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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 29.05.2006
Aktenzeichen: 12 U 235/05
Rechtsgebiete: StVO, ZPO, BGB, StVG


Vorschriften:

StVO § 8 Abs. 1
StVO § 41
ZPO § 86
ZPO § 138 Abs. 1
ZPO § 239 Abs. 1
ZPO § 248 Abs. 1
ZPO § 529 Abs. 1
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BGB § 249
BGB § 253
BGB § 823
StVG § 7
StVG § 17
Wenn eine Vorfahrtstraße eine Kurve beschreibt, an deren Scheitelpunkt nahe beieinander untergeordnete Straßen einmünden, so gilt für die Benutzer der Nebenstraßen untereinander der Grundsatz "rechts vor links". Die nebeneinander liegenden Einmündungen bilden im Kreuzungsbereich mit der Vorfahrtstraße eine Einheit.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 235/05

Verkündet am 29.05.2006,

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schadensersatzanspruches aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 14. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche, die der Kläger aus abgetretenem Recht wegen der Schäden seiner Tochter J... P... aufgrund eines Unfallereignisses geltend macht, das sich am 31. Mai 2003 in M... ereignet hat. J... P... und der Beklagte wollten aus verschiedenen, jeweils untergeordneten Strassen auf eine abknickende Vorfahrtstrasse - B... Landstrasse/Kreisstrasse ... - einbiegen. J... P... kam aus Richtung G..., der Beklagte aus einer - in Fahrtrichtung der J... P... gesehen rechts davon gelegenen - Nebenstrasse, einem Teilstück der B... Landstrasse. Beide untergeordneten Nebenstrassen münden in der Außenkurve der abknickenden Vorfahrstrasse in diese ein, wobei an der Einmündung der Nebenstrassen jeweils das Verkehrszeichen "Vorfahrt achten" - Zeichen 205 zu § 41 StVO - angebracht ist. Zwischen diesen beiden Zufahrten mündet auch der G...weg in die vom Beklagten befahrene Nebenstrasse und zusammen mit dieser in fließendem Übergang in die bevorrechtigte Strasse. J... P... wollte als Einbiegerin in die Vorfahrtstrasse nach rechts in Richtung Bundesstrasse .. weiter fahren, der Beklagte als Linkseinbieger in Richtung Wissen.

Der Beklagte fuhr im Kreuzungsbereich mit seinem Pkw Ford Probe in die rechte Seite des Fahrzeugs Renault Twingo der J... P..., nachdem diese ihrerseits gerade auf die bevorrechtigte Strasse eingebogen war. J... P... wurde dadurch leicht verletzt, ihr Fahrzeug erheblich beschädigt.

Der Kläger hat, nachdem alle Ansprüche seiner Tochter an ihn abgetreten wurden, Schadensersatzklage erhoben und dazu vorgetragen, seine Tochter sei langsam in die Kreuzung eingefahren und habe sich schon auf der bevorrechtigten Strasse befunden, als der Beklagte mit überhöhter Geschwindigkeit ihr seitlich in das Fahrzeug gefahren sei. Dabei habe eine Vorfahrtverletzung durch den Beklagten vorgelegen. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.048,74 Euro nebst Zinsen sowie ein angemessenes Schmerzensgeld in der vorgestellten Höhe von 1.500 Euro zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, die Tochter des Klägers sei ohne abzubremsen in die Kreuzung eingefahren und habe ihn übersehen.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer vom 14. Januar 2005 abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass dann, wenn verschiedene untergeordnete Strassen nebeneinander in eine bevorrechtigte Strasse einmünden, für das Verhältnis der Nebenstrassen untereinander die Regel "rechts vor links" gelte. Daran ändere die Tatsache, dass eine weitere Zufahrt dazwischen liege, nichts. Ferner komme es nicht darauf an, dass sich J... P... mit ihrem Fahrzeug zur Zeit der Kollision bereits auf der Vorfahrtsrasse befunden habe; denn die Regel "rechts vor links" für die Benutzer der Nebenstrassen erstrecke sich auf den gesamten Kreuzungsbereich. Deshalb treffe die Tochter des Klägers ein Verschulden, hinter das die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zurücktrete.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, der mit dem Rechtsmittel das Ziel seiner Klage in vollem Umfang weiter verfolgt. Er tritt der Rechtsansicht des Landgerichts entgegen und stellt seine Behauptung, der Beklagte habe sich zu der Zeit, als seine Tochter auf die Vorfahrtstrasse eingebogen sei, noch in größerer Entfernung befunden, mit deren Zeugnis unter Beweis und beantragt die Einholung eines Sachverständigengutachtens (Bl. 79 GA). Er meint, jedenfalls müsse eine Mithaftung des Beklagten angenommen werden.

