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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: 12 U 314/05
Rechtsgebiete: BGB, LStrG, ZPO, StVO, PflVG


Vorschriften:

BGB § 839 Abs. 1 Satz 1
BGB § 839 Abs. 1 Satz 2
LStrG § 48
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
StVO § 44 Abs. 1
StVO § 45 Abs. 3 Satz 1
StVO § 45 Abs. 4
PflVG § 3 Nr. 1
Die Erkennbarkeit eines Verkehrsschildes gehört zu der Unterhaltungspflicht, bei deren Verletzung durch die Straßenbaubehörden ein Amtshaftungsanspruch in Frage kommt. Der Direktanspruch des Unfallgegners gegen die Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung ist demgegenüber eine anderweitige Ersatzmöglichkeit. Das Verweisungsprivileg wird zwar in bestimmten Fällen der inhaltlichen Übereinstimmung einer öffentlich-rechtlich ausgestatteten und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für nicht anwendbar erklärt. Das betrifft jedoch nicht Mängel bei Maßnahmen zur Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 314/05

Verkündet am 24.04.2006,

in dem Rechtsstreit

wegen eines Rückgriffsanspruchs aufgrund der Verletzung einer Amtspflicht.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 28. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Rückgriffsansprüche der Klägerin als Haftpflichtversicherer des Fahrzeughalters und -führers K... K... wegen der Schadensersatzansprüche der beiden Beteiligten an einem Verkehrsunfall, der sich am 11. August 2000 gegen 22.15 Uhr im Stadtgebiet der Beklagten zugetragen hat. Der nach dem Unfall unabhängig hiervon am 2. Dezember 2002 verstorbene K... K... war zur Unfallzeit 72 Jahre alt. Er fuhr mit seinem Pkw Daimler-Benz 140 den Z...weg und wollte nach links in die S...straße einbiegen. Etwa zehn Meter vor der Einmündung des Z...weges in die S...straße befand sich am rechten Fahrbahnrand ein STOP-Schild (Zeichen 206 zu § 41 StVO). Die Parteien streiten darum, ob es zur Unfallzeit sichtbar oder durch einen davor hängenden Ast eines am Straßenrand stehenden Baumes und Bewuchs einer Hecke verdeckt war. Im Einmündungsbereich befand sich aber auch noch eine Haltelinie (Zeichen 294 zu § 41 StVO). K... K... sah beim Einbiegen nach rechts und übersah den von links kommenden Pkw Daimler-Benz 124 des G... J..., der sich dem Einmündungsbereich näherte. Es kam im Kreuzungsbereich zur Kollision, die dazu führte, dass beide unfallbeteiligten Fahrzeuge erheblich beschädigt wurden. Die Klägerin erstattete dem Unfallgegner den Haftpflichtschaden und ihrem Versicherungsnehmer den Kaskoschaden. Den Ersatz beider Beträge begehrt sie von der Beklagten im Rückgriff aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung wegen der fehlenden Sichtbarkeit des STOP-Schildes. Sie hat geltend gemacht, das Schild sei zur Unfallzeit durch Bewuchs verdeckt gewesen und die Beklagte habe erst nachträglich darauf reagiert, indem sie durch Beschneiden des Bewuchses die Sichtbarkeit des Schildes hergestellt habe. K... K... habe die Strecke zuvor selten befahren und am Unfalltag auf die Vorfahrtregel rechts-vor-links vertraut. Deshalb habe er den von links kommenden G... J... übersehen. Dafür sei die Beklagte aufgrund einer Amtspflichtverletzung verantwortlich. Diese hafte gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG und § 48 LStrG für den Zustand und die Sichtbarkeit der innerörtlichen Verkehrsschilder. Das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB spiele keine Rolle. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 13.120,89 Euro nebst Zinsen zu verurteilen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bestritten und dazu vorgetragen, dass die Arbeiter ihres Fuhrparkes mit dem Hecken- und Baumrückschnitt beauftragt gewesen seien. Dass diese angeblich ihre Aufgabe an der Unfallstelle nicht ausreichend erfüllt hätten, habe sie erst aufgrund eines Schreibens der Klägerin vom 15. März 2001 erfahren. Von einer sofortigen Beseitigung des Bewuchses unmittelbar nach dem Unfall könne keine Rede sein.

Das Landgericht hat - wiederholt - Zeugen vernommen und sodann Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer vom 28. Januar 2005 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, es sei nicht bewiesen, dass das Verkehrsschild durch Bewuchs verdeckt gewesen sei. Zwar hätten die Zeuginnen K... und S... sowie der Zeuge N... sich in diesem Sinne geäußert. Andererseits habe die Zeugin G... als damals unfallaufnehmende Polizeibeamtin angegeben, sie habe keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen. Sie erinnere sich zwar nicht konkret, hätte aber andererseits entsprechende Notizen in der Bußgeldakte gemacht, wenn ein Hindernis für die Sichtbarkeit des Verkehrszeichens vorhanden gewesen wäre.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die namentlich die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet. Weil ihr Versicherungsnehmer das STOP-Schild nicht gesehen hätte, habe er - an der Haltelinie anhaltend - auf eine eigene Bevorrechtigung vertraut. Die Klägerin betont zudem in ihrer Replik zur Berufungserwiderung, dass die Rechtsprechung das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zunehmend einenge, so dass es hier auch für den Haftpflichtschaden nicht zum Tragen komme.

