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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 04.01.2002
Aktenzeichen: 10 U 595/01
Rechtsgebiete: ALB 86, BGB


Vorschriften:

ALB 86 § 11
BGB § 808
1. Die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins als qualifiziertes Legitimationspapier erstreckt sich auch auf das Kündigungsrecht, den Rückkaufswert aus dem Versicherungsvertrag zu erlangen.

2. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Versicherers liegt nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherungsmakler den Versicherungsschein zur Überprüfung des Vertrages übergeben hat, der Versicherungsmakler unter Beifügung des Versicherungsscheins und eines vermeintlich vom Versicherungsnehmer unterzeichneten Maklermandats den Versicherungsvertrag kündigt und Auszahlung des Rückkaufswerts an sich selbst verlangt, der Versicherer darauf an den Versicherungsmakler ohne nochmalige Nachfrage beim Versicherungsnehmer leistet.

3. Inhaber des Versicherungsscheins im Sinne von § 11 ALB 86 kann auch der Versicherungsmakler sein, wenn er im Rahmen der selbständig vorzunehmenden Neustrukturierung der Versicherungsverhältnisse ein eigenes Recht auf Auszahlung des Rückkaufswerts behauptet.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

(abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 595/01

Verkündet am 4. Januar 2002

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 23. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 9. März 2001 wird zurückgewiesen.

Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 82 %, die Beklagte 18 %, von den außergerichtlichen Kosten die Klägerin 74 %, die Beklagte 26 % zu tragen.

Die Beklagte ist des Rechtsmittels der Anschlussberufung verlustig.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klägerin hatte bei der Beklagten zwei Lebensversicherungen mit den Versicherungsnummern und abgeschlossen. Über die Vers.-Nr. erhielt die Beklagte ein auf den Namen der Klägerin lautendes Kündigungsschreiben vom 05.02.1998 (GA 26). Der Vertrag mit der Nr. wurde mit Schreiben des Versicherungsmaklers B vom 20.04.1998 zum 30.04.1998 gekündigt (GA 12). Diesem Schreiben war ein "Versicherungsmakler-Mandat" beigefügt, welches unter dem Datum 16.04.1998 eine auf den Namen der Klägerin lautende Unterschrift trug (GA 10). Weiter war dem Kündigungsschreiben der Versicherungsschein beigefügt. Auf die Kündigungen zahlte die Beklagte auf das Konto bei der Raiba M e.G. aus: Am 26.03.1998 8.145,-- DM auf den Vertrag-Nr. und am 12.05.1998 11.030,90 DM auf den Vertrag-Nr. Kontoinhaber des Gutschriftskontos war der Versicherungsmakler B. Mit der Klage hat die Klägerin die Auszahlung dieser beiden Beträge an sich verlangt.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe weder das Kündigungsschreiben vom 05.02.1998 verfasst oder unterschrieben, noch habe sie das Versicherungsmakler-Mandat unterzeichnet. Diese Unterschriften habe der Versicherungsmakler Birkenbeil gefälscht, um die Rückkaufswerte für sich zu vereinnahmen. Zwar habe sie Herrn B die Versicherungspolicen übergeben. Dies sei aber nur geschehen, damit er überprüfe, ob eine Änderung der Versicherungsverträge sinnvoll sei.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen an sie 19.175,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 08.09.1999 zu zahlen. Die Beklagte hat sich unter Bezugnahme auf § 11 ALB 1986 auf Leistungserfüllung berufen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme und Einholung eines schriftvergleichenden Sachverständigengutachtens unter Klageabweisung im übrigen die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 8.145,-- DM nebst 4 % Zinsen seit 8.09.1999 zu zahlen. Soweit eine Verurteilung erfolgt ist, hat das Landgericht u.a. darauf abgestellt, dass hinsichtlich des Vertrages Nr. bei Kündigung des Versicherungsvertrages der Versicherungsschein als Legitimationspapier nicht vorgelegt worden sei. Hinsichtlich des Leistungsanspruchs betreffend die Versicherung Nr. stehe der Erfüllungseinwand entgegen. Die Beklagte habe nach Vorlage des Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung an den Versicherungsmakler gezahlt. Mit der Berufung erstrebt die Klägerin Zahlung weiterer 11.030,90 DM nebst Zinsen. Die Beklagte hat, soweit eine Verurteilung erfolgt ist, Anschlussberufung eingelegt, diese im Berufungsverfahren zurückgenommen.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

