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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 03.06.2005
Aktenzeichen: 10 U 939/04
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 16 Abs. 1
Wird beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung danach gefragt, ob in den letzten 10 Jahren Krankheitssymptome an Wirbelsäule, Bandscheiben, Gelenken, Knochen bestehen oder bestanden haben, so ist eine fortdauernde Bewegungseinschränkung der Schulter mit Versteifung des linken Handgelenks auch dann anzugeben, wenn der diese Beeinträchtigung verursachende Unfall außerhalb des 10-Jahreszeitraums liegt.

Die Frage "Nehmen oder nahmen sie in den letzten 10 Jahren Drogen, Medikamente, Betäubungs- oder Rauschmittel ? Wurden sie wegen der Folgen von Alkoholgenuß in den letzten 10 Jahren beraten oder behandelt?" erfasst auch eine ärztliche Beratung, die im Zusammenhang mit einer medizinisch psychologischen Untersuchung (MPU) aufgrund eines Entzugs der Fahrerlaubnis steht (in Anknüpfung an Senatsurteile vom 16.3.2001 NVersZ 2001, 413 = r+s 2001, 339 = OLGR 2001,376; vom 18.1.2002 NVersZ 2002, 260 = VersR 2002, 1091 LS = ZfS 2002, 591; vom 31.5.2002 OLGR 2002, 339; Senatsbeschluss vom 8. September 2003 VersR 2004, 229 = R+S 2004, 295 = NJOZ 2003, 3443).


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 10 U 939/04

Verkündet am 3. Juni 2005

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 24. Juni 2004 wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung, die er am 18.9.2001 abgeschlossen hatte, fortbesteht.

Den Antrag zum Abschluss der Versicherung (GA 54) füllte der seinerzeit für die Vorgängerin der Beklagten tätige Zeuge H. aus. Sämtliche Gesundheitsfragen sind mit "nein" angekreuzt, auch die Frage d) "Nehmen oder nahmen Sie in den letzten 10 Jahren Drogen, Medikamente, Betäubungs- und Rauschmittel? Wurden Sie wegen der Folgen von Alkoholgenuss in den letzten 10 Jahren beraten oder behandelt?"

Die Frage h) nach dem behandelnden Arzt in den letzten 5 Jahren wurde dahingehend beantwortet, dass der Arzt Dr. B. in W. benannt wurde.

Der Kläger hat 1980 einen Unfall erlitten, als dessen Folge der linke Unterarm im Handgelenk steif ist.

Ferner hat der Kläger Ende 1998 wegen einer Trunkenheitsfahrt mit mehr als 2 Promille BAK-Wert den Führerschein verloren. 1999 hat er ihn wiederbekommen, nachdem eine medizinisch psychologische Untersuchung (MPU) durchgeführt worden ist.

Am 24.04.2003 übersandte der Kläger der Beklagten erneut den Antrag vom 18.09.2001, ergänzt mit folgendem Zusatz: "Unfall 1980, linker unter Arm Handgelenk steif".

Die Beklagte erhob auf diese Nachricht hin einen Hausarztbericht und erklärte mit Schreiben vom 14.07.2003 (Blatt 6 d.A.) den Rücktritt. Zur Begründung führte sie aus, aus den ihr jetzt zugegangenen Befunden und Angaben ergebe sich, dass der Kläger erst seit 10/1998 alkoholabstinent sei, ferner sei der Beklagten bei Antragstellung der Unfall mit Trümmerbruch und darauf zurückführender Bewegungseinschränkung der linken Schulter mit Versteifung des linken Handgelenks nicht bekannt gewesen. Wäre dies bekannt gewesen, hätte sie den beantragten Versicherungsschutz nicht gewährt.

Der Kläger bestreitet, bei Antragstellung am 18.09.2001 falsche Angaben gemacht zu haben. Die Behinderungen des linken Arms seien dem Zeugen H., der den Antrag aufgenommen habe, bekannt gewesen, außerdem seien sie sichtbar. Wegen Alkoholmissbrauchs sei er nie behandelt worden. Er sei nur wegen eines einmaligen "Ausrutschers" in Bezug auf Alkohol beim Arzt gewesen. Dies hätte er nicht angeben müssen.

Die Beklagte hält ihren Rücktritt für berechtigt, weil der Kläger die Gesundheitsfragen, insbesondere die Frage nach Behandlung einer Alkoholkrankheit falsch beantwortet habe. Der Kläger sei wegen Alkoholkrankheit behandelt worden. Eine Wertung, ob er diese Frage zu beantworten habe, stehe dem Kläger nicht zu.

