Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 23.03.2001
Aktenzeichen: 10 U 819/00
Rechtsgebiete: ZPO, AKB, VVG


Vorschriften:

ZPO § 543
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
AKB § 12 Nr. 1 II e)
AKB § 13 Nr. 1
VVG § 61
Zu den Anforderungen an die subjektive Verantwortlichkeit bei Rotlichtverstoß im Kreuzungsbereich.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil - abgekürzt gemäß § 543 ZPO -

Verkündet am: 23. März 2001

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz und Dr. Reinert sowie die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 2. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Vollkaskoversicherung in Anspruch.

Der Bruder der Klägerin verursachte am 19.09.1998 gegen 19.15 Uhr in St. Wendel einen Verkehrsunfall. Er befuhr mit dem auf die Klägerin versicherten PKW Toyota die breite, gut ausgebaute, dreispurige Tholeyer Straße in Richtung Brühlstraße. Nach Durchfahren einer Unterführung missachtete er im Kreuzungsbereich die für seine Fahrspur bestimmte rote Ampelanlage, wodurch es zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug kam. Die Beklagte berief sich auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässigen Herbeiführens des Versicherungsfalls. Die Klägerin meint, der Verkehrsunfall sei nicht grob fahrlässig herbeigeführt worden. Die Lichtzeichenanlage sei erst ca. 20 m vor Ausgang des Tunnels für den Fahrer sichtbar geworden und tunnelbedingt hätten wechselnde Lichtverhältnissse geherrscht. Der Fahrer ihres Fahrzeugs sei von einem mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden PKW überholt worden, wodurch die Aufmerksamkeit ihres Bruders kurzfristig abgelenkt worden sei. Außerdem seien die für die anderen beiden Fahrspuren geltenden Ampeln auf grün geschaltet gewesen. Zudem sei der Fahrer ortsunkundig gewesen. Schließlich sei er im Bußgeldverfahren nur wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts zu einer Geldbuße von 250,-- DM verurteilt worden. Der Bußgeldrichter habe die Unübersichtlichkeit der Verkehrslage eingeräumt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 543 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

1) Der Klägerin steht kein Anspruch gemäß §§ 12 Nr. 1 II e) AKB, 13 Nr. 1 AKB aus der Vollkaskoversicherung gegen die Beklagte zu. Die Beklagte ist gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässigen Herbeiführens des Versicherungsfalls leistungsfrei geworden. Der Repräsentant der Klägerin, der Zeuge Schäfer, hat den Unfall und die damit verbundene Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs durch grob fahrlässiges Fahrverhalten herbeigeführt.

a) Wer bei roter Ampelanlage in einen Kreuzungsbereich hineinfährt, handelt objektiv grob fahrlässig. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, gilt nach ständiger Rechtsprechung für den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht ein ausschließlich objektiver, nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abgestellter Maßstab. Vielmehr sind die Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (BGH NJW 1992, 2418 m.w.N.). Subjektive Besonderheiten können im Einzelfall im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen. Ein Augenblicksversagen genügt entgegen der weit verbreiteten obergerichtlichen Rechtsprechung (u.a. OLG Hamm, VersR 1990, 1230; VersR 1991, 223; VersR 1991, 1368; OLG Frankfurt, VersR 1992, 230; OLG Köln, VersR 1991, 1266) allein noch nicht, um aus subjektiver Sicht ein objektiv grob fahrlässiges Fahrverhalten zu entschuldigen. Es müssen noch weitere Umstände hinzukommen, die es rechtfertigen, im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände den Schuldvorwurf geringer als grob fahrlässig zu bewerten (BGH NJW 1992, 2418).

b) Das Überfahren einer Kreuzung birgt hohe Gefahren, insbesondere wenn sie für den Verkehrsteilnehmer durch rotes Ampellicht gesperrt ist. Deshalb sind auch besonders hohe Anforderungen an den Verkehrsteilnehmer zu stellen. Von einem durchschnittlich sorgfältigen Kraftfahrer kann und muss verlangt werden, dass er an der Kreuzung jedenfalls mit einem Mindestmaß an Konzentration heranfährt, dass es ihm ermöglicht, die Verkehrssignale wahrzunehmen und zu beachten. Das Heranfahren an eine Kreuzung ist keine Dauertätigkeit. Sie erfordert jedes Mal erneut besondere Aufmerksamkeit. Eine kurzfristige Geistesabwesenheit ist keine ausreichende, entschuldigende Begründung für ein Außerachtlassen der notwendigen Sorgfalt.

