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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 24.03.2006
Aktenzeichen: 10 U 433/05
Rechtsgebiete: UZB


Vorschriften:

UZB § 1
UZB § 1 Nr. 1 b
UZB § 2
UZB § 2 Nr. 1
UZB § 2 Nr. 3 d
UZB § 2 Nr. 3 d Satz 3
UZB § 2 Abs. 3 d S. 1
Auch bei Einschluss der Selbsttötung infolge unfallbedingter Geistesstörung in die Unfalldeckung besteht Leistungspflicht nur bei Selbsttötung binnen Jahresfrist nach dem Unfall, der die Geistesstörung verursacht hat.

Zu den Anforderungen an die Darlegung der Geistesstörung.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 433/05

Verkündet am 24. März 2006

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger

auf die mündliche Verhandlung

vom 24. Februar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 17. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt als Bezugsberechtigte von dem Beklagten die Auszahlung einer Unfallzusatzversicherungsleistung, nachdem der Versicherungsnehmer - ihr Ehemann - nach einem Suizid im Februar 2003 verstorben ist. Der Beklagte beruft sich darauf, dass nach den vereinbarten Bedingungen für die Unfallzusatzversicherung kein Versicherungsschutz bestehe.

Zwischen dem Beklagten und dem Ehemann der Klägerin W... H... bestand seit 1987 ein Lebensversicherungsvertrag (Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall) und ein Unfallzusatzversicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme in Höhe von 50.0000 DM (25.564,59 €). Dem Vertrag lagen unter anderem die Bedingungen für die Unfallzusatzversicherung (UZB) des Beklagten zugrunde. Während der Beklagte nach dem Tod seines Versicherungsnehmers die Versicherungssumme aus der Lebensversicherung an die bezugsberechtigte Klägerin auszahlte, lehnte er die Zahlung der Unfallzusatzversicherungssumme mit Schreiben vom 13. Oktober 2003 mit der Begründung ab, der Todesfall falle nicht unter den Versicherungsschutz der Unfallzusatzversicherung.

Der Ehemann der Klägerin war im August 2001 Opfer eines schweren Verkehrsunfalls geworden, wobei er sich eine schwere Hirnverletzung zugezogen hatte. Hierbei war es zu einer intracerebralen Blutung und einem Subduralhämatom rechts zentral gekommen, das osteoplastisch trepaniert worden war. Folge dieser Hirnverletzung war unter anderem eine sensorische Aphasie und Wortfindungsstörung sowie eine allgemeine posttraumatische Hirnleistungsschwäche mit Defiziten in der Konzentration, einer vermehrten Reizbarkeit und Erschöpfbarkeit. Nachdem sich nach Durchführung umfangreicher Rehabilitationsmaßnahmen im Lauf der Zeit herausgestellt hatte, dass der Ehemann der Klägerin sein Sprachvermögen nur begrenzt würde wiederherstellen können und auch weiterhin in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt bleiben würde, kam er am 4. Februar 2003 kurz vor Beginn einer neuen Rehabilitationsmaßnahme durch Suizid zu Tode, indem er sich auf dem Speicher des gemeinsamen Einfamilienhauses erhängte. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, in welchem er zum Ausdruck brachte, dass er nicht mehr wolle. Wegen der Einzelheiten des Abschiedsbriefes wird auf dessen Kopie (Bl. 62 GA) Bezug genommen.

Die Parteien streiten um die Auslegung des § 2 (3)d UZB. Diese Bestimmung lautet:

§ 2 Was ist ein Unfall im Sinne dieser Bedingungen

(1)

(2)

(3) Dagegen fallen nicht unter den Versicherungsschutz:

d) Selbsttötung, und zwar auch dann, wenn der Versicherte die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn jener Zustand durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis hervorgerufen wurde.

