Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 12 U 193/04
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, StVG, BGB, StVO


Vorschriften:

StPO § 153b
ZPO § 141
ZPO § 411a n.F.
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 543 Abs. 2
StVG § 7
StVG § 17
StVG § 21
BGB § 242
BGB § 254
BGB § 823
StVO § 1 Abs. 2
StVO § 2 Abs. 2
StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1
StVO § 5 Abs. 4 Satz 2
Ein Überholen bei unklarer Verkehrslage wiegt besonders schwer, wenn der Überholer mehrere Fahrzeuge passieren will. Dahinter kann das mitwirkende Verschulden eines Überholten zurücktreten.

Setzt der Überholer sich zudem zu wiederholten Male über das Verbot des Fahrens ohne Fahrerlaubnis hinweg und erleidet er bei dem im Rahmen der verbotenen Fahrt verursachten Verkehrsunfall Verletzungen, so ist dies bei der Abwägung der haftungsanteile zu berücksichtigen. Der Grundsatz von Treu und Glauben lässt es tendenziell nicht zu, dass der verbotswidrig Fahrende andere Verkehrsteilnehmer zur Rechenschaft zieht, ohne dabei auch zu berücksichtigen, dass er selbst die gefährliche Lage mit geschaffen hat.

Die generelle Unzuverlässigkeit des vielfach verkehrsstrafrechtlich verurteilten Verkerhsteilnehmers kann auch ein Indiz für einen Fahrfehler sein.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 193/04

Verkündet am 17.01.2005,

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schadensersatzanspruches aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 26. Januar 2004 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Kläger wird mit seiner Klage abgewiesen. Er wird auf die Widerklage der Zweitbeklagten verurteilt, an diese 1.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juni 2003 zu zahlen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen. Dies gilt auch, soweit er seine Berufung gegen das genannte Urteil zurückgenommen hat.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 29. Juni 2002 in M... ereignet hat. Der Kläger fuhr dabei mit seinem Motorrad Kawasaki, obwohl er keine Fahrerlaubnis besaß. Grund für letzteres war, dass er vielfach bestraft worden war. So

- war er als Jugendlicher ohne Fahrerlaubnis gefahren (11 Js 809/69 StA Koblenz),

- hatte er einen Diebstahl in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis begangen, der im Jahre 1971 geahndet wurde (AG Koblenz 26 Ds 256/71),

- war er 1972/73 wieder ohne Fahrerlaubnis gefahren (AG Koblenz 25 Cs 32/73),

- hatte er 1973 unbefugt ein fremdes Kraftfahrzeug gebraucht und war dabei ohne Fahrerlaubnis gefahren (AG Andernach 3 Ds 37/73 Hw),

- war er 1973 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden (AG Koblenz 25 Cs 181/73),

- war er 1978 wegen Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt und mit einer Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten belegt worden (AG Koblenz 107 Js 34117/77 - 29 Ds),

- hatte er sich 1981 der Trunkenheit im Verkehr schuldig gemacht und wurde mit einer Fahrerlaubnissperre belegt (AG Montabaur 107 Js 40400/80 - 2 Ds),

- war er wegen einer am 15. Juni 1981 begangenen Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt und mit einer dreijährigen Fahrerlaubnissperre geahndet worden (AG Montabaur 107 Js 36605/81 - 2 Ds),

- war er wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, begangen am 15. September 1987, verurteilt und mit einer Sperre von 18 Monaten für die Erteilung der Fahrerlaubnis belegt worden (AG Andernach 107 Js 68431/86 Ds),

- war er wegen Trunkenheit im Verkehr, begangen am 19. Januar 1989, verurteilt und wieder mit einer dreijährigen Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis belegt worden (AG Andernach 107 Js 3959/89 Ds),

- hatte er sich des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort, begangen am 22. September 1995, schuldig gemacht, weshalb eine Fahrerlaubnissperre von einem Jahr verhängt worden war (AG Andernach 2104 Js 23077/95 Cs) und

- war er wegen einer am 8. Juni 1996 begangenen Trunkenheit im Verkehr verurteilt und mit einer Fahrerlaubnissperre von zwei Jahren belegt worden (AG Andernach 2104 Js 36503/96 Ds).

