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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 11.01.2002
Aktenzeichen: 10 U 599/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
1. Zur Frage eines Ursachenzusammenhangs einer Cerebral- bzw. Hemiparese infolge einer Vierfach-Impfung, hier Problematik einer etwaigen Schädigung durch Diphtherie- oder Pertussisganzkeim-Impfstoff, Gutachterstreit.

2. Die Vornahme der im Jahre 1975 durchgeführten Vierfach-Impfung stellte nicht deshalb einen Behandlungsfehler dar, weil das durch Kaiserschnitt zur Welt geborene Kind (Apgar-Wert 9) als Risikokind einzustufen gewesen wäre.

3. Eine Verletzung einer Aufklärungspflicht liegt nicht vor, wenn eine frei praktizierende Kinderärztin nicht über wissenschaftliche diskutierte, schädliche Folgen einer Diphtherieimpfung aufgeklärt hat, dies im Jahre 1975 jedoch noch nicht Stand des Wissens einer frei praktizierenden Kinderärztin sein konnte und es sich im Wesentlichen um einen Spezialistendiskussion handelte.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 599/98

Verkündet am 11. Januar 2002

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 13. März 1998 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 17.000 € abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte aus Arzthaftung in Anspruch. Die Beklagte ist Kinderärztin.

Der Kläger wurde am 07.03.1975 mittels Kaiserschnitt geboren. Sein Apgar-Wert betrug "9". Am 13.08.1975 impfte die Beklagte den Kläger im Rahmen der "U4" mit Quatro-Virelon (Vierfach-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Poliomyelitis). Im Februar 1976 wurde beim Kläger eine Cerebralparese festgestellt.

Der im September 1976 gestellte Antrag des Klägers beim Landesversorgungsamt Rheinland-Pfalz, die aufgetretenen Störungen als Impfschaden anzuerkennen, wurde mit Bescheid vom 13. Oktober 1977 abgelehnt, der Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 17. März 1980 zurückgewiesen.

Die Klage vor dem Sozialgericht Mainz wurde nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. P und eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. N mit Urteil vom 15. September 1981 abgewiesen.

Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil am 26. Oktober 1982 zurückgewiesen. Zuvor war ein Gutachten von Frau Prof. Dr. G eingeholt worden. In allen Entscheidungen war unter Bezugnahme auf die eingeholten Gutachten ein Ursachenzusammenhang zwischen cerebralen Störungen und Vierfach-Impfungen verneint worden.

Die Mutter des Klägers ist seit dem 24. Mai 1994 dessen Betreuerin. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 23. April 1996 ist ihr Aufgabenkreis auch auf die Vertretung des Klägers in Rechtsstreitigkeiten erweitert worden.

Der Kläger hat vorgetragen,

durch die Impfung sei bei ihm das inzwischen diagnostizierte Hirnkrampfleiden mit Halbseitenlähmung verursacht worden. Bereits wenige Stunden nach der Impfung habe er hohes Fieber bekommen, permanent schrill geschrien und sei berührungsempfindlich gewesen. 14 Tage später sei aufgefallen, dass er deutlich krampfe, den linken Arm verdrehe und die Faust geschlossen halte. Es liege nicht nur ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Hirnkrampfleiden vor, sondern ein geradezu klassischer Verlauf einer pertussis (Keuchhusten)-Impfschädigung. Die Beklagte hätte ihn nicht ohne weiteres impfen dürfen, da er ein Risikokind gewesen sei. Bei seiner Geburt sei es zu einem Stillstand mit Sauerstoffmangelzuständen gekommen. Bis drei Wochen nach seiner Geburt habe er unter einem Kephalhämatom gelitten. Im übrigen habe die Beklagte weder über das allgemeine noch über das deutlich erhöhte Impfrisiko aufgeklärt. Es liege somit sowohl ein informatorischer als auch medizinischer Kunstfehler vor. Bis zur Erstellung eines Privatgutachtens des Instituts für Medizinschadensbegutachtung in T vom 12. Oktober 1993 habe er nicht gewusst, dass er den Beweis eines schuldhaft herbeigeführten Impfschadens führen könne. Vorher habe die Verjährungsfrist nicht zu laufen begonnen. Bereits die Tatsache, dass er unter einem Hirnkrampf mit Halbseitenlähmung leide, rechtfertige ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000,- DM. Im übrigen leide er impfbedingt unter einem Entwicklungsrückstand, Intelligenzminderung und stark reduzierter Sprachentwicklung.

Der in der Vergangenheit entstandene materielle Schaden betrage mindestens 90.000,- DM, der sich aus den Kosten für den notwendigen Kauf von Zweitwagen in den Jahren 1977, 1990 und 1996, Steuern, Versicherungen, Wartungskosten und Benzin für den jeweiligen Wagen, Gehschienen, Spezialschuhen und anderem zusammensetze. Aufgrund seiner Gehbehinderung habe er auch in Zukunft einen erheblichen Mehrbedarf in materieller Hinsicht.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 100.000,- DM nebst 4 Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche immateriellen Schäden für den Zeitraum nach Rechtshängigkeit der Klage sowie 90.000,- DM materiellen Schaden - nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit - aus der Vierfach-Impfung mit Quatro-Virelon am 13. August 1975 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und sonstige Dritte übergegangen seien oder übergehen werden,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche zukünftigen materiellen Schäden aus der Vierfach-Impfung mit Quatro-Virelon am 13. August 1975 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und sonstige Dritte übergegangen seien oder übergehen werden.

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung und hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, Schadensersatzansprüche seien bereits verjährt, da diese erst 18 Jahre nach der Impfung, bzw. 11 Jahre nach Abschluss des sozialgerichtlichen Verfahrens geltend gemacht worden seien. Im übrigen sei ihr weder ein informatorischer, noch ein medizinischer Kunstfehler anzulasten. Bei dem Kläger habe es sich nicht um ein Risikokind, sondern um ein normal entwickeltes Kind gehandelt. Ein Geburtsstillstand mit Sauerstoffmangelzuständen werde bestritten. Nichts habe gegen eine Impfung gesprochen. Eine besondere Aufklärung sei nicht notwendig gewesen. Gleichwohl habe sie die Eltern des Klägers ausführlich über die normalen Impfrisiken informiert und dann die gerade in den 70-er Jahren vom Bundesgesundheitsamt empfohlene Impfung durchgeführt.

