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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 11.11.2004
Aktenzeichen: 10 U 97/04
Rechtsgebiete: AKB, VVG


Vorschriften:

AKB § 7 I Nr. 2 S. 3
AKB § 7 V Nr. 4
VVG § 6 III S. 1
Eine zur Leistungsfreiheit des Versicherers führende objektive Verletzung der Aufklärungsobliegenheit liegt vor, wenn nach einem KfZ-Diebstahl in Danzig/Polen in der Schadensanzeige wahrheitswidrig 130.000 anstatt 180.000 gefahrene Kilometer angegeben werden. Der VN vermag sich nicht von der in § 6 Abs. 3 VVG enthaltenen Verschuldensvermutung damit zu entlasten, dass das Schadensanzeigenformular nicht von ihm, sondern von seinem, den genauen Kilometerstand nicht kennenden Vater ausgefüllt worden sei und er, der VN, dieses nur ungeprüft unterschrieben habe.

Von einer rechtzeitigen, eine Obliegenheitsverletzung ausschließenden Berichtigung der falschen Angaben kann nicht ausgegangen werden, wenn diese erst erfolgte, nachdem der Versicherer bei der Werkstatt Nachforschungen angestellt hatte (vgl. zur Aufklärungsobliegenheit auch Senatsurteile vom 12.3.1999 - 10 U 419/98 - NVersZ 1999, 273, 274; vom 15. Januar 1999 - 10 U 1574/97 - NVersZ 1999, 272 = VersR 1999, 1536).


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Hinweisbeschluss

(gemäß § 522 Abs. 2 ZPO) Geschäftsnummer: 10 U 97/04

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert

am 11. November 2004

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Gründe werden nachfolgend dargestellt. Dem Kläger wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 28. Januar 2005.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistung wegen Diebstahls seines Fahrzeuges in Danzig/Polen in Anspruch .

Der Kläger war im August 2002 Halter und Eigentümer des PKW Audi A 4 Avant mit dem damaligen amtlichen Kennzeichen . Dieses Fahrzeug war bei der Beklagten unter der Kraftfahrtversicherungsnummer mit einer Selbstbeteiligung von 332,--Euro vollkaskoversichert.

Der Bruder des Klägers, M. B., fuhr am 14.8.2002 mit dem Fahrzeug nach Polen. Am 25.8.2002 stellte er den PKW des Klägers gegen ca. 13.00 Uhr in der Innenstadt von Danzig ab und verschloss ihn. Als er gegen ca. 20.00 Uhr am 15.8.2002 wieder zu dem Platz zurückkehrte, wo er das Fahrzeug abgestellt hatte, musste er feststellen, dass das Fahrzeug dort nicht mehr vorhanden und entwendet war.

Der Bruder des Klägers meldete umgehend am 15.8.2002 bei der Polizei in Polen den Diebstahl. In einer Anzeige bei der Polizei in W. gab er am 20.8.2002 die Kilometerleistung des Fahrzeugs mit 100.000 Kilometer an. Mit einer Anzeige vom 22.8.2002 zeigte der Kläger der Beklagten den Schaden an. Dieses Formular wurde vom Vater des Klägers ausgefüllt und vom Kläger sodann unterschrieben. In diesem Formular ist der Kilometerstand mit 130.000 Kilometer angegeben. Die Fragen Nr. 11 bezüglich reparierter und unreparierter Schäden und verschleißbedingten Reparaturen wie z.B. Austauschmotor, Getriebe und Bremsanlage wurden verneint. Die Frage nach der letzten Inspektion wurde nicht beantwortet. Unter anderen Belegen bezüglich der Ausstattung des Fahrzeugs war dieser Schadensanzeige nur die Rechnung vom 8.3.2001 über die Inspektion bei 120.000 km beigefügt.

Die Beklagte stellte daraufhin Nachforschungen an und bat bei dem Kläger um die Mitteilung der Werkstatt. Nachdem diese mitgeteilt worden war, erhielt die Beklagte von der Werkstatt Rechnungen über fünf weitere Werkstattbesuche nach dem März 2001. Es handelt sich um zwei Inspektionen, den Austausch der Frontscheibe und des Tragegelenks, eine Fahrzeugmessung und den Austausch der Bremsscheiben und Bremsbeläge sowie des Radlagers hinten. Dabei stellte sich heraus, dass die letzte Inspektion am 24.5.2002 bei einem Kilometerstand von 165.800 Kilometer stattgefunden hatte.

