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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 29.08.2005
Aktenzeichen: 12 U 1174/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
Bei einem zwischen den Beteiligten verabredeten Verkehrsunfall enthällt die Schadensersatzpflicht des Schädigers und seines Haftpflichtversicherers wegen der Einwilligung des Geschädigten. Eine ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, kann eine entsprechende Feststellung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände tragen. Dabei ist eine Manipulation am Fahrtenschreiber eines am Unfall beteiligten Mietfahrzeugs ein gewichtiges Indiz für eine Verabredung.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 1174/04

Verkündet am 29.08.2005

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schadensersatzanspruches aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 24. August 2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers auf Ersatz materieller Schäden aus einem Verkehrsunfall, der sich in M... ereignet haben soll, den die Zweitbeklagte aber als gestellten Unfall ansieht. Der Kläger hat behauptet, sein Sohn G... F... sei mit seinem Sportwagen Fiat Lancia Coupé 20 V Turbo Plus gegen 17.30 Uhr am 29. April 2002 auf der H...strasse in M... in Richtung S...-Werke/B...platz gefahren. Hinter einer Bahnunterführung habe er nach rechts abbiegen wollen. Dort habe er aber an einem Zebrastreifen halten müssen, weil ein Radfahrer die Strasse überquert habe. Dabei sei der Erstbeklagte aus Unachtsamkeit mit einem angemieteten Lkw auf seinen Pkw aufgefahren. Der Erstbeklagte habe sein Verschulden sofort eingeräumt, weshalb auf die Hinzuziehung der Polizei verzichtet worden sei. Durch den Aufprall sei sein Sohn verletzt worden; Schmerzensgeldansprüche würden gesondert eingeklagt. Sein Sachschaden belaufe sich auf 12.849,04 Euro. Es habe sich um einen "normalen" Verkehrsunfall, aber keinen gestellten Unfall, gehandelt. Der Erstbeklagte sei ihm und seinem Sohn zuvor nicht bekannt gewesen; er sei auch nicht Stammgast in dessen Gaststätte gewesen.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 12.849,04 Euro nebst Zinsen zu verurteilen. Nachdem der Erstbeklagte keine Verteidigungsanzeige gemacht hatte, hat der Kläger den Erlass eines Versäumnisurteils gegen diesen beantragt.

Die Beklagte zu 2) hat als Beklagte und als Streithelferin des Beklagten zu 1) beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat dargelegt, dass eine Reihe von - für sich genommen jeweils unstreitigen - Indiztatsachen für einen gestellten Unfall sprechen, so dass ein solcher Fall in der Gesamtschau eindeutig zu bejahen sei. Die Schadensmeldung habe sich ohne Angabe von Einzelheiten auf die Mitteilung beschränkt, es sei ein "Auffahrunfall" geschehen. Auch später sei die Unfallschilderung ungenau geblieben. Der Erstbeklagte habe den Lkw nur für drei Stunden, nämlich für die Zeit von 15.45 Uhr bis 18.45 Uhr, und für eine Fahrstrecke von 50 km zum Preis von 64,60 Euro angemietet, angeblich zum Möbeltransport. Zur angeblichen Unfallzeit seien aber keine Möbel transportiert worden. Nach der Tachoscheibe sei der Lkw zur Unfallzeit nicht bewegt worden. Die vom Erstbeklagten eingeräumte Öffnung des Tachoschreibers sei in manipulativer Absicht erfolgt. Das Fahrzeug des Klägers habe zuvor bereits im Jahre 2000 einen Totalschaden erlitten und kurz vor dem angeblichen Unfall, der den Streitgegenstand bildet, eine weitere Beschädigung davongetragen. Die Behauptung einer vollständigen und fachgerechten Reparatur nach dem früheren Totalschaden treffe nicht zu, zumal das Fahrzeug gespachtelt worden sei. Es fehle in allen Mitteilungen des Klägers oder seines Sohnes an einer genauen Bezeichnung der Unfallstelle. Die Polizei sei entgegen den Vertragsbedingungen für die Anmietung des Lkws durch den Erstbeklagten nicht hinzu gerufen worden. Neutrale Dritte habe der Kläger nicht als Zeugen benennen können. Der Erstbeklagte sei Stammgast in der Gaststätte P... des Klägers und diesem sowie dessen Sohn schon vor dem angeblichen Unfall bekannt gewesen; das habe er unter anderem in der Unfallmeldung zu Unrecht verneint. Die Unfallschilderung des Erstbeklagten in der Schadensmeldung, wonach er sich während des Führens eines ihm nicht vertrauten Fahrzeugs nach einem herabgefallenen Handy gebückt und deshalb aufgefahren sei, sei unglaubhaft. Es habe sich bei der angeblichen Unfallstelle um eine übersichtliche Stelle gehandelt. Die Schilderung der Fahrten des Erstbeklagten mit dem Miet-Lkw nach Hause und zu einem Freund oder umgekehrt seien wechselnd und unklar.

