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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 20.11.2001
Aktenzeichen: 11 UF 630/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 538 Abs. 1 Ziff. 3
BGB § 1579
BGB § 1361 Abs. 3
BGB § 1579 Nr. 4
BGB § 1361 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 11 UF 630/00

Verkündet am 20. November 2001

in der Familiensache

wegen Trennungsunterhalts.

Der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner, den Richter am Oberlandesgericht Diener und den Richter am Amtsgericht Egnolff auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Mainz vom 14. September 2000 - 35 F 286/99 - aufgehoben.

Der Klageanspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs an das Amtsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung überlassen bleibt.

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind seit 1970 miteinander verheiratet. Aus der Ehe sind zwei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen. Die Parteien leben seit April 1999 voneinander getrennt. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Trennungsunterhalt. Das Amtsgericht - Familiengericht - Mainz hat durch Urteil vom 14. September 2000 die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Klägerin ihren Anspruch auf Trennungsunterhalt verwirkt habe und sie ihren Unterhaltsbedarf im Wesentlichen selbst decken könne.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie trägt vor, dass der Beklagte weiterhin über hohe Einkünfte verfüge, da eine Herabsetzung seines Geschäftsführergehaltes nicht gerechtfertigt sei. Auch müsse der Wohnwert des gemeinsamen Hausanwesens entsprechend berücksichtigt werden. Sie könne aus gesundheitlichen Gründen nicht vollschichtig arbeiten.

Eine Verwirkung ihres Anspruches sei nicht gegeben, da sie beim Finanzamt M.... lediglich eine Selbstanzeige erstattet habe. Sie habe den Beklagten nicht schädigen wollen. Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen, an die Klägerin ab dem 1. September 1999 monatlichen Trennungsunterhalt in Höhe von 3.480 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt im Wesentlichen vor, dass die Klägerin durch ihre Vorsprache beim Finanzamt ein Verfahren gegen ihn habe initiieren wollen.

Er sei nicht in dem behaupteten Umfang leistungsfähig. Auch könne die Klägerin vollschichtig arbeiten. Im Übrigen erhebt der Beklagte einzelne Einwendungen gegen die Bedarfsberechnung der Klägerin.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Das Urteil des Amtsgerichts kann keinen Bestand haben, so dass gemäß § 538 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO die Sache an das Amtsgericht Mainz zurückzuverweisen ist. Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Anspruch der Klägerin dem Grunde nach gerechtfertigt ist.

§ 538 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO setzt voraus, dass bei einem nach Grund und Betrag streitigen Anspruch die Fragen zu dessen Höhe in erster Instanz ungeprüft geblieben sind (vgl. Musielak-Ball, ZPO, 2. Aufl., § 538 Rnr. 10). So ist es hier.

Das Amtsgericht hat die Klage bereits dem Grunde nach abgewiesen, da es den Anspruch der Klägerin als verwirkt angesehen hat.

Dies hält einer Überprüfung jedoch nicht stand. Gemäß den §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 4 BGB ist ein Unterhaltsanspruch zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre, weil der Berechtigte sich über schwerwiegende Vermögensinteresse des Verpflichteten mutwillig hinweggesetzt hat.

Die Vorschrift des § 1579 BGB stellt ein Regulativ dar, um nach dem Übergang auf das verschuldensunabhängige Unterhaltsrecht als Folge des Zerrüttungsprinzips unbillige Ergebnisse zu vermeiden. Es handelt sich um eine Ausnahmeregelung, die im Lichte der Verhältnismäßigkeit gesehen werden muss (s. Wendl-Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 4. Aufl., § 4 Rz. 596).

Objektiv muss das Verhalten des Berechtigten eine besondere Intensität erreicht haben, was sich aus den Tatbestandsmerkmalen "schwerwiegend" und "hinwegsetzen" ergibt. Der Tatbestand selbst stellt nicht auf die Intensität der Pflichtverletzung, sondern auf den Umfang der Vermögensgefährdung ab. Subjektiv muss der Berechtigte mutwillig handeln. Hierunter ist nicht nur ein vorsätzliches zweckgerichtetes Verhalten zu verstehen, sondern auch ein leichtfertiges Verhalten des Berechtigten wird hiervon mit umfasst (vgl. Wendl, a.a.O., Rnr. 694 f., 669).

