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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: 12 U 134/05
Rechtsgebiete: BeamtVG, PflichtVersG, ErwZulG, SGB VII, ZPO


Vorschriften:

BeamtVG § 46 Abs. 2
BeamtVG § 31
BeamtVG § 46 Abs. 2 Satz 1
BeamtVG § 46 Abs. 2 Satz 2
PflichtVersG § 3 Nr. 1
ErwZulG § 1
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 10
SGB VII § 105
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Die Haftungsbeschränkung gemäß § 46 Abs. 2 BeamtVG greift nicht ein, wenn der Dienstunfall im Rahmen des allgemeinen Verkehrs und ohne dienstliches Verhältnis des Beamten zum Schädiger geschehen ist. Allein die Tatsache, dass eine Fahrt den dienstlichen Interessen dienlich ist, genügt nicht für eine Verneinung der Teilnahme am allgemeinen Verkehr. Nach der Zielsetzung des Gesetzes sollen die Haftungsbefreiungen für einen Bereich entfallen, in dem der Verletzte jedem anderen Verkehrsteilnehmer gleichsteht, so dass es unbillig wäre, ihn insoweit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu benachteiligen. Dementsprechend ist vornehmlich darauf abzustellen, ob der Verletzte den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer oder als Betriebsangehöriger erlitten hat.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 134/05

Verkündet am 24.04.2006

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schmerzensgeldanspruche aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 13. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten aufgrund der Direktklage gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des W... M... um einen Schmerzensgeldanspruch sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen immateriellen Schäden aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 2. Juli 2001 gegen 15.20 Uhr auf der Bundesautobahn A .. in der Gemarkung S... ereignet hat.

Der Kläger ist katholischer Pfarrer in K..., der Versicherungsnehmer der Beklagten ist dort ehrenamtlicher Gottesdiensthelfer. Beide begaben sich nach K... zu verschiedenen Auslandsvertretungen, um Visa für eine Reise zur kirchlich organisierten Überbringung von Hilfsleistungen nach Polen zu erbitten. Zuerst führte der Kläger das Fahrzeug; auf der Rückfahrt übernahm der Versicherungsnehmer der Beklagten die Rolle des Fahrers, weil der Kläger übermüdet war. Der Kläger saß angeschnallt auf dem Beifahrersitz und schlief ein. Der Versicherungsnehmer der Beklagten war auch übermüdet, fiel in einen Sekundenschlaf und kam von der Fahrbahn ab. Das Fahrzeug stieß gegen einen Baum, wodurch beide Insassen verletzt wurden. Der Kläger erlitt mehrere Frakturen, insbesondere einen Lendenwirbelkörperbruch, und eine Darmverletzung. Seine Verletzungen mussten operativ versorgt werden.

Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte Ersatz immaterieller Schäden schuldet oder ihre Haftung dafür ausgeschlossen ist. Der Kläger hat geltend gemacht, eine Haftungsbeschränkung nach den Regeln für den öffentlichen Dienst scheide bei einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr aus. Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung des Versicherungsnehmers der Beklagten und dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Der ehrenamtliche Gottesdiensthelfer unterstehe nicht seiner Weisungsbefugnis und es bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis. Der Kläger hat die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes - von mindestens 6.000 Euro - nebst Zinsen beantragt und die Feststellung begehrt, dass die Beklagte ihm auch zum Ersatz allen künftigen weiteren immateriellen Schadens verpflichtet ist. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat geltend gemacht, dass der Anspruch des Klägers ein Dienstunfall gewesen sei. Der Kläger habe zu dem Gottesdiensthelfer in einem dienstlichen Verhältnis gestanden.

Das Landgericht hat der Klage durch Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer vom 13. Januar 2005 stattgegeben und dazu ausgeführt, der Anspruch gemäß § 3 Nr. 1 PflichtVersG sei nicht nach § 46 Abs. 2 BeamtVG ausgeschlossen. Das Beamtenversorgungsgesetz sei zwar anwendbar, weil der Kläger als katholischer Pfarrer einem Beamten gleichstehe. Es liege auch ein Dienstunfall im Sinne von § 31 BeamtVG vor, weil der Unfall in Folge des Dienstes eingetreten sei. Zu den Dienstgeschäften des Klägers gehöre auch die kirchlich organisierte Hilfslieferung nach Polen, obwohl dafür keine Anordnung des bischöflichen Ordinariats vorgelegen habe. Andererseits sei eine Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr erfolgt, die nach § 1 ErwZulG zur Gleichstellung mit den anderen Verkehrsteilnehmern führe. Das Vorliegen einer Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr folge aus einer Gesamtschau der Umstände. So sei der Kläger mit seinem privaten Pkw gefahren. Die Fahrt habe nicht organisatorisch zum Dienstbetrieb im engeren Sinne gezählt. Längere Autofahrten gehörten nicht zu den üblichen Dienstgeschäften des Klägers. Der Mitnahme des Zeugen M... habe nicht ein besonderes betriebliches Verhältnis zu Grunde gelegen. M... sei kein Angestellter der Kirchengemeinde oder des Klägers, sondern nur ehrenamtlich tätig gewesen. Ein Mitverschulden des Klägers scheide aus.