Das Landgericht hat den Zeugen G... F... vernommen, ein Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. B... eingeholt und den Erstbeklagten als Partei vernommen. Dann hat es durch Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer vom 24. August 2004 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, es sei anzunehmen, dass der geltend gemachte Schaden nicht aus dem behaupteten Unfallereignis herrühre. Es fehle an genauen Angaben über den Unfallort und die Unfallzeit, die genaue Endposition der Fahrzeuge zueinander und in Bezug auf den Fahrbahnverlauf. Die Aufzeichnungen des Fahrtenschreibers stünden im Widerspruch zu dem behaupteten Unfallzeitpunkt. Die Bemerkung des Erstbeklagten, er habe die Diagrammscheibe herausgenommen, damit nicht erkannt werden könne, dass er mehr als 100 km/h gefahren sei, sei nicht überzeugend.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser sein Klageziel weiter verfolgt. Er meint, die Unfallangaben des Erstbeklagten im Rahmen der Versicherungskorrespondenz seien genau genug und inhaltlich zutreffend. Das gelte auch für den angegebenen Grund der eingeräumten Öffnung des Fahrtenschreibers. Der Erstbeklagte sei mehrfach schneller als zulässig gefahren und habe nur dies durch die Manipulation am Fahrtenschreiber kaschieren wollen; ein Rückschluss auf einen gestellten Unfall sei daraus nicht zu ziehen. Die Annahme des Landgerichts, das sei nicht überzeugend, weil die Polizei ohnehin nicht von der Geschwindigkeitsüberschreitung erfahren hätte, gehe fehl. Der Erstbeklagte als juristischer Laie habe solche Überlegungen nicht angestellt. Hinsichtlich des Schadensbildes habe das eingeholte Sachverständigengutachten durchaus bestätigt, dass die Schäden an beiden Fahrzeugen zu einer Kollision dieser Fahrzeuge passen könnten. Die Zweitbeklagte sei für eine Einwilligung in einen fingierten Unfall beweispflichtig. Es fehle aber an einer tragfähigen Indizienkette.

Die Zweitbeklagte ist der Berufung entgegen getreten.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens nimmt der Senat auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug. Wegen der Feststellungen des Landgerichts verweist er gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist in dem von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgegebenen Prüfungsumfang nicht zu beanstanden.

Das Berufungsgericht ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden. Diese Bindung entfällt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dabei können sich konkrete Anhaltspunkte auch aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH VersR 2004, 1177, 1178). Im Übrigen dürfen die Anforderungen an die Voraussetzungen einer erneuten Tatsachenüberprüfung durch das Berufungsgericht im Interesse einer materiell gerechten Entscheidung nicht überspannt werden (BGH NJW 2005, 1583, 1584). Deshalb ist das Berufungsgericht - anders als das Revisionsgericht - an die vorinstanzliche Tatsachenfeststellung bereits dann nicht mehr gebunden, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Das ist hier aber nicht der Fall.

Die vom Landgericht herangezogenen Indizien, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise zu bewerten sind, tragen die angegriffene Entscheidung unbeschadet der Tatsache, dass das Landgericht die Frage für sich genommen nicht weiter vertieft hat, ob der Erstbeklagte und der Kläger oder dessen Sohn sich vor dem Unfall kannten und dies zu Unrecht in der Schadensmeldung verneint wurde. Selbst bei einer dahin gehenden Zeugenaussage des Sohnes des Klägers wäre - auch mit Blick auf die Interessenlage - eine abweichende Überzeugungsbildung des Gerichts angezeigt. Ein flächendeckender Beweis der Negativtatsache des Fehlens einer vorherigen Bekanntschaft mit neutralen Zeugen wäre nicht zu erbringen. Daher muss auch der Senat dem nicht weiter nachgehen. Die Indizien für einen gestellten Unfall sind im Übrigen so aussagekräftig und zahlreich, dass die diesbezüglichen Annahmen des Landgerichts von der Berufung nicht zu erschüttern sind. Grundsätzlich obliegt es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls, die Verursachung des Schadens durch das gegnerische Fahrzeug darzutun und zu beweisen. Selbst wenn dem Geschädigten dieser Beweis gelingt, wofür hier die vom Sachverständigen B... bestätigte Kongruenz der Schadensbilder an den beiden Fahrzeugen sprechen könnte, entfällt eine Haftung des Schädigers und des Haftpflichtversicherers, wenn die Feststellung getroffen wird, dass es sich bei dem Schadensereignis um einen verabredeten Unfall gehandelt hat. Dann scheitert ein Ersatzanspruch rechtlich an der Einwilligung des Geschädigten (KG VersR 2003, 613, 614). Eine ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, trägt eine entsprechende Feststellung (BGHZ 71, 339, 343 ff.). So liegt es hier.

