Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 01.10.2002
Aktenzeichen: 11 U 812/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 286 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 286
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftsnummer: 11 U 812/02

Verkündet am 1. Oktober 2002

wegen Forderung

Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Diener und Haupert auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2000 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.654,67 DM = 8.515,40 € nebst 5,5 % Zinsen seit dem 1. Januar 1996 zu zahlen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten als Inhaber zweier Telefonanschlüsse auf Telefongebühren (nebst Zinsen) für die Zeit von Oktober 1994 bis Juli 1996 in Anspruch entsprechend ihrer Aufstellung (Bl.2 und 3 GA), die jeweils die Rechnungsbeträge und berücksichtigte Zahlungen enthält, mit insgesamt einem Betrag von 16.654,67 DM. Die dem Gesamtbetrag zugrundeliegenden außergewöhnlich hohen Einzelrechnungen sollen dabei - nach ihrer Darstellung - aus der Inanspruchnahme von Service Nummern (0190.., bzw 0180...) resultieren.

Der Beklagte wandte in 1. Instanz ein, die behaupteten Telefonate im Wesentlichen nicht geführt zu haben. Entweder seien die von seinen Anschlüssen abgehenden Telefonate fehlerhaft erfasst worden oder die Anschlüsse seinen manipuliert worden.

Das Landgericht wies die Klage ab nach umfangreicher Beweisaufnahme, einmal zu den technischen Details der Aufzeichnung und den hierbei in Betracht kommenden Manipulationsmöglichkeiten (vgl das Gutachten des Sachverständigen K...., Bl 106 ff. GA, und die Ergänzung hierzu, Bl. 157 ff. GA), zum anderen zu konkreten, in dem Verbindungsnachweis (Bl. 30 ff GA) aufgeführten Telefonaten (vgl. die Aussagen der Zeugen P........., M...., K...., K.... und W....., Bl. 238 ff. und 260 ff. GA). Es begründete dies damit, der an sich bestehende Anscheinsbeweis für die Richtigkeit der automatisierten Erfassung der Telefonate sei dadurch erschüttert, dass eine Reihe eben dieser Gespräche nach dem Inhalt der Zeugenaussagen, insbesondere der Zeugin P........., nicht so, wie erfasst, stattgefunden haben könnten. Damit sei insgesamt nicht nachgewiesen, dass die behaupteten Telefonate auch geführt worden seien.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Ihrer Berufung.

Sie machte im Wesentlichen geltend, das Landgericht habe die erhobenen Beweise nicht zutreffend gewürdigt; insbesondere aus der Aussage der Zeugin P......... lasse sich nicht das ableiten, was das Landgericht hieraus entnommen habe. Durch Urteil vom 25. September 2001 wies der Senat die Berufung zurück, im Wesentlichen weil der Klägerin, soweit Sextelefonate geführt worden seien, wegen Sittenwidrigkeit der zugrunde liegenden Verträge kein Anspruch zustehe, und weil im Übrigen nach ihrem Vortrag keine Abgrenzung zwischen zu den sonstigen Telefonaten möglich sei. Auf die - zugelassene - Revision hin hob der BGH durch Urteil vom 16. März 2002 diese Entscheidung auf und verwies die Sache zurück. Neuen Vortrag haben die Parteien seither nicht gehalten.

Die Klägerin beantragt, in Abänderung des angefochtenen Urteils, den Beklagten zu verurteilen, an sie 16.654,67 DM nebst 5,5 % Zinsen hieraus seit dem 1. Januar 1996 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat in der Sache Erfolg, nachdem sich aufgrund der Entscheidung des BGH das Verdikt der Sittenwidrigkeit jedenfalls in Bezug auf die Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien nicht aufrecht erhalten lässt.

1. Der Beklagte war aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Telefondienstvertrages verpflichtet, die tariflichen Gebühren, Grundgebühr und Verbindungsentgelte und auch die - in den Rechnungen nicht gesondert ausgewiesene - besondere Vergütung des Dienstanbieters von Service Nummern zu zahlen. Der Bundesgerichtshof hat dies im Einzelnen in seiner Entscheidung vom 28. Januar 2002 (NJW 2002, 361,) dargelegt und umfassend begründet; der Senat schließt sich dem nunmehr an.

