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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 25.07.2006
Aktenzeichen: 11 UF 655/05
Rechtsgebiete: EStG, BGB


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
EStG § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 1607 Abs. 2
1. Zum Vorwegabzug eheprägenden Kindesunterhalts im Rahmen der Bedarfsermittlung beim Ehegattenunterhalt.

2. Auch bei volljährigen Kindern ist der volle Tabellenbetrag nach der Düsseldorfer Tabelle ohne anteilige Verrechnung des Kindergeldes abzuziehen.

3. Das wegen Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit fiktiv zugrunde gelegte Einkommen des nicht erwerbstätigen Ehegatten ist nicht um einen tatsächlich nicht geleisteten Haftungsanteil am Barunterhalt des volljährigen Kindes zu vermindern.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 11 UF 655/05

Verkündet am 25.07.2006

In der Familiensache

wegen nachehelichen Unterhalts (Abänderungsklage)

Der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Diener und Dennhardt

auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das Versäumnisurteil des Senats vom 28. März 2006 wird mit folgender Maßgabe aufrechterhalten:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Bingen am Rhein vom 12. September 2005 teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:

Der vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Alzey am 28. Januar 2002 geschlossene Prozessvergleich - 2 F 337/01.EA I - wird dahingehend abgeändert, dass der Kläger nur mehr verpflichtet ist, an die Beklagte nachehelichen Unterhalt ab dem 1. Juni 2005 in Höhe von 507,00 Euro monatlich, ab dem 1. Juli 2005 in Höhe von 495,00 Euro monatlich und ab dem 1. Januar 2006 in Höhe von 489,00 Euro monatlich zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird das Versäumnisurteil vom 28. März 2006 aufgehoben und die weitergehende Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger zu 7/20 und die Beklagte zu 13/20.

Die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5; die durch die Versäumnis veranlassten Kosten trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Kläger begehrt nach Eintritt der Volljährigkeit der von der Beklagten betreuten gemeinsamen Zwillingskinder A... und V... (*... Mai 1987) die Abänderung eines am 28. Januar 2002 im einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem Amtsgericht Alzey geschlossenen - endgültigen - Prozessvergleichs (Protokoll Bl. 188 - 191 GA).

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Die Ehe der Parteien wurde am 9. Februar 1998 rechtskräftig geschieden; die Scheidungsfolgen wurden umfassend durch Prozessvergleich geregelt. Der Kläger verpflichtete sich zur Zahlung von Ehegattenunterhalt in Höhe von 1.900,00 DM monatlich und von Kindesunterhalt nach der neunten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle; auf den Unterhaltsanspruch der Beklagten wurden 430,00 DM monatlich angerechnet (Amtsgericht Bingen - 7 F 311/97 -; Protokoll Bl. 180 - 184 GA). Durch Prozessvergleich vor dem Amtsgericht Mainz vom 23. August 1998 - 33 F 233/98 - wurde mit Wirkung ab Juli 1999 der Kindesunterhalt auf die zwölfte Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle erhöht und der Ehegattenunterhalt mit Wirkung ab September 1999 bis einschließlich Dezember 2001 auf 1.850,00 DM monatlich festgelegt; die Beklagte ließ sich fiktive Einnahmen in Höhe von mindestens 500,00 DM monatlich anrechnen (Protokoll Bl. 185 - 187 GA).

Der Kläger ist ärztlicher Direktor im Universitätsklinikum; er ist zwischenzeitlich in zweiter Ehe verheiratet. Die Beklagte ist promovierte Sozialpädagogin und hat zusätzlich die Prüfung als Heilpraktikerin abgelegt; von 1982 bis 1987 betrieb sie eine Praxis für psychosoziale und pädagogische Betreuung. Seit der Geburt der gemeinsamen Kinder war die Beklagte nicht mehr erwerbstätig.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 12. September 2005 (Bl. 264 - 268 GA) den Prozessvergleich vom 28. Januar 2002 dahingehend abgeändert, dass der Kläger ab dem 1. Juni 2005 nur noch nachehelichen Unterhalt in Höhe von 486,00 Euro monatlich an die Beklagte zu zahlen hat. Hiergegen richten sich die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers.