Mit Fax vom 4.10.2002 berichtigte der Kläger seine Angaben zum Kilometerstand aus der Schadensanzeige und gab nunmehr den Kilometerstand mit 180.000 Kilometer an.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte sei zur Leistung verpflichtet. Da der Wert des Fahrzeugs nicht feststehe, könne er eine Feststellungsklage geltend machen.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm auf der Grundlage des Fahrzeug-Vollkaskoversicherungsvertrages aus Anlass des Diebstahls des PKW Audi A 4 Avant mit der Fahrzeug-Identitäts-Nr. mit dem ehemaligen Kennzeichen am 15.1.2002 in Danzig/Polen uneingeschränkt Vollkaskoversicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen. Der Kläger habe in seiner Schadensanzeige vorn 22.8.2002 falsche und unvollständige Angaben gemacht. Dies habe sie durch die Rechnungen der Werkstatt, die sie am 1.10.2002 erhalten habe, erfahren. Bestätigt sei dies auch durch ein Telefonat mit dem Vater des Klägers am 14.11.2002, in dem dieser gesagt habe, der Kläger habe ihm den Kilometerstand von 130.000 Km genannt. Die Angabe des falschen Kilometerstandes, das Verschweigen des Schadens an der Frontscheibe und der verschleißbedingten Reparaturen an den Bremsen sowie das Verschweigen der Häufigkeit der Werkstattbesuche stellten eine Obliegenheitsverletzung dar, die zur Leistungsfreiheit führe. Die spätere Korrektur durch das Fax vom 4.10.2002 sei unbeachtlich, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass die vorherige falsche Angabe ein Irrtum gewesen sei. Dies ergebe sich schon daraus, dass die passende Rechnung beigelegt worden sei und diese Berichtigung nicht vorher erfolgt sei. So sei weder bei Nennung der Werkstatt noch bei Übersendung des Fahrzeugsbriefs und der Abmeldebestätigung eine Berichtigung erfolgt.

Der Kläger hat dem erwidert und ausgeführt, dass die Schadensanzeige von seinem Vater ausgefüllt worden sei, weil er schlampig sei und Belege nicht aufhebe. Der Vater habe nur diese Rechnung gefunden. Die letzte Inspektion sei dem Vater nicht bekannt gewesen. Des Weiteren seien dem Vater auch keine großen Reparaturen an der Bremsanlage bekannt gewesen. Der Schaden an der Scheibe sei durch die Beklagte selbst im Wege der Teilkasko reguliert worden. Dieser Schaden sei folglich bekannt. Die durchgeführten Reparaturen hätten allenfalls zu einer Werterhöhung des Fahrzeugs geführt, so dass die Nichtvorlage dieser Reparaturrechnung ihm selbst schade. Sie könnten daher kein Grund für eine Leistungsfreiheit sein. Er sei auch von der Werkstatt nicht darüber informiert worden, dass diese die Reparaturrechnung an die Beklagte weitergegeben habe. Daher bestehe kein Zusammenhang zwischen der Berichtigung durch das Fax und der Übersendung der Reparaturrechnung durch die Werkstatt an die Beklagte. Die Angabe von 130.000 Kilometer sei durch ein Versehen des Vaters hervorgerufen worden. Dieser habe diesen Kilometerstand, den ein anderes Fahrzeug, was der Kläger möglicherweise hätte kaufen wollen, gehabt habe, mit dem Audi Avant verwechselt. Er habe diese Schadensanzeige ohne Überprüfung unterschrieben, da er auf die Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit seines Vaters vertraut habe. Insoweit seien keine bewusst falschen Angaben enthalten.

Das Landgericht hat die Klage wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit abgewiesen, da der Kläger in seiner Schadensanzeige vom 22.8.2002 falsche Angaben zur Gesamtkilometerleistung gemacht habe. Der Kläger habe die Verschuldensvermutung des § 6 Abs. 3 VVG nicht entkräftet. Es sei zumindest von einer grob fahrlässigen Falschangabe auszugehen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Er erstrebt unter Abänderung des angefochtenen Urteils weiterhin die Feststellung, dass die Beklagte aufgrund des Versicherungsvertrages zur Leistung verpflichtet sei.

II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen, weil die Beklagte wegen Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei geworden ist ( § 7 I Nr. 2 S. 3 und V Nr. 4 AKB i.V.m. § 6 III S. 1 VVG). Leistungsfreiheit des Versicherers besteht, wenn der Versicherungsnehmer seine Obliegenheit verletzt hat, nach Eintritt des Versicherungsfalls alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann, es sei denn, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich maßgeblich nach den vom Versicherer im Schadensanzeigeformular gestellten Fragen (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 7 AKB Rn. 12; vgl. auch Senatsurteil vom 12.3.1999 - 10 U 419/98 - NVersZ 1999, 273, 274). Zur Obliegenheit des Versicherungsnehmers gehört es, dass die in der Schadensanzeige gemachten Angaben wahrheitsgemäß und vollständig sind. Unter die Aufklärungspflicht fallen sämtliche Umstände, die zur Feststellung des Entschädigungsbetrags von Bedeutung sein können. Dies gilt vor allem bei Entwendungen von Kraftfahrzeugen, bei denen der Versicherer keine eigenen Erkenntnismöglichkeiten hat (Prölss/Martin, § 7 Rn. 43, 49; Senatsurteil vom 15. Januar 1999 - 10 U 1574/97 - NVersZ 1999, 272 = VersR 1999, 1536).