Der Kläger sei auch anschließend zu weiteren Untersuchungen bei ihr gewesen. Erst am 05. Dezember 1975 habe sie festgestellt, dass er die linke Hand weniger als die rechte Hand gebrauche. Ein Kausalzusammenhang zwischen den cerebralen Störungen des Klägers und der Impfung bestehe nicht. Bei der CT-Untersuchung des Gehirns habe man eine schwere rechtsseitige Hirnschädigung vorgefunden. Eine solche einseitige Gehirnschädigung als Folge eines Impfschadens sei jedoch ausgeschlossen. Vielmehr fege eine angeborene schicksalhafte Erkrankung vor, deren Symptome sich erst im Laufe des ersten und zweiten Lebensjahres entwickelt hätten.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Beklagte weder einen Behandlungsfehler begangen noch eine Aufklärungspflicht verletzt habe. Aufgrund des eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. W sei zwar davon auszugehen, dass durch den Diphtherieanteil des Impfstoffs die Schäden des Klägers verursacht worden seien. Die durchgeführte und 1975 empfohlene Impfung stelle jedoch keinen Behandlungsfehler dar. Vielmehr habe sich ein seltenes Risiko der Diphtherie-Impfung verwirklicht. Bei dem Kläger habe es sich nicht um ein Risikokind gehandelt, so dass die Impfung nicht kontraindiziert gewesen sei. Die Mutter des Klägers habe wirksam in die Impfung eingewilligt. Dass die Beklagte nur über allgemeine mit der Impfung verbundene Risiken, nicht aber über die Risiken der Diphtherie-Impfung aufgeklärt habe, sei unschädlich. Im übrigen wäre eine etwaige Aufklärungspflichtverletzung nicht schadensursächlich gewesen, weil die Kammer davon überzeugt sei, dass die Mutter auch bei Aufklärung über das geringe Risiko einer cerebralen Schädigung die Impfung hätte vornehmen lassen. Die Mutter habe sich nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden, aus dem eine Ablehnung der Impfung verständlich sei.

Gegen das landgerichtliche Urteil wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Er trägt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichens Vorbringens und Beweiserbietens vor: Entgegen der Auffassung des Landgerichts liege eine Aufklärungspflichtverletzung vor. Die Mutter habe nicht rechtswirksam in die Impfung eingewilligt. Sie sei nicht ausreichend über alle Risiken der Vierfach-Impfung aufgeklärt worden. Die Aufklärungspflichtverletzung sei auch schadensursächlich geworden. Die Muttor hätte bei korrekter Aufklärung vor einem gravierenden Entscheidungskonflikt gestanden. Jedenfalls hätte das Landgericht ohne persönliche Anhörung der Mutter des Klägers über diesen Konflikt nicht abschließend entscheiden dürfen.

Der Kläger beantragt nunmehr,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Schlußantrag des Klägers (GA 125, 126, 150, 305) zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor,

entgegen den verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen des Landgerichts sei nicht davon auszugehen, dass ein Impfschaden vorliege. Der Gutachter W habe die zeitlichen Angaben der Mutter des Klägers hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs der Impfung und der angeblich aufgetreten Symptome zugrunde gelegt, obwohl er vor Durchführung des Gutachtens darauf hingewiesen worden sei, dass die Beweissituation vor allem hinsichtlich der Aussagen über die Krankheitserscheinungen in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der erfolgten Impfung nicht ausreichend gesichert sei. Die von Prof. W vertretene Auffassung eines möglichen Kausalzusammenhangs einer Diphtherie-Impfung und dadurch eintretenden Körperschäden sei eine wissenschaftlich nicht erwiesene Einzelmeinung. Deshalb seien sämtliche Vorgutachter im sozialgerichtlichen Verfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Zusammenhang zwischen der Vierfachimpfung und den Körperschaden des Klägers nicht bestehe. Die Mutter des Klägers sei ausreichend aufgeklärt worden. Bei dem Kläger habe es sich nicht um ein Risikokind gehandelt.

Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 2. Juli 1999 (GA 443) darüber Beweis erhoben, ob zum damaligen Zeitpunkt (August 1975) die vorgenommene ärztliche Behandlung - Vierfach-Impfung - bei Kenntnis der Faktoren Sectio, Geburtsstillstand und Apgar-Wert 9 gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen hat und einen groben Behandlungsfehler darstellt, ferner ob die beim Kläger festgestellte Cerebralparese in einem ursächlichen Zusammenhang mit der vorgenommenen Impfung (ggf. mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit). Mit der Erstellung des Gutachtens ist der Sachverständige Prof. Dr. S Universitätskliniken S, beauftragt worden. Auf das Gutachten des Sachverständigen vom 12.1.2000 (GA 458) wird verwiesen. Der Sachverständige Prof. Dr. S - ist in der Sitzung vom 15.12.2000 (GA 510) angehört worden. Schließlich hat der Senat den erstinstanzlich tätig geworden Sachverständigen Prof. Dr. W zur Erläuterung des Gutachtens angehört, nachdem er zuvor Gelegenheit hatte, sich mit den Gutachten des Sachverständigen Prof. S und auch des Privatgutachters Prof. Dr. W (Anl. z. Bl. 384 d.A.) auseinanderzusetzen. Hinsichtlich der Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. W wird auf das Sitzungsprotokoll vom 9.11.2001 (GA 564) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil mitsamt den dort in Bezug genommenen Unterlagen und Gutachten verwiesen, ferner auf die in beiden Rechtszügen zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Die Akten des Sozialgerichts Mainz (Az: S 5 VI 3/80) / Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (Az.: L 4 VI 7/81) waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte weder Schadens- noch Schmerzensgeldansprüche wegen Schlechterfüllung des Arztvertrages aus Positiver Vertragsverletzung oder unerlaubter Handlung zu. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der beigezogenen sozialgerichtlichen Akten und der zur Gerichtsakte gelangten Privatgutachten, Urkunden etc. ist der Senat zur Oberzeugung gelangt (§ 286 ZPO), dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die beim Kläger eingetretene Cerebralparese in einem ursächlichem Zusammenhang mit der von der Beklagten durchgeführten Vierfach-Impfung steht (nachfolgend I.). Ungeachtet dessen würde nach Überzeugung des Senats die vorgenommene Impfung weder einen einfachen noch groben Behandlungsfehler darstellen (nachfolgend II). Insbesondere liegt keine Aufklärungspflichtverletzung hinsichtlich der Risiken der durchgeführten Impfung vor (nachfolgend III).

I. Das Landgericht ist gestützt auf die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W zu dem Ergebnis gelangt, dass die beim Kläger eingetretenen Schäden durch die Vierfach-Impfung verursacht worden seien.

