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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 13.10.2003
Aktenzeichen: 12 U 1629/02
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 5 Abs. 2 Satz 2
1. Als sachverständiger Zeuge kommt nur derjenige in Betracht, der zum Beweise vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, vernommen wird. Er wird als diejenige Person, die "dabei war", gehört und ist als solche nicht ersetzbar. Dagegen vermittelt der Sachverständige dem Gericht fehlendees Fachwissen zur Beurteilung von entscheidungserheblichen Tatsachen und ist deshalb durch jede andere Person mit entsprechendem Wissen ersetzbar. Ein Zeuge soll keine Schlüsse ziehen. Wer aus Tatsachen aufgrund seines Fachwissens Schlussfolgerungen zieht, wird als Sachverständiger tätig. Hat das erstinstanzliche Gericht einen Sachverständigen vernommen, so besteht keine berufungsrechtlich relevante Aufklärungslücke darin, dass ein sachverständiger Zeuge nicht vernommen wurde, in dessen Wissen nur Umstände gestellt werden, die dem Sachverständigenbeweis unterliegen.

2. Im Fall eines typischen Auffahrunfalls spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden, welcher grundsätzlich allein und in voller Höhe haftet. Dieser Anscheinsbeweis ist nur zu entkräften, wenn der Auffahrende beweist, dass sich die Kollision beider Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden ereignet.

3. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO darf nur überholen, wer mit deutlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt. Eine minimale Geschwindigkeitsdifferenz wäre zu beanstanden und bei der Abwägung der Haftungsanteile des Überholers und des Auffahrenden zu berücksichtigen.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 1629/02

Verkündet am 13.10.2003

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richter am Oberlandesgericht Dr. Wohlhage und Dr. Eschelbach

auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 25. November 2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Ersatz seiner materiellen Schäden aus einem Auffahrunfall, der sich am 19. März 1997 gegen 22.41 Uhr auf der Bundesautobahn 3 in der Fahrtrichtung von Frankfurt nach Köln in Höhe der Gemeinde W... auf einem dreispurig ausgebauten Teilstück der Autobahn mit einer Steigung von 6% bei regennasser Fahrbahn ereignet hat. Der Kläger war Fahrer und Halter eines damals 17 Jahre alten Pkw Porsche 924 Turbo, der auf der äußerst linken Fahrspur fuhr. Der Erstbeklagte fuhr mit seinen Kleinbus Daimler-Benz 210 D, der bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist, zunächst auf der mittleren Fahrspur hinter einem Lkw, der seinerseits einen weiteren Lkw auf der rechten Fahrspur überholte. Der Erstbeklagte wechselte auf die äußerst linke Fahrspur, um zu überholen. Dann fuhr der Kläger mit seinem Pkw Porsche auf den Mercedes-Bus des Erstbeklagten auf. Am Fahrzeug des Klägers entstand wirtschaftlicher Totalschaden von 6.902,44 Euro zuzüglich Sachverständigenkosten von 562,99 Euro und pauschalen Unkosten von 20,45 Euro. Im Streit ist eine Nutzungsausfallentschädigung von 65,44 Euro pro Tag für einen Wiederbeschaffungszeitraum von 21 Tagen, also weiteren 1.374,35 Euro.

Der Kläger hat vorgetragen,

er sei mit einer Geschwindigkeit im Bereich der "Richtgeschwindigkeit" von 130 km/h gefahren. Der Erstbeklagte habe mit seinem dieselgetriebenen Fahrzeug beim Überholen des auf der mittleren Fahrspur fahrenden Lkw keine ausreichende Beschleunigung vornehmen können und sei nach einmaligem Blinken unmittelbar vor seinem herannahenden Fahrzeug auf die äußerst linke Spur ausgeschert. Daraufhin habe er eine Vollbremsung eingeleitet, die zu vollständigem Abrieb der Vorderreifen geführt, aber den Zusammenstoß nicht mehr verhindert habe. Er sei nicht schneller als 130 km/h gefahren, zumal sein Fahrzeug infolge eines technischen Defekts an der Einspritzanlage vom Typ K-Jetronic der Firma B... auch unter optimalen Bedingungen allenfalls 150 km/h habe erreichen können. Der Zusammenstoß habe sich ereignet, als sich das Fahrzeug des Erstbeklagten noch auf der Höhe des Hecks des überholten Lkws befunden habe. Bei Anrechnung einer Betriebsgefahr entfalle auf die Beklagten als Gesamtschuldner ein Haftungsanteil von zwei Dritteln, die er ersetzt verlangen könne.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.906,83 Euro nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 12. Juli 1997 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen,