Die Beklagte wendet sich, im Besonderen unter Hinweis auf ihr Alter, ihre fehlende Berufserfahrung und die dokumentierten erfolglosen Bewerbungen, gegen die vom Amtsgericht angenommene schuldhafte Verletzung der Erwerbsobliegenheit und hält auch das fiktiv angesetzte - nicht um berufliche Aufwendungen bereinigte - Nettoeinkommen für übersetzt; in jedem Fall aber sei dieses im Hinblick auf die mit Beginn der Volljährigkeit der Kinder bestehende Barunterhaltspflicht beider Elternteile weiter um einen auch auf ihrer Seite anzusetzenden - fiktiven - Haftungsanteil (14,25 v.H. aus einem nach dem zusammengerechneten Erwerbseinkommen der Eltern zu bestimmenden Unterhaltsbedarf der volljährigen Kinder von jeweils 670,00 Euro abzüglich des Kindergeldes) zu kürzen. Die Zurechnung eines Wohnvorteils wegen des von ihr im Zuge der Vermögensauseinandersetzung übernommenen ehemaligen Familienhauses in I... komme nicht in Betracht, da dessen Wert unter Berücksichtigung der Belastungen (Umschuldung mit Hilfe ihrer Familie) in etwa den vom Kläger übernommenen Vermögenswerten (insb. Eigentumswohnung in S...) entsprochen habe.

Die Beklagte hat zunächst (vorläufig) beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts vom 12. September 2005 teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit der Kläger verurteilt wurde, unter Abänderung des Prozessvergleichs vom 28. Januar 2002 nachehelichen Unterhalt von weniger als 510,00 Euro zu zahlen.

Der Kläger hat zunächst beantragt,

1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen;

2. unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Prozessvergleich vom 28. Januar 2002 dahin abzuändern, dass der Kläger ab dem 1. Juni 2005 nur noch einen Unterhalt in Höhe von 450,00 Euro monatlich zu zahlen hat.

Der Kläger sieht die Beklagte spätestens ab der Volljährigkeit der Kinder zur Aufnahme einer Vollzeittätigkeit für verpflichtet an und hält ihre Bewerbungsbemühungen für nicht hinreichend, umso weniger als keinerlei Zusatzqualifikationen erworben worden seien; das ihr zuzurechnende fiktive Einkommen müsse mit mindestens 2.100,00 Euro netto angesetzt werden. Eine Kürzung des - fiktiven - Einkommens der Beklagten um einen - fiktiven - Haftungsanteil betreffend den Barunterhalt der volljährigen Töchter komme nicht in Betracht, zumal sich diese nach wie vor weiter allein an den Kläger halten würden. Sein eigenes Einkommen sei demgegenüber zu hoch angesetzt (zu hoher Steuerfreibetrag; Abzüge wegen der zusätzlichen Krankenversicherung sowie Unfall- und Haftpflichtversicherung; geringere Steuererstattung). Im Hinblick auf die von ihm übernommene - in 1999 mit einem Erlös von 148.900,00 DM wieder veräußerte - Eigentumswohnung könne allenfalls ein Zinsertrag in Höhe von 190,00 Euro monatlich (3% p.a.) eingestellt werden; demgegenüber stehe aber auf Seiten der Beklagten ein - lediglich um die nach der Umschuldung verbliebene Belastung aus dem B...-Darlehen gekürzter - Wohnvorteil in Höhe von tatsächlich 870,00 Euro monatlich.

Der Senat hat gegen die im Termin vom 21. März 2006 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienene Beklagte (Protokoll Bl. 353 f. GA) antragsgemäß Versäumnisurteil vom 28. März 2006 erlassen (Bl. 358 f. GA), das der Beklagten am 29. März 2006 zugestellt wurde; hiergegen hat sie am 12. April 2006 Einspruch eingelegt (Bl. 361 GA).