1) Der Sachverständige Prof. Dr. W hat hierzu in seinem schriftlichen Gutachten und der mündlichen Anhörung vor dem Senat ausgeführt, dass bei dem Kläger mit größter Wahrscheinlichkeit durch den Diphtherie-Anteil der Impfung eine Immun-Vasculitis eingetreten sei. Sie habe vor allem zu einer umschriebenen Höhlenbildung im Sinne einer Porencephalie im Versorgungsgebiet der rechten Arteria cerebri media mit konsekutiver Erweiterung des rechten Seitenventrikels, zu entsprechenden Volumenminderungen der Hirnsubstanz und zu analogen Schädelkapselveränderungen zu ungunsten der rechten Seite geführt. Beim Kläger liege das "klassische Bild einer Diphtherie-Impfschadensfolge" vor. Bei der Diphtherie-Schutzimpfung handele es sich um die intramuskuläre Gabe von Diphtherietoxoid, d.h. entgiftetes Toxin von Coryne Bakterium diphtheriae mit absorbierten Aluminiumverbindungen. Hierdurch solle eine Immunität erreicht werden. Bei Impfschädigungen, die schon nach der ersten Konfrontation mit Diphtherie-Impfstoff beobachtet werden, sollen Spuren von vorhandenem Bakterieneiweiß für den verhängnisvollen Krankheitsablauf maßgeblich sein. In jedem Fall handele es sich um ein immunologisches Geschehen mit Bevorzugung von Permeabilitätsstörungen des Endothels der Innenhaut der Gefäße im Sinne einer Immun-Vasculitis. Diese Störungen würden zu einer Schwellung der Gefäßinnenhaut, zur Verstopfung der Gefäße, zur ungenügenden Blutversorgung des umgebenden Gewebes Bzw. zur Ruptur der befallenen Gefäße führen. Das Krankheitsgeschehen der bei Diphtherie-Impfungen beobachteten Immun-Vasculitis entspreche einer fokal bestimmten Encephalopathie. Allerdings könne eine allgemeinere encephalopathische Hemmungs- und Enthemmungssymptomatik im Akutstadium vorliegen, müsse aber nicht. Es sei durchaus möglich, dass schon zu diesem Zeitpunkt ein fokales Anfallsleiden neben generalisierten Anfällen auftrete oder aber erst deutlich davon abgesetzt zur Entwicklung komme, wie dies beim Kläger offensichtlich der Fall gewesen sei. Bei der Immun-Vasculitis im Rahmen einer Diphtherie-Impfschädigung könnten selbst Fieber oder andere Hinweiszeichen auf ein entzündliches Geschehen fehlen. Auch der Liquorbefund könne normal sein hinsichtlich der Zellzahl oder nur geringfügige Erhöhungen des Zucker- oder Eiweißspiegels zeigen.

Dass ein Diphtherie-Impfschaden eingetreten sei, zeige sich in der Regel durch einen mehr oder weniger deutlich in Erscheinung tretenden Funktionsausfall, dessen Beginn für Laien und selbst für Ärzte nicht leicht zu erkennen sei. Beim Kläger stehe im Vordergrund die spastische Halbseitenparese links. Der in Erscheinung getretene Funktionsausfall sei von den Angehörigen immer wieder beschrieben worden.

Der Sachverständige hat zu den Angaben des Vaters des Klägers, das Kind sei nach der Impfung nicht mehr dasselbe gewesen wie vorher, sei nicht mehr so lebhaft gewesen und habe sich anders bewegt, erklärt: Der Verlauf im klinischen Geschehen deute daraufhin, dass der Diphtherie-Anteil zu einer im Vordergrund stehenden isolierten Defektbildung im Bereich der Arteria cerebri media geführt habe. Es entspreche durchaus kinderärztlicher Erfahrung, dass der Beginn der Funktionsausfälle bei einem noch jungen Säugling nicht sofort auf den Tag genau bestimmt werden könne. Bei Erstimpfungen mit Diphtherie-Impfstoff sei der Beginn der Immun-Vasculitis erst nach etwa zwei Wochen deutlich sichtbar. Die Halbseitenparese entspreche auch der durch die radiologische Untersuchung im Bereich des Versorgungsgebiets der rechten Arteria cerebri media nachgewiesenen keilförmigen Hirnschädigung, deren Spitze an den rechten Seitenventrikel grenze, nahezu Liquordichte zeige und scharf demarkiert sei. Konsekutiv sei es zu einer deutlichen Erweiterung des rechten Seitenventrikels gekommen, da die mit Flüssigkeit gefüllte Höhlenbildung im Marklager eine Öffnung zur Konvexität und zum Ventrikelsystem habe. Andere Hirndefekte seien durch die Radiologen nicht nachzuweisen gewesen. Die Schäden seien auch nicht pränatal oder bei der Geburt entstanden. Beim Kläger zeige die rechte Großhirnhemisphäre deutliche Anzeichen einer Volumenverminderung im Vergleich zur linken Seite mit entsprechenden veränderten Schädelkonfigurationen zu Ungunsten der rechten Seite. Dieser Befund sei bei der Größe der Höhlenbildung verständlich und auch zu erwarten gewesen. Die Entstehung solcher Höhlenbildungen sei bei entsprechenden Einwirkungen auf die Hirnsubstanz nicht selten. So könnten solche Höhlenbildungen schon pränatal entstehen oder auf anlagebedingte Hirnmissbildungen hinweisen. Diese Annahme treffe beim Kläger jedoch keinesfalls zu. Die übrigen Hirnteile hätten sich beim CT nämlich unauffällig erwiesen. Bei anlagebedingten Störungen im Sinne einer Porencephalie müsse man in der Regel aber mit beidseitigen oder multiplen Höhlenbildungen rechnen. Solche Höhlenbildungen, die im Rahmen der Geburt bestehen, würden nicht die Abhängigkeit zum Versorungsgebiet der Arteria cerebri media zeigen, wie dies im Falle des Klägers nachgewiesen worden sei. In der Regel würden dann auch bilateral Schädigungen mit Höhlenbildungen vorliegen und dementsprechend zu anderen klinischen Bildern führen, nämlich zu beidseitigen, bald nach der Geburt festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen der oberen oder unteren Extremitäten bzw. zu spastischen Lähmungen aller vier Extremitäten. Da der Kläger länger als fünf Monate eine ganz normale Entwicklungstendenz geboten habe, sei also der Annahme von Frau Prof. Dr. G, dass die Porencephalie schon pränatal oder zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers entstanden sei, zu widersprechen.

Eine wie beim Kläger vorhandene ausgeprägte Höhlenbildung könne unmöglich ohne entsprechendes klinisches Bild ablaufen. Demgegenüber müsse man im akuten Krankheitsgeschehen bei Diphtherieimpschädigung keinesfalls mit Krankheitserscheinungen rechnen, wie Frau Prof. Dr. G dies in ihrem Gutachten dargestellt habe. Vielmehr könnten, wie bereits ausgerührt, bei der Immun-Vasculitis im Rahmen einer Diphtherie-Impfschädigung selbst Fieber oder andere Hinweiszeichen auf ein entzündliches Geschehen fehlen. Insgesamt müsse also davon ausgegangen werden, dass für das Defektzustandsbild des Klägers der Diphtherie-Anteil der Impfung verantwortlich sei. In den früheren Sachverständigengutachten sei lediglich zur Frage des Keuchhusten-Anteils dieser Impfung Stellung genommen worden. Die Gutachter hätten die Impfschadensfrage verneint, da weder das Krankheitsgeschehen in direktem zeitlichen Zusammenhang, noch das jetzt bestehende Defektzustandsbild einer Schädigung durch den Keuchhusten-Anteil entsprächen. Auf die Frage einer Schädigung durch den Diphtherie-Anteil sei nicht eingegangen worden. Dieser habe gar nicht zur Diskussion gestanden.