Regelmäßig wird in der Rechtsprechung ein Verhalten i.S. des § 1579 Nr. 4 BGB bejaht, wenn der Berechtigte z.B. den Verpflichteten bei dessen Arbeitgeber anschwärzt und damit dessen Arbeitsplatz gefährdet, oder der Berechtigte Geschäftsbeziehungen eines selbständig tätigen Unterhaltsverpflichteten dadurch schädigt, dass er wissentlich falsche oder leichtfertig unwahre Behauptungen aufstellt. Auch wenn der Unterhaltsverpflichtete Straftaten oder sonstige Verfehlungen begangen hat, kann eine Anzeige des bedürftigen Ehegatten beim Arbeitgeber oder den staatlichen Behörden eine Pflichtwidrigkeit i.S. des § 1579 Nr. 4 BGB darstellen. Grundsätzlich hat der bedürftige Ehegatte Rücksicht auf die wirtschaftlichen Belange des Verpflichteten zu nehmen und darf sich deshalb nicht als Hüter des Gesetzes aufspielen. Dies gilt aber dann nicht, wenn der bedürftige Ehegatte wegen Beteiligung an einer Straftat eine Selbstanzeige macht (vgl. Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl. 2000, IV. Rz. 462 m.w.N.; Wendl, a.a.O., Rnr. 698 ff.).

Bei Steuerdelikten wird gegebenenfalls eine vorherige Hinweispflicht bejaht (vgl. Schwab a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Der Umfang der Vermögensgefährdung ist bereits nicht als erheblich anzusehen. Angesichts des erheblichen Vermögens der Parteien betrifft das Steuerstrafverfahren lediglich einen geringen Teil dieses Vermögens. Der Beklagte wird nach Auffassung des Senats durch das Steuerstrafverfahren nicht annähernd in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden, da sich diese durch seine Einkünfte als Geschäftsführer der S.. GmbH, die Betriebsrente der Firma I, die Rückzahlung des an die Klägerin gewährten Darlehens und dem nahezu lastenfreien Grundeigentum der Parteien in M.... bestimmt. Der vorliegende Fall weicht damit erheblich von den in der Rechtsprechung anerkannten Fällen ab.

Es fehlt auch an der erforderlichen Schädigungsabsicht seitens der Klägerin. Nach den Angaben der Zeugin K.... hat die Klägerin eine völlig indifferenzierte Selbstanzeige beim Finanzamt M.... erstattet. Gegen ihren Ehemann hat sie keine Anzeige erstattet. Die Angaben selbst waren kaum verwertbar, da die Klägerin keine vollständigen Unterlagen mitführte. Emotional gesehen befand sich die Klägerin in einem Ausnahmezustand. Angesichts dieser Umstände ist ein leichtfertiges, Unterhaltsbezogenes Verhalten nicht ersichtlich, da keine Anhaltspunkte vorhanden sind, aus denen sich ergeben könnte, dass die Klägerin bei Erstattung ihrer Selbstanzeige damit rechnen konnte oder musste, dass das Finanzamt M.... ein Verfahren gegen ihren Ehemann einleiten würde.

Der Klägerin steht nach alledem dem Grunde nach ein Anspruch auf Trennungsunterhalt zu. Dieser ergibt sich aus § 1361 Abs. 1 BGB.

Die von den Parteien vorgetragenen ehelichen Lebens-, Erwerbs- und Vermögensverhältnisse rechtfertigen einen Anspruch der Klägerin, da im Zeitpunkt der Trennung - als Einsatzzeitpunkt für die Bestimmung der Höhe des Trennungsunterhalts (vgl. FamRZ 94, S. 87 f.) - die ehelichen Lebensverhältnisse u.a. von einem Einkommen des Beklagten als Geschäftsführer der S.. GmbH in Höhe von 10.000 DM brutto sowie regelmäßigen Renteneinkünften geprägt waren, während die Klägerin über Einkünfte aus einer Halbtagstätigkeit sowie über Mieteinnahmen verfügte. Die ehelichen Lebensverhältnisse waren weiter von einem fast belastungsfreien Wohnen im eigenen Hausanwesen geprägt. Die Höhe dieses Anspruchs ist zwar noch offen, da u.a. der Wohnwert des Hausanwesens der Parteien streitig ist. Fest steht allerdings, dass das Einkommen des Beklagten das Einkommen der Klägerin so erheblich überschritt, dass der Klägerin jedenfalls ab dem September 1999 Trennungsunterhalt zusteht, unabhängig davon, wie die Bewertung des Wohnvorteils letztlich ausfällt.

Inwieweit die Veränderung des Einkommens des Beklagten (s. auch Schwab, a.a.O., IV. Rnr. 933), die Frage einer erhöhten Erwerbsobliegenheit der Klägerin (Schwab a.a.O., Rz. 106 ff.) und die von der Klägerin behaupteten gesundheitlichen Einschränkungen bei der weiteren Bemessung des Trennungsunterhalts zu bewerten sein werden, wird das Amtsgericht zu klären haben.

Die Kostenentscheidung war dem Amtsgericht vorzubehalten.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 45.240 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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