Die Beklagte beantragt nunmehr,

unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 28. März 2006 das Urteil des Amtsgerichts vom 12. September 2005 teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit der Kläger verurteilt wurde, unter Abänderung des Prozessvergleichs vom 28. Januar 2002 nachehelichen Unterhalt von weniger als 700,00 Euro zu zahlen.

Der Kläger beantragt nunmehr,

unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 28. März 2006 den Einspruch der Beklagten zurückzuweisen.

II.

Der zulässige Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 28. März 2006 hat nur einen Teilerfolg (§§ 343, 539 ZPO).

Die - zulässige - Berufung der Beklagten hat in der Sache nur einen geringen Erfolg; die - zulässige - Anschlussberufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Auf die - zulässige - Abänderungsklage (§ 323 Abs. 1, Abs. 4 i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; zum endgültigen Vergleich im einstweiligen Anordnungsverfahren vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2000,1377,1378) war der Ausgangstitel nach dem Eintritt der Volljährigkeit der gemeinsamen Kinder mit Wirkung ab dem Monat Juni 2005 - ohne Bindung an die Vergleichsgrundlagen (Ziffer 2. des Prozessvergleichs vom 28. Januar 2002; Bl. 191 GA) - abzuändern (§ 313 Abs. 1 BGB).

Die Beklagte kann vom Kläger nachehelichen Unterhalt nur noch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang verlangen (§§ 1573 Abs. 2, 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB).

1. Prägendes Einkommen des Klägers

a) Der Kläger hat in 2005 aus abhängiger Tätigkeit ein Bruttoeinkommen in Höhe von 63.834,29 € erzielt (Bezügemitteilung für Dezember 2005; Bl. 332 GA); dieses Jahreseinkommen ist für 2006 fortzuschreiben (öffentlicher Dienst; Besoldungsgruppe A 15). Hinzu tritt das - fortgeschriebene - Jahreseinkommen aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 806,00 € (Steuerbescheid für 2004; Bl. 319 GA). Nach - fiktiver - getrennter Veranlagung (keine Kirchensteuer; Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 EStG in Höhe von 1.351,00 € bzw. 666,00 €; Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 486,00 € * 12 Monate = 5.832,00 €) ergibt sich ein Jahresnettoeinkommen für 2005 und auch für 2006 in Höhe von 49.046,95 € und damit ein Monatsnettoeinkommen in Höhe von 4.087,25 €.

b) Das Einkommen des Klägers ist weiter - entsprechend den insofern unangegriffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil - zu bereinigen um die Fahrtkosten in Höhe von 190,00 € monatlich (Nr. 10.2.2.KoL), den Aufwand für den Berufsverband in Höhe von 55,50 € monatlich (Steuerbescheid für 2004; Bl. 320 GA), die Prämien für die (private) Krankenversicherung in Höhe von 275,00 € monatlich bzw. ab Januar 2006 in Höhe von 289,20 € monatlich (Bl. 316 GA), den gesonderten Aufwand für die Beihilfe des öffentlichen Dienstes (Zuzahlung; Eigenanteil) in Höhe von 31,33 € monatlich sowie den - vom Kläger im zweiten Rechtszug unwidersprochen vorgetragenen und belegten (Bl. 317 f. GA) - zusätzlichen (Vorsorge-)Aufwand in Höhe von 7,00 € monatlich.

c) Die Einkünfte des Klägers aus der Anlage des nach der Veräußerung der im Zuge der Vermögensauseinandersetzung übernommenen Eigentumswohnung in S... bleiben - mit Rücksicht auf den annähernd gleichwertigen Wohnvorteil der Beklagten aus dem damals von ihr übernommenen ehemaligen Familienhaus in I... - unterhaltsrechtlich außer Ansatz (s. unten 2.b.).

d) Vom anrechenbaren Einkommen des Klägers ist weiter der von ihm tatsächlich geschuldete und gezahlte Tabellenunterhalt für die beiden nunmehr volljährigen Töchter in Höhe von jeweils 556,00 € und ab Juli 2005 in Höhe von jeweils 570,00 € vorweg abzuziehen (Nr. 15.1. KoL; Abschnitt B.III. der Düsseldorfer Tabelle; 10. Einkommensgruppe nach der unangegriffenen Feststellung im unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils).