2) Demgegenüber sind die Gutachter im sozialgerichtlichen Verfahren und der vom Senat mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Gutachter Prof. Dr. S zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangt. Diese haben abweichend vom Gutachten Prof. W einen möglichen Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und Schäden des Klägers nur im Hinblick auf die Pertussis-Komponente des Vierfach-Impfstoffes gesehen. Eine etwaige Schädigung, bedingt durch den Diphtherieanteil des Impfstoffs ist nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden.

a) Prof. Dr. P Ltd. Medizinaldirektor und Facharzt für Kinderheilkunde, Kinderneurologisches Zentrum in Mainz, hat in seinem Gutachten vom 12.11.1980 (Beiakte Bl. 47 ff.) ausgeführt, dass ein Zusammenhang zwischen der Vierfachimpfung und der Pertussis-Komponente und der Entstehung oder Verschlimmerung der beim Kläger bestehenden Leiden nicht auszuschließen sei, dass im Hinblick auf den Verlauf nach der Impfung nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen (1980) ein derartiger Zusammenhang nicht wahrscheinlich sei. Der Kläger, der zum Zeitpunkt der Impfung klinisch unauffällig gewesen sei, hätte als Risikokind allerdings theoretisch nicht geimpft werden dürfen.

b) Prof. Dr. N, seinerzeit Leiter der Abteilung Neuropädiatrie des Kinderklinikums Gießen, hat in seinem für das Sozialgericht Mainz (S 5 Vi 3/80) erstellten Gutachten vom 16.1.1981 (Beiakte Bl. 67, 76) ausgeführt, dass bei der Vierfachimpfung die Keuchhustenkomponente als mögliche Ursache einer cerebralen Komplikation die wesentliche Rolle spiele. Demgegenüber sei bei der Diphtherie-und Polioimpfung nicht Nachteiliges bekannt. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass nicht wahrscheinlich sei, dass die spastische Hemiparese links in ursächlichem Zusammenhang mit der im 5. Lebensmonat durchgeführten Vierfach-Impfung stehe. Die Mutter habe angegeben, dass das Kind 2-3 Stunden nach der Impfung Schmerzen und hohes Fieber gehabt habe, das für 3 Tage angehalten habe. Über cerebrale Symptome, wie Bewusstseinsstörungen oder Krampferscheinungen, sei nicht berichtet worden. Die Mutter habe lediglich angegeben, das Kind sei in seinem Verhalten irgendwie anders gewesen. Prof. Dr. N gelangte aufgrund der Tatsache, dass cerebrale Symptome im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung nicht aufgetreten seien, dazu, dass nicht wahrscheinlich sei, dass die spastische Hemiparese links sowie die übrigen Krankheitserscheinungen in einem ursächlichem Zusammenhang mit der im Alter von 5 Monaten durchgeführten Vierfach-Impfung stehe. Es dürfte sich vielmehr um ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen handeln, dass der Mutter erste Symptome zwei Wochen nach der Impfung auffielen. Es sei davon auszugehen, dass die Schädigung der rechten Hirnhälfte, die für die Krankheitserscheinungen verantwortlich sei, schon zum Zeitpunkt der Impfung bestanden habe. Möglicherweise hänge die verstärkte Impfreaktion bzw. die Veränderung des Verhaltens des Kindes nach der Impfung damit zusammen, dass ein "Risikokind" geimpft worden sei.

c) Prof. Dr. G hat in ihrem für das Landessozialgericht erstellten Gutachten vom 31.1.1982 (Beiakte Bl. 117 ff.) und dem Ergänzungsgutachten vom 23.5.1982 (Bl. 155) ausgeführt, dass bei dem Kläger wahrscheinlich eine von Geburt an bestehende rechtsseitige Gehirnbeeinträchtigung vorliege. Es sei nicht wahrscheinlich, dass die Gesundheitsschäden durch eine Vierfachimpfung verursacht worden seien. Der Entwicklungsverlauf im ersten Lebensjahr sei typisch für ein Kind mit angeborenem Cerebralschaden. Anlässlich der CT-Untersuchung des Gehirns des Klägers habe sich eine schwere rechtsseitige Hirnschädigung gezeigt. Eine solche einseitige Gehirnschädigung als Folge eines Impfschadens sei ausgeschlossen. Sowohl die Encephalopathie als auch die Encephalitis führten zu einer Schädigung des Gesamthirns und nicht lediglich einer Gehirnhälfte. Prof. Dr. G stimmte im Ergebnis mit den Ausführungen von Prof. Dr. N überein, dass die Vierfachimpfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keines der Leiden des Klägers verursacht habe. Es handele sich vielmehr um ein zeitliches Zusammentreffen mit dem Impfdatum. Die Hemiparese sei erst im 5./6. Lebensmonat zum Vorschein gekommen (Beiakte Bl. 168).

d) Prof. Dr. S - hat in seinem für den Senat erstellten Gutachten vom 12.1.2000 zunächst deutlich gemacht, dass die Angaben über den weiteren Zustand des Kindes in den folgenden Stunden und Tagen nach der Impfung sehr unterschiedlich geschildert worden seien. Zum einen heiße es, dass schon wenige Stunden nach der Impfung permanent schrilles Schreien festgestellt worden sei, so dass man angeblich das Kind gar nicht mehr habe beruhigen können. Es werde an anderer Stelle angegeben, dass es gezuckt habe, sehr berührungsempfindlich und schreckhaft gewesen sei. 14 Tage später habe die Mutter ein auffälliges Bewegungsmuster des Kindes beobachtet, das dann auch anlässlich der Vorsorgeuntersuchung Nr. 5 von der beklagten Ärztin festgestellt worden sei in Form einer leichten Spastik. Aus anderen Unterlagen gehe hervor, dass am 09.02.1976 eine spastische Lähmung des linken Armes und Beines festgestellt worden (GA 51) und am 18.02.1976 die Verdachtsdiagnose einer linksseitigen Cerebralparese mit leichter statomotorischer Retardierung von der beklagten Ärztin gestellt worden sei. Diesen Befund habe die Beklagte in der Niederschrift vom 26.10.1982 (GA 56 - 59) auch angegeben. Es sei damals eine spezielle Krankengymnastik empfohlen worden. Weitere Auffälligkeiten hätten bei dem Kind seinerzeit nicht bestanden. Nach dieser Zeit sei das Kind nicht mehr in Behandlung der Beklagten gewesen. Überprüfe man die Ergebnisse der einzelnen Vorsorgeuntersuchungen (GA 29 bis 33), so stelle man erst bei der Vorsorgeuntersuchung U 5 (im Alter von 9-12 Lebensmonaten) fest, dass bezüglich der Untersuchung des Nervensystems die Rubrik "auffällig" angekreuzt worden sei, nicht aber schon bei der U4 (zwischen dem 4. bis 6. Lebensmonat). Diese U 4 sei am 3.08.1975 im Zusammenhang mit der Impfung vorgenommen worden.

Der Sachverständigen Prof. Dr. S setzte sich eingehend mit dem Gutachten von Prof. Dr. W auseinander, der abweichend von den Vorgutachtern im sozialgerichtlichen Verfahren die Diphtherie-Impfung mögliche Ursache einer Schädigung des Klägers erwähnte. Nach Prof. Dr. S. Kann diese Auffassung nach dem heutigen wissenschaftlichen Stand nicht mehr vertreten werden.

