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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 28.05.2001
Aktenzeichen: 12 U 235/00
Rechtsgebiete: StVO, StGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVO § 5 Abs. 4 Satz 2
StGB § 316
BGB § 847
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 235/00

Verkündet am 28. Mai 2001

in dem Rechtsstreit

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Landgericht Lambert

auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz - Einzelrichterin - vom 27.12.1999 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes in Höhe von 15.000,-- DM nebst Zinsen aus einem Verkehrsunfall vom 31. August 1994 in Anspruch.

Am Unfalltag gegen 23.oo Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw Opel Kadett, amtliches Kennzeichen...-....., die K 65 von M.............. in Richtung Ortsteil D..... Beifahrer des Klägers war der später getötete H....... B...... Hinter dem Kläger befuhr der erheblich alkoholisierte Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw Opel Ascona, amtliches Kennzeichen ...-....., die K 65 in gleicher Richtung. Etwa 150 m hinter dem Ortsausgang M.............. setzte der Beklagte zu 1.) mit seinem Pkw zum Überholen an. Unter im Einzelnen streitigen Umständen kam es zu einer seitlichen Berührung der Fahrzeuge, in deren Verlauf beide Fahrzeuge von der Fahrbahn abkamen. Der Kläger erlitt hierbei schwere Verletzungen, der Beifahrer des Klägers wurde getötet. Der Beklagte zu 1.) wurde leicht verletzt.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der nunmehr seinen Anspruch auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes weiterverfolgt.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Eine schuldhafte Verursachung des Unfalls durch den Beklagten zu 1 ist auch nach erneuter Beweisaufnahme durch Anhörung der Sachverständigen B.... und W..... nicht bewiesen. Es steht nicht fest, dass der Beklagte beim Überholen den nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO erforderlichen Seitenabstand zum Klägerfahrzeug nicht eingehalten und die Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug verursacht und verschuldet hat.

Zwar steht nach dem Gutachten des Sachverständigen H........ fest, dass sich das Fahrzeug des Beklagten zu 1.) nach Einleitung des Überholvorgangs mit dem rechten Vorderrad ca. 0,12 m rechts von der Fahrbahnmitte auf der Fahrspur des Klägerfahrzeuges befunden haben muss. Dies allerdings komme, so der Sachverständige H........ in seinem Gutachten einschränkend (Bl. 136 GA), nur insoweit in Betracht, als die Skizze des Sachverständigen B.... (Bl. 98 BA) insbesondere hinsichtlich der mittleren Driftspur des Klägerfahrzeuges als zutreffend unterstellt werde. Es fehle nämlich sowohl in der Dokumentation der Polizei als auch in der des Sachverständigen B.... an einer lichtbildmäßigen Dokumentation der genannten Spur. Der Sachverständige B.... hat in seiner Anhörung glaubhaft bestätigt, dass die gefertigte Skizze den von ihm an der Unfallstelle erhobenen Befund zutreffend wiedergebe. D er Senat ist daher davon überzeugt, dass der Beklagte sich mit dem rechten Vorderrad seines Pkw zum Zeitpunkt des Beginns der Spurzeichnung rechts neben der Fahrbahn befunden haben muss.

Dies besagt aber noch nicht, dass die abkommensursächliche Kollision der Fahrzeuge am Beginn der Driftspur, also auf der Fahrbahn des Klägers erfolgt sein muss.

Hierzu haben die Sachverständigen H........ und B.... in ihren schriftlichen Gutachten sowie Letzterer und der Sachverständige W..... in den mündlichen Anhörungen ausgeführt, dass die Kollisionsstelle selbst nicht festzustellen sei.

Der Sachverständige B.... hat in seinem Gutachten in dem Ermittlungsverfahren 2104 Js 36245/94, StA Koblenz (Bl. 98 BA, hier Bl. 15), ausgeführt, dass mangels konkreter Anhaltspunkte zur Bestimmung der Kollisionspositionen sich objektiv nicht unterscheiden lasse, welches der beiden Fahrzeuge in die jeweilige Fahrspur des anderen eingedrungen sei. Ergänzend hat er in seiner Anhörung auf Befragung durch den Sachverständigen W..... ausgeführt, insbesondere im Hinblick auf die großflächigen Lackabplatzungen des reichlich mit Spachtelmasse versehenen Beklagtenfahrzeuges an der Unfallstelle intensiv nach auf die Kollisionsstelle hindeutenden Lacksplittern gesucht, derartige aber nicht gefunden zu haben. Zusätzlich hat er in seiner Anhörung darauf hingewiesen, dass die Kollision zwar nicht unbedingt zu einem Richtungswechsel der unfallbeteiligten Fahrzeuge habe führen müssen. Angesichts der Anstoßwucht sei aber in einer etwaigen Spurzeichnung ein Versatz (so genannte "Störstelle") zu erwarten. Auch eine derartige Störstelle sei aber in den Driftspuren von ihm an der Unfallstelle nicht festzustellen gewesen. Das Fehlen einer derartigen Störstelle deute aber darauf hin, dass der Kollisionsort gerade nicht am Beginn der Driftspur des Beklagtenfahrzeuges gelegen habe.