Das Strafverfahren gegen den Kläger wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahr-erlaubnis bei dem streitgegenständlichen Unfall wurde mit Blick auf seine Verletzungen gemäß § 153b StPO eingestellt (2040 Js 41361/02 StA Koblenz).

Bei diesem Unfall kollidierte der Kläger gegen 15.35 Uhr am 29. Juni 2002 als Motorradfahrer bei einem Überholversuch auf der Strasse "A..." in Höhe des links gelegenen Möbelhauses "B..." mit dem in gleicher Fahrtrichtung befindlichen Pkw VW Golf der Erstbeklagten, der bei der Zweitbeklagten gegen Haftpflicht versichert ist. Der Unfall trug sich auf der rechten Fahrspur zu, weil auch der Kläger als Überholer nicht auf die Gegenfahrspur wechselte. Der Kläger blieb bei dem Aufprall auf das Fahrzeug der Erstbeklagten mit dem rechten Fuß am Radkasten hängen und wurde über die Motorhaube des Pkws geschleudert. Er erlitt einen Bruch des rechten Oberarms. Der rechte Vorderfuß musste ihm amputiert werden.

Der Kläger hat im Wesentlichen vorgetragen,

die Erstbeklagte habe sich zuerst rechts orientiert und dabei den Blinker nach rechts gesetzt gehabt. Dadurch sei der Eindruck entstanden, sie wolle einparken. Er sei bei einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h bis zur Fahrbahnmitte ausgewichen, um an dem nahezu stillstehenden Pkw vorbeizufahren. Als er sich in Höhe der Fahrzeughinterkante des Pkws befunden habe, sei die Erstbeklagte plötzlich und ohne Fahrtrichtungsanzeige nach links gefahren, um zu wenden. Er habe nicht mehr ausweichen können.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 40.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 29. Juni 2002 auf der Strasse "A..." in M... zu ersetzen, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind, einschließlich solcher Schäden, die ihm aus noch erforderlich werdenden Amputationen, unfallbedingten Arthrosen, sonstigen körperlichen Beeinträchtigungen sowie Phantomschmerzen noch entstehen werden,

3. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 363,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen und

widerklagend

den Kläger zu verurteilen, an sie 1.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.

Sie haben im Wesentlichen vorgetragen,

die Erstbeklagte habe nach dem Ausparken von einem Parkplatz auf dem Gelände des Möbelhauses "B..." auf der gegenüber liegenden Fahrspur nach Hause fahren wollen. Für ein dortiges Wendemanöver habe keine Veranlassung bestanden. Sie habe auch nicht nach rechts geblinkt. Sie sei nur parkenden Fahrzeugen ausge-wichen; daher habe sie sich zur Fahrbahnmitte orientiert und sei dabei mit nur etwa 10 km/h gefahren. Hinter ihr sei die Zeugin B... gefahren. Diese habe selbst die Fahrgeschwindigkeit verringert und abgewartet. Der Kläger hingegen sei mit überhöhter Geschwindigkeit von etwa 80 km/h ohne Sicherheitsabstand am Fahrzeug der Zeugin B... vorbeigefahren und habe trotz unklarer Verkehrslage versucht, auch sie zu überholen. Für sie sei die Kollision unvermeidbar gewesen. Deshalb seien die Ansprüche des Klägers unbegründet und vorprozessual von der Zweitbeklagten unter Vorbehalt gezahlte 1.000 Euro zu erstatten.