Die Gesamtschau der Indizien ergibt auch zur Überzeugung des Senats, dass von einer verabredeten Beschädigung des Fahrzeugs des Klägers auszugehen ist. Der Kläger hat die Unfallörtlichkeit stets ungenau beschrieben, so dass nähere Überprüfungen durch die Zweitbeklagte behindert wurden. Das Fahrzeug des Klägers ist zur Ausnutzung eines fingierten Unfalls geeignet; denn es handelt sich um ein vorgeschädigtes Sportfahrzeug gehobener Preisklasse. Das Fahrzeug des Erstbeklagten war auch für einen fingierten Unfall typisch. Es handelte sich um ein für wenige Stunden gemietetes, also fremdes Fahrzeug, an dem der Erstbeklagte kein eigenes Erhaltungsinteresse hatte. Der Lkw barg aufgrund der Sitzhöhe ein geringes Verletzungsrisiko für den Führer des auffahrenden Fahrzeugs. Die vom Erstbeklagten eingeräumte Fahrtenschreibermanipulation passt ins Bild eines gestellten Unfalls. Der Einwand, die Entnahme der Diagrammscheibe sei zur Verdeckung von Geschwindigkeitsüberschreitungen erfolgt, überzeugt demgegenüber nicht. Hätte der Erstbeklagte einer Ahndung vorbeugen wollen, so hätte es nahe gelegen, dass er Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten hätte. Ob und wo er überhaupt Gelegenheit gehabt hatte, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h in vorausgeplanter und durch Entnahme der Tachoscheibe vorsorglich verdeckter Weise zu überschreiten, hat er nicht dargelegt. Der Erstbeklagte hat sich, soweit seine Bekundungen Rückschlüsse zulassen, zumindest vorwiegend im innerörtlichen Verkehr bewegt und zwar auf Strecken, an denen 100 km/h mit einem Lkw technisch kaum erreichbar sind. Warum er beim Möbeltransport oder bei der Rückfahrt die Geschwindigkeitsgrenze von 100 hm/h im Fall der vorherigen Entnahme der Tachoscheibe zu deren Verdeckung bewusst überschreiten wollte, ist nicht ersichtlich. Im Ganzen wirkt die Erklärung für das Motiv der Manipulation an der Tachoscheibe konstruiert und lebensfremd. Die Nichthinzuziehung der Polizei nach der Beschädigung des Mietfahrzeugs entgegen den Mietvertragsbedingungen mit dem Risiko der Eigenhaftung fällt auch auf. Wäre auch die Hinzuziehung der Polizei bei einer eindeutigen Haftungslage aus der Sicht des Klägers nachvollziehbar erscheinen, so fehlt doch eine Erklärung dafür, warum der Erstbeklagte als Mieter des weiteren Fahrzeugs, das an dem angeblichen Unfall beteiligt war, entgegen den mietvertraglichen Regeln nicht im Interesse des Vermieters eine polizeiliche Unfallaufnahme herbeigeführt hat. Die angeblichen Verletzungen des Sohnes des Klägers sind nicht dargelegt worden; dass seine angeblichen Schmerzensgeldansprüche im Einklang mit der entsprechenden Ankündigung geltend gemacht wurden, ist nicht ersichtlich. Der als Grund für die zeitlich eng begrenzte Anmietung des Lkws durch den Erstbeklagten genannte Möbeltransport fand jedenfalls zum Unfallzeitpunkt nicht statt. Die Schilderung des Unfalls, der durch die Suche nach einem Handy im Fußraum der Lkw-Kabine verursacht worden sein soll, wirkt auch lebensfremd.

Mit diesen Umständen liegen zahlreiche Indizien vor, die in Richtung auf einen gestellten Unfall gedeutet werden können. Mögen diese Indizien auch jeweils für sich genommen nicht ausreichen, so sind sie doch in der Gesamtschau genügend aussagekräftig.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegt.

Der Streitwert im Berufungsverfahren beträgt 12.849,04 Euro.

Ende der Entscheidung

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