der Erstbeklagte habe sich vor seinem Überholmanöver vergewissert, dass er gefahrlos überholen könne. Er habe sich bereits in Höhe des Führerhauses des überholten Lkws befunden, als sich der Kläger von hinten unter Betätigung der Lichthupe schnell genähert habe und aufgefahren sei. Der Kläger sei mit einer Geschwindigkeit von mindestens 190 km/h gefahren; das Vorliegen des behaupteten technischen Defekts zum Unfallzeitpunkt sei unsubstantiiert, unerheblich, nicht belegt und zu spät geltend gemacht worden. Der Kläger habe erst 30 bis 40 Meter hinter seinem Fahrzeug damit begonnen, abzubremsen. Dem Erstbeklagten sei hingegen ein Ausweichen nicht mehr möglich gewesen, weil er sich dann bereits neben dem überholten Lkw befunden habe. Zum Schadensumfang sei nicht dargelegt worden, ob und wann der Kläger ein Ersatzfahrzeug beschafft habe.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen S... nebst Ergänzungen und Vernehmung des Zeugen St... durch einen ersuchten Richter die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 217 ff. GA).

Mit der Berufung gegen dieses Urteil verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Klageantrag weiter. Er wiederholt das erstinstanzlichen Vorbringen und meldet Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der landgerichtlichen Entscheidung an. Die Beklagten sind der Berufung entgegengetreten. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Ein Grund zur Beanstandung des angefochtenen Urteils besteht im Prüfungsumfang gemäß § 529 ZPO n.F. nicht.

1. Es liegt keine Aufklärungslücke darin, dass dem Angebot auf Vernehmung des sachverständigen Zeugen E... nicht nachgegangen wurde. Die Einschätzung dieses Zeugen, das klägerische Fahrzeug habe wegen eines Defekts an der Einspritzanlage "im Frühjahr 1997" allenfalls eine Höchstgeschwindigkeit von 150 km/h erreichen können, bildet keinen tauglichen Gegenstand des Zeugenbeweises. Die dem Zeugenbeweis zugängliche Indiztatsache der Wahrnehmung einer Begrenzung des Durchflusses des Benzin-/Luftgemisches durch die Einspritzanlage K-Jetronic des Pkw Porsche ist für sich genommen nicht entscheidungserheblich.

a) Fragen zur Einschätzung der erreichbaren Höchstgeschwindigkeit aufgrund eines bestimmten technischen Defekts, die ohne Fahrversuch oder sonstige geschwindigkeitsbezogene Leistungsüberprüfung angestellt werden, sind Gegenstand des Sachverständigenbeweises. Ob jemand vor Gericht als Zeuge oder Sachverständiger aussagt, bestimmt sich nach dem Inhalt der Aussage. Danach kommt als sachverständiger Zeuge nur derjenige in Betracht, der zum Beweise vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, vernommen wird (§ 414 ZPO). Er wird als diejenige Person, die "dabei war", gehört und ist als solche nicht ersetzbar (vgl. Musielak/Huber, ZPO, 3. Aufl., § 373 Rn. 3). Dagegen vermittelt der Sachverständige dem Gericht fehlendes Fachwissen zur Beurteilung von entscheidungserheblichen Tatsachen und ist deshalb durch jede andere Person mit entsprechendem Wissen ersetzbar (vgl. OVG Koblenz DVBl. 1991, 1368, 1369; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., Vor § 373 Rn. 1). Ein Zeuge soll keine Schlüsse ziehen. Wer aus Tatsachen aufgrund seines Fachwissens Schlussfolgerungen zieht, wird als Sachverständiger tätig (vgl. BGH BB 1974, 204; NJW 1993, 1796, 1797; s.a. OLG Bamberg JurBüro 1984, 260, 261). Deshalb ist die Frage, welche Höchstgeschwindigkeit vom klägerischen Fahrzeug erreicht werden konnte, wenn zum Unfallzeitpunkt der behauptete Defekt an der Einspritzanlage vorgelegen hatte, Gegenstand des Sachverständigenbeweises. Die beim Beweisangebot in Bezug genommene Bescheinigung des Zeugen E... von 20. September 1999 (Bl. 140 GA) enthält eine Einschätzung dahin, das Fahrzeug "dürfte" höchstens eine Geschwindigkeit von 150 km/h oder gar darunter erricht haben. Wertungen und Einschätzungen dieser Art sind kein tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises.

b) Der behauptete Messwert des Kraftstoff-/Luftdurchflusses durch die Einspritzanlage pro Minute ist eine Indiztatsache, die Gegenstand des Zeugenbeweises sein kann. Sie ist aber für sich genommen unerheblich.