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 28.000 Euro nebst Zinsen an den Kläger verurteilt (Bl. 174 ff. GA). Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner zum Ersatz von 50 % der gegenwärtigen und künftigen materiellen Schäden des Klägers sowie unter Beachtung derselben Haftungsquote auch der künftigen immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis verpflichtet sind, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergehen. Die weiter gehende Klage hat es abgewiesen. Auf die Widerklage hat es den Kläger verurteilt, an die Zweitbeklagte einen überzahlten Betrag von 318 Euro nebst Zinsen zurückzuzahlen; die weiter gehende Widerklage hat es abgewiesen. Zum Unfallgeschehen hat das Landgericht Feststellungen getroffen, die dem unstreitigen Tatbestand und dem Vortrag der Beklagten entsprechen, wobei allerdings - Žnur insoweit abweichend vom Beklagtenvortrag - eine Fahrgeschwindigkeit des Klägers von etwa 50 km/h oder geringfügig darüber angenommen wurde. Für sein Beweisergebnis hat das Landgericht sich auf die Vernehmung von Zeugen und des Sachverständigen Dipl. Ing. H... gestützt, die es in gleicher Besetzung und unter Mitwirkung derselben Prozessbevollmächtigten der Parteien in dem Parallelverfahren 5 O 11/03 durchgeführt hatte; diese Beweisverwertung war im Einverständnis mit den Parteien geschehen. Im Ergebnis ist das Landgericht vor allem den Angaben der Zeugin B... gefolgt. Nach der so festgestellten Sachlage habe, so führt das Landgericht aus, die Erstbeklagte ihre Rückschaupflicht verletzt, weil sie auf nachfolgende Fahrzeuge nicht geachtet habe, als sie vom rechten Fahrbahnrand in Richtung Fahrspurmitte gefahren sei. Der Kläger hätte dagegen das Fahrverhalten der Erstbeklagten zum Anlass nehmen müssen abzuwarten. Bei Abwägung aller Umstände sei eine Haftungsverteilung von 50 : 50 vorzunehmen.

Gegen dieses Urteil richteten sich zunächst die Rechtsmittel beider Parteien.

Mit seiner Berufung begehrte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz seiner weiteren Schäden; dieses Rechtsmittel hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13. Dezember 2004 zurückgenommen.

Die Beklagten beantragen mit ihrer Berufung, über die in der Sache alleine noch zu entscheiden ist, die Änderung des angefochtenen Urteils dahin, dass die Klage auch abgewiesen werde, soweit das Landgericht ihr stattgegeben hat (Bl. 240 ff. GA). Die Zweitbeklagte erstrebt ferner mit dem Rechtsmittel aufgrund ihrer Widerklage die Verurteilung des Klägers auch zur Rückzahlung des restlichen Betrages der vorgerichtlichen Schadensersatzleistung. Beide Beklagten betonen, nach den Aussagen der Zeugin B... sowohl im Parallelverfahren als auch im Strafprozess habe die Erstbeklagte bereits vor dem Aufprall des Klägers schräg auf der Fahrspur gestanden und sich nicht mehr fortbewegt. Die Zeugin B..., die zuvor aus der Querstraße "H..." nach links in die Straße "A..." eingebogen gewesen sei, habe dort noch etwa 66 m zurückgelegt und dann hinter dem Fahrzeug der Erstbeklagten angehalten. Bei ihrem Einbiegen sei der Kläger noch nicht in Sicht gewesen; ihn hätte die Zeugin andernfalls beim Einbiegen nicht übersehen. Bei dieser Sachlage sei der Kläger für den Unfall alleine verantwortlich.

Der Kläger ist der Berufung der Beklagten entgegengetreten (Bl. 264 ff. GA). Er betont, nach den Angaben des Zeugen D... habe die Erstbeklagte zu wenden versucht. Die Aussagen der Zeugin B... seien vom technischen Sachverständigen H... nicht bestätigt worden. Deshalb sei nicht davon auszugehen, dass er auch das Fahrzeug der Zeugin B... habe überholen wollen. Dagegen spreche vor allem eine Bremsspurenzeichnung auf der rechten Fahrbahn. Er hätte danach mit dem Fahrzeug der Zeugin kollidieren müssen, wenn es schon vor ihm an jener Stelle gewesen wäre.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Bezüglich der Feststellungen des Landgerichts verweist der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Auf dieses Rechtsmittel ist das angefochtene Urteil antragsgemäß dahin abzuändern, dass die Klage abzuweisen und der Widerklage der Zweitbeklagten insgesamt stattzugeben ist.