Der Beklagte ist nach dem erstinstanzlichen Urteil am 27. April 2005 verstorben. Er tritt durch seinen Bevollmächtigten der Berufung des Klägers entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Wegen der Feststellungen des Landgerichts nimmt der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug.

II.

Das Berufungsverfahren ist nicht gemäß § 239 Abs. 1 ZPO unterbrochen, weil der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten weiter vertreten wird (§ 246 Abs. 1 ZPO); die Prozessvollmacht gilt gemäß § 86 ZPO über den Tod hinaus (vgl. BGH VersR 1993, 1375 f.). Ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 248 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor.

III.

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen; denn sie ist nicht gerechtfertigt, weil dem Kläger kein Anspruch aus abgetretenem Recht gemäß §§ 823, 249, 253 BGB, §§ 7, 17 StVG gegen den Beklagten zusteht. Ein Grund zur Beanstandung des angefochtenen Urteils nach § 529 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor.

1. Das Landgericht hat angenommen, dass die Tochter des Klägers und nicht der Beklagte eine Vorfahrtverletzung begangen hat. Dieser Ansatz ist richtig. Wenn eine Vorfahrtstraße eine scharfe Kurve beschreibt, an deren Scheitelpunkt nahe beieinander untergeordnete Straßen einmünden, so gilt für die Benutzer der Nebenstraßen untereinander nach § 8 Abs. 1 StVO der Grundsatz "rechts vor links". Die beiden nebeneinander liegenden Einmündungen bilden im Kreuzungsbereich mit der Vorfahrtstraße eine Einheit. Das ist ständige Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 1974, 949; HansOLG Bremen DAR 1965, 179; OLG Köln VersR 1992, 249, 250; OLG Stuttgart NZV 1994, 440, 441; s.a. Zieres in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Kap. 27 Rn. 255), der auch der erkennende Senat folgt. Die Gegenargumentation der Berufung, die vorliegende Fallkonstellation sei anders zu bewerten, weil eine weitere Nebenstrasse zwischen den von seiner Tochter und dem Beklagten befahrenen Nebenstrassen in die Vorfahrtstrasse einmündet, geht fehl. Auch diese Konstellation ändert nichts am Grundsatz, dass für mehrere untergeordnete Strassen, die nebeneinander in eine bevorrechtigte Strasse einmünden, untereinander jeweils die Regel "rechts vor links" gilt. Eine Unterbrechung des rechtlichen Zusammenhangs liegt nicht vor, weil die Einmündungen der Nebenstrassen in die Vorfahrtstrasse hier unmittelbar aneinander angrenzen. In dieser Konstellation ist die Zahl der einmündenden Nebenstrassen von nachrangiger Bedeutung. Entscheidend ist, dass ein einheitlicher Kreuzungsbereich vorliegt. Das ist den Lichtbildern (Bl. 65 - 68 BA) hinreichend deutlich zu entnehmen, so dass weitere Beweiserhebungen entbehrlich sind. Das Gebot der Beachtung der Vorfahrt nach der Regel "rechts vor links" galt deshalb für die Tochter des Klägers. Sie hat es missachtet. Das geht daraus hervor, dass die Kollision im Kreuzungsbereich stattgefunden hat. Deshalb ist es ohne Belang, dass der Beklagte in die rechte Seite des Fahrzeugs der Tochter der Klägerin gefahren ist. Daraus ergibt sich, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, von Rechts wegen noch kein Vorrang zugunsten der Tochter des Klägers gegenüber dem Beklagten; denn die Vorfahrtregel "rechts vor links" gilt für den gesamten Kreuzungsbereich, damit ein Wettlauf der Einbieger aus den Nebenstrassen um die Vorfahrt verhindert wird.

