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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 11.03.2003
Aktenzeichen: 11 UF 319/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1570
BGB § 1571
BGB § 1572
BGB § 1573 Abs. 2
BGB § 1579
ZPO § 323 Abs. 1
Nachehelicher Ehegattenunterhalt kann erstmals auch dann geltend gemacht werden, wenn dem Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidung wegen der damals geltenden Anrechnungsmethode kein Unterhaltsanspruch zustand, ein solcher nach der geänderten Rechtsprechung zur Anwendung der Differenzmethode jetzt aber zu bejahen ist.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 11 UF 319/02

Verkündet am 11. März 2003

in der Familiensache

wegen nachehelichen Unterhalts.

Der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Haupert und Dr. Koch auf die mündliche Verhandlung vom 15. Oktober 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Mainz vom 29. April 2002 teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:

Der Beklagte wird unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Klägerin ab dem 1. Juli 2001 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 578,00 EUR zu zahlen, wobei die Unterhaltsrückstände in einer Summe fällig und ab dem 3. eines jeden Monats in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen sind, während die laufenden Beträge zum 1. eines jeden Monats fällig werden.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte 75 % und die Klägerin 25 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache selbst teilweise Erfolg und führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung der angefochtenen Entscheidung, auf deren tatsächliche Feststellung Bezug genommen wird. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin folgt, da Unterhaltsansprüche nach §§ 1570-1572 BGB offensichtlich ausscheiden, ausschließlich aus § 1573 Abs. 2 BGB, denn ihre Einkünfte reichen zum vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB) nicht aus.

Die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien waren unstreitig geprägt von dem Erwerbseinkommen des Beklagten bei der Firma I.. und der Haushaltsführung und Kindererziehung der Beklagten (a), von dem mietfreien Wohnen im eigenen Hause (b) und Erträgen aus Vermögensbildung (c).

a) Erwerbseinkünfte der Parteien

Der Beklagte verdiente im Jahre 1996, also rd. 2 Jahre vor Rechtskraft der Scheidung 120.000,00 DM p.a. brutto, während dies im Jahre 2001, das der Senat der Unterhaltsberechnung zugrunde legt, rd. 143.000,00 DM waren. Diese Einkommenssteigerung sieht der Senat als in der Ehe angelegt an. Jedenfalls kann die Einkommenssteigerung von rd. 4 % jährlich nicht als vom Normalverlauf ganz erheblich abweichende Entwicklung qualifiziert werden.

Ausweislich der Lohnsteuerbescheinigung für 2001 (in Verbindung mit den Einkommensbescheinigungen für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 2001) errechnet sich das Nettoeinkommen des Beklagten wie folgt, wobei der Beklagte zutreffend darauf hinweist, dass in dem Betrag von 13.066,00 DM nur Rentenversicherungs- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge enthalten und deswegen noch Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge einkommensmindernd zu berücksichtigen sind.

Bruttoeinkommen 142.535,00 DM ./. Lohnsteuer 46.937,00 DM Solidaritätszuschlag 2.581,00 DM Sozialversicherung 13.066,00 DM Kranken-/Pflegeversicherung 11.944,00 DM + Arbeitgeberzuschlag zur Kranken- und Pflegeversicherung 5.971,68 DM Steuererstattung 140,00 DM Gesamtjahresnettoeinkommen 74.119,00 DM Monatseinkommen 6.177,00 DM ./. Fahrtkosten 195,00 DM Werbungskostenpauschale (2,5 %, maximal) 145,00 DM Erwerbstätigenbonus 882,00 DM bereinigtes Nettoeinkommen 4.955,00 DM

Hiervon sind - von der Klägerin zugestanden - noch 10 % abzuziehen, die zu Ehezeiten auf die Vermögensbildung entfielen, so dass sich ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 4.460,00 DM ergibt.

Die Klägerin erzielte im Jahre 2001 ausweislich der in der Gehaltsbescheinigung für November 2001 enthaltenen Jahressummen, die Urlaubs- und Weihnachtsgeld enthalten (auf das Jahr hochgerechnet) ein

Nettoeinkommen in Höhe von 32.142,00 DM Monatsnettoeinkommen 2.678,00 DM ./. Fahrtkosten 225,00 DM Werbungskostenpauschale (2,5 %) 67,00 DM Erwerbstätigenbonus (1/7) 383,00 DM bereinigtes Nettoeinekommen 2.003,00 DM.

Die vorstehenden Erwerbseinkommen der Parteien sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Wege der Differenzmethode in die Unterhaltsberechnung einzustellen (vgl. BGH FamRZ 01, 986).

Soweit der Beklagte der Klägerin entgegenhält, zu dem so genannten "Einsatzzeitpunkt", d.h. dem Zeitpunkt der Scheidung, habe infolge der damals noch geltenden Anrechnungsmethode kein Unterhaltsanspruch bestanden und dabei habe es zu bleiben, vermag der Senat sich dem nicht anzuschließen.

Einsatzzeitpunkte, wie etwa Scheidung oder Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, haben den Zweck, dem Grundsatz der Eigenverantwortung bei einmal erreichter wirtschaftlicher Selbständigkeit Rechnung zu tragen, indem die nachehelichen Unterhaltsansprüche (mit Ausnahme von § 1570) davon abhängig sind, dass der Anspruch zu dem in der jeweiligen Norm genannten Zeitpunkt besteht. Wirtschaftliche Selbständigkeit bedeutet aber in der Regel, dass dem Unterhalt begehrenden Ehegatten zu den genannten Zeitpunkten mindestens die Mittel für seinen Unterhalt zur Verfügung stehen, die den ehelichen Lebensverhältnissen entsprechen (§ 1578 BGB). Auf die Klägerin trifft dies nicht zu, denn zum Zeitpunkt der Scheidung standen ihr diese Mittel nicht zur Verfügung.

