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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 26.06.2006
Aktenzeichen: 12 U 545/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 287
ZPO § 404 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Die Ersatzpflicht des für einen Gesundheitsschaden einstandspflichtigen Schädigers erstreckt sich auch auf psychisch bedingte Folgewirkungen des von ihm herbeigeführten haftungsbegründenden Ereignisses. Dies gilt auch für eine psychische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens, vorausgesetzt es besteht eine hinreichende Gewissheit dafür, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre. Diese Frage muss durch Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise geprüft werden, woran bei Vorhandensein psychischer Beeinträchtigungen vor dem Unfall wie einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung und diejenigen einer posttraumatischen Belastungsstörung können zum Teil verwechselt werden. Auch gerichtliche Gutachten von Sachverständigen unterliegen der freien Beweiswürdigung.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 545/05

Verkündet am 26.06.2006,

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schadensersatzanspruches aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 21. März 2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten zu 1) und zu 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juli 2000 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. 1. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz verteilen sich wie folgt:

a) Von den Gerichtskosten tragen der Kläger 85 %, die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 15 %.

b) Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen dieser selbst 85 %, die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner 15 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt der Kläger. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3) trägt der Kläger 85 %, zu 15 % tragen die Beklagten zu 1) und 3) ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers auf Schadensersatz aufgrund eines Unfallereignisses, das sich am 15. März 2000 in A... ereignet hat. Der damals knapp neuneinhalbjährige Kläger wurde beim Überqueren der Landstrasse ... als Fußgänger von dem Beklagten zu 1) mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 2), das bei der Beklagten zu 3) gegen Haftpflicht versichert ist, angefahren. Er erlitt eine Schambeinastfraktur, eine Kopfprellung und Prellungen am linken Ober- und Unterschenkel. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch darum, ob der schon vor dem Unfall lernbehinderte Kläger durch den Unfall auch eine weiter gehende Störung erlitten hat und deshalb unbeschadet vorher vorhandener Lernbehinderungen auf die Sonderschule wechseln musste.

Der Kläger hat, soweit dies für die Berufungsinstanz noch von Bedeutung ist, vorgetragen, er habe nach dem Unfall an Schlafstörungen, Alpträumen, Konzentrationsstörungen gelitten und sein Lernverhalten nachhaltig verschlechtert. Er sei demotiviert und zurückgezogen gewesen. Er habe eine psychiatrische Behandlung in Anspruch nehmen müssen und dies könne auch künftig erforderlich werden. Der Kläger hat beantragt, die Beklagten zu 1) und zu 3) zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein weiteres Schmerzensgeld über vorgerichtlich von der Drittbeklagten gezahlte 2.500 DM hinaus von mindestens 11.000 DM (5.624,21 Euro) nebst Zinsen zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und zu 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm allen weiteren immateriellen Schaden, die Beklagten zu 1) bis 3) auch allen künftigen materiellen Schaden aus dem Unfallereignis zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben die Ursächlichkeit des Unfalls für die behaupteten psychischen Beeinträchtigungen bestritten und ausgeführt, die Lernschwierigkeiten seien auf vorher vorhandene Anlagemängel zurückzuführen. Der Schulwechsel des Klägers auf die Sonderschule sei nicht durch den Unfall bedingt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. B...-G..., die ihr Gutachten auch mündlich erläutert hat. Auch der von der Sachverständigen mitgebrachte Dr. P... wurde - ohne vorherige Bestellung zum Sachverständigen und ohne Einbeziehung in den Beweisbeschluss des Gerichts - in der mündlichen Verhandlung gleichfalls als Sachverständiger angehört. Auf dieser Grundlage hat das Landgericht durch Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer vom 21. März 2005 der Klage im Wesentlichen stattgegeben, wobei es nur ein Mitverschulden des Klägers von 25 % angenommen hat. Es hat die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 5.000 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Ersatzpflicht aller Beklagten als Gesamtschuldner für den weiteren materiellen Schaden des Klägers zu 75 % sowie die Ersatzpflicht der Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner für weitere immaterielle Schäden des Klägers unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 25 Prozent festgestellt.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Sie nehmen die Verurteilung zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 2.000 Euro nebst Zinsen hin, akzeptieren auch die angenommene Haftungsquote, bekämpfen aber den Urteilsausspruch im Übrigen, also hinsichtlich eines weiteren Schmerzensgeldes von 3.000 Euro nebst Zinsen und der beiden Feststellungsaussprüche. Unter Rückgriff auf die Ausführungen in einem Privatgutachten des Sachverständigen Dr. S... (Bl. 214 ff. GA) bemängeln sie die Annahme der Verursachung einer posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers durch den Unfall mit der Folge weiterer Lernbeeinträchtigungen. Sie verneinen danach auch das Vorliegen von Anhaltspunkten für künftige weitere materielle oder immaterielle Schäden des Klägers.