Die Vorfahrtverletzung begründet einen Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Tochter des Klägers. Den Gegenbeweis hat sie in erster Instanz nicht angetreten. Soweit in der Berufungsbegründung der ohne Beweisantritt schon in erster Instanz gehaltene Vortrag (Bl. 33 GA) nunmehr unter Beweis gestellt wird (Bl. 79 GA), dass der Beklagte mit seinem Fahrzeug zur Zeit des Einbiegens der Tochter des Klägers noch nicht sichtbar gewesen sei, er sich vielmehr aus größerer Entfernung mit überhöhter Geschwindigkeit genähert habe und in die Seite ihres Fahrzeugs gefahren sei, ist das neue Beweisangebot nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen. Seine Anbringung erst in zweiter Instanz beruht mit Blick auf den erstinstanzlichen Sach- und Streitstand auf Nachlässigkeit. Dies wird besonders deutlich, weil sich aus der Bußgeldakte ergibt, dass die Tochter des Klägers am Unfallort eingeräumt hatte, sie habe den Beklagten an der Haltelinie stehen gesehen, aber beim Einfahren auf die Vorfahrtstrasse nicht mehr auf ihn geachtet (Bl. 5 BA). Dieses mit der Sachverhaltsschilderung des Beklagten am Unfallort übereinstimmende "Schuldanerkenntnis" hat der Kläger nachträglich gegenüber der Polizei dementiert und das Dementi mit einem "Schock" seiner Tochter zu erklären versucht. Für die unfallaufnehmenden Polizeibeamten waren aber Anzeichen eines Schocks nicht ersichtlich. Sie sind auch sonst nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist auch auf die prozessuale Wahrheitspflicht des Klägers gemäß § 138 Abs. 1 ZPO und auf seine sekundäre Darlegungslast zu verweisen. Beidem wird sein Vortrag nicht gerecht. Dass das mündlich erklärte Schuldanerkenntnis der Tochter des Klägers am Unfallort unzutreffend gewesen sei, weil sie unter "Schock" gestanden hatte, trifft auch nicht zu. Sie "telefonierte" nach der Kollision noch im Auto sitzend (Bl. 32 BA).

2. Aus dem Auftreffen des Fahrzeugs des Beklagten auf die Seite des Fahrzeugs der Tochter des Klägers ist nach allem auch nicht auf ein Mitverschulden des Beklagten zu schließen. Insoweit ist der Kläger jedenfalls beweisfällig geblieben.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor. Divergierende Rechtsprechung ist nicht ersichtlich. Insbesondere das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. März 1971 - VI ZR 137/69 - (BGHZ 56, 1, 5 ff.) steht der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen, weil es das im gesamten Kreuzungsbereich geltende Vorfahrtsrecht desjenigen Verkehrsteilnehmers betrifft, der von einer abknickenden bevorrechtigten Strasse kommend durch Geradeausfahrt in eine untergeordnete Strasse einbiegt. Das trifft auf die Tochter des Klägers nicht zu, die erst im Kreuzungsbereich in die Vorfahrstrasse eingebogen ist und sich zur Zeit der Kollision noch im Kreuzungsbereich befand.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.548,74 Euro festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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