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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 11.01.2002
Aktenzeichen: 10 U 786/01
Rechtsgebiete: BB-BUZ


Vorschriften:

BB-BUZ § 1 Nr. 1
BB-BUZ § 2 Nr. 1 u. 2
Keine Berufsunfähigkeit eines selbständigen Metzgermeisters wegen Verdachts einer somatoformen Schmerzstörung, wenn diese trotz bestehender orthopädischer Beeinträchtigungen keine Auswirkung auf die körperliche Tätigkeit hat.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 786/01

Verkündet am 11. Januar 2002

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 23. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 11. April 2001 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des Betrages in Höhe von 9.000,-- € abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistung aus Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch.

Der am 06. Juli 1948 geborene Kläger ist von Beruf selbständiger Metzgermeister. Er unterhält seit 1984 bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Mit Schreiben vom 07. Juli 1993 machte der Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend, die die Beklagte nach Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens durch Prof. Dr. H vom 15. Dezember 1994 (GA 52-82) zurückgewiesen hat.

Der Kläger hat vorgetragen,

er sei seit 16. Oktober 1992 wegen einer bis heute fortdauernden Wirbelsäulenerkrankung (Bandscheibenvorfall) erkrankt. Durch sie sei er zu mehr als 50 % in seiner Berufsausübung behindert. Dies bestätige das von ihm eingeholte fachorthopädische Gutachten von Herrn Dr. A vom 06. November 1995. Seine Tätigkeit sei mit Kraftanstrengung, Temperaturschwankungen (Kühlhaus) und für die Wirbelsäule belastenden Bewegungsabläufen verbunden. Nachts habe er oft Krämpfe im linken Bein. Inzwischen komme es auch zu Krämpfen in seiner Hand, was zur gelegentlichen Versteifung des kleinen Fingers und des Ringfingers führe. Ein sicheres Greifen sei nicht mehr möglich. Seit August 1998 leide er verstärkt unter Schmerzen, ausgehend vom Lendenwirbelbereich mit ausstrahlenden Schmerzen in die rechte Gesäßhälfte und den rechten Oberschenkel. Außerdem trete beim rechten Bein verstärkt ein Taubheitsgefühl auf. 90 % der früher ausgeführten Tätigkeiten könne er ohne erhebliche Schmerzen nicht mehr verrichten. Da er seit dem 04. Mai 1999 ununterbrochen arbeitsunfähig krank sei, sei nach den Besonderen Bedingungen der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung von einer Berufsunfähigkeit auszugehen. Die Arbeitsunfähigkeit werde durch die ärztlichen Bescheinigungen von Dr. H belegt. Eine Umstrukturierung seines Betriebes komme nicht in Betracht. So sei die Warenproduktion bisher allein durch ihn erfolgt. Die Einstellung eines Metzgermeisters sei aus Rentabilitätsgründen nicht möglich.

Die Beklagte habe ihm ab 01. Juli 1993 eine monatliche Rente von 1.885,09 DM zu gewähren.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 65.978,15DM nebst 10,25 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn mit Wirkung ab 01. Juni 1996 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.885,09 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

zunächst sei für die Leistungsberechnung von einer Versicherungssumme in Höhe von 183.184,-- DM und damit von einer monatlichen Rente in Höhe von 1.831,84 DM auszugehen. Der Kläger sei jedoch nicht berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. H betrage der Grad der Beeinträchtigung der Berufsunfähigkeit beim Kläger für körperliche, mitarbeitende Tätigkeiten 20 % sowie für kaufmännische, aufsichtsführende Tätigkeiten 10 %. Im übrigen könne der Kläger entweder seinen Betrieb umorganisieren oder eine andere Tätigkeit - z.B. Abteilungsleiter einer Fleischabteilung im Supermarkt - ausüben. Insoweit verweise sie auf den von ihr eingeholten Bericht der Firma A vom 30. August 1994 (GA 87-90).

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund des fachorthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S, sei allenfalls von einer Berufsunfähigkeit von 40 % auszugehen. Das nervenärztliche Gutachten des Sachverständigen Dr. B habe keine Erhöhung des Grads der Berufsunfähigkeit ergeben. Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sei nicht eingetreten.

