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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 20.05.2005
Aktenzeichen: 10 U 434/03
Rechtsgebiete: BB-BUZ


Vorschriften:

BB-BUZ § 1 Nr. 1
BB-BUZ § 2 Nr. 1
1. Für die Frage, ob bei einem Lagerarbeiter in einer Reifenfirma eine mindestens 50 prozentige Berufsunfähigkeit besteht, ist aus arbeitsmedizinischer Sicht nicht nur eine Beurteilung der orthopädischen Beschwerden maßgebend. Weitere Beeinträchtigungen des Herzens, des Kreislaufs, der Amtungsorgane sowie eine psychische Beeinträchtigung können in der Gesamtschau eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit rechtfertigen (in Anknüpfung an BGH Urteil vom 22.9.1993 - IV ZR 203/92 - VersR 1993, 1470, 1471; vgl. auch Senatsurteile vom 27. August 1999 -10 U 105/91 - R+S 2000, 433 = Zfs 2000, 504 = VersR 2000, 1224; vom 10. November 2000 - 10 U 278/00 - NVersZ 2001, 212 = R+S 2002, 33 = VersR 2002,344; vom 29. Juni 2001 - 10 U 1073/99 - VersR 2002, 469; Urteil vom 29. November 2002 - 10 U 211/02 - NJW-RR 2003, 682 = VersR 2003, 759 LS).

2. Auch bei einer angeborenen Intelligenzminderung des VN kann eine Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit erst nach Eintritt des Vertragsverhältnisses erfolgt sein, insbesondere wenn diese in unmittelbaren Zusammenhang mit einer nach Vertragsschluss aufgetretenen depressiven Symptomatik steht (in Anknüpfung an BGH Urteil vom 27.1.1993 - IV ZR 309/91 - VersR 1993, 469, 470).


Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 10 U 434/03

3 O 7/01 LG T.

Verkündet am 20. Mai 2005

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts T. vom 3. April 2003 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I.

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.881,54 € nebst 4 % Zinsen aus 9.739,35 € ab dem 20.2.2001 und nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.492,90 € ab 20.2.2001 und aus 649,29 € ab 1.3.2001 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, für die Zeit ab 1.4.2001 monatlich 649,29 €, und zwar in Vierteljahresraten jeweils zum 1. eines Kalendervierteljahres im Voraus, längstens bis zum 1.1.2035, für die bis zum 22. April 2005 fällig gewordenen Beträge jeweils verzinslich mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. des jeweiligen Fälligkeitsmonats zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Kläger für die Zeit ab Februar 1999 keine Beiträge mehr zur Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der Beklagten unter der Nr. schuldet.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten beider Rechtszüge trägt der Kläger 6/100, die Beklagte 94/100.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch.

Der am 15.07.1969 geborene Kläger unterhält seit Dezember 1986 bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Am 17.02.1999 stellte er den Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, die er mit orthopädischen Beschwerden sowie Depressionen (Antriebslosigkeit, Konzentrationsmängel u.a.) begründete. Die Beklagte verweigerte Versicherungsschutz.

Nach seinem Schulabschluss trat der Kläger erfolgreich eine Lehre als Schlosser an, war später in diesem Beruf jedoch nicht tätig. Von 1991 bis März 1999 war er durchgehend als Lagerarbeiter bei der Reifenfirma M. beschäftigt. Zu seinem Aufgabengebiet gehörte es, Reifen von LKWs abzuladen und auf Förderbänder zu legen sowie diese Reifen dann mit einem Gabelstapler in eine Lagerhalle zu transportieren und einzusortieren. Die Arbeiten wurden jeweils von 3 Arbeitern bewerkstelligt, wobei diese abwechselnd mit dem Beladen, dem Gabelstaplerfahren und dem Sortieren betraut wurden. Nachdem der Kläger mehrmals in Jahren 1997 und 1998 wegen Krankheiten arbeitsunfähig war, wurde ihm vom Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nahegelegt. Da er dieser Empfehlung nicht folgte, wurde ihm im Januar 1999 betriebsbedingt gekündigt. Seit März 1999 ist er arbeitslos.