Prof. Dr. S führte hierzu in seinem Gutachten aus: Die Halbseitenlähmung links, das vorliegende cerebrale Anfallsleiden und die geistige Retardierung sprächen für einen umschriebenen hirnorganischen Befund, der auf der entsprechenden rechten Hemisphäre des Gehirns zu lokalisieren sei. Dies werde bestätigt durch den EEG-Befund mit Allgemeinstörungen, mit stärkerer Verlangsamung über der rechten Hemisphäre, dem Auftreten hypersynchroner Potentiale im Bereich der rechten vorderen Hirnabschnitte als Hinweis für das Vorliegen einer gesteigerten Anfallsbereitschaft. Der Sachverständige führte aus, dass die Ursache des klinischen Bildes sowie der Krampfbereitschaft durch die Computertomographie insofern geklärt werden konnten, als ein entsprechendes anatomisch-pathologisches Substrat vorliege. Im Bereich des Kleinhirnes seien dabei keine pathologischen Veränderungen festzustellen, die beiden Großhirnhälften seien jedoch seitendifferent dargestellt, wobei die rechte Großhirnhälfte deutlich kleiner sei als die linke. Entsprechend sei auch die Schädelkonfiguration gleichsinnig verändert. Weiterhin habe durch diese aussagekräftige CT-Untersuchung festgestellt werden können, dass der rechte Seitenventrikel (also die rechte Hirnkammer) im Bereich des mittleren Gehirnbereiches und des hinteren Hirnanteiles deutlich weiter dargestellt sei, als dies auf der linken Seite der Fall sei. Es handele sich hier um eine Porencephalie im Bereich der rechten Gehirnhälfte, die von der mittleren Gehirnarterie versorgt werde. Es bestehe eine Atrophie (Anmerkung: Gewebsuntergang) der rechten Großhirnregion in diesem von dem genannten Blutgefäß versorgten Bereich. Es heiße dort weiter, dass sich die Schädelkapsel, also das Schädelskelett analog den entsprechenden Verhältnissen im Gehirn entwickelt habe, so dass diese ebenfalls rechtsseitig volumenschwacher sei als links. Die Entwicklung der Schädelkalotte sei nämlich von der Entwicklung des Gehirns abhängig. Weiter sei im Befund zu lesen, dass eine verkalkte intrakranielle Blutung oder sonstige pathologische Veränderungen nicht erkennbar seien. Intrakranielle Blutungen (Anmerkung: also Blutungen in das Gehirn, entweder in die Hirnsubstanz selbst oder in die Gehirnkammern), könnten z. B. bei einer schweren Geburt, bei Verletzungen durch ein Schädeltrauma oder durch eine vermehrte Durchlässigkeit von Blutgefäßen verursacht sein, aber auch durch Blutgerinnungsstörungen.

Nach Angaben von Prof. Dr. S kann eine Porencephalie, eine Atrophie von Gehirnsubstanz mit großen Defekten, bedingt sein durch einen Sauerstoffmangel oder/und eine verminderte Durchblutung des entsprechenden Gehirnareals, die zu einem Untergang von Glia- und Nervenzellen führe. Diese Porencephalie stelle eine Störung der Hirnrindenentwicklung dar. Die Höhlen könnten mit dem Kammersystem des Gehirns in Verbindung stehen und seien am ehesten verursacht durch ein Infarktgeschehen, das bereits vor der Geburt, also intrauterin, nach entsprechenden Gefäßverschlüssen und folgender Einschmelzung von Hirngewebe entstehe, wobei der Defekt sehr groß sein könne. Eigenartigerweise müsse aber ein solcher großer Defekt nicht unbedingt nach der Geburt schon Ausfallserscheinungen verursachen. Dies sei auch bedingt durch die Kompensationsfähigkeit des Gehirns bei umschriebenen Läsionen im frühen Lebensalter. Erst zu einem späteren Zeitpunkt mache sich dann ein solcher schwerer Defektzustand - wodurch auch immer entstanden und dies sei auch bei diesem Kind nicht nachvollziehbar, wie in den meisten Fällen nicht - erst im Alter von einigen Monaten oder noch später bemerkbar. In den neuropädiatrischen Lehrbüchern, aber auch in den allgemeinen Kindeirheilkundelehrbüchern werde die Porencephalie vor allem als Ausdruck sekundärer Läsionen des Gehirns infolge von Durchblutungsstörungen betrachtet, die also bereits intrauterin entstanden seien und zur Einschmelzung umgrenzter Hirngebiete führten. Diese seien unregelmäßig angeordnet und die umgebenden Hirnwindungen deutlich verändert. Dass diese Veränderung durch ein Geburtstrauma verursacht sein könnte, könne insofern ausgeschlossen werden, als keine Hypoxiesymptome unmittelbar nach der Geburt nachweisbar gewesen seien; die Apgar-Note habe bei 9 gelegen, also im Normalbereich. Auch sei das Kind in den ersten Monaten (bis angeblich wenige Wochen nach der durchgeführten ersten Quatro-Virelon-Impfung) in seiner Entwicklung unauffällig gewesen. Ein Neugeborenes, das eine cerebrale Schädigung durch eine geburtsbedingte Läsion des Gehirnes erlitten habe, hätte sich in den ersten Monaten nicht normal entwickelt.

Wenn einige Stunden nach der Impfung hohes Fieber, Unruhe und Schreien aufgefallen sei, so habe man diese Symptome früher des öfteren beobachtet, insbesondere nach Impfungen, die die Keuchhustenkomponenten enthielten. Man habe bis vor wenigen Jahren noch den sog. Ganzkeim-Impfstoff sowohl als Monoimpfstoff als auch in einem Kombinationsimpfstoff gegeben. Dieser Ganzkeim-Impfstoff habe im Gegensatz zu dem heute verwendeten sog. azellulären Impfstoff, der nur einige Bestandteile des Keuchhustenerregers enthalte, solche Symptome hervorrufen können. Die in früherer Zeit diesem Impfstoff zugeschriebene Encephalopathie gebe es nicht. Keiner der im Quatro-Virelon-Impfstoff enthaltenen Komponenten führe zu einer derartigen anatomischen Veränderung, wie sie sich beim Kläger im Computertomogramm dargestellt habe.

Der Ausdruck Porencephalie bezeichne nur einen Endzustand, der durch verschiedene Ursachen entstanden sein könne, also ähnlich wie z.B. Fieber durch Bakterien, Viren oder Parasiten hervorgerufen werden könne oder eine Anämie (Blutarmut) durch unzureichende Zufuhr von Eisen, durch gestörte Resorption des Eisens aus dem Magen-Darm-Kanal infolge einer Darmerkrankung oder durch einen vorzeitigen schnellen Abbau von Erythrozyten durch verschiedene andere Ursachen. Die Ursache der Porencephalie werde bei dem Kläger nicht mehr festzustellen sein. Es könnte zwar noch eine Gehirnangiographie durchgeführt werden, d.h. eine Kontrastmitteldarstellung der Hirngefäße, um zu sehen, ob an Gehirngefäßen entsprechende Veränderungen zu finden seien, aber auch ein derartiger positiver Befund würde schließlich nicht weiter zur Klärung, insbesondere zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Veränderung beitragen.