Zutreffend führt das Landgericht aus, dass der Kläger objektiv seine Aufklärungsobliegenheit verletzt hat, indem er in seiner Schadensanzeige vom 22.8.2002 falsche Angaben zur Gesamtkilometerleistung gemacht hat. In der Schadensanzeige werden 130.000 km anstatt 180.000 km angegeben. Offen kann bleiben, ob auch die Angaben zu verschleißbedingten Reparaturen, z.B. Austausch der Bremsscheiben nebst Bremsbelägen, falsch waren.

Der Kläger hat die in § 6 Abs. 3 VVG enthaltene Verschuldensvermutung nicht entkräften können. Der Kläger vermag sich nicht damit zu entlasten, dass das Schadensanzeigenformular von seinem Vater, der keine genaue Kenntnis über den Kilometerstand gehabt habe, ausgefüllt und nur von ihm unterschrieben worden sei. Wenn der Vater nicht über genaue Kenntnisse hinsichtlich des Kilometerstandes des Fahrzeuges verfügte, hätte der Kläger nicht das Formular ohne eigene Überprüfung unterschreiben dürfen. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass gerade im Hinblick auf die beigefügte Rechnung vom 8.3.2001 (120.000 km-Inspektion), die den falschen Kilometerstand zu belegen scheint, vieles dafür spricht, dass der Kläger eine mögliche Falschangabe zumindest billigend in Kauf genommen hat.

Der Kläger vermag sich auch nicht darauf zu berufen, dass der falsche Kilometerstand nachträglich berichtigt worden sei. Richtig ist zwar, dass falsche Angaben dann nicht den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung erfüllen, wenn sie so schnell berichtigt werden, dass die korrigierten Informationen dem Versicherer bereits in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem er sich erstmals mit dem Vorgang befasst. Die Berichtigung falscher Angaben kann durchaus geeignet sein, die Vorsatzvermutung zu widerlegen, wenn sich aus dem Gesamteindruck ergibt, dass die Falschangabe auf einem Irrtum beruht. Von einer solchen Situation kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden. Zunächst ist die Abweichung des Kilometerstandes des Fahrzeuges von 130.000 km zu tatsächlich gefahrenen 180.000 km beachtlich. Die Beifügung der Rechnung vom 8.3.2001 unter Weglassung aller anderen nachfolgenden Rechnungen deutet darauf hin, dass hier nicht ein bloßer Irrtum über den Kilometerstand des Fahrzeuges vorliegt. Die Berichtigung des Kilometerstandes erfolgte erst mit Faxschreiben vom 4.10.2002 (GA 56); zu diesem Zeitpunkt wusste der Kläger jedoch, dass die Beklagte bereits bei der seinerzeit tätigen Werkstatt Nachforschungen angestellt hatte (Berufungserwiderung, S. 3, GA 139). Der Kläger hat zwar auf Nachfrage der Beklagten mit Schreiben vom 30.8.2002 die ausführende Werkstatt benannt, nicht aber angegeben, dass er nach der 120.000 km-Inspektion vom 8.3.2001 am 21.5.2001, 31.10.2001, 14.1.2002, 8.3.2002 und 24.5.2002 (Inspektion bei 165.800 km) weiter Reparatur- und Wartungsarbeiten hat durchführen lassen.

Die Berufung greift ohne Erfolg an, dass das Landgericht den Vater des Klägers und den Bruder des Klägers, M. B., nicht dazu vernommen habe, wie es zu Missverständnissen hinsichtlich des Kilometerstandes gekommen sei. Dieses Beweisangebot war unerheblich. Wenn der Vater des Klägers keine eigenen Erkenntnisse über die tatsächliche Kilometerleistung des Fahrzeuges hatte und er auf die Angaben des Klägers angewiesen war, konnte dieser sich nicht auf die Gewissenhaftigkeit des Vaters verlassen.

Steht danach eine objektive Obliegenheitsverletzung fest, wird nach § 6 III 1 VVG vermutet, dass der Kläger als Versicherungsnehmer vorsätzlich seine Aufklärungspflicht verletzt hat (BGH VersR 1976, 849, 850; Senatsurteil vom 15.1.1999, NVersZ 1999, 272 = VersR 1999, 1536). An den Gegenbeweis sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Prölss/Martin, § 6 Rn. 105). Diesen Gegenbeweis hat der Kläger nicht erbracht.

Der Senat beabsichtigt, aus den dargelegten Gründen die Berufung zurückzuweisen und den Streitwert auf 8.000,--€ festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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