Der Kläger befand sich seit der Kündigung durchgehend in nervenfachärztlicher Behandlung bei Dr. N.. Er hat bei der Landesversicherungsanstalt wegen Erwerbsunfähigkeit einen Rentenantrag gestellt, der abschlägig beschieden wurde. Nach Klageerhebung und Einholung eines Gutachtens von Dr. N., der auf Grund psychischer Auffälligkeiten des Klägers von einer Erwerbsunfähigkeit von vorerst 2 Jahren ausging, wurde ihm durch Urteil des Sozialgerichts T. vom 09.1.2001 (4 R 189/00) eine befristete Rente bewilligt. Diese wird zwischenzeitlich als Dauerrente weitergezahlt.

Der Kläger ist der Ansicht, die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente seien gegeben. Er sei auf Grund degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule auf Dauer nicht in der Lage, den bei der Reifenfirma M. ausgeübten Beruf weiter auszuüben. Allein auf Grund der dadurch verursachten Rückenbeschwerden sei er zu 50 % berufsunfähig. Darüber hinaus liege bei ihm eine dauerhafte depressive Störung vor, die sich in Lustlosigkeit, Interessenlosigkeit, Schlafstörungen und Reizbarkeit dokumentiere. Diese Befindlichkeitsstörung lasse es nicht zu, einer Berufstätigkeit ordnungsgemäß nachzugehen. Insoweit beruft er sich auf das in dem Sozialgerichtsverfahren erstattete Gutachten von Dr. N. sowie darauf, dass ihm nunmehr auch eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Landesversicherungsanstalt zuerkannt sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn aus der Kapitalversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Nr. für den Zeitraum vom 01.02.1999 bis 31.03.1999 39.198,32 DM zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen,

a) ihm eine wachsende Jahresrente i. H. v. zur Zeit (2001) 15.833,52 DM zu gewähren, und zwar zahlbar in Vierteljahresraten im voraus, im Verzugsfalle mit 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskont-Überleitungs­Gesetzes vom 09.06.1998 verzinslich

b) Befreiung von der Pramienzahlungspflicht zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, es liege beim Kläger keine 50-%ige Berufsunfähigkeit vor, die Versicherungsleistungen hätte auslösen können. Was die orthopädischen Beschwerden betrifft, beruft sie sich auf das von ihr eingeholte Gutachten des Prof. Dr. Sch. von der Rheinischen Friedrich-Wilhelm Universität vom 11.03.2000, wonach eine Einschränkung der Berufstätigkeit lediglich i. H. v. 30 % gegeben sei. Des weiteren beruft sie sich auf das von ihr eingeholten Gutachten von Prof. Dr. F. vom 14.02.2000. Danach habe allenfalls für die Dauer von 6 Monaten nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine relevante depressive Symptomatik mit einer dadurch verursachten 20-%igen Berufsunfähigkeit vorgelegen. Angesichts der nur kurzfristigen Beeinträchtigung könne nicht von der für die Gewährung einer Rente erforderlichen Dauerhaftigkeit der Berufsunfähigkeit ausgegangen werden.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung über die Art der Tätigkeit des Klägers und zu seinen Erkrankungen die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn

a) 19.811,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.02.2001 zu zahlen,

b) für die Zeit ab 1.4. 2001 monatlich 649,29 €, und zwar in Vierteljahren jeweils zum 1. eines Kalendervierteljahres im Voraus, für die bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat fällig gewordenen Beträge jeweils verzinslich mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. des jeweiligen Fälligkeitsmonats,

2. festzustellen, dass der Kläger für die Zeit ab Februar 1999 keine Beträge mehr schuldet zur Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der Beklagten unter der Nr..

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat nimmt im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug (§ 540 Abs. 1 ZPO n.F.).

II.

Die Berufung ist überwiegend begründet.

1) Vollständige bzw. teilweise (mindestens 50 %ige) Berufsunfähigkeit im Sinne von § 2 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 1 Nr. 1 der zum Vertragsgegenstand gemachten "Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung" (BB-BUZ, Anlage B 8, GA 55) liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Im Rahmen der Ermittlung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend ist, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h., solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH Urteil vom 22.9.1993 - IV ZR 203/92 - VersR 1993, 1470, 1471; vgl. auch Senatsurteile vom 27. August 1999 -10 U 105/91 - R+S 2000, 433 = Zfs 2000, 504 = VersR 2000, 1224; vom 10. November 2000 - 10 U 278/00 - NVersZ 2001, 212 = R+S 2002, 33 = VersR 2002,344; vom 29. Juni 2001 - 10 U 1073/99 - VersR 2002, 469; Urteil vom 29. November 2002 - 10 U 211/02 - NJW-RR 2003, 682 = VersR 2003, 759 LS). Dies gilt allerdings mit der Maßgabe, dass der Verlust der Fähigkeit, den Beruf bzw. eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben, erst während der Vertragsdauer eingetreten sein darf (§ 1 (1) BB-BUZ). War der Versicherte bereits vor Vertragsabschluß nicht mehr fähig, in seinem konkret ausgeübten Beruf tätig zu sein, kann die Feststellung nicht getroffen werden, dass der Versicherte die Fähigkeit zur Berufsausübung erst während der Vertragsdauer verloren hat (BGH Urteil vom 27.1.1993 - IV ZR 309/91 - VersR 1993, 469, 470).

2) Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststehe, dass der Kläger in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Lagerarbeiter oder einem der von der Beklagten aufgeführten Verweisungsberufe zumindest zu 50 % berufsunfähig sei. Das Landgericht ist gestützt auf die fachorthopädischen Gutachten von Prof. Dr. H. vom 4.3. 2002 (GA 92), Krankenhaus der Barmherzigen Brüder T., sowie das im Auftrag der Beklagten erstellte Privatgutachten von Prof. Dr. O. Sch., Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Bonn, vom 11.3.2000 (Anlage B 5) zur Überzeugung gelangt, dass auf orthopädischem Gebiet lediglich eine Beeinträchtigung der Berufsunfähigkeit von 30 % vorliege.

a) Bei dem Kläger bestehe entsprechend der Begutachtung durch Prof. Dr. H. orthopädischerseits ein chronisch-rezidivierendes Vertebralsyndrom ohne cervikale, lumbale Nervenwurzelkompressionssymptomatik mit Steilstellung der Halswirbelsäule und lumbothorakaler Mißbildungsskoliose bei Blockwirbelbildung L 1/2 mit endgradiger Einschränkung der Halswirbelsäulen- und einer mäßigen Einschränkung der Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit. Dieses teilweise degenerative Krankheitsbild, auf das die vom Kläger verspürten Rückenschmerzen zurückzuführen seien, habe zur Folge, dass die Belastbarkeit des Achsenorgans bleibend herabgesetzt sei. Der Kläger sei nicht in der Lage, schwere Lasten von 20 kg zu heben und täglich dauerhaft Arbeiten in Zwangshaltung (gehockt, gebückt, verdreht, Überkopfarbeit) auszuüben. Die Tätigkeit des Klägers erschöpfe sich aber nicht in dem Heben, Beladen und Verladen von Reifen, sondern erfasse auch die weniger belastende Tätigkeit des Fahrens eines Gabelstaplers. Zudem hätten nach der vom Zeugen Michel bekundeten Arbeitsplatzbeschreibung die Reifen nur ein Gewicht von 6-8 kg und nicht 20 kg. Deshalb sei davon in Übereinstimmung mit den Sachverständigen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. Sch. auszugehen, dass der Kläger auf orthopädischem Gebiet lediglich zu 30 % in seiner Berufsfähigkeit eingeschränkt sei.