Der Sachverständige bekräftigte, dass die beim Kläger festgestellte Cerebralparese in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der vorgenommenen Impfung stehe. Ein kausaler Zusammenhang von Erkrankungen des zentralen Nervensystems zwischen der Diphtherie- und Tetanustoxoidimpfung (z.B. Encephalopathien, Anfallleiden) sei nie bewiesen worden. Dagegen spreche auch die Tatsache, dass die Toxine selbst derartige Erkrankungen nicht verursachen könnten. Das Diphtherietoxin könne zwar periphere Nerven schädigen, aber nicht das zentrale Nervensystem. Die schweren generalisierten Muskelkrämpfe, die beim Tetanus festzustellen seien (keine Anfälle mit Bewusstseinstrübung), seien bedingt durch Schäden, die das Toxin des Tetanuserregers an der Nervenendplatte verursache, so dass die Übertragung von Reizen nicht mehr gesteuert werden könne. Eine Schädigung des zentralen Nervensystems (also des Gehirns- und auch des Rückenmarks) sei aber nach dieser Impfung nicht bekannt. Kausale Zusammenhänge seien niemals beschrieben worden. Das gleiche gelte auch für die Kinderlähmungskomponente. Es handele sich hier nicht um eine Lebend-Vaccine, wie dies bei der bisher verwendeten oral verabreichten Polio-myelitis-Vaccine der Fall sei, sondern um einen Totimpfstoff, der keine Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem setze. Bei der Pertussiskomponente würden immer wieder in seltenen Fällen schockähnliche Zustände beschrieben. Auch Fieberanstiege, die für die in diesem Alter typischen Fieberkrämpfe verantwortlich seien, hätten nichts mit einer Schädigung des zentralen Nervensystems zu tun oder lösten gar eine Encephalopathie aus. Heute wisse man, dass durch die Pertussisimpfung keine derartigen Schädigungen entstehen könnten. Bei dem Kläger seien nach der Impfung auch keine Zeichen einer Encephalopathie aufgetreten. Das Kind habe zwar hohes Fieber gehabt und sei unruhig gewesen. Bei einer Encephalopathie zeigten die Kinder jedoch eher eine zunehmende bis zur Bewusstlosigkeit gehende Bewusstseinseintrübung. Die durch das CT festgestellte pathologische schwere Veränderung am Gehirn betreffe nur einen Teil dieses Organs. Dies widerspreche einer generellen Schädigung des Gehirns, wie sie z.B. bei einer toxischen infektiösen Einwirkung, ganz gleich welcher Art, auftreten würde. Hier wäre das gesamte Gehirn betroffen mit mehr oder minder starker Ausprägung und nicht ein relativ umschriebenes Gebiet.

e) Die Einschätzung des vom Senat beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. S wird bestätigt durch das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten von Prof. Dr. med. S W Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin - Pädiatrische Impfberatungsstelle - Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin in G. Prof. Dr. med. W führte in seinem Gutachten aus, dass die ursprünglich aus den 50er/60er Jahren des 20. Jahrhunderts stammende Behauptung von Prof. Ehrengut, dass die Diphtherie-Impfung oder auch andere Vakzinen mit einem Tot-Impfstoff eine Immunvasculitis der Hirnarterien verursachen könnten, heute von niemand mehr ernst genommen werde. Es handele sich um Anekdoten. Es stehe heute gesichert fest, dass weder die Diphtherie-Toxoid-Schutzimpfung, noch die Tetanus-Toxoid-Schutzimpfung, die Pertussis-Schutzimpfung, dabei sowohl der alte Ganzkeim-Impfstoff als auch die modernen azellulären Vakzine, oder die inaktivierten Polio-Vakzine irgendwelche organischen oder funktionellen Dauerschäden am Gehirn verursachen könnten. Wer anderes behaupte oder nur für möglich halte, habe den aktuellen Stand der Wissenschaft verpasst. Prof. Dr. W führte bezogen auf den vorliegenden Fall aus, dass nach den vorhandenen Unterlagen, der Beschreibung des CT-Befundes vom 22.4.1982 und dem Gesamtverlauf eine congentiale/connatale (angeborene) Porencephalie vorliege, wobei mangels exakter Daten, vor allem dem Fehlen aktueller Befunde mittels moderner Bildgebungsverfahren (hochauflösende CT und MRT) nicht gesagt werden könne, ob es sich um eine Störung handele, die in der früheren intrauterinen Entwicklungsphase oder um eine Schädigung kurz vor oder um die Geburt handele. Durch den beschriebenen Geburtsmechanismus beim Kläger habe die rechtsseitige Porencephalie mit absoluter Sicherheit nichts zu tun. Die rechtsseitige Porencephalie sei mit absoluter Sicherheit kein Impfschaden.

f) Der Senat hat auf Antrag des Klägers die Sachverständigen Prof. Dr. W und Prof. Dr. S angehört, insbesondere zur Sachaufklärung, ob die beim Kläger vorhandene Cerebralparese und Porencephalie auf die durchgeführte Vierfachimpfung (hier vor allem Diphtherie-Anteil) zurückführen sei. Prof. Dr. S hat insbesondere dargelegt, dass er bei einem Impfschaden erwartet hätte, dass maximal bis zu 72 Stunden nach der Impfung (GA 513 heißt es fälschlicherweise Geburt) sich irgendwelche Krampfanfälle (Röcheln, Streckkrämpfe, Zittern) gezeigt hätten. Diese wären der Mutter sicherlich aufgefallen und nur solche könnten durch Minderdurchblutung zu Gehirnstörungen führen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Im übrigen sei man heute zwar der Auffassung, dass das Gift des Diphtherieerregers Schäden an Gefäßen verursachen könne, nicht nachvollziehbar sei aber, warum dies ausschließlich die Gehirngefäße, nicht aber ebenso empfindliche Gefäße wie die Niere, betreffen soll. Bezogen auf die gegenteilige Auffassung von Prof. W bekundete der Sachverständige in Übereinstimmung mit Prof. W, dass die Auffassung zu Impfschäden durch den Diphtherieanteil von Ehrengut und Wunderlich heute nur noch geschichtlichen Wert habe. Prof. S führte weiter aus, dass es möglich sei, dass die beim Kläger diagnostizierte Porencephalie durch die Reaktionen der Impfung zum Ausbruch gekommen sei. Die Porencephalie wäre früher oder später sowieso zum Ausbruch gekommen.