Der Unterhaltsbedarf eines getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten ist grundsätzlich mit einer Quote des nach Vorwegabzug des Tabellenkindesunterhalts verbleibenden Einkommens des Unterhaltspflichtigen zu ermitteln, soweit sich daraus nicht - im (hier nicht vorliegenden) Mangelfall - ein Missverhältnis zu den für die Kinder festgestellten Beträgen ergibt (BGH FamRZ 1999, 367; 2003,363). Dies gilt auch bei volljährigen Kindern, wenn die Unterhaltsbelastung bereits die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat (BGH FamRZ 1990, 979,980; 1991,1163 f.; Gerhardt in: Wendl/Staudigl a.a.O § 4 Rn. 189 d).

Abzuziehen ist - auch bei volljährigen Kindern - der volle Tabellenbetrag nach der Düsseldorfer Tabelle ohne anteilige Verrechnung des Kindergeldes (Nr. 15.1. KoL), da ansonsten im Ergebnis das - den Eltern zur Erleichterung der Unterhaltslast als öffentliche Sozialleistung gewährte (§§ 62 ff. i.V.m. § 31 Satz 2 EStG; s. auch Nr. 3 KoL) - Kindergeld zum Nachteil des Unterhaltsverpflichteten als (bedarfserhöhendes) Einkommen berücksichtigt würde (vgl. BGH FamRZ 1990,1091,1094 f.; 1997,806,809; NJW 2005,503,506 f.; Gerhardt a.a.O. Rn. 192; Johannsen/Henrich-Büttner, Eherecht, 4. Auflage 2003, § 1578 Rn. 58).

Dies steht - entgegen der Auffassung der Berufung - weder im Widerspruch zur bisherigen Senatsrechtsprechung noch zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2005 - XII ZR 34/03 - (NJW 2006,57 ff.). Danach ist das staatliche Kindergeld stets in voller Höhe auf den Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes anzurechnen, und zwar auch dann, wenn das Kind noch im Haushalt des mangels Leistungsfähigkeit nicht zum Barunterhalt verpflichteten Elternteils lebt (§ 1612 b Abs. 3 BGB analog; s. dazu bereits Nr. 14 KoL). Nach seinem Zweck dient das Kindergeld - ungeachtet der zur Verwaltungsvereinfachung eingeführten Bezugsberechtigung (§ 64 EStG) - ausschließlich der Entlastung des nach Eintritt der Volljährigkeit (bar-)unterhaltspflichtigen Elternteils und damit der teilweisen Deckung des Unterhaltsbedarfs des volljährigen Kindes (BGH a.a.O., S. 59; zur anteiligen Haftung gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB s. unten 2.c.). Daraus folgt andererseits, dass das Kindergeld bei der Bemessung des Trennungsunterhalts respektive des nachehelichen Unterhalts nicht als bedarfsprägendes Einkommen der Ehegatten Berücksichtigung finden kann; dies hat der Bundesgerichtshof im Übrigen auch ausdrücklich bekräftigt (a.a.O., S. 60).

2. Prägendes Einkommen der Beklagten

a) Der Beklagten ist - wie der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2006 erläutert und mit den Parteien ausführlich erörtert hat - wegen Verstoßes gegen ihre Erwerbsobliegenheit mit dem Beginn des streitgegenständlichen Unterhaltszeitraums ein fiktives Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.300,00 € netto monatlich zuzurechnen.