c) Das Maß an Konzentration hat der Repräsentant der Klägerin subjektiv unentschuldbar nicht aufgebracht. Dabei kann nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH, aaO; ferner NJW 1977, 1965). Die von der Klägerin bzw. dem Repräsentanten vorgebrachten Umstände, die zur Herbeiführung des Verkehrsunfalls geführt haben, sind nicht geeignet den objektiv schweren Verkehrsverstoß zu entschuldigen. Aufgrund der zur Gerichtsakte gereichten Lichtbilder ist ersichtlich, dass es sich nicht um eine besonders unübersichtliche Kreuzungsanlage handelt. Das Durchfahren der Unterführung stellt ebenso keine Besonderheit dar. Insbesondere ist die Ampelanlage auch schon vor Hineinfahren in die Unterführung deutlich sichtbar. Dass tunnelbedingt wechselnde Lichtverhältnisse geherrscht haben sollen, ist aufgrund der vorgelegten Lichtbilder wenig wahrscheinlich. Auch ist die Straßenführung nicht unübersichtlich. Es handelt sich nach den Lichtbildern und der beigezogenen Bußgeldakte um eine breite, gut ausgebaute, dreispurige Straße. Es ist aus den Lichtbildern ersichtlich, dass bestimmte Fahrspuren für bestimmte Fahrtrichtungen vorgesehen sind. Zwei von drei Fahrspuren sind für Rechtsabbieger vorgesehen und eine Spur für Geradeausverkehr und Linksabbieger. Der Repräsentant hat sich auf der linken Fahrspur (Geradeausspur) korrekt eingeordnet, aber unentschuldbar die für die Geradeausspur rot geschaltete Ampel nicht beachtet. Dass der Bruder der Klägerin ortsunkundig gewesen ist, vermag in subjektiver Hinsicht den Verschuldensvorwurf nicht zu beeinträchtigten. Denn wer ortsunkundig ist, muss sich besonders vorsichtig einer Ampelanlage und einem Kreuzungsbereich nähern. Soweit die Klägerin behauptet, ihr Bruder sei während der Tunneldurchfahrt von einem mit erhöhter Geschwindigkeit fahrenden PKW überholt worden, der drohte aus der Kurve getragen zu werden, wodurch die Aufmerksamkeit ihres Bruders kurzfristig abgelenkt worden sei, reicht diese (bestrittene) Darstellung nicht, um den subjektiven Verschuldensvorwurf zu mindern. Ungeachtet dessen sei darauf hingewiesen, dass der Fahrer des PKW's bei der Verkehrsunfallaufnahme eine andere Darstellung gegeben hat. Danach will der Repräsentant zunächst vor der roten Ampel gehalten und bei Umspringen der für Rechtsabbieger vorgesehenen Ampel auf grün angefahren sein. Dass schließlich der Repräsentant der Klägerin im Bußgeldverfahren nur wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts zu einer Geldbuße verurteilt worden ist und der Bußgeldrichter angeblich die Unübersichtlichkeit der Verkehrsanlage "eingeräumt" habe, vermag der Klägerin nicht zu helfen. Im Bußgeld- und Strafverfahren sind andere Maßstäbe hinsichtlich der Verurteilung entscheidend als im Zivilverfahren. Weitere Umstände, die ein Augenblicksversagen rechtfertigen könnten, etwa anlagebedingte Gedächtnis- und Konzentrationsschwächen (BGH NJW 1992, 2418) aufgrund Hirnleistungsschwäche u.a., sind nicht ersichtlich und vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.770,69 DM festgesetzt. Er entspricht der Beschwer der Klägerin.

Ende der Entscheidung

Zurück