1) Das Landgericht hat zu Recht die weitergehende Klage hinsichtlich des Leistungsanspruchs hinsichtlich der Lebensversicherung mit der Versicherungsschein-Nr. abgewiesen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug, § 543 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

a) Der Versicherungsmakler B hat mit Schreiben vom 20.4.1998 o.g. Versicherungsvertrag zum 30.4.1998 unter Beifügung des Maklermandats und des Versicherungsscheins gekündigt und um Überweisung des Rückkaufswerts auf sein Konto gebeten. Es mag offen bleiben, ob die Klägerin das Versicherungsmakler-Mandat unterzeichnet hat, oder ob der Makler die Unterschrift gefälscht hat. Auch kann dahinstehen, ob eine etwaige mit dem Maklermandat erteilte Vollmacht, Erklärungen für die Versicherungsnehmerin bei Versicherungsunternehmen abzugeben, bestehende Versicherungen zu kündigen und neue Versicherungen abzuschließen, auch eine Inkassovollmacht des Maklers beinhaltete. Berücksichtigt man, dass die Vollmacht u.a. dazu dient, für den Versicherungsnehmer eine Umstrukturierung seiner Versicherungsverhältnisse vorzunehmen, so erscheint eine Inkassovollmacht zugunsten des Maklers nicht von vornherein sachfremd. Die Beklagte hat jedenfalls aufgrund des vorgelegten Versicherungsscheins leistungsbefreiend den Rückkaufswert aus der Versicherung ausgezahlt. Gemäß § 11 ALB 86 kann der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen. Aufgrund der Inhaberklausel wird der Versicherungsschein zu einem qualifizierten Legitimationspapier im Sinne von § 4 Abs. 1 VVG, § 808 BGB. Der Aussteller wird grundsätzlich dann von seiner Leistungspflicht befreit, wenn er an den Inhaber des Versicherungsscheins leistet, auch wenn dieser zum Empfang der Leistung nicht berechtigt ist. Ein Ausnahme gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur, wenn der Aussteller die mangelnde Verfügungsberechtigung des Inhabers positiv gekannt oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung bewirkt hat, d.h. rechtsmissbräuchlich an den Inhaber des Versicherungsscheins leistet (BGH NJW 2000, 2103; BGH NJW-RR 1999, 898, 899 m.w.N.; vgl. auch Prölss/Kollhosser, VVG, 26. Aufl., § 11 ALB 86 Rn. 5). Streitig ist in Rechtsprechung und Schriftturn die Rechtslage, wenn der Versicherer in grob fahrlässiger Unkenntnis der mangelnden Berechtigung des Inhabers die Auszahlung vornimmt (vgl. zum Meinungsstand bei Prölss/Kollhosser, aaO). Vertraglich versprochene Leistung ist bei einer Lebensversicherung nicht nur die Leistung der Versicherungssumme im Versicherungsfall, sondern auch die Leistung des Rückkaufswerts nach Kündigung des Vertrags (§ 4 ALB 86 i. § 176 VVG). Denn das Recht auf den Rückkaufswert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme (BGHZ 45, 162, 167 = NJW 1966, 1071). Demgemäss erstreckt sich die Legitimationswirkung eines Versicherungsscheins als Urkunde i.S. des § 808 BGB auch auf das Kündigungsrecht, um den Rückkaufswert zu erlangen. Der Versicherer kann den Inhaber des Versicherungsscheins deshalb schon nach § 808 BGB als zur Kündigung berechtigt ansehen, wenn dieser die Auszahlung des Rückkaufswerts erstrebt (BGH NJW 2000, 2103, 2105).