Demgegenüber hielt Prof. Dr. W an seiner Auffassung fest, dass die Porencephalie durch die Impfung verursacht worden sei. Hätte bereits vor der Impfung eine Porencephalie vorgelegen, wären zwischen Geburt und Impfung deutlichere Symptome sichtbar gewesen. Denn bei der Porencephalie handele sich nicht um ein sich entwickelndes Phänomen, sondern um eine schlagartig auftretende Entwicklung (Infarktgeschehen). Wenn die Symptome nach der Impfung aufgetreten seien, hänge dies unmittelbar mit dem Auftreten der Porencephalie zusammen. Prof. Dr. W stimmte der Auffassung von Prof. Dr. S nicht zu, dass bei einem Impfschaden unmittelbar nach der Impfung es zu schweren Akulsymtomen (Krampfanfälle, Röcheln, Streckkrämpfe) hätte kommen müssen. Insbesondere spastische Symptome traten mehr oder minder sukzessiv auf. Insbesondere sei nicht richtig, dass bei einer vor oder während der Geburt eintretenden Porencephalie in der Folge sich zunächst ein symptomloser Verlauf zeige. Auch halte er es für ausgeschlossen, dass der Verlust von Hirngewebe kompensiert werden könne. Hinsichtlich des Ursachenmechanismus, aufgrund dessen als Schadensfolge Diphtherieimpfung eine Porencephalie auftreten könne, führte Prof. Dr. W aus, dass die Diphtherievakzine zu einer immunologischen Reaktion arterieller Gefäße führen könne, die sich in einem Gefäßverschluss äußere. Infolge der Reaktion komme es zu einer Veränderung der Gefäßinnenwände. Die durch den Gefäßverschluss bedingte Blut- und Sauerstoffunterversorgung führe zum Absterben des betreffenden Bezirks. Prof. W wandte sich insbesondere gegen die Aussage von Prof. Dr. S, dass die Einwirkung eines Toxins sich gleichermaßen auf verschiedene Stellen des Körpers auswirken müsse, nicht aber wie hier allein auf den Bereich der zentralen Hirnarterie. Prof. Dr. W meinte hierzu, dass es durchaus sein könne, dass eine immunologische Reaktion an einer einzigen Stelle auftreten könne, andere Bereiche durchaus unberührt lasse.

g) Der Senat konnte aufgrund der vorgelegten Gutachten unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Anhörungen der Sachverständigen Prof. Dr. W und Prof. S, nicht die Überzeugung gewinnen, dass die beim Kläger vorhandene Cerebralparese in einem ursächlichem Zusammenhang mit der von der Beklagten durchgeführten Vierfach-Impfung steht. Hinsichtlich der Beweisanforderungen des § 286 ZPO legt der Senat dabei einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zugrunde, der letzten Zweifel Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen (vgl. BGHZ 53, 245, 255 = NJW 1970, 946; 100, 214 = NJW 19887, 1944; BGH NJW 1982, 2874, 2875; NJW 1993, 935).

Der Senat konstatiert, dass die heute herrschende medizinische Meinung gesichert davon ausgeht, dass der Diphtherie-Anteil im Impfstoff keine Porencephalie verursachen kann. Die von Prof. Dr. W in Anknüpfung am Prof. E vertretene abweichende Meinung stellt heute eine Mindermeinung in der Medizin dar. Beide Gutachter haben aus ihrer Sicht überzeugend und in sich nachvollziehbar dargelegt, warum sie zu ihrer jeweiligen Auffassung gelangten. Soweit der Kläger sich auf die Auffassung von Prof. Dr. W stützt, konnte der Senat trotz der verständlichen und engagierten Ausführungen des Sachverständigen, die offenbar auf einem großen praktischen Erfahrungsschatz beruhen, dennoch nicht die Überzeugung gewinnen, dass diese Auffassung richtiger ist als die herrschende medizinische Meinung, nach der es letztlich an einem (wissenschaftlichen) Beweis für Impfschäden durch den Diphtherie-Anteil des Impfstoffs fehlt. Der Senat geht vielmehr aufgrund der computertomographischen Untersuchungen eher davon aus, dass bei dem Kläger eine von der Impfung losgelöste schicksalhafte Erkrankung vorliegt.

II. Ungeachtet des fehlenden Nachweises eines Ursachenzusammenhangs zwischen der durchgeführten Vierfach-Impfung und der beim Kläger zu verzeichnenden Cerebralparese, hat die Beweisaufnahme eindeutig ergeben, dass die Vornahme der Impfung durch die Beklagte nicht gegen ärztliche Behandlungsregeln verstoßen, d.h. weder ein einfacher, geschweige ein grober Behandlungsfehler vorgelegen hat. Darin stimmten beide gerichtlichen Gutachter überein. Die Diphtherie-Impfung war 1975 empfohlen. Hier lagen auch keine besonderen Umstände vor, die zu einer Kontraindikation geführt haben, wie dies in den sozialgerichtlichen Gutachten teilweise angeklungen ist.

Der Sachverständige Prof. Dr. S hat hierzu ausgeführt, dass früher die Auffassung vertreten worden sei, dass bei Risikokindern eine Impfung kontraindiziert sei. Diese Meinung sei durch keinerlei wissenschaftliche Grundlagen gesichert gewesen, ähnlich wie die Ansicht, dass die Pertussisimpfung eine Encephalopathie hervorrufen könne. Diese unzutreffende Meinung habe leider dazu geführt, dass diese Impfung nicht mehr generell empfohlen worden sei und die Zahl der Keuchhustenerkrankungen und damit auch der Todesfälle - anders als in der damaligen DDR (vgl. auch Gutachten Prof. Dr. W ) - in dieser Zeit deutlich angestiegen sei. Cerebrale Krampfanfälle, nicht progrediente (fortschreitende) Hirnerkrankungen oder Anfälle in der Familienanamnese stellten keine Kontraindikation für Impfungen dar. Dies sei in den letzten Jahren wiederholt auch von der Ständigen Impfkommission vertreten und publiziert worden; die Erfahrungen zeigten auch, dass diese cerebral geschädigten Kinder alle Impfungen, auch die gegen Pertussis, gut vertragen hätten. Gerade solche Kinder müssten durch Impfungen geschützt sein vor impfpräventablen Infektionskrankheiten. Im übrigen könne hier nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um ein Risikokind gehandelt habe. Vielmehr habe lediglich eine Risikogeburt vorgelegen.

