Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 24.05.2006
Aktenzeichen: 11 UF 170/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1696
BGB § 1671 a.F.
BGB § 1671 Abs. 1
BGB § 1672 a.F.
Zur Geltungskraft einer unmittelbar nach In-Kraft-Treten des Kindschaftsreformgesetzes ergangenen Entscheidung des Familiengerichts, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder "für die Zeit des Getrenntlebens" auf die (zeitweilig wieder in das eheliche Anwesen zurückgekehrte) Kindesmutter zu übertragen.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Aktenzeichen: 11 UF 170/06

In der Familiensache betreffend die Regelung des elterlichen Sorgerechts für die Kinder M... K... (*... Februar 1994) und R... K... (*... Dezember 1995),

Der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Diener und Dennhardt

am 24. Mai 2006 beschlossen: Tenor:

Auf die befristete Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Mainz vom 16. Februar 2006 aufgehoben.

Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts Mainz vom 3. Juli 1998 - 34 F 141/98 - bleibt bestehen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner; Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt. Gründe:

I.

Die Antragstellerin (*... Juni 1962) und der Antragsgegner (*... Januar 1948) haben am 10. Juni 1994 in B... geheiratet; aus der Verbindung sind die betroffenen Kinder hervorgegangen. Die Eheleute leben seit Juli 2000 voneinander getrennt; beim Amtsgericht Mainz ist das Scheidungsverbundverfahren anhängig - 34 F 47/01 -. Die minderjährigen Kinder leben seither im Haushalt der Mutter; es bestehen regelmäßige Umgangskontakte zum Vater.

Im Juni 1998 hatte die Antragstellerin ein Frauenhaus aufgesucht, war aber kurze Zeit später wieder in das eheliche Anwesen zurückgekehrt. Auf ihren Antrag wurde der Antragstellerin - nach Anhörung des Kreisjugendamtes - mit Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 3. Juli 1998 - 34 F 141/98 - die elterliche Sorge für die betroffenen Kinder "für die Zeit des Getrenntlebens" übertragen (Protokoll Bl. 9 und 10 GA).

Im August 2000 und nochmals im November 2001 begehrte der Antragsgegner die Übertragung des alleinigen Sorgerechts; mit Beschluss vom 5. März 2002 - 34 F 71/01 - wies das Amtsgericht Mainz - nach Anhörung der Eltern, der betroffenen Kinder und des Kreisjugendamtes - den Antrag zurück, da die gesetzlichen Voraussetzungen "für eine Sorgerechtsänderung gemäß § 1696 BGB" nicht vorgelegen hätten (Bl. 48 - 50 der Beiakte).

Im Januar 2006 begehrte der Antragsgegner erneut die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die gemeinsamen minderjährigen Kinder; die Antragstellerin ist dem unter Hinweis auf die fortbestehende sorgerechtliche Entscheidung vom 3. Juli 1998 entgegengetreten (Amtsgericht Mainz - 34 F 13/06 -). Das Amtsgericht hat seine Auffassung aktenkundig gemacht, dass sich der "Eilbeschluss" vom 3. Juli 1998 nach der Versöhnung der Eheleute erledigt habe und Gegenstand des vorliegenden Verfahrens daher eine "originäre Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 BGB" sei, die sich am Kindeswohl zu orientieren habe (Verfügung Bl. 9 Rs. und 10 der Beiakte).

Mit Beschluss vom 16. Februar 2006 (Bl. 15 Rs. - 18 GA) hat das Amtsgericht den Beschluss vom 3. Juli 1998 in der Hauptentscheidung "klarstellend" aufgehoben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 7. März 2006 (Bl. 20 - 22 GA).

Die Antragstellerin bringt vor, dass der Antragsgegner wesentliche Gründe zur Abänderung des - weder durch Zeitablauf noch sonst wie erledigten - Beschlusses vom 3. Juli 1998 nicht vorgebracht habe; das Familiengericht sei - ohne Einlegung eines Rechtsmittels - nicht zur ("eigenmächtigen") Abänderung des Sorgerechts befugt. Im Übrigen hätten die Kinder sich zwischenzeitlich mehrmals dahingehend geäußert, dass sie bei der - zur Betreuung bereiten und fähigen - Antragstellerin bleiben wollten.

Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss und hebt hervor, dass die Eheleute nach der Verkündung des Beschlusses vom 3. Juli 1998 noch über zwei Jahre zusammengelebt hätten. Bei dieser Sachlage habe für das Amtsgericht die Möglichkeit zur "deklaratorischen Aufhebung" der früheren Sorgerechtsentscheidung bestanden, sodass nunmehr beide Eheleute gemeinsam sorgeberechtigt seien.

II.

