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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 23.07.2007
Aktenzeichen: 12 U 203/06
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 17 Abs. 2 Satz 1
InsO § 131
InsO § 133
InsO § 133 Abs. 1
InsO § 139 Abs. 2
InsO § 143 Abs. 1
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
Insolvenzanfechtung der Zahlung von Krankenkassenbeiträgen aufgrund von Druckanträgen.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 203/06

Verkündet am 23.07.2007,

in dem Rechtsstreit

wegen eines Rückzahlungsanspruches aufgrund einer Insolvenzanfechtung.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach und die Richterin am Oberlandesgericht Kagerbauer

auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

I. 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 18. Januar 2006 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, 16.280,01 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. November 2004 an den Kläger zu zahlen.

2. Die Beklagte hat ihre Berufung durch deren Zurücknahme verloren.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Rückzahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte aufgrund der Insolvenzanfechtung einer Zahlung von Krankenkassenbeiträgen nach Insolvenzanträgen der Beklagten gegen die Firma P. GmbH. Über das Vermögen dieser Firma wurde aufgrund eines Antrages der Beklagten vom 19. Februar 2004 am 14. Oktober 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet; der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.

Vorangegangen waren frühere Insolvenzanträge der Beklagten, die nach Zahlung der jeweils geforderten Beträge von der Beklagten für erledigt erklärt worden waren. Aufgrund solcher "Druckanträge" waren am 18. März 2003 10.656,88 Euro durch die S. GmbH für die Schuldnerin und am 11. April 2003 1.668,67 Euro aus dem Vermögen der Schuldnerin gezahlt worden, worauf am 20. Mai 2003 der zu Grunde liegende Insolvenzantrag für erledigt erklärt wurde. Zwei Tage später war der nächste Insolvenzantrag von der Beklagten gestellt worden, wobei diese auf Verbindlichkeiten der Schuldnerin von 3.954,46 Euro hingewiesen hatte. Am 29. Dezember 2003 hatte die Beklagte dem Insolvenzgericht mitgeteilt, dass die Schuldnerin auch den größten Teil dieses Betrages von 3.954,46 Euro gezahlt habe und sie deshalb den Insolvenzantrag für erledigt erkläre. Danach kam es schließlich zu dem Insolvenzantrag vom 19. Februar 2004, der - wie oben schon erwähnt - zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führte.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, bei den Zahlungen der Schuldnerin von 10.656,88 Euro, 1.668,67 Euro und dem größten Teil von 3.954,46 Euro handele es sich um anfechtbare Rechtshandlungen. Die Beklagte genieße im Insolvenzverfahren keinen Vorrang vor anderen Gläubigern. Sämtliche Zahlungen seien durch die Schuldnerin selbst oder aber auf deren Veranlassung durch Dritte an die Beklagte erfolgt. Dadurch sei jeweils eine inkongruente Deckung entstanden. Dem habe die Absicht der Gläubigerbenachteiligung durch die Schuldnerin zu Grunde gelegen, was der Beklagten bekannt gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma P. GmbH insgesamt 16.280,01 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. November 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, die Zahlung von 3.954,46 Euro erhalten zu haben. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht vor.

Das Landgericht hat die Zeugen C. und R. vernommen. Es hat der Klage sodann durch Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer vom 18. Januar 2006 in Höhe von 5.623,13 Euro nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landgericht hat ausgeführt, die Insolvenzanfechtung greife in Höhe der Teilbeträge von 1.668,67 Euro und 3.954,46 Euro durch. Diese Zahlungen seien jeweils aus dem Vermögen der Schuldnerin erbracht worden. Da unstreitig sei, dass die Zahlungen zur Abwendung der Insolvenzanträge der Beklagten erfolgt seien, lägen nach der Rechtsprechung auch die weiteren Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO vor. Die Insolvenzanfechtung über einen Teilbetrag von 10.656,88 Euro sei aber nicht begründet. Der Zeuge C. habe dies nicht bestätigen können. Der Zeuge R. habe ausgesagt, der Betrag sei durch die S. GmbH gezahlt worden. Auch wenn gegen die Aussage des Zeugen R. im Allgemeinen Glaubhaftigkeitsbedenken bestünden, sei jedenfalls nicht bewiesen, dass die Zahlung aus dem Vermögen der Schuldnerin herrühre.