Die Sektio sei seinerzeit bei dem Kläger wegen der pathologischen Kopfeinstellung und Geburtsstillstand vorgenommen worden. Dies sei heute eine gängige therapeutische Maßnahme, wodurch das Kind möglichst schnell entwickelt werde, nicht längere Zeit im Geburtskanal stecke und somit mögliche Schäden durch eine Hypoxie davontragen könne. Die Apgar-Note 9 spiegele ein gesundes Neugeborenes wider, das keinerlei Symptome einer bedrohlichen Schädigung aufweise. In dieser Apgar-Note seien 5 wesentliche Kriterien beurteilt, nämlich Herz- und Atemfrequenz, die Durchblutung der Haut, das Reflexverhalten (hier sind Primitivreflexe gemeint wie z.B. Saug-, Schluck- und Suchreflexe u.a.) und der Tonus der Muskulatur, der beim Neugeborenen sehr stark ausgeprägt sei, was man als physiologisch zu betrachten habe. Für jedes dieser Kriterien werden zwei Punkte gegeben. Eine Apgar-Note zwischen 8 - 10 sei völlig normal. Aus den anamnestischen Unterlagen gehe hervor, dass die gesamte Schwangerschaft ohne Besonderheiten gewesen sei. Auch die Sektio und die nachfolgenden Tage nach der Geburt ließen nichts Pathologisches erkennen. Das Kind sei auch während der ersten Monate normal gediehen, wie aus vielen Zeugenaussagen einschließlich den Aussagen der Eltern zu entnehmen sei. Es handelte sich also entgegen manchen Äußerungen in den Akten nicht um ein "Risikokind". Die Durchführung der ersten Quatro-Virelon-Impfung habe ohne weiteres erfolgen dürfen. Es hätten keinerlei Kontraindikationen bestanden. Die zum damaligen Zeitpunkt durchgeführte Impfung habe also weder gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen, noch habe sie einen Behandlungsfehler dargestellt. Jeder Arzt hätte dieses Kind, das vor der Impfung ja auch noch untersucht worden sei (Vorsorgeuntersuchung) und bei dem ein altersentsprechender normaler Befund erhoben worden sei, geimpft. Von einem groben Behandlungsfehler könne hier überhaupt nicht die Rede sein, denn die Ärztin habe nicht gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und habe auch keinen Fehler begangen, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheine, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Die impfende Ärztin habe bei der Untersuchung ein klinisch gesundes Kind vorgefunden, bei dem keinerlei Symptome einer cerebralen Schädigung klinisch fassbar gewesen seien, so dass sie die Impfung, die zu diesem Zeitpunkt empfohlen worden sei, vorgenommen habe. Dies sei eine richtige Handlung gewesen.

Prof. Dr. W hat in seinem schriftlichen Gutachten und im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat, wenn auch von einem anderen Standpunkt aus, dargelegt, dass von einem Behandlungsfehler der Beklagten nicht ausgegangen werden könne. Auf Frage des Senats hat der Sachverständige eindeutig erklärt, dass es sich bei dem Kläger nicht um ein Risikokind gehandelt habe; zum einen deshalb - insofern abweichend von Prof. Dr. S -, weil nach seiner Auffassung vor der Impfung keine Vorschädigung vorgelegen habe; zum anderen deshalb, weil für die Beklagte keinerlei Anhaltspunkte für eine Riskosteigerung vorhanden gewesen seien. Der Sachverständige verwies darauf, dass im Jahre 1975 die Impfung empfohlen worden sei. Schließlich habe die Kenntnis über etwaige nachteilige Folgen der Diphtherie-Impfung nicht zum Standard einer frei praktizierenden Kinderärztin gehört. Vielmehr sei dies eine Diskussion gewesen, die unter Spezialisten stattgefunden habe.

Aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Sachverständigen Prof. Dr. S und Prof. Dr. W kann gesichert davon ausgegangen werden, dass der Beklagten kein Behandlungsfehler im Hinblick auf die durchgeführte Vierfach-Impfung vorzuwerfen ist.

III. Schließlich ist der Beklagten auch keine Verletzung der Aufklärungspflicht wegen der mit der Impfung verbundenen Risiken, insbesondere der Folgen einer möglichen Schädigung durch den Diphtherie-Anteil im Impfstoff vorzuwerfen. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass die von der Mutter des Klägers erteilte Einwilligung nur wirksam war, wenn sie zuvor über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden ist. Einer solchen Risikoaufklärung bedarf es auch bei einer freiwilligen Impfung. Und zwar selbst dann, wenn diese öffentlich empfohlen ist (BGH VersR 2000, 725, 726 = JZ 2000, 898, 899; BGHZ 126,386 = VersR 1994, 1228; BGH VersR 1990, 737). Die Notwendigkeit zur Aufklärung über etwaige Gefahren für den Patienten besteht auch dann, wenn das Risiko einer Schädigung als sehr gering einzuschätzen ist. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik. Maßgebend ist vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet (BGH VersR 2000, 726; BGHZ 126, 386, 389 = VersR 1994, 1228, 1229; BGH VersR 1996, 330, 331). Die Beklagte hat vorliegend nicht über im medizinischen Schrifttum diskutierte Risiken einer möglichen cerebralen Schädigung durch den Diphtherie-Anteil des Impfstoffs aufgeklärt, sondern über die allgemeinen, der Impfung anhaftende Risiken, wie etwa das Auftreten von Fieber nach der Impfung. Daraus kann der Beklagten jedoch nicht der Vorwurf der Verletzung einer Aufklärungspflicht gemacht werden.

Ungeachtet dessen, dass die Vierfach-Impfung 1975 öffentlich empfohlen worden ist, hat Prof. Dr. W. hierzu vor dem Senat im Rahmen seiner Anhörung ausgesagt, dass über mögliche Folgen einer Diphtherieimpfung bereits ab 1964, insbesondere von Prof. Dr. E, berichtet worden sei. Dies sei aber im Jahre 1975 noch nicht Stand der allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion gewesen. Schon gar nicht könne davon ausgegangen werden, dass dies zum Standard des Wissens einer frei praktizierenden Kinderärztin gehört habe. Die Diskussion über mögliche Spätfolgen einer Diphtherieimpfung habe sich damals noch im Wesentlichen als Spezialistendiskussion entwickelt, was es auch heute noch sei. Das in seinem Gutachten vom 12.3.1997, dort Seite 30 (GA 222) zitierte Handbuch von Herrlich, Handbuch der Schutzimpfungen, habe nicht zum mutmaßlichen Inventar einer frei praktizierenden Ärztin gehört. Auch in seiner Uniklinik habe man dieses Werk nicht gehabt. Das Landgericht weist in diesem Zusammenhang zutreffend daraufhin, dass selbst die seinerzeit im sozialgerichtlichen Verfahren tätig gewordenen Gutachter, die Professoren P und G, im übrigen ebenso wie die Professoren S und W, eine mögliche Schädigung durch den Diphtherie-Anteil des Impfstoffs nicht in Erwägung gezogen haben, so dass von der Beklagten, insbesondere im Jahre 1975, keine weitergehende Kenntnisse verlangt werden können, als von diesen Gutachtern.

Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass selbst bei einer weitergehenden Aufklärung über mögliche Schäden, bedingt durch den Diphtherie-Anteil des Impfstoffs, die Mutter des Klägers die damals empfohlene Impfung nicht abgelehnt hätte. Bei dem Kläger handelte es sich nicht um ein Risikokind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte in der Sitzung vom 9.11.2000 (GA 568) klar, dass vor der Impfung keine Auffälligkeiten an der linken unteren Extremität des Klägers bestanden haben. Bei dem Kläger bestand kein erhöhtes Impfrisiko. Im Allgemeinen wird man davon ausgehen können, dass der verständige Durchschnittspatient in aller Regel eine öffentlich empfohlene Impfung nicht ausschlagen wird.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 127.822,97 € festgesetzt. Er entspricht der Beschwer des Klägers.

Ende der Entscheidung

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