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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 11.02.2004
Aktenzeichen: 10 U 867/03
Rechtsgebiete: AUB 95, ZPO


Vorschriften:

AUB 95 § 2 Abs. 4
AUB 95 § 7 I (1)
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1
Der VN hat keine über 10 % der Invaliditätssumme hinausgehenden Ansprüche auf eine Invatiditätsleistung, wenn er sich beim Sturz von einer Garage bei vorhandenen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule eine Wirbeldeckplattenfraktur des 1. LWK zuzieht, sich aus fachorthopädischen Gutachten lediglich eine dauernde Beeinträchtigung von maximal 10 % ergibt und auch die neurologisch-psychiatrische Untersuchung auf keine weitere, dauernde Beeinträchtigung hinweist.

Für Schmerzstörungen, die rein psychischer Natur sind und nicht auf einer Verletzung des Körpers beruhen, besteht gemäß § 2 Abs. 4 AUB 95 ein Haftungsausschluss (OLG Koblenz VersR 2001, 1550 - NVersZ 2002, 18 = ZfS 2002, 32).


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Hinweisbeschluss

- (gemäß § 522 Abs. 2 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 867/03

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert und den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Reiff

am 11. Februar 2004

einstimmig

beschlossen:

Tenor:

Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Gründe werden nachfolgend dargestellt. Dem Kläger wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 15. April 2004.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus Unfallversicherung (AUB 95) auf Invaliditätsleistung in Anspruch.

Die Versicherungssumme beläuft sich auf 92.000,-- DM. Der Kläger hat erstinstanzlich eine 50 %-ige Invalidität aufgrund eines Unfallereignisses geltend gemacht. Der Kläger war am 5.1.1999 von einer Garage gestürzt. Dabei zog er sich eine Wirbeldeckplattenfraktur des 1. LWK zu. Nach Einholung eines Privatgutachtens des Orthopäden Dr. K anerkannte die Beklagte eine unfallbedingte dauernde Beeinträchtigung von 10 % und zahlte an den Kläger 9.200,-- DM.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 18 815,54 € (36.800,-- DM) nebst Zinsen zu zahlen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. R und eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. K, die Klage abgewiesen.

Mit seiner Berufung beantragt der Kläger nunmehr unter Berufung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. K, auf der Grundlage einer Invalidität von 20 % die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 4.703,89 € (9.200,-- DM) nebst Zinsen zu zahlen.

II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Der von der Beklagten mit der Erstellung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragte Arzt für Orthopädie, Sportmedizin und Chirotherapie, Dr. med. Wolfgang K, hat in seinem Gutachten vom 15.6.2000 (GA 20 ff.) bereits ausgeführt, dass es sich bei der Verletzung des Klägers um einen Einbruch der Deckplatte mit Aussprengung eines Vorderkantenfragmentes gehandelt habe. Der Wirbelkörper sei stabil knöchern ausgeheilt. Zu keiner Zeit sei die Hinterkante oder der Wirbelkanal bzw. ein Teil der Bogenwurzelstrukturen betroffen gewesen. Zum Unfallzeitpunkt habe ein erhebliches Übergewicht bei dem Probanden vorgelegen. Ergänzend sei ein degenerativer Schaden festzustellen, der sich für das nicht unfallabhängig verletzte Bewegungssegment zwischen dem 2. und 3. LWK zweifelsfrei nachweisen lasse. Hier seien spondylotische Veränderungen an den Wirbelkörpern erkennbar, die zum Unfallzeitpunkt bestanden hätten.

Im aktuellen klinischen Untersuchungsgang finde sich ein global eingeschränktes Rumpfbewegungsvermögen, dabei eine tiefsitzend lokalisierte Schmerzhaftigkeit im Rücken, die sich bei der Untersuchung gürtelförmig ausstrahlend verhalten habe. Hinweise auf eine dort unfallabhängig eingetretene Instabilität seien nicht vorhanden.

Es sei eine ausgeprägte muskuläre Dysbalance vorhanden. Der Verkürzungszustand der hüftüberspannenden Muskulatur könne aus orthopädischer Sicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die knöcherne Verletzung habe den 1. LWK betroffen und sei stabil ausgeheilt. Eine segmentale Instabilität mit einer Irritation der Nervenwurzelstrukturen über die kleinen Wirbelgelenke sei nicht feststellbar. Die Verkürzung sei habitustypisch bei der erheblichen Übergewichtigkeit und langjährigen chronischen Fehlbelastung der Wirbelsäule. Hinzu komme ein degenerativer Bandscheibenschaden zwischen dem 2. und 3. LWK dort, wo eine ursprüngliche Verletzung nicht nachgewiesen werden könne. Dr. K gelangte aufgrund der erhobenen Befunde in nachvollziehbarer Weise und widerspruchsfrei zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger geschilderten oberschenkelbetonten Schmerzen differentialdiagnostisch nicht dem Unfallgeschehen zugeordnet werden könnten. Es sei letztlich ein unfallfremdes chronifiziertes WS-Syndrom auf der einen Seite und unfallbedingt ein unter geringer Formveränderung mit Beteiligung des Bandscheibenfaches zum 12. BWK knöchern stabil verheilter Deckplatteneinbruch mit Absprengung eines Vorderkantenfragmentes am 1. LWK zu verzeichnen.