2. Für den hier streitigen Zeitraum vom Oktober 1994 bis zum Juli 1996 steht nach den von der Klägerin erstellten Rechnungen unter Berücksichtigung der vom Beklagten erbrachten Zahlungen der zugesprochene Betrag offen. Die Höhe der der Aufstellung der Klägerin (Bl. 7 f. GA) zugrundegelegten Rechnungsbeträge und Zahlungen als solche ist unstreitig. Der Einwand in 1. Instanz in der Klageerwiderung, zwischen Dezember 1995 und Januar 1996 sei eine unerklärliche Steigerung auf 16.862, 02 DM eingetreten, widerlegt sich aus der Aufstellung selbst; die Klägerin hat hier die lediglich zunächst gestundete Beträge aus Januar und Februar 1995, die zunächst nicht im Saldo enthalten waren, in diesen wieder eingestellt. Die weiteren Einwände des Beklagten beziehen sich zum einen darauf, seine Telefonanlage sei manipuliert worden, zum anderen seien die Gespräche nicht zutreffend erfasst.

a. Hier wurde die Telefonanlage des Beklagten nach dessen ersten Reklamationen von Seiten der Klägerin umfassend geprüft; eine Manipulation, etwa ein Aufschalten oder eine sonstige Zählerbeeinflussung konnte hiernach ausgeschlossen werden. Davon geht ersichtlich auch das Landgericht aus.

b. Das hierzu eingeholte Gutachten des Sachverständigen K.... gebietet keine andere Würdigung. Der Sachverständige legt zunächst dar, dass Zählervergleich und Vollprüfung geeignet seien, die zutreffende Erfassung der Telefonate nachzuweisen, aber keine Überwachung der Anlage auf missbräuchliche Nutzung darstellten. Weiter werden zwar grundsätzlich gleich mehrere Manipulationsmöglichkeiten aufgezeigt, wobei der Sachverständige den Schwerpunkt auf das mögliche Aufschalten eines sogenannten Dialers legt; dies wird aber nicht am konkreten Fall festgemacht sondern bleibt allgemein. Zugleich ergibt sich aus dem Gutachten in Verbindung mit dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten und wiederum der Stellungnahme des Sachverständigen hierzu deutlich, dass eine derartige Manipulation, wenn sie denn stattgefunden hat, über einen so lange Zeitraum erheblichen Aufwand erfordert und zugleich mit einem hohen Entdeckungsrisiko verbunden ist. Solches ist von der Intention des eventuellen Täters her - möglichst schnell und unerkannt Gebühren zu produzieren - eher unwahrscheinlich. Insbesondere hält auch der Sachverständige es für "bemerkenswert", dass nach dem Sperren der 0190 er Nummern, die Telefonrechnungen auf das frühere Niveau zurückgingen. Insgesamt macht das Gutachten zwar die grundsätzliche Möglichkeit bestimmter Manipulationen deutlich, für eine auch nur geringe Wahrscheinlichkeit, dass sie im konkreten Fall tatsächlich stattgefunden haben, gibt es nichts her.

c. Hiernach spricht, nachdem also nicht von einem Defekt oder einer Manipulation an den technischen Einrichtungen, der Telefonanlage des Beklagten oder den Anlagen der Klägerin, ausgegangen werden kann, grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins für die Richtigkeit der Abrechnungen der Klägerin. Der Anscheinsbeweis setzt einen unstreitigen oder bewiesenen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Verlauf schließen läst, wobei eine bloße Wahrscheinlichkeit nicht genügt, der Vorgang muss vielmehr zu jenen gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster ablaufen (Greger in Zöller, ZPO, 23. Aufl. Rdnr. 29 vor § 284, BGH NJW 1991, 230, 231). Dies gilt nach weitgehend einhelliger Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Stuttgart, NJW-RR 1999, 1430) im Grundsatz für die Gebührenerfassung durch die Klägerin, die Monat für Monat millionenfach offensichtlich funktioniert und nur in vergleichsweise wenigen Fällen zu Beanstandungen führt. Hier spricht eine Vermutung für die korrekte Gebührenerfassung der vom Anschluss des Beklagten erfolgten Wählverbindungen.

d. Der Anscheinsbeweis kann allerdings vom Gegner des Beweisführers durchaus entkräftet werden. Hierzu reicht es aus, wenn er die ernsthafte Möglichkeit eines vom Üblichen abweichenden Ablaufs nachweist (Greger, a.a.O., m.w.N.). Das Landgericht hat dies aufgrund der Beweisaufnahme, konkret der Aussagen der Zeugin P........., bejaht. Der Senat vermag dem nicht zu folgen.