Die Beklagte hat bestritten, dass der Zeuge H. aufgrund des persönlichen Kontakts mit dem Kläger von der Behinderung des linken Arms Kenntnis hatte. Zudem habe es sich insoweit um privates Wissen des Vertreters gehandelt, das ihr nicht zuzurechnen sei.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung der Feststellungsklage entsprochen und festgestellt, dass der Versicherungsvertrag zu unveränderten Bedingungen fortbestehe. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, hinsichtlich des Unfalls aus dem Jahre 1980 stehe der Beklagten kein Rücktrittsrecht zu, da dieser sich mehr als 20 Jahre vor Antragstellung ereignet habe. Die Behandlungen seien außerhalb des 10-Jahreszeitraums erfolgt. Die Frage nach dem Alkoholgenuss sei ebenfalls nicht falsch beantwortet worden, weil der Kläger wegen der Folgen des Alkoholgenusses mit dem Verlust des Führerscheins nicht ärztlich behandelt worden sei, sondern es allgemein bekannt sei, dass bei einem Führerscheinentzugs wegen eines Promillegehalts von mehr als 2 Promille BAK-Wert die Wiedererlangung davon abhänge, dass die medizinisch-psychologische Untersuchung erfolgreich absolviert und Alkoholabstinenz nachgewiesen werde.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Die Beklagte erstrebt unter Abänderung des angefochtenen Urteils, die Klage abzuweisen.

Der Senat nimmt im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug (§ 540 Abs. 1 ZPO).

II.

Die Berufung ist begründet.

Nach § 16 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind die Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich. Der Versicherer ist zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt, wenn der Versicherungsnehmer für die Übernahme der versicherten Gefahr erhebliche Umstände bei Abschluss des Vertrags verschweigt. Im Falle ausdrücklicher und schriftlicher Befragung kommt es nicht einmal darauf an, ob der Versicherungsnehmer Kenntnis von der Erheblichkeit des Gefahrumstands hatte. Es ist Sache des Versicherers, das Risiko von Beschwerden, Krankheiten und Gesundheitsstörungen, ggf. unter Einschaltung der Gesellschaftsärzte oder nach Rückfrage bei den behandelnden Ärzten, zu beurteilen. Da ein Versicherungsnehmer in der Regel mangels medizinischer Kenntnisse nicht in der Lage ist, die Gefahrerheblichkeit körperlicher Beschwerden zu beurteilen, muss er alle, auch die als belanglos empfundenen Krankheiten oder Beschwerden, anzeigen (BGH VersR 1994, 711; 2000, 1486; Senatsurteile vom 16.3.2001 - 10 U 187/00 - NVersZ 2001, 413 = r+s 2001, 339 = OLGR 2001,376; vom 18.1.2002 - 10 U 374/01 - NVersZ 2002, 260 = VersR 2002, 1091 LS = ZfS 2002, 591; vom 31.5.2002 - 10 U 1039/01 - OLGR 2002, 339; Senatsbeschluss vom 8. September 2003 - 10 U 1649/02 - VersR 2004, 229 = R+S 2004, 295 - NJOZ 2003,3443).

Die Frage f) im Antragsformular (Anlage B 1, GA 54) lautete :" Bestehen oder bestanden in den letzten 10 Jahren Krankheitssymptome an Wirbelsäule, Bandscheiben, Gelenken, Knochen? Besteht eine Amputation?". Der Kläger hat diese Frage mit "nein" beantwortet. Die Berufung macht zu Recht geltend, dass das Landgericht ausschließlich darauf abgestellt habe, ob der Kläger umfangreiche Behandlungen der Unfallfolgen innerhalb des 10-Jahreszeitraums vor Antragstellung nicht richtig angegeben habe. Darauf hat sich der Rücktritt der Beklagten nicht bezogen. Die Beklagte hat vielmehr den Rücktritt in ihrer Klageerwiderung darauf gestützt, dass der Unfall zu einer Bewegungseinschränkung der linken Schulter mit Versteifung des Handgelenks geführt habe. Die fortdauernde Bewegungseinschränkung der Schulter mit Versteifung des linken Handgelenks stellt ein Krankheitssymptom an einem Gelenk dar, das für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung von erheblicher Relevanz ist. Bezüglich dieser Beeinträchtigung bestand eine Spontanoffenbarungspflicht des Klägers.