Gegen dieses Urteil richtet die Berufung der Beklagten, mit der sie das Ziel der Klageabweisung weiter verfolgt. Sie meint, das Landgericht habe §§ 2 Abs. 1 Nr. 10, 105 SGB VII übersehen. Der Unfall sei auch entgegen der Ansicht des Landgerichts im Zusammenhang mit dem kirchlichen Dienst des Klägers erfolgt. Der Hilfstransport nach Polen, den der Kläger habe organisieren wollen, sei eine Aufgabe der Kirche gewesen. Die Gründe des angefochtenen Urteils seien widersprüchlich, soweit einerseits von einem Dienstunfall, andererseits von einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr gesprochen werde.

Der Kläger tritt der Berufung entgegen. Er meint, die Beklagte verkenne den Begriff der Teilnahme am allgemeinen Verkehr.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen. Wegen des Feststellungen des Landgerichts nimmt der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil gibt keinen Anlass zur Beanstandung. Das Landgericht ist von einem zutreffenden rechtlichen Ansatz ausgegangen und es hat diesen auch auf den im Wesentlichen unstreitigen Sachverhalt richtig angewendet.

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren letztlich nur um die rechtliche Einordnung des Anspruchs und die Frage des Anspruchsausschlusses. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG sind - abgesehen vom Fall einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung - Ansprüche auf Ersatz immaterieller Schäden, wie sie hier geltend gemacht werden, ausgeschlossen. Jedoch findet nach § 46 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG das Gesetz über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. Dezember 1943 (ErwZulG - RGBl I S. 674) Anwendung, nach dessen § 1 ein Geschädigter gegen den Schädiger deliktische Ansprüche geltend machen kann, wenn es sich bei dem Unfall um einen "Dienstunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr" handelt. Die Beklagte geht demgegenüber von falschen rechtlichen Voraussetzungen aus, indem sie auf §§ 2, 105 SGB VII abstellt, statt auf die Bestimmungen des Beamtenversorgungsrechts einzugehen. Ein sozialversicherungsrechtliches Rechtsverhältnis besteht hier nicht. Nach den Regeln des Beamtenversorgungsrechts schließen sich die Einordnung des Unfalls als Dienstunfall und die Annahme einer Teilnahme des Klägers am allgemeinen Verkehr entgegen der Auffassung der Beklagten gerade nicht aus. Die Haftungsbeschränkung gemäß § 46 Abs. 2 BeamtVG greift vielmehr dann nicht ein, wenn der Dienstunfall im Rahmen des allgemeinen Verkehrs und ohne dienstliches Verhältnis des Beamten zum Schädiger geschehen ist (vgl. OLG München VersR 1993, 1546 f.). Das hat das Landgericht zutreffend bejaht. Allein die Tatsache, dass eine Fahrt den betrieblichen oder dienstlichen Interessen dienlich ist, genügt nicht für eine Verneinung der Teilnahme am allgemeinen Verkehr. Nach der Zielsetzung des hier anzuwendenden § 1 ErwZulG sollen die Haftungsbefreiungen des § 46 Abs. 2 BeamtVG für einen Bereich entfallen, in dem der Verletzte jedem anderen Verkehrsteilnehmer gleichsteht, so dass es unbillig wäre, ihn insoweit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu benachteiligen (BGHZ 116, 30, 33 ff.). Dementsprechend ist bei der Beurteilung der Frage, ob der Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist, vornehmlich darauf abzustellen, ob der Verletzte den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer oder als Betriebsangehöriger erlitten hat. Es kommt darauf an, ob sich der Unfall im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem als innerbetrieblicher oder innerdienstlicher Vorgang darstellt. Ein Unfall ist bei der "Teilnahme am allgemeinen Verkehr" eingetreten, wenn der Geschädigte nicht in seinem innerdienstlichen Verhältnis zum Schädiger von dem Unfall betroffen worden ist. Entscheidend ist, ob sich in dem Unfall das betriebliche Verhältnis zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten manifestiert oder ob insoweit zur dienstlichen bzw. betrieblichen Beziehung zwischen beiden kein oder nur ein loser Zusammenhang bestanden hat. Diesen Maßstab hat das Landgericht zu Recht zu Grunde gelegt und seine Entscheidung lässt auch bei der Bewertung des konkreten Falles keinen Fehler erkennen. Zu Recht hat das Landgericht darauf verwiesen, dass der Kläger mit seinem privaten Pkw gefahren ist und die Fahrt nicht organisatorisch zum Dienstbetrieb im engeren Sinne gezählt habe; der Mitnahme des Zeugen M... habe kein besonderes betriebliches Verhältnis zu Grunde gelegen und M... sei nur ehrenamtlich in der Kirchengemeinde tätig gewesen. Diese Überlegungen tragen die Wertung des Landgerichts, dass es sich um einen Fall der "Teilnahme am allgemeinen Verkehr" gehandelt hat.

Der Umfang des Schmerzensgeldanspruches ist nicht ausdrücklich im Streit; seine Bemessung durch das Landgericht ist auch sonst nicht zu beanstanden. Ebenso bestehen gegen den Ausspruch zur Feststellungsklage keine Bedenken.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor, nachdem der rechtlichen Maßstab höchstrichterlich geklärt ist (vgl. BGHZ 116, 30, 33 ff.).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 8.000 Euro (vgl. Bl. 62 GA).



Ende der Entscheidung

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