b) Demgegenüber vermochte die Kammer eine Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit auf psychiatrischem Gebiet nicht anzuerkennen. Die Kammer stützte dabei ihre Überzeugung auf die Begutachtung des Sachverständigen Prof. Dr. F., der den Kläger zunächst auf Veranlassung der Beklagten am 11.11.1999 (Anlage B 6, Privatgutachten vom 16.2.2000) und dann erneut am 04.11.2002 als gerichtlicher Gutachter untersucht hat (Gutachten 11.11.2002, GA 157). Prof Dr. F. führte aus, dass nach der betriebsbedingt erfolgten Kündigung des Arbeitsverhältnisses beim Kläger eine erhebliche depressive Symptomatik aufgetreten sei, die eine intensive Behandlung zur Folge gehabt habe. Der Kläger habe hierdurch bedingt zunächst einer Berufstätigkeit nicht nachgehen können. Bei dem Kläger handele es sich um eine einfach strukturierte Persönlichkeit. Die Kündigung sei für ihn völlig unvermittelt gekommen und habe ihm die entscheidende Grundlage für seine Lebensgestaltung entzogen. Hierbei habe es sich um eine Befindlichkeitsstörung gehandelt. Diese sei aber spätestens nach 6 Monaten soweit zurückgegangen, dass sie ihn nicht mehr gehindert hätte, seinen Beruf als Lagerarbeiter in dem allerdings auf Grund der orthopädischen Beschwerden herabgesetzten Umfang auszuüben. Bei der am 11.11.1999 erfolgten Untersuchung des Klägers, die Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Prof. F. vom 16.02.2000 gewesen sei, habe der Gutachter keine relevante depressive Symptomatik feststellen können. Der Kläger habe lediglich noch über Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen geklagt, die - so der Gutachter - den Kläger jedoch nicht daran hinderten, den Beruf als Lagerarbeiter weiter auszuüben. Der Gutachter habe vielmehr dem Kläger empfohlen, sich um eine entsprechende Berufstätigkeit zu bemühen, um der Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit zu begegnen. Auch bei der am 4.11.2002 erfolgten Untersuchung sei eine Beeinträchtigung des Klägers auf psychiatrischem Gebiet nicht festzustellen gewesen. Relevante psychische Verstimmungszustände habe der Gutachter nicht erkennen können. Der Kläger habe weiter darüber geklagt, dass er lustlos in den Tag hinein lebe, Schlafstörungen habe und sich über jede Kleinigkeit aufrege. Im Gegensatz zur früheren Untersuchung habe er Suizidgedanken verneint. Wie bereits im November 1999 sei der Gutachter zu dem Ergebnis gelangt, dass auf psychiatrischem Gebiet eine Einschränkung der Berufsfähigkeit nicht feststellbar sei, vielmehr die Eingliederung des Klägers in das Berufsleben dringend empfohlen werde, um dem Kläger wieder einen Lebensinhalt zu geben.

Die Kammer sah in dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. auch keinen Widerspruch zu der Begutachtung des Sachverständigen Dr. N., der im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens den Kläger im Frühjahr 2000 untersuchte (4 R 1 88/00 SG T.). Dr. N. gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger aus psychiatrischer Sicht auf Dauer von 2 Jahren erwerbsunfähig sei. Dem Kläger wurde daraufhin im sozialgerichtlichen Verfahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf die Dauer von 2 Jahren zuerkannt. Die Kammer stellte darauf ab, dass die Berufsunfähigkeit im Sinne der Vertragsbedingungen indes voraussetze, dass dieser Zustand voraussichtlich auf Dauer bestehe (vgl. zur Abgrenzung Erwerbsunfähigkeit in der Sozialversicherung und Berufsunfähigkeit in der BUZ Senatsurteil vom 27. August 1999 - 10 U 105/91 - VersR 2000, 1224 = R+s 2000, 433 = Zfs 2000, 504). Der körperlich-geistige Gesamtzustand des Versicherten müsse derart beschaffen sein, dass eine günstige Prognose für die Wiederherstellung der verloren gegangenen Fähigkeiten in einem überschaubaren Zeitraum nicht gestellt werden könne (BGH VersR 1990, 729). Dabei werde von der Rechtsprechung ein Prognosezeitraum von mindestens 3 Jahren angenommen (OLG Hamm, VersR 95, 84). Von einer solchen dauerhaften Berufseinschränkung könne aber gemäß den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. F. auf psychiatrischem Gebiet nicht ausgegangen werden.

3) Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 28.11.2003 die Einholung eines arbeitsmedizinischen Zusammenhanggutachtens angeordnet (GA 254). Dem Gutachter wurde aufgegeben, die im Rahmen des Verfahrens erstellen Gutachten auf fachorthopädischem und psychiatrischem Gebiet zu verwerten und die Arbeitsplatzbeschreibung gemäß Beweisbeschluss des Landgerichts vom 7.2.2002 (GA 86) und die Tätigkeitsbeschreibung des Zeugen Michel (GA 77, 78) zugrunde zu legen. Mit der Erstellung ist der Sachverständige Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. G. T., Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- und Soziamedizin des Universitätsklinikums Heidelberg beauftragt worden.