Der Zeuge H., Vermittler der Beklagten, hat in der Beweisaufnahme geäußert, dass er den Kläger seit 1998 kenne, er, der Zeuge, früher Filialleiter einer Großtankstelle und der Kläger bei ihm beschäftigt gewesen sei. Er habe zwar bei Antragstellung gewusst, dass der Kläger vor Jahren einen Unfall gehabt habe, nicht aber, dass dieser zu körperlichen Beeinträchtigungen des Klägers geführt habe. Diese Aussage steht in Widerspruch zu den Angaben des Klägers, dass er den Zeugen H. beim Antragsgespräch über den Unfall und die hieraus resultierende Behinderung des linken Armes informiert habe.

Selbst wenn der Vortrag des Klägers zuträfe, dass er den Vermittler über die Beeinträchtigung unterrichtet habe bzw. die Beeinträchtigung offenkundig sei oder der Vermittler aufgrund der früheren gemeinsamen Tätigkeit in der Großtankstelle Kenntnis von der Beeinträchtigung gehabt hätte, läge ein kollusives Zusammenwirken zwischen Kläger und Vermittler vor, das sich die Beklagte nicht zurechnen lassen müsste. Denn dem Kläger hätte sich aufdrängen müssen, dass der Vermittler verpflichtet war, diese Beeinträchtigung der Beklagten anzuzeigen.

Der Rücktritt konnte deshalb auch auf die falsche Beantwortung der Frage f) im Antragsformular gestützt werden.

Das Landgericht hat auch zu Unrecht angenommen, der Kläger habe die Frage d) im Fragebogen zutreffend beantwortet. Frage d) lautet : "Nehmen oder nahmen sie in den letzten 10 Jahren Drogen, Medikamente, Betäubungs- oder Rauschmittel ? Wurden sie wegen der Folgen von Alkoholgenuß in den letzten 10 Jahren beraten oder behandelt?" Die Fragestellung ist eindeutig. Sie kann nicht, wie vom Kläger vorgetragen, so verstanden werden, dass sie auf eine mögliche Alkoholabhängigkeit oder vielleicht durchgeführte Entzugsmaßnahme gerichtet ist. Der Vortrag des Klägers, er sei im Jahr 1999 wegen eines "Katers" bei seinem Hausarzt gewesen, weil er einmal extensiv dem Alkohol zugesprochen habe, ist unglaubhaft und entlastet den Kläger im Übrigen nicht. Der behandelnde Hausarzt hat den Kläger schließlich zur Durchführung eines Abdomensonos zur Abklärung einer Hepatopathie überwiesen. Die Ausführungen seines Hausarztes Dr. B. im Attest vom 17.10.2003, dass der Kläger ihn 1999 wegen eines Alkoholrausches aufgesucht habe und sich der Kläger entschlossen habe, seinen Alkoholkonsum vollständig einzustellen, diese Behandlung aber nicht im Zusammenhang mit dem 1998 erfolgten Führerscheinentzug gestanden habe, vermögen den Kläger nicht zu entlasten.

Der Senat geht auch mit der Berufung davon aus, dass es sich nicht um einen einmaligen Ausrutscher des Klägers gehandelt hat. Der Kläger hat erst im Termin vom 27.5.2004 eingeräumt, dass er Ende 1998 alkoholisiert mit einem Promillegehalt von über 2 Promille BAK-Wert mit einem PKW gefahren und angehalten worden sei. Es ist wissenschaftlich erwiesen und dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass ein Verkehrsteilnehmer bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,3 Promille an den Konsum großer und nicht mehr kontrollierbarer Alkoholmengen gewöhnt sein muss. Bei einem Promillegehalt von über 2 Promille, wie beim Kläger anlässlich der Autofahrt 1998 festgestellt, besteht eine allgemeine Alkoholproblematik. Die Berufung beanstandet zu Recht, dass das Landgericht zur Begründung seiner Auffassung ausgeführt habe, der Zeuge H. habe von dem Führerscheinentzug und den damit zusammenhängenden Arztbesuchen des Klägers gewusst. Der Zeuge H. hat in der Beweisaufnahme vielmehr bekundet, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, ob der Kläger ihm gegenüber überhaupt erwähnt habe, dass er wegen des Alkohols zum Arzt gegangen sei. Letztlich hat der Kläger selbst nicht behauptet, den Zeugen H. über den Führerscheinentzug und die damit zusammenhängenden Arztbesuche informiert zu haben. Der Kläger hat dies damit begründet, dass es sich seiner Auffassung nach um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt habe. Der Zeuge hat dementsprechend die Frage d) entsprechend den Angaben des Klägers mit "nein" angekreuzt. Der Kläger hat damit die Frage d) falsch beantwortet. Dies stellt einen weiteren Rücktrittsgrund dar. Der Rücktritt ist auch fristgerecht erklärt worden.

Auf die Berufung der Beklagten war das angegriffene Urteil des Landgerichts dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 543 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.000 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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