Der Kläger hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufung wendet sich unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens und Beweiserbietens insbesondere gegen die vom Landgericht vorgenommene Würdigung und Erfassung des Sachverhalts. Es hätte nahegelegen, den Neurologen Dr. W um eine psychiatrische Untersuchung zu bitten und das Ergebnis in eine Beweisaufnahme einzubeziehen ebenso wie die Erkenntnisse des Hausarztes Dr. H. Es werde deshalb die Einholung eines Ober- bzw. Zusammenhangsgutachtens beantragt. Die Arbeit im Kühlhaus sei ihm nicht mehr möglich. Er leide an einem schwerwiegenden Bandscheibenvorfall mit einer rezidivierenden, schmerzausstrahlenden Lumboischialgie. Er sei kein eingebildeter Kranker". Es sei eine neurophysiologische Untersuchung erforderlich.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 65.978,15 DM nebst 10,25 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn mit Wirkung ab dem 1. Juni 1996 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.885,09 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor,

das Landgericht habe zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei in seinem Beruf als selbständiger Metzgermeister nicht berufsunfähig. Eine Berufsunfähigkeit ergebe sich weder aus orthopädischer noch aus neurologischer oder psychiatrischer Sicht Es bestehe allenfalls die Verdachtsdiagnose einer somatoformen oder neurotischen Schmerzstörung, die jedoch keinen Einfluss auf die Berufsfähigkeit des Klägers habe, da nicht anzunehmen sei, dass diese Störungen nicht mit zumutbarer Willensanspannung überwunden werden könnten. Der Sachverständige Dr. B habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine neurophysiologische Zusatzuntersuchung keine weitere Aufklärung bringen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil mitsamt den dort in Bezug genommenen Unterlagen, Gutachten, Arztberichten verwiesen, ferner auf die in beiden Rechtszügen zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochten Urteil Bezug. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

1) Vollständige bzw. teilweise (mindestens 50 prozentige) Berufsunfähigkeit im Sinne von § 2 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 1 Nr. 1 der zum Vertragsgegenstand gemachten "Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ)" liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Im Rahmen der Ermittlung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend ist, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h., solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH Urteil vom 22.9.1993 - IV ZR 203/92 - VersR 1993, 1470, 1471; Senatsurteil vom 10. November 2000 - 10 U 278/00 - NVersZ 2001, 212). Dies gilt allerdings mit der Maßgabe, dass der Verlust der Fähigkeit den Beruf bzw. eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben, erst während der Vertragsdauer eingetreten sein darf (§ 1 (1) BB-BUZ). War der Versicherte bereits vor Vertragsabschluß nicht mehr fähig in seinem konkret ausgeübten Beruf tätig zu sein, kann die Feststellung nicht getroffen werden, dass der Versicherte die Fähigkeit zur Berufsausübung erst während der Vertragsdauer verloren hat (BGH Urteil vom 27.1.1993 - IV ZR 309/91 - VersR 1993, 469, 470 Senatsurteil vom 18. Juni 1999 - 10 U 125/98).