a) Der Sachverständige Prof. Dr. T. hat im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens ausgeführt, dass der zum Untersuchungszeitpunkt 34 Jahre alte Kläger über Rückenschmerzen geklagt habe, die nach ca. einer Stunde im Sitzen oder Stehen auftreten würden. Dabei habe er Schmerzen bzw. Taubheitsgefühle in den Beinen sowie Schmerzen in beiden Kniegelenken und Kopfschmerzen beschrieben. Er habe im Gesundheitsfragebogen Beschwerden wie Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, außergewöhnliche Müdigkeit und Alkoholunverträglichkeit angegeben . Die Resultate von zwei Gesundheitsfragebogen (Beck-Depressions- Inventar und PHQ-D) seien im Sinne einer depressiven Verstimmung zu interpretieren. Bei der körperlichen Untersuchung habe sich ein stark übergewichtiger Mann in gutem Allgemeinzustand gezeigt. Der Body-Maß-Index habe 37,0 kg/m² bei einem oberen Normwert von 25 kg/m² betragen. Der Kläger leide an einem erhöhten Blutdruck von 150/110 mmHG. Der Bluthochdruck sei seit 1998 bekannt. Als Folge des Übergewichts bestehe eine Fettleber mit erhöhten Leberenzymaktivitäten von GPT und Gamma-GT. Aufgrund der neuropsychologischen Untersuchung sei von einem durchschnittlichen Intelligenzquotient von 92 auszugehen, die aktuelle (fluide) Intelligenz sei mit 73 Punkten stark unterdurchschnittlich. Der Sachverständige verwies auf die psychiatrischen Begutachtungen von Prof. Dr. F. und Dr. med. N., wonach die Erhebungsinstrumente auf psychische Störungen hinwiesen. Die Einschätzung von Dr. N. habe für ihn stärkeres Gewicht, da der Nervenarzt den Kläger mehrere Jahre behandelt habe.

Der Sachverständige Prof. Dr. T. hat sich sodann speziell mit der Tätigkeit des Klägers als Lagerarbeiter bzw. Gabelstaplerfahrer bzw. einer etwaigen Vergleichstätigkeit (Maschinenführer, Schlosser in der maschinellen Werkstattbearbeitung) befasst. Dabei ging der Sachverständige sowohl von den Angaben des Klägers als auch von den Angaben des Zeugen Michel aus (Arbeitsplatzbeschreibung), letztere wie im Bewesbeschluss des Senats vorgegeben.

Voraussetzungen für die Tätigkeit als Lagerarbeiter seien (Literatur: Scholz und Wittgens 1992) eine robuste Gesundheit und ausreichende Körperkräfte. Vor allem müsse der Stütz- und Bewegungsapparat funktions- und leistungsfähig sein. Die Arbeit erfordere volle Gebrauchsfähigkeit der Hände, Arme, Beine und Wirbelsäule. Bei Fahr- oder Steuertätigkeiten würden auch Anforderungen an das Sehvermögen gestellt. Personen mit Erkrankungen der Wirbelsäule, der Arme und Beine, mit eingeschränkter Greiffunktion der Hände und mit Erkrankungen des Herzens, des Kreislaufs und der Atmungsorgane seien als untauglich anzusehen. Um die Schwere der körperlichen Arbeit im Hinblick auf die Wirbelsäulenerkrankung zutreffend zu beurteilen, könne auf arbeitsmedizinische Erfahrungswerte und Klassifizierungen unter Berücksichtigung der Höhe des Arbeitsenergieumsatzes und der Herzfrequenz der Ganzkörperarbeit oder bei Berücksichtigung von Arbeitshaltung und Art der Arbeit verwiesen werden (Übersicht s. Scheuch 2003). Wenn man als wesentliches Kriterium das Bewegen von Lasten von vorwiegend bis zu 10 kg und gelegentlich von mehr als 20 kg zugrunde lege, die mehr als die Hälfte seiner Arbeitskraft ausgemacht hätten, habe der Kläger mittelschwere bis schwere körperliche Arbeit verrichtet. Da körperliche Schwerarbeit bekanntlich zu Blutdruckanstieg führe, sei eine Gesundheitsgefährdung zu verzeichnen, die zu einer Leistungsminderung führe. Bei psychischen BE.iterscheinungen, wie Depression, Angststörung und Panikattacken, sei es schwierig, eine Blutdruckerkrankung adäquat zu normalisieren. Diese Voraussetzung treffe für den Kläger zu, da er an einer depressiven Störung leide und ein Antidepressivum einnehme. Die körperliche Leistungsfähigkeit sei durch das Übergewicht begrenzt. Die chronische Wirbelsäulenerkrankung führe zu der arbeitsmedizinischen Empfehlung, das Heben und Tragen schwerer Lasten zu vermeiden oder zumindest auf ein Minimum zu beschränken. Es gehöre zu den gesicherten Erkenntnissen in der Arbeitsmedizin, dass das langjährige Heben und Tragen schwerer Lasten ab ca. 15 kg die Entstehung einer Wirbelsäulenerkrankung im Sinne einer Berufskrankheit verursachen könne. Der Sachverständige verwies darauf, dass neben der Wirbelsäulenerkrankung bei dem Kläger degenerative Kniegelenksveränderungen bestünden, die ebenfalls die Eignung für das Heben und Tragen schwerer Lasten einschränkten. Aufgrund der Wirbelsäulen- und Kniegelenkserkrankung für das Heben und Tragen schwerer Lasten ab ca. 15 kg und des Bluthochdrucks und des starken Übergewichts sei der Kläger für mittelschwere bis schwere körperliche Arbeiten nicht geeignet bzw. nur eingeschränkt geeignet.