- Die Tatsachen, die den Anscheinsbeweis erschüttern sollen, bedürfen des vollen Beweises im Sinne des § 286 ZPO, und dieser ist durch die Aussage der Zeugin P......... nicht geführt, jedenfalls dann nicht, wenn man, was notwendig ist (vgl. Greger, a.a.O.), den gesamten Sachverhalt würdigt und dabei insbesondere auch die Aussagen der Zeuginnen K.... und W..... in Rechnung stellt.

- Dabei unterstellt der Senat durchaus die Glaubwürdigkeit der Zeugin P.......... Soweit es um Telefonate am frühen Morgen geht, ergibt sich aus der Aussage, dass der Beklagte seine damalige Frau zwar gelegentlich, aber durchaus nicht jeden Tag zur Arbeit gefahren hat. Er kann deshalb auch am frühen Morgen telefoniert haben. Aus den Aussagen, einmal zu den Vorgängen vom 22. März 1995, zum andern vom 8. April 1995 ergeben sich nicht zW.....d die Schlussfolgerungen, die das Landgericht daraus zieht. Zum 22. März 1995 beinhaltet die Aussage zum einen, dass man den Telefonanruf des Autoverkäufers erwartete, zum anderen dass dieser später erklärt habe, die Leitung sei ca. 1/2 Stunde lange besetzt gewesen, zu der Zeit sei jedoch nicht telefoniert worden. Auch wenn das zutrifft, läst sich daraus jedoch nicht mit Gewissheit schließen, dass dies nun gerade in der Zeit war, in der nach der Auflistung (Bl.38 GA) private Info Anbieter antelefoniert wurden. Was den 8. April 1995 angeht, so mag es zwar richtig sein, dass die Eheleute auf einem privaten Fest der Schwester der Zeugin waren. Das schließt jedoch nicht aus, dass der Beklagte zwischendurch von B......, dem Wohnort der Zeugin (vgl. Bl.243 GA), nach K...... gefahren ist, um zu telefonieren. Dies entspricht zwar nicht einem herkömmlichen Verhalten. Ein solches legte der Beklagte allerdings, was die Telefonate zu 0190 er Nummern angeht, auch nicht an den Tag. So hat er später nacheinander von den Apparaten zweier seiner Freundinnen derartige Telefonate geführt. Der entsprechende Vortrag der Klägerin wurde nur sehr dürftig bestritten und ist im Übrigen durch die Bekundungen der Zeuginnen K.... und W..... bestätigt worden.

- Gerade aus der Aussage der Zeugin W..... ergibt sich, mit welcher Energie und Zielstrebigkeit der Beklagte hier vorging. So hat er innerhalb von zwei Monaten durch derartige Anrufe Kosten von über 6.000,00 DM verursacht und dabei die Wohnung der Zeugin auch ohne deren Wissen aufgesucht, wenn er eigentlich mit ihr anderweitig verabredet war, und selbst noch nach Beendigung des Verhältnisses versucht, in die Wohnung einzudringen, was dann allerdings daran scheiterte, dass das Schloss inzwischen ausgewechselt war.

- Bezieht man dies in die Würdigung des Gesamtsachverhalts mit ein, so reicht die Aussage der Zeugin P......... nicht aus, die an sich für die Richtigkeit der Darstellung der Klägerin sprechende Vermutung (vgl. oben) zu entkräften. Es mag nach dieser Aussage gewisse Zweifel daran geben, dass zumindest an einigen Tagen zu den im Verbindungsnachweis aufgeführten Zeiten Service Nummern angerufen wurden. Ausgeschlossen - mit der für einen vollen Beweis notwenigen Sicherheit - ist es nicht, und zwar gerade eben, weil der Beklagte beim Aufspüren von Gelegenheiten für derartige Telefonate eine so große Findigkeit und Energie gezeigt hat.

Der Zinsanspruch beruht auf § 286 Abs. 1 BGB (a.F.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr.10, 711, 713 ZPO.

Die Beschwer für den Beklagten beträgt 8.515,40 €.

Ende der Entscheidung

Zurück