a) Der Kläger hat zuletzt einen Metzgereibetrieb geführt und dabei die für einen Metzgermeister anfallenden Arbeiten alleine erledigt. Er hat eine detaillierte Darstellung seiner Tätigkeit mit Schriftsatz vom 8. Januar 1998 (GA 113 ff.) gegeben, die der Senat für ausreichend substantiiert hält. Diese Arbeiten umfassten neben leichteren körperlichen Tätigkeiten auch mittelschwere bis schwere Tätigkeiten, z. B. das Heben größerer Gewichte. Die Arbeit wurde überwiegend im Stehen, zum Teil auch im Kühlhaus ausgeführt. Als selbständiger Metzgermeister mit mehreren Filialen war er mitarbeitender Betriebsinhaber. In dieser Funktion hatte er das betriebliche Direktionsrecht, nämlich die Weisungsbefugnis gegenüber seinen Mitarbeitern. Dieses Direktionsrecht, das auch die Möglichkeit einer Umverteilung der Arbeit einschließt, gibt seiner Stellung im Betrieb das Gepräge. Sein Beruf ist daher die Leitung des Betriebs unter seiner Mitarbeit an einer von ihm bestimmten Stelle. Er Übt diesen Beruf grundsätzlich auch dann noch aus, wenn er eine bisher ihm vorbehaltene betriebliche Tätigkeit gesundheitsbedingt nicht mehr ausführen kann, statt dessen aber eine andere betriebliche Tätigkeit ohne gesundheitliche Einschränkung auszuüben und - sei es im Wege der Umorganisation der Arbeit - zu übernehmen in der Lage ist (BGH, Urt.12.6.1996 - IV ZR 118/95 - VersR 1996, 1090, 1092 re. Sp.: Senatsurteil 10. November 2000 - 10 U 278/00 - NVersZ 2001, 212). Ein mitarbeitender Betriebsinhaber hat vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass die Tätigkeitsfelder, in denen er mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung in seinem Betrieb noch arbeiten kann, ihm keine Betätigungsmöglichkeiten belassen, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen. Zu seiner Vertrags- und Beweislast gehört auch, dass ihm eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigenden Betätigungsmöglichkeiten eröffnen könnte, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden (BGH Urteil vom 3.11.1993 - IV ZR 185/92 - VersR 1994, 205, 20; OLG Karlsruhe Urteil vom 18.2.1994 - 12 U 249/92 - r+s 1995, 34).

b) Aufgrund des Ergebnisses der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist auch der Senat zur Überzeugung gelangt (§ 286 ZPO), dass der Kläger nicht zumindest zu 50 % berufsunfähig ist, der Kläger insbesondere seine Tätigkeit als Metzgermeister weiterhin ausüben kann.

Der Sachverständige Dr. S hat aus fachorthopädischer Sicht in seinem Gutachten vom 26.11.1998 (GA 164 ff.) ausgeführt, dass anhand der durchgeführten Untersuchung und der Auswertung der Röntgenbilder beim Kläger eine Lumboischialgie nach links ausstrahlend mit Hypästhesie im Dermatom L 5, ein Bandscheibenvorfall L 5/S 1, ein Facettensyndrom mit Myogelosen L 1 - S 1 mit schmerzhaft eingeschränkter Vorwärtsbewegung, eine schmerzhafte Retroversion der Lendenwirbelsäule, Brustwirbelsäulenbeschwerden, eine Hyperästhesie fünfter Finger rechts und eine eingeschränkte Innenrotation der linken Hüfte diagnostiziert werden konnte. Der Kläger zeigte sich gegenüber dem Sachverständigen als beweglicher Patient, der beim Gehen, Aus- und Ankleiden nur mäßig in seiner Tätigkeit eingeschränkt wirkte. In der Beweglichkeit zeigten sich nur geringe Abweichungen zu Normalbefunden. Bei der Untersuchung sei eine Diskrepanz zur Hüftbewegung mit gestrecktem Bein (Ischiasdehnungsschmerzprüfung) und dem Fingerbodenabstand von 38 cm aufgefallen. Es habe zu keiner Zeit bzw. durch keine Provokation ein Ischiasdehnungsschmerz ausgelöst werden können. Der Sachverständige führte in seinem Ergänzungsgutachten vom 13.1.2000 (GA 258 ff.) aus, dass die vom Kläger geschilderten Krämpfe in der rechten Hand, die angeblich bis zu einer Minute andauerten, wenig detailliert und unspezifisch einzuordnen seien. Ein klar orthopädisches Krankheitsbild mit einer solchen einseitigen krampfartigen Symptomatik sei dem Sachverständigen nicht bekannt. Eine krankhafte Affektion des Skelettsystems, des Bandapparates, oder der Gelenke, welche solitär an einem Gelenk auftrete, sei nicht beschrieben. Ein medizinisches Zeugnis über eine Leistenhernie habe nicht gefunden werden können, ein etwaiges Bestehen einer Leistenhernie wirke sich auf die Berufsfähigkeit des Klägers nicht aus. Insgesamt gelangte der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei der Ausübung körperlicher Tätigkeiten allenfalls zu 40 % berufsunfähig sei.

c) Auch aus nervenärztlicher Sicht im Zusammenhang mit der fachorthopädischen Bewertung des Sachverständigen Dr. S lässt sich eine Berufsunfähigkeit des Klägers nicht begründen.