Auch der unfallaufnehmende Polizeibeamte J..... B..... hat in dem Strafverfahren gegen den Beklagten zu 1.) bekundet (Bl. 175 BA), er habe keine Zusammenstoßstelle feststellen können. Schließlich ist auch der Sachverständige H........ in seinem Gutachten (Bl. 143 GA) zu dem Ergebnis gelangt, dass es nicht mit entsprechender Zuverlässigkeit möglich sei, die tatsächliche Anstoßposition zwischen dem Klägerfahrzeug und dem Pkw des Beklagten, insbesondere bezogen auf die breitenmäßige Ausdehnung der Fahrbahn, exakt zu definieren.

Hieran hat der Sachverständige H........ auch in einem weiteren Ergänzungsgutachten vom 18.5.1999 (Bl. 201 ff) festgehalten, nachdem klägerseits eine weitere, bislang nicht bekannte Reifenspur von 0,9m Länge (Libi Bl. 185 GA, Nachtragsskizze Bl. 12 BA) in den Prozess eingeführt worden ist. Der Sachverständige B.... hat die Existenz der genannten Spur in seiner Anhörung bestätigt und im Termin zur mündlichen Verhandlung ein eigenes, am Tag nach dem Unfall gefertigtes Lichtbild von der genannten Spur zu den Akten gereicht (Bl. 330 GA). Sowohl der Sachverständige B.... als auch der Sachverständige W..... haben in ihren Anhörungen zwar herausgestellt, dass es sich hierbei um eine Pkw-Spur handele, sich jedoch nicht in der Lage gesehen, diese einem der unfallbeteiligten Fahrzeuge zuzuordnen. Demnach ist diese Spur für die Bestimmung des Kollisionsortes zur Überzeugung des Senates ohne Beweiswert.

Der Sachverständige W..... hat in seiner Anhörung zusätzlich ausgeführt, dass der Anprall des Beklagtenfahrzeuges gegen die Bordsteinkante nach Absolvierung einer Drehbewegung des Beklagtenfahrzeuges erfolgt sei. Auch die bis zum Anprall an die Bordsteinkante erreichte Querstellung des Beklagtenfahrzeuges spreche dagegen, dass die Kollision am Beginn der Driftspur erfolgt sei.

Demnach ist nicht festzustellen, dass die Kollision der Fahrzeuge tatsächlich am Beginn der rechts neben der Fahrbahnmitte befindlichen Driftspur des Beklagtenfahrzeuges erfolgt ist und dieses sich zum Kollisionszeitpunkt auf der Fahrspur des Klägerfahrzeuges befunden hat.

Der Senat verkennt nicht, dass der Sachverständige B.... in seiner gutachterlichen Äußerung vor der 14. Strafkammer des Landgerichts Koblenz geäußert hat, es sei eher wahrscheinlich, dass der Zusammenstoß in der Nähe des Beginns der Schleuderspur des Beklagtenfahrzeuges stattgefunden habe, da der Spurverlauf mit der üblichen Abwehrreaktion eines Fahrers bei einem Zusammenstoß, hier dem Lenken nach links von der Zusammenstoßstelle weg, in Einklang stehe (Bl. 228 BA unten). Dies vermag jedoch nicht die volle richterliche Überzeugung des Senates herbeizuführen. Der Sachverständige H........ hat in seinem Gutachten aufgezeigt, dass es auch in einem erheblichen räumlichen Abstand vor Beginn der Driftspur zu einer Kollision gekommen sein kann und sich dies mit den Spuren am Unfallort in Einklang bringen lässt.