Die Klägerin hat geltend gemacht, es sei davon auszugehen, dass der vorliegende Todesfall ein eigenständiges versichertes Unfallereignis darstelle. Im Übrigen habe ihr Ehemann die Selbsttötung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen, wobei dieser Zustand durch den Verkehrsunfall vom August 2001 hervorgerufen worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.564,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. November 2003 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, ein zur Leistungspflicht führender Versicherungsfall liege nicht vor. Zum einen stelle ein Suizid keinen eigenständigen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen dar, zum anderen scheide eine Leistungspflicht deshalb aus, weil der Tod des Versicherungsnehmers nicht - wie nach seiner Auffassung von den Bedingungen gefordert - innerhalb eines Jahres nach dem Verkehrsunfall vom August 2001 eingetreten sei. Im Übrigen sprächen die Umstände des Suizides gegen einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit bei dem Versicherungsnehmer.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Die Klägerin verfolgt ihr erstinstanzliches Klagebegehren auf Zahlung von 25.564,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 15. November 2003 weiter und macht geltend, der Entscheidung des Landgerichts liege ein falsches Verständnis der Auslegung der Versicherungsbedingungen, insbesondere der Abgrenzung von Unfall und Unfallfolgen zugrunde. In § 1 Nr. 1 b UZB werde eine zeitliche Verknüpfung zwischen dem Unfall und der Selbsttötung nicht hergestellt sondern lediglich eine zeitliche Verknüpfung zwischen dem Unfall und dem daraufhin eintretenden Tod. Liege die Ausnahme des § 2 Nr. 3 d Satz 3 vor, dann sei die Selbsttötung als Unfall versichert. Eine zeitliche Verknüpfung werde hier entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht hergestellt.

Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Berufung. Er beruft sich darauf, dass es sich bei der Bestimmung in § 1 Abs. 1b UZB nicht um eine Ausschlussklausel, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung handele. Diese zeitliche Verknüpfung sei auch im Rahmen des § 2 zu berücksichtigen und müsse dort nicht erneut dargestellt werden. Anhaltspunkte für den verständigen Versicherungsnehmer, zwischen einem natürlichen Tod und einem Suizid zu differenzieren, seien nicht ersichtlich. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 2 Abs. 3d S. 1 UZB sei eine Selbsttötung niemals ein Unfallereignis. Dann, wenn nach Satz 2 der genannten Bestimmung Versicherungsschutz bestehe, sei Unfall immer nur das vorgelagerte Ereignis, das zu dem Zustand einer die freien Willensbestimmung ausschließenden Störung der Geistestätigkeit geführt habe. Die Klägerin verkenne mit ihrer Auslegung den klaren Wortlaut der Versicherungsbedingungen. Im Übrigen sei nach dem Inhalt des Abschiedsbriefes des Ehemannes der Klägerin unzweifelhaft davon auszugehen, dass dieser sich bei Begehung des Suizids nicht in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden, sondern seinen Zustand klar erkannt habe.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Versicherungsleistung gegenüber dem Beklagten nicht zusteht, weil der Tod des Ehemannes durch Suizid im Februar 2003 nach den unstreitig in das Vertragsverhältnis einbezogenen Bedingungen für die Unfallzusatzversicherung von dem Versicherungsschutz nicht umfasst ist.