b) Die Vertragsklausel des § 11 ALB 86 stellt entgegen der vereinzelt vertretenen obergerichtlichen Rechtsprechung OLG München, VersR 1999, 1222 und OLG Nürnberg, MDR 2000, 834) keinen Verstoß gegen § 9 AGBG dar (BGH NJW 2000, 2103). Denn der Versicherungsnehmer hat es in der Regel selbst in der Hand, ob er den Versicherungsschein als qualifiziertes Legitimationspapier aus der Hand gibt oder nicht. Gibt er den Versicherungsschein aus der Hand, setzt er sich in eigener Verantwortung dem Risiko aus, dass das Legitimationspapier missbraucht wird. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass sie den Versicherungsschein dem Versicherungsmakler übergeben habe, damit er überprüfen könne, ob eine Änderung der Versicherungsverträge sinnvoll sei. Damit hat sie, ungeachtet der Frage, ob sie auch das Maklermandat unterzeichnet hat - der Sachverständige für Schriftenvergleich konnte aufgrund nicht vorhandener Originale der Urkunde und Mikroverfilmung nicht völlig ausschließen, dass die Unterschrift von der Klägerin stammt (vgl. hierzu auch BGH NVersZ, 2000, 510) - den Versicherungsschein freiwillig aus der Hand gegeben und eine Missbrauchsmöglichkeit eröffnet. Aufgrund des vorgelegten Maklermandats und des Versicherungsscheins bestanden für die Beklagte keine Anzeichen für eine missbräuchliche Verwendung des Versicherungsscheins.

c) Die Streitfrage, ob der Versicherer auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis mit Befreiungswirkung zahlen kann, stellt sich vorliegend nicht. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Beklagte grob fahrlässig die Zahlung des Rückkaufswerts an den Versicherungsmakler Birkenbeil geleistet hat. Insbesondere lässt sich ein grob fahrlässiges Verhalten nicht aus Begleitumständen der Kündigung des Vertrages mit der Nr. herleiten. Das Landgericht hat bezüglich der Kündigung dieses Vertrages eine Leistungserfüllung mit Zahlung an den Versicherungsmakler abgelehnt, weil der Beklagten zum einen der Versicherungsschein als Legitimationspapier nicht vorgelegt würde, zum anderen die Beklagte abweichend vom "Kündigungsschreiben der Klägerin" statt einer Scheckzahlung auf Anruf hin eine anderweitige Auszahlung auf das vom Versicherungsmakler benannte Konto vorgenommen hatte. Auch hat das Versicherungsmaklermandat zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Die Berufung meint, aufgrund der durch diesen Vorfall erlangten Kenntnis hätte sich der Beklagten erneut ein Missbrauch seitens des Versicherungsmaklers aufdrängen müssen, als dieser mit Schreiben vom 20.4.1998 auch hinsichtlich des zweiten Vertrages Auszahlung auf das von ihm benannte Konto verlangte. Diese Argumentation verfängt nicht. Da die Beklagte bereits beim ersten Vertrag hinsichtlich der Auszahlung des Rückkaufswerts an den Versicherungsmakler keinen Verdacht schöpfte, ergaben sich auch bei der Auszahlung des Rückkaufswerts hinsichtlich des im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Vertrages keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch. Hinzu kommt, dass jetzt Versicherungsschein und Maklermandat vorlagen.

d) Die Berufung wendet (unter Bezugnahme auf die Kommentierung von Prölss/Kollhosser, aaO, § 11 Rn. 2) im Ergebnis ohne Erfolg ein, Inhaber des Versicherungsscheins im Sinne von § 11 ALB 86 sei nur, wer den Versicherungsschein in seiner unmittelbaren Gewalt habe und ein eigenes Recht auf Auszahlung behaupte. Inhaber sei nicht der Vertreter, da dieser im fremden Namen auftrete und fremde Rechte geltend mache. Auch sei nicht Inhaber der Agent des Versicherers und etwa der Bote, der in den Besitz des Versicherungsscheins gelange. Dass der Inhaber des Versicherungsscheins ein eigenes Recht geltend machen muss, ergibt sich nicht zwingend aus der Vertragsklausel. Im übrigen kommt es auf diesen Abgrenzungsversuch nicht entscheidend an, da der Versicherungsmakler mit Kündigungsschreiben vom 20.4.1998 im eigenem Namen kündigte. Schließlich weist das Landgericht zutreffend daraufhin, dass der Versicherungsmakler Birkenbeil mit der vorgelegten Bevollmächtigung in Verbindung mit dem Versicherungsschein im Rahmen der selbständig vorzunehmenden Neustrukturierung der Versicherungsverhältnisse ein eigenes Recht auf Auszahlung behauptet und nicht nur als Bote der Klägerin aufgetreten ist.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2, § 515 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ab (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 19.175,90 DM (11.030,90 DM + 8.145,-- DM Anschlussberufung), ab Rücknahme der Anschlussberufung 11.030,90 DM. Die Beschwer der Klägerin beläuft sich auf 11.030,90 DM.

Ende der Entscheidung

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