Zunächst fehlen notwendige Zusatztatsachen, die im Zusammenwirken mit der genannten Indiztatsache einen aussagekräftigen Schluss zuließen. Wann und durch wen der Defekt an der Einspritzanlage festgestellt wurde, wann genau der Kläger "im Frühjahr 1997" mit seinem Fahrzeug in der Werkstatt vorstellig wurde und wann eine Messung der Leistungen der Einspritzanlage durchgeführt wurde, ist nicht dargetan worden. Das wäre auch deshalb angezeigt gewesen, weil die Bescheinigung des Zeugen E... vom 20. September 1999 zweieinhalb Jahre nach dem Unfall erstellt wurde. Eine Reparatur des Defekts bei dem Werkstattbesuch im Frühjahr 1997 oder danach, auch im Zusammenhang mit der durchgeführten Reparatur der Unfallschäden, ist nicht dargelegt worden. In das nach dem Unfall erstellte Schadensgutachten des Sachverständigen W... (Bl. 7 ff. GA) sind keine Angaben über einen technischen Defekt dieser Art als wertbildender Faktor eingeflossen. In der Einlassung des Klägers als Betroffener im Bußgeldverfahren (Bl. 30 f. GA) und in der Klageschrift zum vorliegenden Haftungsprozess waren auch noch keine Hinweise über einen Defekt an der Einspritzanlage enthalten. Das weckt schon Zweifel am Vorhandensein des Defekts im Zeitpunkt des Unfalls. Jedenfalls bleibt offen, in welche Beziehung seine Feststellung und Messung - etwa mit Blick auf eine fortschreitende Verstopfung von Sieben oder Filtern im Kraftstoffdurchlass - zum Fahrverhalten beim Unfall zu setzen wäre.

Die unter Beweis gestellte Tatsache erlaubt nach der Darstellung des Sachverständigen S... zudem für sich genommen keine zuverlässige Ermittlung der vom Fahrzeug trotz des Defekts noch erreichbaren Höchstgeschwindigkeit. Die Einwendung des Klägers, aus der Menge des Benzin-/Luftgemisches könne wegen einer linearen Verringerung der Leistungsfähigkeit bei zunehmender Drosselung des Durchlasses von Benzin und Luft auf die mögliche Höchstgeschwindigkeit geschlossen werden, hat der Sachverständige verneint; ein lineares Verhältnis bestehe nicht. Diese Aussage hat der Sachverständige nach Rücksprache mit einem Mitarbeiter der Herstellerfirma B... gemacht und ausgeführt, dass ohne konkreten Leistungstest, insbesondere ohne Fahrversuch, keine zuverlässige Angabe über die erreichbare Höchstgeschwindigkeit gemacht werden könne. Dies erscheint nachvollziehbar. Insoweit ist die ins Zeugenwissen gestellte Indiztatsache für die entscheidungserhebliche Wertung im Sachverständigenbeweis unerheblich.

Auf den genauen Wert der erreichbaren Höchstgeschwindigkeit, den der Zeuge E... auf etwa 150 km/h eingeschätzt hatte, oder die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit bei Annäherung an die Unfallstelle von 130 km/h, die der Kläger im Prozess behauptet hat, kommt es auch aus Rechtsgründen nicht an. Die Haftungsfrage wäre auch bei einer tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit von 130 km/h nicht anders zu beantworten. Darauf ist unten noch einzugehen.