Die Beantwortung der Frage, ob der Klägerin diese Mittel zur Verfügung standen oder nicht, beurteilt sich nicht nach der früheren, sondern nach der derzeitigen Rechtslage, d.h. insbesondere auf der Grundlage der durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2001 (FamRZ 01, 986) geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das entnimmt der Senat der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. September 2001 (NJW 01, 3618 [3620/3621]), wonach eine Änderung seiner Rechtsprechung eine wesentliche Änderung im Sinne des § 323 Abs. 1 ZPO darstellt, die zur Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs (§§ 323 Abs. 1 und 4, 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) führen kann. Es wäre schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar demjenigen, der auf der Grundlage der früheren Anrechnungsmethode einen gerichtlichen Vergleich geschlossen hat, wegen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Wechsel von der Anrechnungs- zur Differenzmethode zu gestatten, demjenigen aber, der im Hinblick auf die damals geltende Anrechnungsmethode - vernünftigerweise - von einer gerichtlichen Regelung überhaupt Abstand genommen hat, die nunmehrige Geltendmachung höheren Unterhalts auf der Grundlage der Differenzmethode zu verwehren. Interessenlage und wirtschaftliche Verhältnisse der Parteien sind hier zu gleichartig, als dass sich eine unterschiedliche rechtliche Behandlung rechtfertigen ließe.

b) Mietfreies Wohnen

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass sie in dem gemeinsamen Haus mietfrei gewohnt haben und dass das mietfreie Wohnen die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt sich der Wert des mietfreien Wohnens in den Erträgen fort, die sich nach dem Verkauf eines Hauses aus dem Verkaufserlös erzielen lassen. Auch diese Erlöse sind im Wege der Differenzmethode in die Unterhaltsberechnung einzustellen.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass jede von ihnen aus dem Verkauf des Hauses einen Betrag in Höhe von 405.000,00 DM erlöst hat. Bei geschätzten 5 % Zinsen lässt sich daraus ein monatlicher Ertrag in Höhe von 1.628,00 DM erwirtschaften.

c) Einkünfte aus Sparvermögen

Schließlich haben noch Erträgnisse aus Sparvermögen die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt. Auch hier können auf der Grundlage des an jede der Parteien geflossenen Betrages in Höhe von 116.000,00 DM monatliche Erträge - ebenfalls im Wege der Differenzmethode - in Höhe von jeweils 483,00 DM in Ansatz gebracht werden.

d) Einkünfte der Klägerin aus Zugewinnausgleich

Das Vorbringen der Klägerin über den Verbleib des Zugewinnausgleichsbetrages in Höhe von 47.516,00 DM reicht dem Senat nicht aus, so dass auf ihrer Seite -wiederum im Wege der Differenzmethode (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Aufl., Rn. 442) - 198,00 DM einkommenserhöhend einzustellen sind.

Berechnung des Unterhalts

a) Gesamteinkommen des Beklagten Erwerbseinkommen 4.460,00 DM Einkünfte aus Hauserlös 1.688,00 DM Einkünfte aus weiterem Vermögen 483,00 DM insgesamt 6.631,00 DM

b) Gesamteinkommen der Klägerin Erwerbseinkommen 2.003,00 DM Einkünfte aus Hauserlös 1.688,00 DM Einkünfte aus weiterem Vermögen 483,00 DM Einkünfte aus Zugewinn 198,00 DM insgesamt 4.372,00 DM

c) Einkommensdifferenz 2.259,00 DM Unterhaltsanspruch (1/2) 1.130,00 DM Unterhaltsanspruch 578,00 EUR.

Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte darauf, die Klägerin habe den Unterhaltsanspruch verspätet geltend gemacht und ihn demgemäß verwirkt. Die Tatsache, dass die Klägerin den Unterhaltsanspruch anlässlich der Scheidung Mitte 1998 nicht geltend gemacht und dann bis zum Oktober 2001 zugewartet hat, rechtfertigt eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur FamRZ 82, 898, 85, 376 [378]) haben die allgemeinen Regeln über die Verwirkung von Ansprüchen, sofern - wie hier - laufender Unterhalt geltend gemacht wird, neben den unterhaltsrechtlichen Bestimmungen über den Verlust des Unterhaltsanspruchs keine eigenständige Bedeutung und sind nicht anzuwenden. Deswegen ist die "verspätete" Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen durch die Klägerin ausschließlich nach § 1579 BGB zu beurteilen. Dessen Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.

In der Entscheidung (FamRZ 82, 898) führt der BGH aus, dass die Nichtgeltendmachung von Unterhaltsansprüchen auch über längere Zeit hinweg regelmäßig kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründe, dass dieser Zustand anhalten werde. Das gerade 3 Jahre dauernde Zuwarten der Klägerin hat jedenfalls kein solches zeitliches Ausmaß erreicht, als dass § 1579 durchgreifen könnte.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ist auch nicht zeitlich zu begrenzen. Zu Recht allerdings führt der Beklagte aus, dass die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (s.o.) besonderen Anlass zur Prüfung einer etwaigen Befristung gebe. Hier ist jedoch zu sehen, dass die Ehe von langer Dauer war. Die Ehe hat von der Eheschließung (28. April 1978) bis zur Rechtshängigkeit der Scheidung (Mitte 1997) rd. 19 Jahre gedauert. In einem solchen Falle kommt eine zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs ohne das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände grundsätzlich nicht in Betracht (BGH NJW 94, 935, OLG Bamberg, FamRZ 98, 25); da solche besonderen weiteren Umstände hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, scheidet eine Befristung des Unterhaltsanspruchs aus.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 9.203,00 EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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