Unstreitig hat sich der Ehemann der Klägerin selbst getötet. Nach § 2 Nr. 3 d UZB fällt eine Selbsttötung des Versicherten nicht unter den Versicherungsschutz, und zwar auch dann nicht, wenn der Versicherte die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat. Diese Bestimmung steht im Einklang mit der Definition des Unfalls im Sinne der Bedingungen für die Unfallzusatzversicherung in § 2 Nr. 1 UZB. Danach liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Ein Suizid kann in aller Regel diese Definition eines Unfalls nicht erfüllen, so dass insoweit § 2 Nr. 3 d UZB ebenso wie auch die weiteren Alternativen der Nr. 3 lediglich eine Klarstellung enthält, aus der sich ergibt, dass ein Suizid kein eigenständiger Unfall ist. Der Suizid wird gemäß Satz 2 von Nr. 3 d nur dann in den Versicherungsschutz eingeschlossen, wenn er in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand begangen wurde und dieser Zustand durch ein anderes, unter den Versicherungsschutz fallendes Unfallereignis hervorgerufen wurde. Daraus folgt, dass ein Suizid nur dann unter den Versicherungsschutz fällt, wenn er sich als Folge der durch den vorangegangenen Unfall verursachten Gesundheitsschädigung erweist, und zwar auch nur dann, wenn diese Gesundheitsschädigung in einer gravierenden Störung der Geistestätigkeit besteht, so dass eine freie Willensbildung nicht mehr erfolgen kann. Für einen Tod, der als Unfallfolge eintritt, besteht gemäß § 1 UZB Versicherungsschutz jedoch nur, wenn der Tod innerhalb eines Jahres eingetreten ist. In Bezug auf den Verkehrsunfall vom August 2001, der unstreitig den bei dem Versicherungsnehmer bestehenden Zustand einer fortbestehenden erheblichen Beeinträchtigung seiner Hirnleistungen herbeigeführt hat, ist diese Voraussetzung für die Leistung des Beklagten nicht erfüllt, da der Tod des Ehemannes der Klägerin aufgrund seines Suizids im Februar 2003 mehr als ein Jahr nach dem Unfall eingetreten ist.

Darüber hinaus ist der geltend gemachte Anspruch auch deshalb nicht begründet, weil die Klägerin nicht hinreichend schlüssig vorgetragen und auch nicht unter Beweis gestellt hat, dass ihr Ehemann im Zeitpunkt seines Suizids sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hatte. Für diesen Zustand kommt es darauf an, ob der Versicherte imstande war, seinen Willen unbeeinflusst von der vorliegenden Störung zu bilden, ob ihm also eine freie Willensentscheidung möglich war oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil die Willensbestimmung von unkontrollierten Trieben und Vorstellungen gesteuert worden ist (BGH VersR 1994, 162 ff.). Die Klägerin hat insoweit in der Klageschrift nur vorgetragen: " Als Folge des Unfalls verblieben bei dem VN eine sensorische Aphasie und Wortfindungsstörung, die trotz intensiver logopädischer Behandlung keine Besserung fanden. Darüber hinaus wurden allgemeine posttraumatische Hirnleistungsschwächen mit Defiziten in der Konzentration, einer vermehrten Reizbarkeit und einer vermehrten Erschöpfbarkeit festgestellt. ... In der Folgezeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand des VN erheblich. Der VN war depressiv und aufgrund der von den Ärzten mitgeteilten, negativen Prognose hinsichtlich seiner Sprachstörungen und Konzentrationsstörungen gab sich der VN mehr und mehr auf. Trotz intensiven Bemühungen der Verwandtschaft und der weiteren ärztlichen Behandlung kam es zu keinen Verbesserungen am Krankheitsbild des VNs." Aus dieser eher vagen Schilderung des Gesundheitszustandes des Ehemannes der Klägerin ergeben sich schon keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen, die einem Sachverständigen die Beurteilung erlauben könnten, ob der Versicherungsnehmer noch zu einer freien Willensbildung in der Lage war oder ob seine Willensbestimmung von unkontrollierten Trieben und Vorstellungen gesteuert wurde. Im Übrigen hat die für das Vorliegen eines die freie Willensbildung ausschließenden Zustands der krankhaften Störung der Geistestätigkeit beweispflichtige Klägerin weder für das Vorliegen dieses Zustandes noch für einzelne Anknüpfungstatsachen Beweis angeboten. Zudem deutet auch der vom Versicherungsnehmer hinterlassene Abschiedsbrief nicht darauf hin, dass sein Entschluss zum Suizid von unkontrollierten Trieben gesteuert wurde, sondern darauf, dass er im Bewusstsein seiner Behinderung und deren Fortbestehen nicht weiterleben wollte, sein Handeln damit von rationalen Erwägungen bestimmt war.

Da das Landgericht somit die Klage zu Recht abgewiesen hat, ist die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegeben sind.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 25.564,69 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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