Hinsichtlich der Bewertung des Grades einer unfallbedingt eingetretenen Invalidität führte Dr. K aus, dass - unter Berücksichtigung des Segment-Prinzips von Weber - hier für die Beurteilung des verbliebenen unfallabhängigen Wirbelschadens und eines Segmentwertes Th 12/LWK 1 bei stabil ausgeheilter Verletzung ohne wesentliche statische Formveränderung der Wirbelsäule eine Beeinträchtigung von weniger als 5 % möglich sei. Der aus ärztlicher Sicht zu bemessende Dauerschaden müsse daher als gering bezeichnet werden. Bei großzügiger Betrachtung könne ein unfallabhängiger Dauerschaden nach den einschlägigen tabellarischen Übersichten zum Zeitpunkt der Untersuchung allenfalls mit 10 % angesetzt werden.

Diese vom Privatgutachter der Beklagten, Dr. med. Wolfgang K erhobenen Befunde und Bewertungen sind durch das gerichtlich eingeholte fachorthopädische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R bestätigt worden, der allerdings keine eigene körperliche Untersuchung des Klägers vorgenommen, sondern die vorhandenen Befunderhebungen zugrundegelegt und hierauf basierend seine Begutachtung vorgenommen hat. Prof. Dr. R verwies darauf, dass wesentlich sei, dass der Deckenplattenbruch des 1. LWK knöchern verheilt sei und keine wesentliche Verformung der LWS mit biomechanischer Auswirkung vorliege. Der Sachverständige trat dabei den Behauptungen des Klägers entgegen, dass keine Vorschäden vorhanden gewesen seien. Aufgrund wiederholter Röntgenaufnahmen aus Zeiten vor dem Unfallereignis und auch der Bescheinigung des Hausarztes, Michael B vom 11.9.2000 (GA 8) seien rezidivierend auftretende LWS-Beschwerden im Sinne eines myostatischen LWS-Syndroms aufgetreten. Ursache hierfür sei offensichtlich eine Bandscheibendegeneration zwischen dem 2. und 3. LWK gewesen. Dieser Bandscheibenschaden sei bereits aus den Aufnahmen vor der Unfallzeit zu ersehen. Denn es sei eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraums mit spondylotischen Randkantenreaktionen erkennbar. Außerdem bestehe ein deutliches Hohlkreuz und ein Übergewicht mit einem überhängendem Bauch und einer Sensibilitätsstörung an der Außenseite des rechten Oberschenkels entsprechend dem Ausbreitungsgebiet des Nervus cutaneus femoris lateralis, synonym mit der Diagnose einer Paraesthetika nokturna. Hierbei handele es sich um eine Neuralgie dieses Hautnerven durch Kompression unter dem Leistenband. Eine Beteiligung mit der leichten Kompressionsfraktur des 1. LWK sei aus rein anatomischen Gründen bereits völlig unmöglich. Unfallfolgen unterhalb des 1. LWK seien eindeutig nicht nachzuweisen.

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. R hielt die vom Privatgutachter der Beklagten, Dr. K getroffene Einschätzung einer unfallbedingten Invalidität mit einer segmental eingeschränkten Beweglichkeit von 5 % bzw. bei großzügiger Betrachtung von 10 % für völlig korrekt.

Zutreffend führt das Landgericht aus, dass auch unter Zugrundelegung des ergänzenden neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. med. K eine unfallbedingte Invalidität von zumindest 20 % nicht angenommen werden könne. Der Neurologe Dr. K betonte zwar, dass unfallbedingt aus der Funktionsminderung und der verminderten Belastbarkeit organisch bedingte Schmerzen mit Schmerzausstrahlungen in den Oberschenkel abzuleiten seien. Es liege eine pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung von dem Muskelwulst im Rücken auf den Oberschenkel vor.

Demgegenüber führt der Sachverständige Prof. Dr. R in seinem Ergänzungsgutachten 8.4.2003 nachvollziehbar und widerspruchsfrei aus, dass Dr. K war einen mächtigen Muskelwulst paravertrebral im Bereich des thorako-lumbalen Übergangs beschreibe, dies allerdings - was zu erwarten gewesen wäre - ohne Angaben, um welche Segmente es sich handele. Es fehle sowohl an einer exakten Zuordnung des Muskelwulstes als auch an einem weiteren Untersuchungsbefund der lumbalen Rückenstrecker. Auch werde die Hohlkreuzkonfiguration der LWS und ihre funktionelle Leistungsfähigkeit nicht beschrieben. Durch die Unvollständigkeit der Untersuchungsbefunde seien Zweifel an den daraus gezogenen Rückschlüssen berechtigt.

