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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 27.01.2005
Aktenzeichen: 10 U 483/04
Rechtsgebiete: BB-BUZ 85


Vorschriften:

BB-BUZ 85 § 1 Nr. 1
BB-BUZ 85 § 2 Nr. 1
BB-BUZ 85 § 2 Nr. 2
Ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente besteht nicht, wenn aufgrund eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgutachtens feststeht, dass bei dem VN - hier selbständiger Handelsvertreter und Gruppenleiter - zwar eine psychische Fehlverarbeitung eines Verkehrsunfalls vorliegt, diese jedoch im wesentlichen Umfange durch einen Versorgungswunsch motiviert ist, das Vorliegen bzw. Anhalten einer depressiven Symptomatik bzw. einer Angsterkrankung im Sinne einer Panikstörung ausgeschlossen werden kann (vgl. auch Oberlandgericht Koblenz Urteil vom 17. November 2000 -10 U 1979/99 - NVersZ 2001, 161).
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Hinweisbeschluss

(gemäß § 522 Abs. 2 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 483/04

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert

am 27. Januar 2005

einstimmig

beschlossen:

Tenor:

Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Gründe werden nachfolgend dargestellt. Dem Kläger wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 5. Mai 2005.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch.

Der Kläger war seit 1979 bis zu seinem Unfall am 26.1.1991 als selbständiger Handelsvertreter im Elektrohandel bei der Firma V. & Co. AG tätig. Seit dem 1.2.1989 übte er dort eine Tätigkeit als sogenannter Gruppenleiter aus. Der Tätigkeitsbereich des Klägers umfasste die Vermittlung von Aufträgen (Bestellungen) zur Lieferung von V.-Raumpflegegeräten, die ständige Betreuung und Weiterbildung der in der Gruppe tätigen selbständigen Handelsvertreter, deren Unterstützung in der Werbung, die Vermittlungs- und Verkaufstätigkeit durch gemeinschaftliche Gruppenarbeit, die persönliche Werbung neuer Handelsvertreter, die gründliche Ausbildung neuer Handelsvertreter inklusive der Überprüfung der ersten 25 Aufträge dieser Handelsvertreter sowie den Verkauf von Vorwerk-Raumpflegegeräten, Zubehör- und Verbrauchsmaterial. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Arbeitsplatzbeschreibung vom 10.10.1997 (GA 415 ff.) Bezug genommen.

Der Kläger unterhält seit dem 27.07.1987 bei der Beklagten eine Kapitallebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ 85). Am 26.1.1991 erlitt er infolge eines Verkehrsunfalls eine HWS-Distorsion. Der Kläger befand sich im Verlaufe des Jahres 1991 bis Anfang 1992 insgesamt 107 Tage stationär in verschiedenen Krankenhäusern. Der Chefarzt der Fachklinik für konservative Orthopädie und manuelle Medizin, Dr. med. M. P., stellte am 14.2.1992 folgende Diagnose:

Posttraumatisches Cervikalsyndrom bei Funktionsstörung C1/2 bei Zustand nach HWS-Distorsion am 26.1.1991, Cervikobrachialgie links mit neurologischer Ausfallssymptomatik unklarer Genese, thorakales Blockierungssyndrom, Lumboischialgie links mit pseudoradikulärer Symptomatik bei Funktionsstörungen im Bereich der LWS und Adipositas.

Der Kläger hat behauptet, infolge des Verkehrsunfalls sei er seit dem 26.1.1991 zu 100 % berufsunfähig. Er hat dies maßgeblich auf orthopädische Beschwerden infolge des Unfallereignisses gestützt. Nachdem im Verlaufe des Verfahrens mehrere Begutachtungen auf orthopädischem Gebiet erfolgt waren, ließ der Kläger diese Behauptungen fallen.

Er hat nunmehr vorgetragen,

seine Behinderungen stammten nicht aus den von ihm empfundenen körperlichen Störungen, sondern aus einer gravierenden, schweren neurotischen Fehlentwicklung, die er seit dem Unfallereignis habe.