Der Sachverständige Dr. B hat aus nervenärztlicher Sicht in seinem Gutachten vom 21.7.2000 ausgeführt, dass für die empfundenen Schmerzen beim Kläger psychogene Faktoren eine wesentliche Rolle spielten. Es bestehe der Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung. Diese habe aber keinen Einfluss auf den Grad der Berufsunfähigkeit.

Der Sachverständige hat ausführlich erläutert, dass sich beim Kläger weder Hinweise auf eine Schädigung des zentralen Nervensystems noch auf eine funktionell wesentlich (messbar) beeinträchtigende Schädigung des peripheren Nervensystems finden lassen. Bei diesem Befund und unter Berücksichtigung der vorgelegten Arztberichte und Gutachten verbleibe für ihn kein vernünftiger Zweifel, dass die Gesamtheit der vom Kläger vorgetragenen Beschwerden nicht hinreichend organmedizinisch begründet werden könne. Es ergebe sich somit die wesentliche Mitwirkung "psychogener Faktoren". Da vorrangig körperliche (somatoforme) Beschwerden beklagt werden, biete sich für diese "psychogenen Faktoren" die beschreibende Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung an. Hauptmerkmal einer solchen Störung sei ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden könne. Psychischen Faktoren werde eine wichtige Rolle für Beginn, Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen. Dabei könne den psychischen Faktoren die wichtigste Rolle zukommen, während organmedizinische Krankheitsfaktoren keine oder nur eine minimale Rolle spielten. Derartige Schmerzstörungen würden aber auch in Verbindung mit organmedizinisch fassbaren Gesundheitsstörungen auftreten (z.B. Erkrankungen im Bereich des Bewegungsapparates), die jedoch die beklagten Schmerzen nicht vollständig erklären könnten. Bei einer somatoformen Schmerzstörung handele es sich per definitionen um eine krankheitswertige seelische Störung, d.h. um eine Störung, die in den wesentlichen Anteilen der bewussten Steuerung und Kontrolle nicht mehr direkt zugänglich sei. Abzugrenzen sei von der krankheitswertigen seelischen Störung die sogenannte Simulation. Beim Kläger könne auf der Grundlage der vorliegenden Informationen die Verdachtsdiagnose einer somatoformen Schmerzstörung formuliert werden.

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 2.3.2001 (GA 369) hat der Sachverständige nochmals erläutert, dass die Schmerzen, die vom Kläger geklagt werden, in ihrem Umfang organmedizinisch nicht erklärt werden könnten. Nur ein Teil der Schmerzen sei organisch begründet, ein anderer Teil der Schmerzen sei sozusagen psychisch begründet. Dieser psychische Anteil könne neurotisch sein oder nur behauptet. Eine Differenzierung sei bekanntermaßen schwierig, da Schmerzen nicht gemessen oder gewogen werden könnten. Nach der Exploration und Untersuchung gehe er jedoch davon aus, dass dieser psychische Anteil beim Kläger bereits "neurotisch" sei, zumindest teilweise. Da Unsicherheiten verblieben, könne er lediglich die Verdachtsdiagnose einer somatoformen Schmerzstörung äußern. Konkret führte der Sachverständige Dr. B aus, dass eine solche somatoforme oder "neurotische" Schmerzstörung nur dann Einfluss auf die Berufsunfähigkeit bzw. deren Grad habe, wenn sie stark ausgeprägt sei. Er habe beim Kläger keine Anhaltspunkte dafür, dass die Störung so stark ausgeprägt sei, dass deren Auswirkungen nicht mehr mit zumutbarer Willensanspannung, bezogen auf die in Rede stehende berufliche Tätigkeit des Klägers, überwunden werden könnten.

Der Sachverständige legte ferner dar, dass eine neurophysiologische Untersuchung seiner Auffassung keine weitere Aufklärung bringen werde, da es bei normaler Muskelfunktion unerheblich sei, ob ein Nerv zu 100 % oder 98 % arbeite.