Jedenfalls mit dem Eintritt der Volljährigkeit der gemeinsamen Töchter war die Beklagte - worauf zutreffend und insofern unbeanstandet auch das Amtsgericht abgestellt hat - zur vollzeitigen Erwerbstätigkeit verpflichtet (Nr. 17.1. KoL). Die von ihr dargelegten - allesamt erfolglosen - Bewerbungsbemühungen (Zeitraum April 1999 bis Mai 2005 - Bl. 31 bis 89 GA -; Zeitraum Juni 2005 bis Januar 2006 - Bl. 283 bis 304 GA und Anlagen zu Bl. 324 ff. GA -) genügen den nach der Rechtsprechung des Senats geforderten Anstrengungen keinesfalls. Hätte schon die Bewerbungsintensität deutlich gesteigert werden müssen, so fällt bei näherer Betrachtung der Bewerbungsschreiben auch auf, dass dort sehr häufig die langjährige (seit 1987 andauernde) ausschließliche Beschränkung auf die "Erziehung" [sic!] der ehelichen Kinder hervorgehoben wird, was aus Sicht der angesprochenen Arbeitgeber möglicherweise eher ungünstige Rückschlüsse auf Leistungsstand und Motivation der Beklagten zugelassen haben könnte. Bereits in der Scheidungsfolgenregelung vom 9. Februar 1998 und dem nachfolgenden Prozessvergleich vom 23. August 1999 war bei der Bemessung des vereinbarten nachehelichen Unterhalts ein fiktives Einkommen der Beklagten in Höhe von zunächst 430,00 DM und sodann 500,00 DM monatlich angesetzt worden; im Ausgangstitel vom 28. Januar 2002 wurde sodann ein fiktives Einkommen der Beklagten in Höhe von 818,00 € monatlich (Halbtagstätigkeit) berücksichtigt. Wie das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat, wäre die Beklagte unter diesen Umständen - ihrer vertraglich konkretisierten Eigenverantwortung entsprechend - gehalten gewesen, sich bereits unmittelbar nach der Ehescheidung um die Aufnahme und sukzessive Aufstockung einer angemessenen Erwerbstätigkeit (§ 1574 BGB) zu bemühen. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Beklagte bei dementsprechenden - zeitnahen, stetigen und ernsthaften - Bemühungen, gegebenenfalls nach Auffrischung und Vertiefung ihrer profunden wissenschaftlichen Ausbildung respektive einer an die Vorkenntnisse anknüpfenden Umschulung, eine reale Beschäftigungschance gehabt und mit dem Beginn des streitgegenständlichen Unterhaltszeitraums eine Vollzeitstelle, sei es im abhängigen oder selbständigen Bereich, besetzt hätte. Allerdings ist - im abwägenden Blick auf das Alter der Beklagten, ihre kaum entwickelte berufliche Praxis und die lange Zeit des beruflichen Ausstiegs - das als bedarfsprägend zuzurechnende fiktive Einkommen mit lediglich 1.300,00 € netto monatlich anzusetzen (§ 287 ZPO), also noch unter dem Einkommensniveau einer von der Beklagten im ersten Rechtszug (hilfsweise) selbst erwähnten - berufserfahrenen - Erzieherin (vormals BAT V b; Klageerwiderung Seite 8 - Bl. 27 GA -).

b) Der Beklagten, die das frühere Familienhaus in I... im Zuge der Scheidungsfolgenregelung allein übernommen hat, ist des Weiteren der - eheprägende - Wohnwert in voller Höhe zuzurechnen (Nr. 5 KoL; BGH NJW 2005,2077,2079 f.); gegen den vom Kläger angesetzten (objektiven) Mietwert in Höhe von 870,00 € monatlich wendet sie sich im Grunde auch nicht mehr. Allerdings hat die Beklagte die damals noch mit 270.000,00 DM valutierende (Stand: August 1997) - eheprägende - Hausfinanzierung (damalige Gesamtbelastung 2.668,83 DM monatlich) insgesamt übernommen und einen Teilbetrag in Höhe von 220.000,00 DM mit Hilfe ihrer Eltern und ihres Bruders abgelöst (tilgungsfrei gestellte Familiendarlehen; Zinszahlung in Höhe von 600,00 DM bzw. 500,00 DM monatlich - Bl. 192 und 193 GA -); das B..-Darlehen mit einer monatlichen Rate in Höhe von 105,47 € blieb bestehen (Bl. 213 GA). Legt man für die ersichtlich wirtschaftlich vernünftige Umschuldung - mit der Erwägung, dass freiwillige Leistungen Dritter regelmäßig nicht den (früheren) Ehepartner begünstigen sollen (Nr. 8 KoL; Dose in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage 2004, § 1 Rn. 468) - überschlägig ein bankübliches Annuitätendarlehen (6% p.a.; anfängliche Tilgung 1% = Annuität rund 650,00 € monatlich) zugrunde, verbleibt ein (positiver) Wohnvorteil in Höhe von allenfalls noch 120,00 € monatlich.

Der Kläger hat seinerseits die im Zuge der Scheidungsfolgenregelung allein übernommene - eheprägende - Eigentumswohnung in S... bereits in 1999 mit einem Erlös in Höhe von 148.900,00 DM veräußert; der Ertrag hieraus trat damit wirtschaftlich betrachtet an die Stelle des vordem eheprägenden Nutzungsvorteils des früheren Familienhauses (Nr. 15.1. KoL). Unter Zugrundelegung eines Anlagezinssatzes von 3% p.a. lässt sich die Feststellung rechtfertigen, dass der auf Seiten des Klägers anzusetzende bedarfsprägende (fiktive) Zinsertrag aus dem Veräußerungserlös nach Steuern dem bei der Beklagten verbliebenen Wohnvorteil in etwa entspricht und daher beide Positionen unterhaltsrechtlich außer Ansatz gelassen werden können. Darin liegt - wie festgestellt - keine pauschale Nivellierung im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Übernahme des gemeinsamen Hauses durch einen der Ehegatten (BGH NJW 2005,2077,2078 ff.).

c) Entgegen der Auffassung der Berufung ist das (fiktive) Erwerbseinkommen der Beklagten nicht um einen (fiktiven) Haftungsanteil am Barunterhalt der beiden Töchter zu vermindern.

aa) Allerdings endet mit dem Eintritt der Volljährigkeit der Betreuungsbedarf (§1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) und an seine Stelle tritt ein erhöhter Barunterhaltsbedarf. Der angemessene Unterhaltsbedarf des Kindes bestimmt sich danach nicht mehr allein nach dem Einkommen des früher allein barunterhaltspflichtigen Elternteils, sondern nach den zusammengerechneten Einkünften beider - leistungsfähigen - Elternteile, die anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen für den Unterhalt aufzukommen haben; ein Elternteil schuldet allerdings höchstens den Unterhalt, der sich allein auf der Grundlage seines Einkommens aus der vierten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle ergibt (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB; Nr. 13 KoL; vgl. BGH FamRZ 1994,696,698; 2002,815,816 f.).

bb) Eine etwaige - anteilige - Barunterhaltsverpflichtung der Beklagten fände ihre entscheidende Grundlage hier indessen nicht in einem tatsächlich erwirtschafteten, sondern lediglich in einem fiktiven Erwerbseinkommen (s. soeben 2.a.; zur denkbaren Zusammenrechnung von Aufstockungsunterhalt und Erwerbseinkommen bei der Bemessung der anteiligen Barunterhaltspflicht vgl. BGH NJW-RR 1986,293,294; Dose a.a.O. § 1 Rn. 481). Es stellt sich bei dieser Sachlage schon aus Sicht der unterhaltsbedürftigen und weiter im Haushalt der Mutter lebenden Kinder die Frage, ob die Durchsetzung eines möglichen Mithaftungsanteils der - tatsächlich nicht leistungsfähigen (vgl. BGH FamRZ 1988,1039 f.) - Beklagten überhaupt sachgerecht und zumutbar wäre (Rechtsgedanke des § 1607 Abs. 2 BGB; vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1993,231; Scholz in: Wendl/Staudigl a.a.O. § 2 Rn. 440). Dies umso weniger, als der Kläger - unstreitig - den vollen Unterhaltsbedarf der volljährigen Töchter abdeckt und daran auch für die Zukunft festhalten will (s. auch Ziffer 1. des Prozessvergleichs vom 23. August 1999). Soweit die Beklagte sich - ohnehin kaum substantiiert - auf "Sachzuwendungen" (Naturalleistungen) an die Kinder beruft, handelt es sich - soweit unentgeltlich gewährt - um freiwillige Leistungen; mit dem Eintritt der Volljährigkeit ist der Anspruch auf Betreuungsunterhalt weggefallen (vgl. BGH FamRZ 1988,1039,1040 f.; NJW 2006,57,59).