Gegen dieses Urteil richteten sich zunächst die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten. Beide Rechtsmittel verfolgten in dem Umfang, in dem die Parteien in erster Instanz erfolglos waren, das jeweilige Ziel ihrer erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Beklagte hat ihre Berufung mit Schriftsatz vom 28. Juni 2007 zurückgenommen. Über die Berufung des Klägers ist hier noch zu befinden.

Der Kläger verfolgt mit seinem Rechtsmittel die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von noch 10.656,88 Euro nebst Zinsen weiter. Er meint, die Klageabweisung bezüglich dieses Teilbetrages sei nicht gerechtfertigt, weil das Landgericht bei der Prüfung einer Insolvenzanfechtung nach § 131 InsO übersehen habe, dass bereits am 24. Januar 2003 und am 22. Mai 2003 Insolvenzanträge von der Beklagten gegen die Schuldnerin gestellt worden seien. Diese seien zwar nach der Zahlung des geforderten Betrages jeweils für erledigt erklärt worden; insoweit müsse aber § 139 Abs. 2 InsO angewendet werden. Im Übrigen sei die Anfechtung nach § 133 InsO gerechtfertigt. Die Zahlung auf Geheiß der Schuldnerin durch die S. GmbH sei dieser zuzurechnen.

Die Beklagte tritt der Berufung des Klägers entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Hinsichtlich der Feststellungen des Landgerichts verweist der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

II.

Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger kann aufgrund erfolgreicher Insolvenzanfechtung gemäß § 143 Abs. 1 InsO die Rückzahlung des weiteren Betrages von 10.656,88 Euro verlangen. Die Nebenforderung ist dann aus dem Gesichtspunkt des Verzuges mit der Zahlung nach Ablauf der vom Kläger gesetzten Zahlungsfrist gerechtfertigt.

Ein für erledigt erklärter oder zurückgenommener Insolvenzantrag, wie der Antrag der Beklagten vom 24. Januar 2003 und derjenige vom 13. Mai 2003, ermöglicht zwar keine Insolvenzanfechtung nach § 131 InsO (vgl. BGHZ 149, 178, 180; 157, 350, 354; BGH NJW 2006, 1348, 1349). Gerechtfertigt ist aber die Anfechtung nach § 133 InsO.

1. Leistet der Schuldner zur Abwendung eines angekündigten Insolvenzantrags, den der Gläubiger zur Durchsetzung seiner Forderung angedroht oder gestellt hat, so bewirkt dies eine inkongruente Deckung (vgl. BGHZ 157, 242, 245 ff.). Vereinbart ein Schuldner mit einer Zwischenperson, diese solle für ihn fällige Beiträge an einen Sozialversicherungsträger entrichten, so bewirkt die Mittelbarkeit dieser Zahlung in der Regel eine inkongruente Deckung (vgl. BGH ZIP 2003, 356, 358; NJW 2006, 1348, 1350). Inkongruent ist die vom Schuldner durch Anweisung einer Zwischenperson erwirkte mittelbare Zahlung an einen seiner Gläubiger, wenn jener Gläubiger keinen Anspruch auf diese Art der Erfüllung hatte (vgl. BGH NJW 2006, 1348, 1350). Das ist hier der Fall, weil die Beklagte nicht die Zahlung von 10.656,88 Euro durch die S. GmbH an sie verlangen konnte.