Die befristete Beschwerde ist statthaft (§ 621 e Abs. 1 i.V.m. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 3. Juli 1998, durch den die elterliche Sorge für die betroffenen Kinder "für die Zeit des Getrenntlebens" auf die Antragstellerin allein übertragen wurde, beansprucht nach wie vor Geltungskraft und ist als Ausgangsentscheidung im neuen sorgerechtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht - 34 F 13/06 - zu beachten (zum Beurteilungs- bzw. Prüfungsmaßstab vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Auflage 2006, § 1696 Rn. 8; Veit in: Bamberger/Roth, BGB, 1. Auflage 2003, § 1696 Rn. 3; Staudinger/Coester [2006], § 1696 Rn. 16 f.). Die vom Amtsgericht - ohne Anhörung der Beteiligten - beschlossene "klarstellende Aufhebung" entbehrt der rechtlichen Grundlage.

a) Die rechtsgestaltende Entscheidung des Familiengerichts über die Zuweisung des Sorgerechts tritt (auch) bei veränderter Sach- und Rechtslage nicht gleichsam automatisch außer Kraft, sie unterliegt vielmehr - nach Eintritt der (formellen) Rechtskraft - dem Abänderungsverfahren nach Maßgabe des § 1696 BGB (vgl. Veit a.a.O., Rn. 2). Es kann dahinstehen, ob dies uneingeschränkt auch für lediglich vorläufige sorgerechtliche Regelungen gilt. Denn die im Beschluss vom 3. Juli 1998 vorgenommene zeitliche Eingrenzung ("für die Zeit des Getrenntlebens") dauert derzeit noch an, sodass jedenfalls bis dahin eine rechtsgestaltende und insofern auch endgültige Entscheidung vorliegt.

Der Senat folgt nicht der ersichtlich vom Amtsgericht vorgenommenen Auslegung, wonach die elterliche Sorge damals nur für den Zeitraum bis zur Rückkehr der Antragstellerin in das vormals eheliche Anwesen auf diese übertragen worden sei. Spricht dagegen schon die bereits vor der Beschlussfassung vollzogene und offen gelegte Rückkehr der - gleichwohl auf Entscheidung über das Sorgerecht antragenden und vom Jugendamt unterstützen - Antragstellerin (Protokoll Bl. 9 GA), so ist das Amtsgericht im folgenden Beschluss vom 5. März 2002 - 34 F 71/01 - selbst ohne weiteres vom Fortdauern der früheren Sorgeregelung und demzufolge von der Notwendigkeit eines Abänderungsverfahrens nach § 1696 BGB ausgegangen. Nach alledem kann die in den Tenor der Ausgangsentscheidung aufgenommene zeitliche Eingrenzung bei verständiger Würdigung - nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der damaligen Erklärung der Antragstellerin, erst nach der Entscheidung über das Sorgerecht eine Wohnung erhalten zu können (Protokoll Bl. 9 GA) - nur dahin verstanden werden, dass von der Sorgeregelung die gesamte Trennungszeit bis zum Tag der Ehescheidung erfasst sein sollte.

b) Seine Bestätigung findet dies schließlich auch durch einen Blick auf die damalige Rechtslage. Durch das am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Kindschaftsreformgesetz (KindRG) vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2942, ber. 946) wurde die bis dahin nach § 1671 BGB a.F. grundsätzlich erst bei der Ehescheidung und nach § 1672 BGB a.F. gegebenenfalls bereits zuvor für den Zeitraum des Getrenntlebens zu treffende Sorgeregelung durch eine Einheitsregelung der Auflösung der gemeinsamen Sorge in § 1671 BGB n.F. ersetzt (vgl. Palandt/Diederichsen a.a.O., § 1671 Rn. 1; Veit a.a.O., § 1671 Rn. 1). Die gesetzliche Bestimmung in § 1672 BGB a.F., die das Amtsgericht bei der Ausgangsentscheidung noch im Blick gehabt haben dürfte, ermöglichte bei nicht nur vorübergehendem Getrenntleben der Eltern eine (vorläufige) Sorgeregelung (vgl. Soergel-Strätz, BGB, 12. Auflage 1987, § 1672 Rn. 3 ff.); es war anerkannt, dass auch eine nachfolgende Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft die getroffene Entscheidung nicht eo ipso gegenstandslos werden ließ (Soergel-Strätz a.a.O., Rn. 9 m.w.N.). Zum Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung am 3. Juli 1998 war das neue Sorgerecht allerdings bereits in Kraft getreten und daher anzuwenden. Eine Übergangsregelung für bei In-Kraft-Treten des Kindschaftsreformgesetzes bereits anhängige Verfahren auf Zuweisung der Alleinsorge nach Trennung der Eltern nach § 1672 BGB a.F. fehlte (vgl. Art. 15 § 2 KindRG). Ungeachtet der hieran anknüpfenden Streitfragen (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 58 Auflage 1999, vor § 1626 Rn. 83; Veit a.a.O., § 1671 Rn. 72 ff.) liegt es im vorliegenden Fall aber nahe, dass das Altverfahren ohne weiteres als Verfahren nach § 1671 BGB n.F. weitergeführt wurde (so der Vorschlag von Palandt/Diederichsen a.a.O., Rn. 83 a.E.); davon sind die Beteiligten und das Amtsgericht im Folgeverfahren - 34 F 71/01 - auch ausgegangen.

c) Im neuen - nicht als Folgesache geführten (vgl. dazu OLG Zweibrücken OLGR 2001,222 und 318 f.) - Verfahren - 34 F 13/06 - wird das Amtsgericht daher zu prüfen und gegebenenfalls aufzuklären haben, inwieweit die vom Antragsgegner dort vorgebrachten Umstände eine Abänderung der ursprünglichen Sorgeregelung vom 3. Juli 1998 zu rechtfertigen vermögen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG; § 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 KostO; die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf §§ 30 Abs. 2, Abs. 3, 131 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück