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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 02.12.2002
Aktenzeichen: 12 U 1027/01
Rechtsgebiete: LandesstraßenG, StVO, BGB, ZPO


Vorschriften:

LandesstraßenG § 48
StVO § 3 II Nr. 2 c
StVO § 40
BGB § 254 I
BGB § 288 I
BGB § 291
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 97 I
ZPO § 287
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Koblenz IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 12 U 1027/01

Verkündet am: 2. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Wohlhage und den Richter am Amtsgericht Pitz auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Koblenz vom 7.05.2001 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 776,84 EUR (= 1.519,37 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.10.2000 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten beider Rechtszüge tragen der Kläger 10/19 und die Beklagte 9/19.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für den Unfall, der sich auf der L 278 zwischen C....... und M....... am 12.09.1998 um 10.15 Uhr ereignet hat.

An diesem Tag befuhr der Kläger mit dem Motorrad - Marke BMW amtliches Kennzeichen: ..-... -, das er sich ausgeliehen hatte, in einer Gruppe von mindestens 25 Motorradfahrern an vierter Stelle diese Strecke.

In Fahrtrichtung dieser Motorradradgruppe befand sich ausgangs einer leichten Linkskurve am rechten Fahrbahnrand eine durch Fräsarbeiten der örtlichen Straßenmeisterei entstandene ca. Im breite und 4,5 cm tiefe Ausfräsung der Teerschicht.

Seitens der Straßenmeisterei war ca. 190 m vor dem Beginn der Ausfräsung ein mobiles Verkehrszeichen Nr. 112 der StVO (unebene Fahrbahn) aufgestellt. 153 m vor der Ausfräsung wurde die örtliche Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h aufgehoben. Weitere Hinweisschilder auf die Gefahren-/Baustelle waren nicht aufgestellt.

Der Kläger fuhr mit dem Motorrad in diese Vertiefung, verlor die Kontrolle über das Motorrad und kam nach rechts von der Fahrbahn ab. Das Motorrad prallte gegen einen Baum, fing Feuer und brannte aus.

Der Kläger erlitt einen Außenknöchelbruch sowie Schürfwunden am Steißbein.

Die Verletzungen machten einen zweitägigen Krankenhausaufenthalt erforderlich. Infolge der erlittenen Verletzungen war der Kläger 4 Wochen krankgeschrieben.

Der Kläger nimmt unter Berücksichtigung eines eigenen Mitverschuldens von 50 % an dem Zustandekommen des Unfalles das beklagte Land auf hälftigen Ersatz seiner bei dem Unfall beschädigten Motorradkleider, deren Zeitwert er mit 930,00 DM angibt, sowie auf hälftige Erstattung der durch den Einsatz der Feuerwehr entstandenen Kosten (462,49 DM) und der Unkostenpauschale in Höhe von 40,00 DM in Anspruch. Des Weiteren begehrt er die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von 2.500,00 DM.

Er wirft der Beklagten Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor, weil die Gefahrenstelle nicht hinreichend durch Warnschilder gekennzeichnet gewesen sei.

Die Beklagte ist dem Begehren entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, dass eine schuldhafte Verletzung der ihr obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht nicht vorgelegen habe. Das aufgestellte Schild Nr. 112 sei ausreichend gewesen. Die Vertiefung in der Fahrbahndecke sei schon von Weitem erkennbar gewesen.

Das Landgericht Koblenz hat die Klage durch Urteil vom 7.05.2001 mit der Begründung abgewiesen, dass durch das Aufstellen des mobilen Verkehrsschildes 112 der StVO (unebene Fahrbann) eine hinreichende Warnung auf die Vertiefung der Fahrbahndecke erfolgt und der Unfall auf Unaufmerksamkeit des Motorradfahrers zurückzuführen sei.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seinen bisherigen Antrag auf Erstattung der Hälfte des ihm bei dem Unfall entstandenen materiellen Schadens und Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes weiter.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Das beklagte Land trifft wegen unzureichender Beschilderung ein Mitverschulden an dem Motorradunfall in Höhe von 25 %.

Wie in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGH VersR 81, 733), ist die Frage, ob eine Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht durch Amtsträger des beklagten Landes gegeben ist, nach den Vorschriften über die Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) zu beurteilen. Nach § 48 Landesstraßengesetz für Rheinland-Pfalz obliegt der Bau, die Unterhaltung und Verwaltung der öffentlichen Straßen sowie die Überwachung ihrer Verkehrssicherheit den Organen und Bediensteten der damit befassten Körperschaften als Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt.

Vorliegend ist eine schuldhafte Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht durch Amtsträger des beklagten Landes dadurch erfolgt, dass das Gefahrenzeichen 112 angesichts seiner Lage und der Unfallörtlichkeit einen vor allen im Pulk fahrenden Motorradfahrer vor der hier vorgenommenen Ausfräsung mit einer Vertiefung von 4,5 cm nicht in ausreichendem Maße warnen konnte.

Nach gefestigter Rechtsprechung richten sich Art und Umfang der zur Sicherheit einer Baustelle erforderlichen Vorkehrungen nach dem Ausmaß der Gefahren, die von dieser Baustelle ausgehen, sowie - außer in den Fällen der Gefahr besonders schwerwiegender Verletzungen - auch danach, wie weit die Gefahrenlage für die Verkehrsteilnehmer rechtzeitig erkennbar ist und von ihnen selbst bei Anwendung der zu erwartenden Eigensorgfalt bewältigt werden kann (vgl. BGH VersR 1979, 1055).

Handelt es sich bei der Baumaßnahme um Fräsarbeiten an der Fahrbahndecke, die zu einer Vertiefung bis zu 4,5 cm geführt haben, genügt im Regelfall ein allgemeiner Hinweis in Form des Gefahrzeichens 123 zu § 40 StVO ("Baustelle") oder sonstiger Verkehrseinrichtungen (Absperrbarken, Leitkegel i. S. v. § 43 StVO o. ä.), die auf Baumaßnahmen hindeuten und hierdurch eine erhöhte Aufmerksamkeit der Straßenbenutzer fordern. Weiterhin können Geschwindigkeitsbeschränkungen wegen unzureichendem Zustand der Fahrbahndecke angeordnet werden.

Dabei müssen diese Hinweise örtlich so nahe bei der Baustelle aufgestellt sein, dass die Verkehrsteilnehmer sie bei vernünftiger Einschätzung auch tatsächlich auf die vorhandene Gefahrenstelle beziehen können (vgl. OLG Hamm VersR 1998, 475, 476).

Das von den Bediensteten der örtlich zuständigen Straßenmeisterei aufgestellte Gefahrzeichen 112 ohne nähere Hinweise auf Art und Ausmaß der "Unebenheit" und ohne Angabe der Entfernung zwischen dem Standort des Zeichens und dem Beginn der Gefahrenstelle reichte jedenfalls nicht aus, um einem im Verband fahrenden Motorradfahrer vor den von dem Frässtreifen ausgehenden Gefahren hinreichend zu warnen.

Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als dieses Gefahrzeichen bereits ca. 190 m vor dem Frässtreifen aufgestellt war und nach weiteren 37 m - 153 m vor der Baustelle - die örtliche Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h aufgehoben und somit die zulässige Höchstgeschwindigkeit des § 3 II Nr. 2 c StVO von 100 km/h erlaubt war.

Um einen im Verband fahrenden Motorradfahrer vor der von dem Frässtreifen ausgehenden Gefahr zu warnen, hätte das Schild 112 nach der Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung unter Angabe der Entfernung bis zur Gefahrenstelle aufgestellt werden müssen.

Nach Absatz I der Verwaltungsvorschrift (Abdruck in Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 40 Rn. 31) soll das Zeichen 112 vor Unebenheiten warnen, die "bei schneller Fahrt gefährlich werden können".

Unstreitig bildet die Längskante der Ausfräsung eine Gefahr für Motorradfahrer, der durch Herabsetzung der Geschwindigkeit zu begegnen ist. Je höher die Geschwindigkeit ist, um so größer ist die Gefahr, dass der Motorradfahrer die Kontrolle über das Krad verliert.

Wird von einem Motorradfahrer verlangt, dass er den Frässtreifen mit einer Geschwindigkeit befährt, die es verhindert, dass die Fahrt instabil wird und es zum Sturz kommt, so ist das Zeichen 112 nur geeignet, vor Unebenheiten zu warnen, die "bei schneller Fahrt gefährlich werden können", wenn zwischen dem Standort dieses Zeichen und der Gefahrenstelle kein Verkehrszeichen steht, mit dem eine angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben wird.