Die Beklagte tritt der Berufung entgegen. Sie weist auf das Verweisungsprivileg hin, dass dem Rückgriffsanspruch hinsichtlich des Haftpflichtschadens entgegenstehe. Auch ein Rückgriffsanspruch hinsichtlich des Kaskoschadens sei nicht anzunehmen. Dafür komme es nicht auf die Beweisfrage an, ob das STOP-Schild durch Bewuchs verdeckt gewesen sei oder nicht. Denn der Versicherungsnehmer der Klägerin habe die Strecke gekannt. Er habe die Haltelinie an der Straßeneinmündung gesehen und sei daher gewarnt gewesen. Ferner habe er als Linksabbieger den herannahenden Pkw des G... J... übersehen. Nach allem hätte sich eine Verdeckung des STOP-Schildes durch Bewuchs jedenfalls nicht ausgewirkt. Im Übrigen sei die Beweiswürdigung des Landgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden. Auffällig sei, dass der Versicherungsnehmer der Klägerin im gesamten Bußgeldverfahren nicht darauf berufen habe, dass das Verkehrsschild verdeckt gewesen sei. Die Angaben der von der Klägerin benannten Zeugen seien Glaubwürdigkeitsbedenken ausgesetzt, soweit eine sofortige Beseitigung des Bewuchses vor dem Verkehrszeichen nach dem Unfall behauptet worden sei; denn der Unfall habe sich vor einem Wochenende zugetragen und sie habe erstmals durch das Schreiben der Klägerin vom 15. März 2001 von dem Unfall erfahren.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verweisen. Wegen der Feststellungen des Landgerichts nimmt der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Bezüglich des Haftpflichtschadens besteht schon aus Rechtsgründen kein Rückgriffsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte. Über die Anbringung von Verkehrszeichen entscheiden gemäß §§ 44 Abs. 1 , 45 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 StVO die Straßenverkehrsbehörden; Sache der Straßenbaubehörden ist es dagegen, diese Verkehrszeichen zu beschaffen, aufzustellen und zu unterhalten (§ 45 Abs. 3 Satz 2 StVO). Die Erkennbarkeit eines Verkehrsschildes gehört zu der Unterhaltungspflicht, bei deren Verletzung ein Amtshaftungsanspruch in Frage kommt. Der Direktanspruch des Unfallgegners gegen die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gemäß § 3 Nr. 1 PflVG ist jedoch eine anderweitige Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. BGH NJW 1997, 2109, 2110).

Ein Fall der Einschränkung des Verweisungsprivilegs für den Fall der Teilnahme eines Hoheitsträgers am allgemeinen Straßenverkehr ohne Inanspruchnahme von Sonderrechten (BGHZ 68, 217, 218 ff.; 85, 225, 228; 113, 164, 167; 123, 102, 104) liegt nicht vor. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung in Einzelfällen allerdings auch wegen der inhaltlichen Übereinstimmung einer öffentlich-rechtlich ausgestalteten und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht sowie wegen des engen Zusammenhangs zwischen dieser Pflicht und den Pflichten im allgemeinen Straßenverkehr § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB bei Verletzung einer als hoheitliche Aufgabe wahrzunehmenden Verkehrssicherungspflicht für nicht anwendbar erklärt (BGHZ 91, 48, 52). Das betrifft etwa die Pflicht zur Straßenreinigung oder Räum- und Streupflichten (BGHZ 118, 368, 371). Eine Gleichartigkeit der öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht mit einer privatrechtlichen Pflicht, etwa bei der Delegation der Aufgabe der Verkehrssicherung durch die öffentlich-rechtliche Körperschaft auf einen Privaten, liegt aber nicht bei Maßnahmen zur Verkehrsregelung durch Verkehrzeichen vor. Die Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen ist eine spezifisch hoheitliche Aufgabe. Verkehrszeichen sind Verwaltungsakte (vgl. Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, Rn. 1091). Die Anbringung und Unterhaltung der Verkehrszeichen sind öffentlich-rechtliche Aufgaben, denen keine funktional vergleichbare Aufgabe eines Privaten gegenübersteht. Deshalb gilt das Verweisungsprivileg gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB insoweit für die Unfallbeteiligten im vorliegenden Fall fort. Das schließt es zugleich den Rückgriffsanspruch der Klägerin hinsichtlich des Haftpflichtschadens aus.

2. Auch im Übrigen hat die mit der Berufung weiter verfolgte Klage keinen Erfolg. Der Unfall beruht jedenfalls nicht darauf, dass das STOP-Zeichen gegebenenfalls durch Bewuchs ganz oder teilweise verdeckt war. Der Versicherungsnehmer der Klägerin kannte die Strecke und sah die Haltelinie; nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin hielt er dort an, weil er der Haltelinie eine Bedeutung beimaß. Dass er bei dieser Sachlage auf eine Bevorrechtigung vor dem von links kommenden Verkehrsteilnehmer vertraute, liegt von vornherein fern. Dagegen spricht aber auch, dass er aus einer Nebenstraße in die breitere, geradlinig verlaufende und schneller befahrene Vorfahrtstraße einbiegen wollte. Den von links kommenden Verkehrsteilnehmer - mit dessen beleuchtetem Fahrzeug bei bestehender Dunkelheit - hat der Versicherungsnehmer der Klägerin übersehen, obwohl er selbst nach links abbiegen wollte. Der von links kommende Verkehrsteilnehmer hatte sich dann auch bereits stark angenähert (vgl. die Kollisionsposition Bl. 5 BA) und war erkennbar gefahren ohne Anhalteabsichten zu zeigen, so dass selbst im Fall einer Bevorrechtigung des Versicherungsnehmers der Klägerin diesem ein überwiegendes Verschulden anzulasten wäre, das ein Verschulden des anderen Verkehrsteilnehmers verdrängt. Das Nichterkennen der tatsächlich anders lautenden Vorfahrtregelung durch das STOP-Zeichen hat sich insoweit gegebenenfalls nicht ausgewirkt. Deshalb kommt es auf die vom Landgericht aufgeworfene Beweisfrage nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 13.120,89 Euro.



Ende der Entscheidung

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