Der Kläger hat nach verschiedenen Anpassungen der Klageanträge zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.907,66 DM nebst 4 % Zinsen aus 1.129,66 DM seit dem 01.09.1991 sowie 4 % Zinsen aus 3.389,-- DM seit dem 01.10.1991 sowie 4 % Zinsen aus 3.389,-- DM seit dem 01.10.1992 zu zahlen

sowie

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 40.668,00 DM nebst jeweils 4 % Zinsen aus den jeweils seit dem 01.01.1993 fälligen Beträgen (= 2.606,51 DM) für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.1995, sowie 4 % Zinsen aus 40.668,00 DM seit dem 01.01.1996 zu zahlen

und

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 50.835,00 DM nebst 4% Zinsen aus den jeweils seit dem 01.01.1996 fälligen Beträgen (= 4.021,60 DM) für die Zeit vom 01.01.1996 bis 30.09.1999, sowie 4 % Zinsen aus 50.835,00 DM seit dem 01.10.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Langgericht hat nach umfangreicher Beweisaufnahme und Einholung von Gutachten die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Der Kläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.043,12 € nebst 4 % Zinsen aus 577,58 € seit dem 1.9.1991 sowie 4 % Zinsen aus 1.733,99 € seit dem 1.10.1991 sowie 4 % Zinsen aus 1.733,99 € seit dem 1.10.1992

weitere 20.793,22 € nebst 4 % Zinsen aus dem jeweils seit dem 1.1.1993 fälligen Beträgen (=1.332,69€) für die Zeit vom 1.1.1993 bis 31.12.1995, sowie 4 % Zinsen aus 20.793,22 € seit dem 1.1.1996,

weitere 25.991,52 € nebst 4 % Zinsen aus den jeweils seit dem 1.1.1996 fälligen Beträgen (= 2.056,21 €) für die Zeit vom 1.1.1996 bis 30.9.1999 sowie 4 % Zinsen aus 25.991,52 € seit dem 1.10.1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen.

II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen und einen Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung verneint.

Vollständige bzw. teilweise (mindestens 50 %ige) Berufsunfähigkeit im Sinne von § 2 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 1 Nr. 1 der zum Vertragsgegenstand gemachten "Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung" (BB-BUZ 85, Anlage B 2, GA 61) liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Im Rahmen der Ermittlung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h., solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH Urteil vom 22.9.1993 - IV ZR 203/92 - VersR 1993, 1470, 1471; vgl. auch Senatsurteile vom 27. August 1999 -10 U 105/91 - R+S 2000, 433 = Zfs 2000, 504 = VersR 2000, 1224; vom 10. November 2000 - 10 U 278/00 - NVersZ 2001, 212 = R+S 2002, 33 = VersR 2002,344; vom 29. Juni 2001 - 10 U 1073/99 - VersR 2002, 469; Urteil vom 29. November 2002 - 10 U 211/02 - NJW-RR 2003, 682 = VersR 2003, 759 LS). Dies gilt allerdings mit der Maßgabe, dass der Verlust der Fähigkeit, den Beruf bzw. eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben, erst während der Vertragsdauer eingetreten sein darf (§ 1 (1) BB-BUZ). War der Versicherte bereits vor Vertragsabschluß nicht mehr fähig, in seinem konkret ausgeübten Beruf tätig zu sein, kann die Feststellung nicht getroffen werden, dass der Versicherte die Fähigkeit zur Berufsausübung erst während der Vertragsdauer verloren hat (BGH Urteil vom 27.1.1993 - IV ZR 309/91 - VersR 1993, 469, 470).