Unbeschadet dessen kann aber jedenfalls im Rahmen der Bestimmung des Ehegattenunterhalts ein allenfalls auf fiktiver Grundlage bestehender Haftungsanteil der nicht erwerbstätigen Beklagten (bezogen auf den Tabellenunterhalt; s. oben 1.d.) keine Bedeutung gewinnen. Erschiene schon die damit verknüpfte Kürzung der Haftungsquote des - den vollen Unterhaltsbedarf der Kinder abdeckenden - Klägers unangemessen, so wäre es nach Auffassung des Senats auch nicht gerechtfertigt und unbillig, die Bedürftigkeit der ihre Erwerbsobliegenheit verletzenden Beklagten um einen tatsächlich nicht geleisteten Anteil am Barunterhalt der gemeinsamen Töchter zu erhöhen (vgl. auch Gerhardt a.a.O. § 4 Rn. 197; Johannsen/Henrich-Büttner a.a.O. § 1578 Rn. 58: Abzug nur des tatsächlich geleisteten Kindesunterhaltsbetrags).

3. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch der Beklagten berechnet sich nach alledem wie folgt:

 ab Juni 2005ab Juli 2005 ab Jan. 2006
  DT 2005> private KV
1. Einkommen des Klägers   
a) Jahresbrutto   
- aus Erwerbstätigkeit63.834,2963.834,2963.834,29
- aus selbständiger Tätigkeit806,00806,00806,00
Insgesamt64.640,2964.640,2964.640,29
b) Jahresnetto49.046,9549.046,9549.046,95
Monatsnetto4.087,254.087,254.087,25
c) Abzüge   
./. Fahrtkosten190,00190,00190,00
./. Berufsverband55,5055,5055,50
./. Beihilfe-Aufwand31,3331,3331,33
./. private KV275,00275,00289,20
./. UnfallV/HaftPflV7,007,007,00
d) ./. Tabellenunterhalt Töchter1.112,001.140,001.140,00
Prägend2.416,422.388,422.374,22
2. Einkommen der Beklagten   
a) aus Erwerbstätigkeit (fiktiv)1.300,001.300,001.300,00
b) ./. berufl. Aufwand (5%)65,0065,0065,00
Prägend1.235,001.235,001.235,00
3. Differenz1.181,421.153,421.139,22
4. Unterhaltsanspruch (3/7)506,32494,32488,24

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1; 344 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zugelassen. Die im Streitfall bei der Bemessung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs aufgeworfene Frage nach der fiktiven anteiligen Haftung des seine Erwerbsobliegenheit verletzenden berechtigten Ehegatten auf den Barunterhalt der gemeinsamen volljährigen Töchter (s. oben unter II.2.c.) erscheint von grundsätzlicher Bedeutung, ist aber jedenfalls zur Fortbildung des Rechts einer Entscheidung des Revisionsgerichts zu eröffnen.

V.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird gemäß §§ 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG festgesetzt auf

- Berufung der Beklagten |2.568,00 Euro - Anschlussberufung des Klägers|432,00 Euro |3.000,00 Euro

Ende der Entscheidung

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