; Senatsurteil vom 15.1.1999, NVersZ 1999, 272 = VersR 1999, 1536; Senatsurteil vom 26. Mai 2000 - 10 U 1627/97 -). Die Einlassung des Klägers, er habe nach dem Unfallereignis unter Schock gestanden, ist nicht glaubhaft. An den Gegenbeweis sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Prölss/Martin, § 6 Rn. 105). Auf die diesbezüglichen Ausführungen im angegriffenen Urteil wird bezug genommen. Die vorliegende Verletzung der Obliegenheit war auch generell geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Den Kläger trifft der Vorwurf eines groben bzw. erheblichen Verschuldens (zur Relevanzrechtsprechung Prölss/Martin, aaO, § 6 Rn. 101 m.w.N.).

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 53.600,33 DM. Er entspricht der Beschwer des Klägers.

Ende der Entscheidung

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