Da der Kläger im zeitlichen Umfang von vier bis sechs Stunden am Tag, d.h. mindestens halbschichtig, diesen körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen sei, sei von einer mindestens 50 %- igen Berufsunfähigkeit auszugehen (Seite 25 des Gutachtens). Der Sachverständige ging gestützt auf die Ausführungen von Dr. med. N. davon aus, dass sich die Depression seit Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Jahre 1999 nicht wesentlich gebessert habe.

Der Sachverständige hat sich auch eingehend mit den im Beweisbeschluss genannten Vergleichstätigkeiten auseinandergesetzt. Er hat die berufskundlichen und arbeitsmedizinischen Aspekte der Berufe Maschinenführer, Schlosser in der maschinellen Werkstattbearbeitung dargelegt (S. 27 f. des Gutachtens). Gesundheitliche Voraussetzung für den Schlosserberuf sei ein mindestens mittelkräftiger Körperbau, die Anforderungen an den Bewegungsapparat seien relativ hoch. Der Schlosserberuf verlange weiterhin eine Befähigung im Rechnen, ein räumliches Vorstellungsvermögen, technisches Verständnis, Sinn für Konstruktion und Bewegungsabläufe, Formen und Zahlengedächtnis. Die vielseitige Tätigkeit erfordere eine ruhige, stete Arbeitsweise, Sinn für Exaktheit und Sauberkeit. Der Umgang mit Maschinen- und Maschinenparks erfordere Verantwortungsbewusstsein und Besonnenheit. Ausschlusskriterien seien schwächerer Körperbau, stärkere Verkrümmungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderungen an Armen und Beinen, erhebliche Sehschwäche und Neigung zu Schwindelanfällen.

Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger auch diese Vergleichstätigkeiten nicht ausüben könne.

b) Der Sachverständige Prof. Dr. med. Dipl.-Chemiker Gerhard T. hat im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat am 22. April 2005 das Ergebnis seiner schriftlichen Begutachtung bestätigt. Der Sachverständige legte zunächst dar, dass er im Rahmen seiner arbeitsmedizinischen Betrachtung eine Gesamtwürdigung des Grades der Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit des Klägers gemacht habe. Diese Gesamtwürdigung setzte sich aus den einzelnen Beeinträchtigungen auf orthopädischem, psychiatrischem und internistischem Gebiet (Bluthochdruck) unter Berücksichtigung der spezifischen beruflichen Anforderungen zusammen, die an den Kläger gestellt werden und die in der Gesamtschau den Grad einer Beeinträchtigung von mindestens 50 % der Berufsfähigkeit rechtfertigen. Dabei gehe er davon aus, dass der Kläger nur PKW-Reifen bis zu 8 kg, keine LKW-Reifen heben müsse. Im Zeitpunkt seiner Untersuchung habe ein eindeutiges depressives Syndrom beim Kläger vorgelegen, wobei der Gutachter immer wieder betonte, dass er die gesondert psychiatrischen Begutachtungen und Therapieüberlegungen nicht in Frage stelle.