2. Voraussetzung für die Anfechtung der Zahlung an den Sozialversicherungsträger nach § 133 Abs. 1 InsOist weiterhin, dass der Schuldner die Rechtshandlung mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vorgenommen hat. Hierfür reicht es aus, dass der Schuldner sich die Benachteiligung nur als möglich vorgestellt, sie aber in Kauf genommen hat, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen (vgl. BGHZ 155, 75, 84; BGH NJW 2006, 1348, 1350 f.). Hat der Schuldner einem Gläubiger eine inkongruente Deckung gewährt, auf die der Begünstigte keinen Anspruch hat, so liegt darin bereits regelmäßig ein starkes Beweisanzeichen für einen Benachteiligungsvorsatz (vgl. BGHZ 123, 320, 326; 138, 291, 308; 157, 242, 251; BGH NJW 2006, 1349, 1351). Inkongruent ist die aufgrund eines Insolvenzantrages von dem Gläubiger erzielte Deckung stets. Der Insolvenzantrag dient im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung nach seinem gesetzlichen Zweck nicht dazu, dem einzelnen Gläubiger zur vollen Durchsetzung seiner Ansprüche zu verhelfen. Der antragstellende Gläubiger hat daher regelmäßig kein rechtlich geschütztes Interesse daran, mit dem Ziel der Antragsrücknahme erbrachte Zahlungen des Schuldners als Erfüllung anzunehmen (vgl. BGHZ 157, 242, 246 f.; BGH NJW 2006, 1349, 1350 f.). Dem Schuldner, der einem Gläubiger nach gestelltem Insolvenzantrag Teilzahlungen leistet und weitere Raten verspricht, kommt es nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten an, sondern er will diesen Gläubiger zur Rücknahme des Insolvenzantrages bewegen. Zu diesem Zweck bevorzugt er den antragstellenden Gläubiger und nimmt die Benachteiligung derzeit weniger gefährlicher Gläubiger in Kauf (vgl. BGH NJW 2006, 1349, 1350 f.). Das ist auch hier der Fall, weil die Schuldnerin - wiederholt - nur aufgrund der Druckanträge der Beklagten gezahlt oder Zahlungen durch Dritte an die Beklagte herbeigeführt hat. Das Beweisanzeichen der inkongruenten Deckung für den bedingten Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin ist auch nicht durch besondere Umstände entkräftet. Die Schuldnerin wusste, dass sie der Beklagten zur Abwendung ihres Insolvenzantrages eine bevorzugte Befriedigung der von ihr verwalteten Beitragsansprüche verschaffte. Die Schuldnerin konnte angesichts der latenten Finanzschwäche auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, über Teilzahlungen an einzelne Gläubiger hinaus in absehbarer Zeit alle Gläubiger befriedigen zu können, so dass ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz von daher ausgeschlossen wäre.

Die Kenntnis der Schuldnerin und der Beklagten von der Inkongruenz der Deckung bestand bereits deshalb, weil ihnen die Tatsachen bekannt waren, die den Rechtsbegriff der Inkongruenz ausfüllen. Weder die Gesellschafterin noch die S. GmbH als Beraterin der Schuldnerin haben ihre Forderungen gegenüber der Schuldnerin noch realisieren können. Nach der Aussage des Zeugen R. sind die Forderungen der S. GmbH nicht einmal mehr geltend gemacht worden. Das war aufgrund der personalen Beziehungen zwischen ihrem damaligen Geschäftsführer R. und der Geschäftsführerin der S. GmbH, welche die Schwiegertochter seiner Lebensgefährtin war, auch der Schuldnerin bekannt (§ 166 BGB).

Die Rechtsprechung geht im Übrigen in der Regel davon aus, dass der Schuldner die angefochtenen Rechtshandlungen mit Benachteiligungsvorsatz vorgenommen hat, wenn er zur Zeit ihrer Wirksamkeit (§ 140 InsO) zahlungsunfähig war (vgl. BGHZ 155, 75, 84; BGH NJW 2006, 1349, 1351). Der Schuldner ist nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Das ist auch der Fall, wenn ein Schuldner - wie hier - bei latenter Geldnot planlos weiter wirtschaftet (vgl. Rendels ZIP 2004, 1289 ff.). Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in diesem Sinne ist anzunehmen, weil schon zur Deckung der Ausgaben durch Sozialversicherungsbeiträge laufende Nachschusszahlungen der Gesellschafterin erforderlich wurden, ohne dass diese Gesellschafterdarlehen irgendwann im überschaubaren Zeitraum zurückgeführt wurden und die Beraterhonorare der S. GmbH bereits ab November 2002 offen bleiben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97, 516 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegt.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt bis zum 29. Juni 2007 16.280,01 Euro, danach 10.656,88 Euro.

Ende der Entscheidung

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