1. Der Senat folgt aus eigener Überzeugung im Ergebnis den Feststellungen des Landgerichts. Dass der Sachverständige Dipl. Ing. H... in seinem mündlich erstatteten Gutachten letztlich alle Detailaspekte zur Gegenkontrolle in Frage gestellt hat, ergibt keine Zweifel an der Richtigkeit der auch vom Landgericht getroffenen Feststellungen. Der Sachverständige hat im Ergebnis die maßgeblichen Beweisfragen, namentlich soweit sie sich auf die Bewertung der Zeugenaussagen beziehen, offen gelassen. Das ist mit Blick auf die begrenzte Aussagekraft der verfügbaren objektiven Anknüpfungstatsachen nicht zu beanstanden. Deshalb kommt es zentral auf den Zeugenbeweis, insbesondere die Bewertung der Angaben der Zeugin B..., an. Diese Würdigung ist zuvörderst Sache des Gerichts, nicht des Sachverständigen Dipl. Ing. H..., der sich auf eine Plausibilitätskontrolle aus technischer Sicht zu beschränken hatte; daran hat sich der Sachverständige auch gehalten. Der Senat gelangt bei der Würdigung des Zeugenbeweises zu demselben Beweisergebnis wie das Landgericht; er bewertet es bei der Abwägung der Verursachungsanteile nur anders. Der Rückgriff auf die Beweise des Parallelverfahrens 5 O 11/03 ist insoweit nicht ausgeschlossen, zumal die Parteien sich damit einverstanden erklärt hatten, was auch einem Rügeverzicht gleichkommt.

Soweit der Kläger mit Hinweis auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. H... die Aussage der Zeugin B... in Frage gestellt hat, geht dieser Einwand fehl. Der Sachverständige, dessen Gutachten nunmehr auch nach § 411a ZPO n.F. verwertbar ist, hatte ausgeführt, dass für ihn aus technischer Sicht "keine zuverlässige Bewertung möglich" sei (Bl. 150 GA). Ob das Fahrzeug der Zeugin B... wegen der rechts parkenden Fahrzeuge bis zu seiner Endstellung geringfügig nach links gelenkt worden war, so dass die Bremsspurenzeichnung der Richtigkeit der Zeugenaussage nicht entgegenstehen, hat der Sachverständige "der Würdigung des Gerichts überlassen" (Bl. 151 GA). Die Spurenzeichnung, die in einer polizeilichen Unfallskizze erfasst und vom Sachverständigen in eine von ihm gefertigte Skizze übertragen wurde (5 O 11/03 LG Koblenz Bl. 122, Kopie in Bl. 249 GA), ergibt keinen durchgreifenden Einwand gegen das Beweisergebnis, das aus den Zeugenaussagen gewonnen werden kann. Dies gilt auch deshalb, weil die Skizzendarstellungen keinen Anspruch auf hundertprozentige Richtigkeit in allen Details erheben können. Weder die Lichtbilder Nr. 1 - 4, 6 vom Unfallort (Bl. 7 - 9) noch die polizeiliche Unfallskizze (Bl. 5 BA) zeigen die Endstellung des Pkws der Zeugin B... in der Zusammenschau mit der Bremsspur (2040 Js 41361/02). Auf den Lichtbildern Nr. 1 - 3 ist das Fahrzeug der Zeugin gar nicht vorhanden. Auf dem Lichtbild Nr. 5 ist wohl die Endstellung des Fahrzeugs der Zeugin B... in einigem Abstand zum eigentlichen Unfallort zu sehen; die in der Verlängerung dieser Fahrzeugposition zu suchende Bremsspurenzeichnung ist dort aber nur zu ahnen. Die Spur reicht ohnehin nicht bis zur Endstellung des Fahrzeugs der Zeugin. Deshalb handelt es sich bei der vom Sachverständigen Dipl. Ing. H... angefertigten Skizze, die die Bremsspur des Motorrads des Klägers und zugleich die Endstellung des Pkws der Zeugin B... in der Relation hierzu zeigen soll, um eine an-näherungsweise Rekonstruktion. Diese besagt nichts Abschließendes über die Position und die Bewegungsrichtung des Fahrzeugs der Zeugin beim Bremsvorgang des Klägers.