Aufgrund der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zumindest zu 50 % berufsunfähig ist. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. Christoph E. hat in seinem umfangreichen psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgutachten vom 2.10.2003 (GA 701- 774) ausgeführt, dass bei dem Kläger zwar eine psychische Fehlverarbeitung des Unfalls vom 26.01.1991 vorliege, diese jedoch im wesentlichen Umfange durch einen Versorgungswunsch des Klägers motiviert sei. Diese psychische Fehlverarbeitung beruhe teilweise auf konversionsneurotischen Mechanismen, sei jedoch in wesentlichem Umfang bewusstseinsnah und durch einen Versorgungswunsch motiviert. Der Gutachter führte aus, dass diese konversions-neurotische Reaktionsbereitschaft sicher als Teil des persönlichen Geworden-Seins vorbestanden habe. Zweifelsfrei habe das Unfallereignis faktisch einen Versorgungswunsch befördert. Der Fehlverarbeitung liege zwar eine teilweise Neigung zu einer neurotischen Konfliktverarbeitung zugrunde, vielfach kämen jedoch durchaus bewusste Elemente zum Tragen. Insgesamt sei dem durch willentliche Anspannung zu durchbrechenden Zustandsbild zwar ein auffälliger Störungscharakter, nicht jedoch ein die Berufsunfähigkeit beeinträchtigender oder aufhebender Krankheitswert beizumessen. Der Gutachter Dr. Dr. E. verwies auf die Vielzahl der Vorbegutachtungen sowohl auf orthopädischem als auch neurologischem Gebiet. Die vom Kläger geäußerten (somatischen) Ganzkörperschmerzen seien aufgrund des Unfallereignisses nicht zu erklären. Bereits aus neurologischer Sicht seien von dem Vorgutachter Dr. F. Aggravationstendenzen im Rahmen der Untersuchung beschrieben worden. Seine Einschätzung, dass bei dem Kläger eine konversionsneurotische Symptomatik erkennbar sei, stimme mit der Beurteilung der Vorgutachter Dr. Buchholz, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und Psychoanalyse, Dr. Korn, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Frau N. und Prof.Dr.Dipl.-Psych.H., die ein psychotherapeutisch-psychosomatisches Fachgutachten erstellt hatten, überein.

Im Rahmen der von Dr.Dr. E. durchgeführten Untersuchung konnte das Vorliegen bzw. Anhalten einer depressiven Symptomatik bzw. einer Angsterkrankung im Sinne einer Panikstörung ausgeschlossen werden. Dies belegte der psychopathologische Befund. Richtungsweisend für die Einordnung einer konversionsneurotischen Reaktionsbereitschaft sei eine strukturelle Anlage des Klägers mit lebhafter, aber zeitweise wenig anhaltender und oberflächlicher Affektivität, Neigung zu rascher, aber nicht dauerhafter oder gar schwer narzisstischer Kränkbarkeit sowie ein Hang zu theatralisch anmutender Inszenierung mit egozentrischem Einspiel.

Die Berufung wendet sich gegen die von Dr.Dr. E. vorgenommene Begutachtung und Bewertung des Krankheitsbildes. Sie ist der Auffassung, dass nicht auszuschließen sei, dass der Kläger durch den Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten habe oder dass eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgeblieben sei. Um dies festzustellen, seien stationäre Tests erforderlich. Die Berufung begehrt die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens.

Die von der Berufung vorgebrachten Argumente rechtfertigen keine andere Beurteilung. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im Sinne des § 529 I Nr. 1 ZPO liegen nicht vor. Insbesondere besteht keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten zur Frage einzuholen, ob der Kläger durch den Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten habe, das zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt habe.

Im Rahmen der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist auch ein neurologisches Gutachten erstellt worden. Privatdozent Dr. med. V., Neurologische Klinik und Poliklinik der Universität M., hat in seinem Gutachten vom 17.1.2000 (GA 489 ff.) dargelegt, dass sich im Rahmen der Untersuchung keine neurologischen Ausfälle feststellen ließen. Dies betreffe sowohl den Bereich der peripheren Nerven, die Funktion des Hirnstamms sowie höhere kortikale Funktionen. Aus neurologischer Sicht waren keine Einschränken der beruflichen Tätigkeit des Klägers angezeigt.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 50.827,85 € festzusetzen (bezifferter Antrag 4.043,12 €+ 20.793,22 € + 25.991,52 €).

Ende der Entscheidung

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