2. Auch weiterer Sachverständigenbeweis war nicht einzuholen. Die Auswahl der zuzuziehenden gerichtlichen Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch das Prozessgericht, das sich insbesondere auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken kann. Zu den technischen Aspekten hat das Landgericht den Sachverständigen S... wiederholt befragt und zu den Fragen und den Einwendungen des Zweitbeklagten hat sich dieser Sachverständige geäußert. Gründe, die für die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Auf die unfallanalytischen Ausführungen des Sachverständigen namentlich anhand der Unfallörtlichkeiten, des Spuren- und Schadensbildes geht der Kläger mit der Berufungsbegründung nicht ein. Er befasst sich wiederum nur mit der Indiztatsache des Defekts an der Einspritzanlage, die - wie ausgeführt - nicht entscheidungserheblich ist. Der Hinweis des Klägers darauf, dass die Einspritzanlage K-Jetronic von B... seit vielen Jahren nicht mehr gebräuchlich sei, führt nicht dazu, dass von mangelnder Sachkunde des Sachverständigen S... für die entscheidungserheblichen Fragen auszugehen ist. Dies gilt auch für die von diesem verneinte Frage der Rekonstruierbarkeit der erreichbaren Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs trotz des Defekts, wenn dieser im Unfallzeitpunkt vorgelegen hätte. Immerhin hat der Sachverständige ergänzende Informationen bei der Firma B... eingeholt; das ist ein zulässiges und hier ausreichendes Mittel der Abklärung von Randaspekten zum (unfallanalytischen) Sachverständigengutachten. Dass und warum ein anderer Sachverständiger überlegene Forschungsmittel besitze, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

3. Hinsichtlich der rechtlichen Bewertung und der Abwägung der Haftungsanteile ist das angefochtene Urteil gleichfalls nicht zu beanstanden.

a) Das Landgericht hat zu Gunsten des Klägers angenommen, der Unfall sei für den Erstbeklagten kein unabwendbares Ereignis gewesen; diesbezügliche Bemerkungen in der Berufungsbegründung gehen mangels einer Beschwer in diesem Punkt fehl. Den Nachweis dafür, dass der Unfall für den Kläger selbst ein unabwendbares Ereignis gewesen sei, hat dieser nicht geführt.

b) Die nach § 17 Abs. 1 StVG gebotene Abwägung der Verschuldensanteile der beiden Fahrer und der von beiden Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr führt dazu, dass der Kläger seinen Schaden selbst zu tragen hat. Bei der Abwägung sind neben unstreitigen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden. Im Fall eines typischen Auffahrunfalls spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden, welcher grundsätzlich allein und in voller Höhe haftet (KG Urt. vom 1. April 1999 - 12 U 634/98 - in juris; PfzOLG Zweibrücken OLG-Report Zweibrücken 1999, 279 f.). Der Anscheinsbeweis spricht gegen ihn, weil der Auffahrende in diesen Fällen entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist und zu spät reagiert hat. Dieser Anscheinsbeweis ist nur zu entkräften, wenn der Auffahrende darlegt und beweist, dass sich die Kollision beider Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden ereignet, dieser also wenige Augenblicke zuvor einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat (vgl. OLG Celle VersR 1975, 265; KG a.a.O.; OLG Köln VersR 1978, 143 f.). Die Feststellung eines unzulässigen Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden führt auf Grund des dann gegen diesen sprechenden Anscheinsbeweises eines schuldhaften Verstoßes gegen die Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO zu dessen Haftung. Dann greift der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden nicht ein (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1983, 40; OLG Hamm VersR 1992, 624; KG a.a.O.). Ein solcher Beweis ist vom Kläger indes nicht geführt worden. Er hat kein Beweismittel benannt, aus dem sich ein sorgfaltspflichtwidriger Fahrspurwechsel des Erstbeklagten ergeben könnte. Sein Beweisangebot für das Vorliegen und die Details eines Defekts an der Einspritzanlage seines Kraftfahrzeugs ist dafür nicht aussagekräftig. Daraus ergibt sich nicht, welche Geschwindigkeit der Kläger im konkreten Zeitpunkt gefahren ist und mit welcher Geschwindigkeit sowie in welchem Abstand der Erstbeklagte vor ihm auf die äußerst linke Fahrspur gewechselt ist. Zu Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass die Aussage des Zeugen St... sogar gegen einen Sorgfaltsverstoß beim Fahrspurwechsel spricht.

3. Aus der Konstellation des typischen Auffahrunfalls folgt die Alleinhaftung des Klägers. Am Unfallort war die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach den Befundfeststellungen im Sachverständigengutachten auf 130 km/h begrenzt, die dreispurige Fahrbahn war nass, das Vorhandensein von Lkws auf der rechten Fahrspur und auf der Mittelfahrspur und das dortige Nachfolgen von Kleinbussen war von Weitem erkennbar und der Erstbeklagte befand sich nach der Aussage des Zeugen St... schon neben dem überholten Lkw. Der Kläger musste auf der Steigungsstrecke damit rechnen, dass auch Fahrzeuge mit einem geringeren Fahrtüberschuss gegenüber den Lkws auf der rechten und mittleren Fahrspur zum Überholen ansetzen würden. Der Aussage des Zeugen St..., die durch das Gutachten des Sachverständigen S... bestätigt wird, ist zu entnehmen, dass durch rechtzeitiges Bremsen der Unfall vom Kläger hätte vermieden werden können. Dann ist seine Alleinhaftung wegen grober Nachlässigkeit beim Auffahren angemessen (vgl. PfzOLG Zweibrücken OLG-Report Zweibrücken 1999, 279 f.). Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Erstbeklagten tritt zurück.