Der Inhalt der Aussage der Zeugin B... ist glaubhaft. Insoweit folgt der Senat der Wertung des Landgerichts. Die Zeugin hat in dem gegen den Kläger geführten Strafverfahren (2040 Js 41361/02 StA Koblenz Bl. 37) und im Vorprozess mit umgekehrtem Rubrum (5 O 11/03 LG Koblenz / 12 U 1568/03, Bl. 58 f.) konstant ausgesagt. Ein persönliches Interesse am Ausgang der Verfahren hatte sie nicht. Eine zu Unrecht erfolgte Begünstigung der Erstbeklagten ist auszuschließen.

Bei der Gesamtwürdigung der Tatsachen und Beweise ist auch zu beachten, dass die abweichenden Angaben des Klägers unglaubhaft erscheinen. Seine Angabe bei der Anhörung gemäß § 141 ZPO im Parallelprozess (5 O 11/03 Bl. 56), er sei bereits geraume Zeit hinter der langsam fahrenden Erstbeklagten hergefahren, kann nicht zutreffen, weil die Erstbeklagte erst unweit des eigentlichen Unfallorts und kurz vor dem Unfallereignis vom Parkplatz des Möbelhauses B... auf die Straße "A..." aufgefahren war. Sie konnte demnach nicht für geraume Zeit und über eine längere Strecke vor dem Kläger hergefahren sein. Auch das Klagevorbringen in der vorliegenden Sache, die Erstbeklagte sei nach rechts blinkend am rechten Fahrbahnrand gefahren und erst dann nach links ausgeschert, als der Kläger sich bereits auf der Höhe der Fahrzeughinterkante ihres Pkws befunden habe, kann nicht richtig sein; mit der Endstellung des Fahrzeugs der Erstbeklagten ist das nicht vereinbar. Diese Stellung konnte das Fahrzeug der Erstbeklagten nicht erst dann eingenommen haben, als sich der Kläger praktisch bereits neben dem Pkw befunden hatte. Die Unrichtigkeit der Angaben des Klägers ist ein Indiz dafür, dass das Beklagtenvorbringen zutrifft. Die Unzuverlässigkeit des Klägers im Straßenverkehr, die sich aus der Vorgeschichte ergibt, kommt als ein ergänzendes Indiz, das hier allerdings nur zur Abrundung des Beweisbildes erwähnt sei, hinzu.

Das Vorbringen der Erstbeklagten dazu, dass sie kein Wendemanöver beabsichtigt hatte, ist demgegenüber glaubhaft. Danach hatte sie erst kurze Zeit vor dem Unfall und nahe der Unfallstelle den Kundenparkplatz des Möbelhauses B... verlassen, um nach Hause zu fahren. Zu einem unmittelbar anschließenden Wenden in die Gegenrichtung hatte sie keinen Grund, weil dort kein für sie aktuelles Fahrziel gelegen hatte. Aus der grafischen Darstellung der Fahrzeugendposition (5 O 11/03 LG Koblenz Bl. 122, Kopie in Bl. 249 GA), wie sie aus den Lichtbildern (2040 Js 41361/02 StA Koblenz Bl. 6 ff.) abgeleitet wurde, folgt zudem, dass ein Wenden allein auf der Fahrbahn für die Erstbeklagte trotz erheblicher Schrägstellung des Fahrzeugs nicht möglich gewesen wäre. Die Erstbeklagte hätte dazu das linksseitig gelegene Grundstück mit benutzen müssen. Ihre Fahrbewegung vom Ausparken bei dem Möbelhaus B... bis zur Vollendung eines Wendemanövers hätte letztlich einen Vollkreis ergeben. Dass ein Wenden beabsichtigt war, erscheint auch deshalb kaum nachvollziehbar. Unmittelbar nach dem Ausfahren vom Kundenparkplatz lag jedenfalls kein Grund dafür vor. Demnach hatte die Erstbeklagte zwar eine übertriebene Ausweichbewegung vorgenommen, aber kein Wendemanöver begonnen.