Der Senat hat schließlich auch berücksichtigt, dass der Beklagte in seiner Einlassung vor der Strafkammer das Abkommen seines Fahrzeuges von der Fahrbahn wahrnehmungsmäßig als unmittelbare Folge der Kollision geschildert hat. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der erheblich alkoholisierte Beklagte zu 1.) den sich, insbesondere unter Berücksichtigung der hohen Fahrgeschwindigkeit, in Sekunden abspielenden Vorgang auch bei einer Kollision in größerer Entfernung von der Abkommensstelle als zeitlich einheitlichen Vorgang wahrgenommen haben kann. Ein verlässliches Indiz dafür, dass Spurzeichnung und Kollisionsstelle räumlich übereinstimmen, ergibt sich zur Überzeugung des Senates aus den Äußerungen des Beklagten nicht.

Hinsichtlich der Würdigung der Aussage des Zeugen H..... verweist der Senat zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts in der angegriffenen Entscheidung (Bl. 240 GA). Selbst wenn man unterstellt, dass der Beklagte zu 1 gegenüber dem Zeugen H..... entsprechend der Aussage des Zeugen (Bl. 22 BA) an der Unfallstelle geäußert hat, "zu spät herausgezogen" zu haben, so ist der sich hieraus ergebende Unfallhergang mit dem Beschädigungsbild der unfallbeteiligten Fahrzeuge nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B.... nicht in Einklang zu bringen. Bei einem dementsprechenden Unfallhergang müsste es nämlich zu einer Kollision der rechten Vorderseite des Beklagtenfahrzeuges mit der linken Heckseite des Klägerfahrzeuges gekommen sein. Die seitlichen Deformationen an den unfallbeteiligten Fahrzeugen wären aber, so der Sachverständige B...., kaum erklärbar.

Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf die Regeln des Anscheinsbeweises berufen. Dieser vermittelt dem Richter die Überzeugung, dass ein Geschehnis so verlaufen ist, wie es nach der Erfahrung für gleichartige Geschehnisse typisch ist. Deshalb kann bei typischen Abläufen nach der Erfahrung regelmäßig von einem bestimmten Ereignis auf eine bestimmte Folge geschlossen werden und umgekehrt, und zwar auf dem Gebiet des Ursachenzusammenhangs wie der Schuld (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage, E 157 a). Entkräftet wird der Anscheinsbeweis nicht durch bloße gedankliche Möglichkeiten, sondern nur durch bewiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich gemacht haben können (BGH NZV 90, 386 ff).

Ist hinsichtlich des durchgeführten Überholmanövers der Kollisionsort nicht festzustellen, und besteht nach den Ausführungen der Sachverständigen die konkrete Möglichkeit, dass die abkommensursächliche Kollision sich auch auf der vom Beklagtenfahrzeug benutzten Fahrbahn ereignet haben kann, so liegt kein typischer Geschehensablauf vor, aus dem auf die Nichteinhaltung des nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO erforderlichen Sicherheitsabstandes durch den Beklagten zu 1) beim Überholen geschlossen werden könnte. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die eigentliche Kollisionsstelle sicher rekonstruierbar wäre. Besteht aber nicht nur die gedankliche Möglichkeit, dass der Kläger mit dem von ihm geführten Pkw in die Fahrspur des Beklagten eingedrungen ist und hierdurch die Kollision verursacht hat, so ist die Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises hier ausgeschlossen.

Ebenso verhält es sich mit der unstreitig absoluten, alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Beklagten zu 1.) zum Unfallzeitpunkt. Zwar spricht der Anschein für die Ursächlichkeit der alkoholbedingten Fahrunsicherheit für den Unfall (Jagusch/Hentschel a.a.O., § 316 StGB, Rn. 69 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Voraussetzung ist allerdings, dass aus einem Unfallgeschehen auf einen konkreten Fahrfehler geschlossen werden kann. Dies ist jedoch hier nicht der Fall, da der genaue Unfallablauf nicht zu rekonstruieren ist. Hinzu kommt, dass auch der Kläger zum Unfallzeitpunkt alkoholisiert gewesen ist (Bl. 71 GA). Stehen jedoch beide Unfallbeteiligte unter Alkoholeinfluss und ist der Unfallhergang ungeklärt, so ist die Anwendung des Anscheinsbeweises ausgeschlossen (OLG Schleswig, NZV 91, 233).

Da ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1 nicht nachzuweisen ist, steht dem Kläger aus § 847 BGB kein Schmerzensgeldanspruch zu.

Die Berufung unterliegt daher mit Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO der Zurückweisung.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000 DM festgesetzt. Dem entspricht die Beschwer des Klägers.

Ende der Entscheidung

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