Das Gefahrzeichen 112 muss so dicht an der Baustelle angebracht sein, dass die Verkehrsteilnehmer sie auf die vorhandene Gefahrenstelle beziehen können. Das ist aber nicht der Fall, wenn zwischen dem Zeichen 112 und der Baustelle, die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h durch Verkehrszeichen aufgehoben wird.

In dieser nicht eindeutigen Beschilderung liegt die der Beklagten zuzurechnende Amtspflichtverletzung.

Umstände, die ein Verschulden der Beklagten bzw. der für sie handelnden Amtsträger ausräumen könnten, sind nicht ersichtlich, so dass es bei dem allgemeinen Grundsatz zu verbleiben hat, wonach die objektive Pflichtwidrigkeit das Verschulden indiziert.

Der Kläger muss sich jedoch ein erhebliches Mitverschulden gemäß § 254 I BGB anrechnen lassen.

Der Kläger hätte den Unfall bei Anwendung der von ihm zu erwartenden eigenen Sorgfalt ohne Weiteres vermeiden können. Dies folgt bereits daraus, dass die vor ihm fahrenden drei Motorradfahrer, die von der Veränderung der Fahrbahndecke ausgehende Gefahr rechtzeitig wahrgenommen hatten und sich hierauf einstellen konnten. Vor dem von der Ausfräsung ausgehenden Gefahrenpotential hätte der Kläger sich dadurch schützen können, wenn er diese Stelle gemieden hätte, indem er an dieser Ausfräsung links vorbeigefahren wäre.

Aufgrund des in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz Az. 2040 Js 51890/98 eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. K... vom 8.04.1999 steht fest, dass die von der übrigen Fahrbahnoberfläche farblich abweichende Ausfräsung in einer Entfernung von ca. 60 m erkennbar war, so dass ein Motorradfahrer bei aufmerksamer und an das eigene Fahrkönnen angepasster Fahrweise der Fahrbahnausfräsung entweder hätte ausweichen oder diese bei entsprechender Herabsetzung der Geschwindigkeit hätte durchfahren können, ohne dass es zu einer instabilen Fahrt und in der Folge zu einem Sturz gekommen wäre.

Hätten die Blicke des im Verband fahrenden Klägers mehr der Fahrbahnbeschaffenheit gegolten, dann hätte er die Gefahrenstelle leicht erkennen und auch unschwer mit ihr fertig werden können. Dieses erhebliche Eigenverschulden des Klägers an dem streitgegenständlichen Unfall überwiegt die fehlende eindeutige Beschilderung, die sich das beklagte Land als Amtspflichtverletzung zurechnen lassen muss, derart, dass es angemessen ist, die Beklagte nur 25 % des klägerseits geltend gemachten materiellen Schadens tragen zu lassen.

Der Gesamtschaden des Klägers beläuft sich auf 1.077,44 DM. Er setzt sich aus den nachfolgend dargelegten Schadenspositionen zusammen. Infolge des Schadensereignisses geriet das Motorrad in Brand, so dass Kosten für Hilfe- und Dienstleistungen der Feuerwehr gemäß Gebührenbescheid vom 21.10.1998 in Höhe von 462,49 DM verursacht worden sind. Hinzu kommt die Unkostenpauschale in Höhe von 40,00 DM. Für den Zeitwert der bei dem Unfall beschädigten Motorradausrüstung ist der Senat innerhalb des Schätzungsrahmens des § 287 ZPO von einem Betrag von 575,00 DM ausgegangen und hat hierbei einen 50%igen Abzug von dem angegebenen Neupreis vorgenommen.

25 % hiervon sind 269,37 DM = 137,73 EUR.

Die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen rechtfertigen unter Berücksichtigung des dem Kläger anzurechnenden Mitverschuldens einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 1.250,00 DM = 639,11 EUR.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 I BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92, 97 I ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.644,44 EUR (= 3.216,25 DM) festgesetzt.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO n. F. i. V. m. § 26 Nr. 7 EGZPO) bestehen nicht.

Ende der Entscheidung

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