Das fügt sich in die Darstellung der Beobachtung der Zeugin B... und in das Bild, das sich aus der Fahrzeugendstellung auf den Lichtbildern ergibt. Diese Zeugin hat auch das nachfolgende Geschehen anschaulich geschildert, so etwa, dass sie die Erstbeklagte unter Schock stehend angetroffen habe. Detailliertheit der Angaben, Aussagekonstanz und Plausibilität sprechen für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin B.... Deshalb kann auch ihrer Schilderung des Überholvorgangs des Klägers gefolgt werden. Das war für die Zeugin ein markantes Ereignis, welches in der Wahrnehmung unverwechselbar erscheint und in der Erinnerung erhalten geblieben ist. Wäre die Zeugin erst nach dem Vorbeifahren des Klägers an der Einmündung der Straße "H..." in die Straße "A..." eingebogen, so wäre das zumindest in der zeitnahen polizeilichen Vernehmung (Bl. 89 GA) nach der Überzeugung des Senats mit dem in den Aussagen beschriebenen Erlebnis eines Überholtwerdens verwechselt worden. Dies gilt auch deshalb, weil die Zeugin die Art des Überholens des Klägers mit zu geringem Seitenabstand und überhöhter Geschwindigkeit so beschrieben hat, wie es aus der Erinnerung an ein solches Erlebnis zu erwarten ist, nicht aber aus einer Beobachtungsperspektive beim Einbiegen aus der Straße "H..." in die Straße "A...". Dass die Beobachtungen der Zeugin auf bestimmte Details des Geschehens begrenzt waren und ihr Eindruck, das Fahrzeug der Erstbeklagten habe auf der Fahrbahn gestanden, - möglicherweise - nicht ganz genau dem objektiven Befund des Fahrens mit einer Geschwindigkeit "um etwa bis zu 10 km/h" (so der technische Sachverständige H... bei der - notwendig nur annäherungsweisen - Rekonstruktion des Geschehens, Bl. 143 GA) entsprochen haben mag, besagt nichts gegen die generelle Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Der Zeuge K... hat bestätigt, dass das Fahrzeug der Erstbeklagten vor dem eigentlichen Unfallgeschehen, das dieser Zeuge freilich nicht mehr beobachtet hat, "sehr langsam" gefahren sei (5 O 11/03 LG Koblenz Bl. 61). Das Fahrzeug der Erstbeklagten befand sich auch in seiner Endstellung immer noch auf der rechten Fahrspur. Das unterstreicht den zumindest subjektiv richtigen Eindruck der Zeugin B..., es habe dort gestanden. In die Endposition war es auch langsam fahrend erst allmählich gelangt. Die Zeugin B... hat etwaige Ungenauigkeiten in ihrer Wahrnehmung und Erinnerung mit dem raschen Geschehensablauf erklärt (5 O 11/03 LG Koblenz Bl. 58); das ist nachvollziehbar. Soweit marginale Unterschiede zu den Angaben der Erstbeklagten festzustellen sind, liegt dies in der Bandbreite von Wahrnehmungs- und Erinnerungsunterschieden in Details. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die Beschreibung des Kerngeschehens, nämlich des Überholens durch den Kläger mit zu geringem Seitenabstand und relativ hoher Geschwindigkeit, unzutreffend sei. Nur darauf kommt es aber im Ergebnis für die Wertung des Senats an. Diese fällt zu Gunsten der Beklagten aus, ohne dass es noch erforderlich wäre, ihren Beweisangeboten in der Berufungsbegründung (Bl. 244 - 246 GA) nachzugehen.

2. Bei dieser Sachlage hat die Berufung der Beklagten aufgrund einer Abwägung nach §§ 7, 17 StVG, §§ 823, 254 BGB Erfolg.