Für den Senat von Bedeutung war u.a. der Aspekt, ob der Grad der Beeinträchtigung auf eine angeborene Intelligenzminderung zurückzuführen ist, so dass eine etwaige bedingungsgemäße Beeinträchtigung der Berufsunfähigkeit nicht während der Dauer der Vertragszeit eingetreten wäre, oder ob während der Vertragszeit sich eine Verschlechterung ergeben hat. Der Sachverständige hat hierzu eindeutig Stellung bezogen und dargelegt, dass trotz der angeborenen Defizite der Kläger im Rahmen seines Lebenslaufes eine durchschnittliche Entwicklung gezeigt habe und in der Testsituation die sogenannte "flüssige Intelligenz" eine deutliche Beeinträchtigung gezeigt habe, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der depressiven Symptomatik stehe. Diese Symptomatik sei mit dem Krankheitsbild verknüpft und bedeute keine angeborene Minderausstattung des Klägers. Der Sachverständige verwies hinsichtlich der Prognose darauf, dass die stationäre Therapie im Jahre 2002 wohl letztlich erfolglos geblieben sei. Der Sachverständige hatte keinen Anhalt dafür, dass der Kläger situationsbedingt aufgrund einer Begehrenstendenz eine Depressionssymptomatik nur vorgetäuscht habe. Aggravationstendenzen schloss der Sachverständige aus. Der Sachverständige hat schließlich bekundet, dass davon auszugehen sei, dass bereits seit 1999 von einer Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit in dem hier beschrieben Sinne auszugehen sei und keine dynamische Verschlechterung bis zum Zeitpunkt der von ihm vorgenommenen Untersuchung stattgefunden habe.

Der Senat hatte keinen Anlass, an den von Sachkunde getragenen Ausführungen des Sachverständigen zu zweifeln. Der Sachverständige hat für den Senat überzeugend und widerspruchsfrei dargelegt, warum der Kläger zumindest zu 50 % nicht in der Lage ist, seine zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit als Lagerarbeiter und Gabelstaplerfahrer auszuüben und auch nicht in der Lage ist, die von der Beklagten aufgezeigten Vergleichstätigkeiten auszuüben.

c) Der Senat hatte keinen Anlass, ein Obergutachten, wie von der Beklagten im Termin am 22.4.2005 (GA 305) und in den Schriftsätzen vom 10.5. und 12.5. 2005 beantragt, einzuholen. Der Sacherständige hat die vorliegenden Gutachten auf fachorthopädischem, psychiatrischem Gebiet und die internistischen Erkenntnisse verwertet. Entgegen den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 10.5.2005 ist der Sachverständige nicht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen und hat ungeprüft die Angaben des Klägers während der Untersuchung übernommen. Zwar hat der Kläger auch davon gesprochen, dass er Lastwagenreifen hebe, der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten die vom Senat vorgegebene Tätigkeitsbeschreibung des Zeugen Michel beachtet und in seiner Anhörung klargestellt, dass dieser Punkt unerheblich sei, da auch beim Heben von PKW-Reifen eine dem Kläger nicht zumutbare Beeinträchtigung bestehe. Der Senat erachtet die Einholung eines Obergutachtens durch andere Sachverständige auch deshalb für nicht angezeigt, da der Sachverständige Prof. Dr. T. hier ein arbeitsmedizinisches Zusammenhangsgutachten erstellt hat und die Bewertung des Grades der Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit sich nicht in der Addition der von den einzelnen Fachgutachtern festgesetzten Bemessungsgrade erschöpft.

4) Der Kläger kann für den Zeitraum ab Februar 1999 bis März 2001, d.h. für 26 Monate eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 649,29 € verlangen, mithin 16.881,54 €. Der von der Berufung weitergehend im Klageantrag zu 1) a verfolgte Betrag ist unbegründet. Zinsen waren in Höhe von 4 % zuzusprechen für den rückständigen Betrag von 9.739,35 €, da § 1 DÜG erst ab 1.5.2000 in Kraft getreten ist und erst Rechtshängigkeitszinsen ab 20.2.2001 verlangt werden. Für die Folgezeit sind 5 Prozentpunkte über Basiszinssatz in Ansatz zu bringen.

Der Klageantrag zu 1 b) ist mit der Maßgabe begründet, dass die Rente längstens bis 1.1.2035 gezahlt wird.

Der Feststellungsantrag zu 2) auf Beitragsbefreiung ist begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 50.866,93 €. (19.811,03 € Rückstände; 27.270,18 € (649,29 € x 42 Monate) ab 1.4.2001; Feststellung Beitragsbefreiung 112,67 € x 42 Monate x 80 % = 3.785,71 €).

Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 543 ZPO.



Ende der Entscheidung

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