Was der Kläger in der Berufungsbegründung gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen St... vorbringt, leuchtet nicht ein. Der Zeuge hatte als potenzieller weiterer Überholer die Verkehrslage beobachtet, wozu er wegen des geplanten eigenen Überholvorgangs Anlass hatte und was er durch Blick in die Rückspiegel oder Umdrehen des Kopfes tun konnte. Dass er wegen Dunkelheit k e i n e Beobachtungen hätte machen können, wie der Kläger meint, ist lebensfremd. Die Einschätzung der Fahrgeschwindigkeit des Klägers anhand der näher kommenden Scheinwerfer des Pkw Porsche und die Einschätzung eines Bremsvorgangs jenes Pkws auf der Höhe des eigenen Fahrzeugs sowie die Einschätzung der Abstände zu dem vorausfahrenden Pkw des Erstbeklagten waren zwar erschwert, aber nicht unmöglich. Der Zeuge hat sich zu allem mit der gebotenen Vorsicht geäußert. Der Senat sieht keinen Grund für Glaubwürdigkeitsbedenken.

4. Eine Verletzung von § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO durch den Erstbeklagten ist nicht bewiesen. Nach dieser Bestimmung darf nur überholen, wer mit deutlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt. Eine minimale Geschwindigkeitsdifferenz wäre zu beanstanden, wenn berücksichtigt wird, dass die Überholspur dem Schnellverkehr dient und langsames Überholen zu einer längeren Blockierung der Fahrbahn führt (vgl. OLG Frankfurt VersR 1994, 700). Jedoch steht ein derart geringer Geschwindigkeitsüberschuss des Erstbeklagten als Überholer nicht fest. Zur Fahrgeschwindigkeit der überholten Lastkraftwagen ist nichts vorgetragen worden. Deren Fahrgeschwindigkeit konnte wegen der Steigung deutlich unter der Geschwindigkeit des Erstbeklagten gelegen haben. Im Übrigen fiele auch eine Verletzung von § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO gegenüber dem Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers, wie er aus der Aussage des Zeugen St... hervorgeht, nicht so ins Gewicht, dass sich hieraus ein anderes Abwägungsergebnis rechtfertigen ließe (vgl. OLG Nürnberg ZfSch 1991, 78 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach der detaillierten Aussage des Zeugen aus größerer Entfernung den Überholvorgang erkennen und darauf rechtzeitig durch Bremsen reagieren konnte, aber tatsächlich nur durch Betätigen der Lichthupe reagiert hat. Ferner ist zu beachten, dass sich der Unfall auf regennasser Fahrbahn im Dunkeln ereignet hat, was dazu führen musste, dass die Anforderungen an einen Geschwindigkeitsüberschuss für den Überholer einerseits und an die angemessene Fahrgeschwindigkeit der Benutzer auch der Überholspur auf der Autobahn innerhalb der begrenzt zulässigen Höchstgeschwindigkeit andererseits relativiert wurden. Durch Unterschreiten der auf einer Autobahn üblichen Fahrgeschwindigkeit kann im Einzelfall die Betriebsgefahr leicht erhöht werden (vgl. OLG München VersR 1967, 691 Ls.). Auch das fällt hier nach den Gesamtumständen bei Nacht, regennasser Fahrbahn, Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, erkennbarem Vorhandensein von Lkws auf mittlerer und rechter Fahrspur und zwei Kleinbussen als (potenziellen) Überholern auf der mittleren Fahrspur, grobem Verschulden des Klägers durch spätes Abbremsen und Fehlreaktion mit der Lichthupe nicht so ins Gewicht, dass die Alleinhaftung des Klägers unangemessen wäre. Am Bild eines typischen Auffahrunfalls ändert sich auch dadurch nichts.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

III. Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.906,83 Euro festgesetzt. Dem entspricht die Beschwer des Klägers.

Ende der Entscheidung

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