Nach den Feststellungen hat der Kläger § 5 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 2 StVO verletzt. Die Zeugin B... hatte ihre Geschwindigkeit reduziert und wollte abwarten, weil ihr das Fahrmanöver der Erstbeklagten unklar erscheinen war. Der Kläger aber wollte beide Fahrzeuge trotz ihrer deutlichen Geschwindigkeitsreduzierung und der erkennbaren Orientierung der Erstbeklagten zur Fahrbahnmitte überholen. Infolge der Schrägstellung ihres Fahrzeugs war es für den Kläger von der Heckansicht des Fahrzeugs der Erstbeklagten nicht vollständig verdeckt. Die unklare Verkehrslage war, auch mit Blick auf die Geschwindigkeitsverringerung der Zeugin B..., erkennbar. Ein Überholen bei unklarer Verkehrslage war dem Kläger dann nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO untersagt. Die Verletzung von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO durch ihn lässt hier ein Verschulden der Erstbeklagten zurücktreten. Denn den Überholer mehrerer Fahrzeuge bei unklarer Verkehrslage trifft ein überwiegendes Mitverschulden gegenüber dem Verschulden des sich gegebenenfalls unter Vernachlässigung der Rückschaupflicht links orientierenden Verkehrsteilnehmers (vgl. Senat, Urteil vom 15. März 2004 - 12 U 319/03). Hinzu kommt, dass der Kläger das Fahrzeug der Zeugin B... mit zu geringem Seitenabstand überholte; dadurch hat er auch gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO verstoßen. Er wollte noch auf der rechten Fahrspur trotz unklarer Verkehrslage zwei Fahrzeuge überholen. Die Erstbeklagte hat, wenn sie nicht bereits gestanden hatte, §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 StVO verletzt. Das wiegt - gegebenenfalls - nicht so schwer wie das Verschulden des Klägers und tritt dahinter zurück.

Der Gesichtspunkt des Handelns des Klägers auf eigene Gefahr ist nach dem Gesagten bereits nicht mehr entscheidungserheblich; er käme sonst ergänzend hinzu. Dem Kläger war das Führen von Kraftfahrzeugen bei Strafandrohung verboten (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Setzte der Kläger sich insoweit zu wiederholten Male bewusst über das Verbot des Fahrens ohne Fahrerlaubnis hinweg und erlitt er bei dem Unfall im Rahmen der verbotenen Fahrt Verletzungen, so ist nach §§ 242, 254 BGB darüber zu entscheiden, welchen Einfluss dies auf die Haftung der Beklagten hat. Zwar bleibt die Kausalität des konkreten Verkehrsverhaltens unberührt, jedoch ist es der Grundsatz von Treu und Glauben, der es tendenziell nicht zulässt, dass der Geschädigte die erstbeklagte Schädigerin zur Rechenschaft zieht, ohne dabei im Rahmen der Abwägung auch zu berücksichtigen, dass er selbst die gefährliche Lage mit geschaffen hat (vgl. BGHZ 34, 355, 363; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 16 StVG Rn. 10, 11). Die Tat nach § 21 StVG vergrößert den Mithaftungsanteil des Klägers.

III.

1. Eine Revisionszulassung zum letztgenannten Punkt ist entbehrlich, weil es darauf nicht mehr entscheidungserheblich ankommt. Im Übrigen liegen insgesamt die Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97, 516 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 712 ZPO.

3. Der Streitwert für das Verfahren über die Berufung der Beklagten beträgt 32.682 Euro (28.000 Euro bezüglich der Verurteilung zur Schmerzensgeldzahlung, 682 Euro, soweit die Widerklage abgewiesen worden war, 5.000 Euro bezüglich der beiden Feststellungsaussprüche mit Blick auf die Schwere der Verletzungen des Klägers). Dem entspricht die Beschwer des Klägers. Bis zur Zurücknahme der Berufung des Klägers am 13. Dezember 2004 beträgt der Streitwert für das Berufungsverfahren 59.000 Euro (weitere 26.318 Euro bestehend aus 21.000 Euro weiteres Schmerzensgeld, 5.000 Euro bezüglich der weiter gehenden Feststellungsanträge, 318 Euro bezüglich der Verurteilung aufgrund der Widerklage).

Ende der Entscheidung

Zurück