Aufgrund des fachorthopädischen und nervenärztlichen Gutachtens ist der Senat mit dem Landgericht der Überzeugung, dass bei dem Kläger allenfalls eine 40 prozentige Berufsunfähigkeit zu konstatieren ist.

2) Der Senat hält aufgrund der Ausführungen der Berufung eine weitergehende Beweisaufnahme für nicht angezeigt. Die Berufung meint, zur Aufklärung hätte es nahe gelegen, den vom Kläger benannten Nervenarzt und Neurologen Dr. W um eine psychiatrische Untersuchung des Klägers zu bitten und das Ergebnis in die Beweisaufnahme einzubeziehen. Die Berufung verweist auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 15.9.2000 (GA336 ff.) und mittelbar auf die ärztliche Bescheinigung von Dr. W vom 7.9.2000 (GA 338). Dr. führt hierzu in seiner ärztlichen Bescheinigung aus, dass die im Gutachten Dr. B beschriebenen somatoformen Schmerzstörungen eine ernstzunehmende Krankheit beschreiben, die eine Behinderung, bezogen auf die Fähigkeit des Klägers zur Ausübung seines Berufs, beinhalteten. Diese Behinderung sei im Gutachten in ihrer Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit nicht bewertet. Der Senat vermag den Argumenten der Berufung nicht zu folgen. Eine psychiatrische Untersuchung durch Dr. W war nicht angezeigt, da der vom Landgericht bestellte gerichtliche Sachverständige Dr. B sich eingehend mit der psychischen Situation des Klägers befasst hat. Im übrigen würde der den Kläger behandelnde Arzt Dr. W aufgrund des Arzt-/Patientenverhältnisses für eine neutrale Begutachtung nicht in Betracht kommen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Dr. B nicht definitiv das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung beschrieben hat, sondern nur eine Verdachtsdiagnose stellte. Auch hat er sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine etwaige somatoforme Schmerzstörung Einfluss auf die Tätigkeit des Klägers hat. Dies hat er definitiv verneint.

Die Voraussetzungen für die Einholung eines Obergutachtens liegen nicht vor (§ 412 ZPO). Der Senat hält sowohl das fachorthopädische als auch das nervenärztliche Gutachten für überzeugend. Auch die Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens ist nicht erforderlich. Denn es geht hier nicht darum, dass auf verschiedenem Sachgebiet tätige Gutachter jeweils aus ihrer Sicht einen Grad der Behinderung feststellen, die Frage der Gesamtbeeinträchtigung jedoch nicht durch Addition der einzelnen Behinderungsgrade gelöst werden kann, sondern in einer Gesamtschau unter ausreichender Würdigung der Einzelansätze eine Gesamtbeurteilung erfolgen muss. Hier hat der Sachverständige Dr. B aus nervenärztlicher Sicht eine Beeinträchtigung des beruflichen Tätigkeit des Klägers verneint.

Soweit der Kläger vorträgt, das Wissen des Hausarztes Dr. H über die Schwere der körperlichen Tätigkeit des Klägers dürfe nicht ausgespart werden, ist darauf hinzuweisen, dass beide gerichtliche Gutachter die vorhandenen ärztlichen Bescheinigungen, Privatgutachten vorliegen hatten und diese in ihre Bewertung einbezogen. Eine Vernehmung des Hausarztes, dass der Kläger nicht arbeitsscheu, sei, ist nicht erforderlich und sachdienlich. Eine Parteivernehmung des Klägers nach § 448 ZPO oder eine Anhörung nach § 141 ZPO dazu, dass er nicht simuliere und kein "eingebildeter Kranker" sei, kommt nicht in Betracht, da einer etwaigen, diesbezüglich bekräftigenden Aussage des Klägers kein Beweiswert zukommen würde. Insbesondere ist eine zusätzliche neurophysiologische Untersuchung nicht erforderlich. Auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. B wird Bezug genommen.

Ist danach davon auszugehen, dass der Kläger seine Tätigkeit als Metzgermeister auch bezogen auf seine körperliche Tätigkeit weiter ausüben kann, kommt es auf die Frage einer ihm zuzumutenden Umorganisation seines Betriebs nicht mehr an.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 74.215 € festgesetzt. Er entspricht der Beschwer des Klägers.

Ende der Entscheidung

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