Die von Dr. K vertretene Ansicht, die Veränderungen der L 2/L 3 mit Bandscheibenverschmälerung und knöcherner Exophytenbildung seien weder Vorschäden noch degenerativ, weil sie keinen Krankheitswert besäßen, sei nicht korrekt und stehe im Widerspruch zu den hausärztlichen Angaben im April und September 2000 (GA 8/9), zum Entlassungsbefund aus St. G und zu den nachgewiesenen radiologischen Veränderungen. Dr. R verwies nochmals darauf, dass bei dem Kläger ein nicht beschwerdefreier, deutlicher degenerativer Vorschaden im Segment L 2 /L 3 seit Jahren bestanden habe. Dieser Bandscheibenschaden sei kombiniert mit einem Hohlkreuz, verstärkt durch einen Bauch als eine Art Rucksack an der biomechanisch falschen Stelle. Der Sachverständige verwies dabei auf die durch die Bilddokumentationen bestätigten Abnutzungen und spondyiarthrotischen Veränderungen der Wirbelgelenke, die insbesondere bei Bewegungen wie Drehen, Bücken und Rücklage Schmerzen verursachten. Das unfallfremde Hohlkreuz führe zu einer Überlastung der kleinen Wirbelgelenke ebenso wie das Übergewicht mit hängendem Bauch. Letzteres bedinge eine Erschlaffung der Bauchmuskulatur, wodurch die muskuläre Dysbalance zwischen vorderer und hinterer Rumpfmuskulatur verstärkt werde. Infolge der unfallfremden Bandscheibendegeneration im Segment L 2 / L 3 komme es zu einer Annäherung der benachbarten Wirbelkörper und zwanghaft zu einer Verschiebung in den entsprechenden Wirbelgelenken, wodurch es zu einer Inkongruenz und zu einer Arthrose komme. Die funktionelle Instabilität führe dann zu dem sogenannten "Schlottern" in den Gelenken, was wiederum letztlich zu einer biomechanischen. Überlastung der Muskelfasern führe, die als lokale Verspannung und Verhärtung tastbar sei.

Letztlich kommt es nicht entscheidend auf die vorgenannte Problematik an, da auch nach den Feststellungen des Neurologen Dr. K nicht von einer unfallbedingten Invalidität von 20 % ausgegangen werden kann. Denn § 7 I (1) AUB 95 verlangt für die Feststellung eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit des Versicherten. Dr. K räumt jedoch selbst ein, dass die gegebenen Funktionsstörungen mit entsprechend verminderter Belastbarkeit durch eine gezielte vielwöchige Behandlung behandelbar sei und in den allermeisten Fällen sich die Beschwerden beheben ließen. Von einem Dauerschaden von mindestens 20 % kann deshalb nicht ausgegangen werden. Jedenfalls hat der Kläger, der für die Behauptung einer vorhandenen Invalidität darlegungs- und beweispflichtig ist, hier nicht zur Überzeugung des Senats beweisen können, dass abweichend von den Gutachtern Dr. K und Prof. R eine unfallbedingte Invalidität von zumindest 20 % besteht.

Die von der Berufung geführten Angriffe gegen das landgerichtliche Urteil rechtfertigen keine andere Beurteilung. Das Landgericht hat im Rahmen seines sehr sorgfältig begründeten Urteils keineswegs den tatsächlichen Sachverhalt verkannt.

Auch ist die Beweislast nicht verkannt worden. Die Darlegungs- und Beweislast für den Umfang der Invalidität liegt beim Versicherten, nicht beim Versicherer. Die Beklagte muss nicht nachweisen, dass entgegen den Einschätzungen des Sachverständigen Dr. K keine Beeinträchtigung der Invalidität von 20 % vorliegt. Dass der Kläger weiterhin über Schmerzen klagt, bedeutet nicht, dass diese Schmerzen auf die Wirbeldeckplattenfraktur des 1. LWK zurückzuführen sind. Der Senat sieht keinen Anlass, ein ergänzendes Sachverständigengutachten einzuholen im Übrigen weist die Berufungserwiderung zutreffend daraufhin, dass für Schmerzstörungen, die rein psychischer Natur sind und nicht auf einer Verletzung des Körpers beruhen, gemäß § 2 IV AUB 95 ein Haftungsausschluss besteht (Senatsurteil vom 22.6.2001, VersR 2001, 1550 = NVersZ 2002, 17 = Zfs 2002, 32).

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 4.703,89 € festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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