Der Kläger tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, Wegen der Feststellungen des Landgerichts verweist der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil.

II.

Auf die Berufung der Beklagten ist das angefochtene Urteil im Umfang der Anfechtung abzuändern und insoweit die Klage abzuweisen. Die - inhaltlich beschränkte - Berufung ist begründet.

1. Eine physische Verletzung des Klägers durch den Unfall mit der Folge einer Verschlechterung der ohnehin vorhandenen Beeinträchtigung der Lern- und Konzentrationsfähigkeit sowie mit weiteren Folgen für den schulischen Werdegang liegt nicht vor. Eine Schädelprellung, wie sie der Kläger bei dem Unfall erlitten hat, führte nicht zu einer hirnorganischen Verletzung. Eine strukturelle Hirnschädigung liegt nicht vor. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn zuerst der privat beauftragte Sachverständige Dr. S... eine organisch bedingte Hirnfunktionsstörung kategorisch ausgeschlossen hat. Die gerichtliche Sachverständige hat - obwohl ihre Literaturzitate in diese Richtung deuteten - schließlich gleichfalls keine hirnorganische Beeinträchtigung des Klägers angenommen; das wurde von ihr in der mündlichen Verhandlung klargestellt (Bl. 237 GA). Den gleichwohl im schriftlichen Gutachten noch hervorgehobenen Literaturangaben dafür, dass ein Schädel-Hirn-Trauma zu Konzentrationsstörungen, Minderungen der Leistungsfähigkeit oder Persönlichkeitsstörungen führen könne, ist darüber hinaus nicht zu entnehmen, dass unabhängig vom Schweregrad des Traumas stets eine solche Störung eintreten muss. Anzeichen dafür, dass eine solche Störung im konkreten Fall allein aufgrund der vom Kläger erlittenen Schädelprellung tatsächlich eingetreten ist, hat auch die gerichtliche Sachverständige Dr. B...-G... nicht angeführt.

2. Als unfallbedingte Ursache der Beeinträchtigungen des Klägers kommt demnach alleine eine posttraumatische Belastungsstörung des Klägers in Betracht, die aber im konkreten Fall weder nachgewiesen noch nachweislich für den Schulwechsel des Klägers kausal geworden ist.

a) Nach der Rechtsprechung erstreckt sich die Ersatzpflicht des für einen Körper- oder Gesundheitsschaden einstandspflichtigen Schädigers rechtlich auch auf psychisch bedingte Folgewirkungen des von ihm herbeigeführten haftungsbegründenden Ereignisses (vgl. BGHZ 132, 341, 343 ff.; BGH NJW 2004, 1945, 1946). Dies gilt zugleich für eine psychische Fehlverarbeitung als Folgewirkung des Unfallgeschehens, vorausgesetzt es besteht eine hinreichende Gewissheit dafür, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre (vgl. BGHZ 132, 341, 343 ff.; 137, 142, 145; BGH NJW 2004, 1945, 1946; OLG Hamm NZV 2003, 331, 332 f.). An dieser Gewissheit fehlt es hier.

Beim Kläger fielen schon lange vor dem Unfall motorische Störungen, Wahrnehmungsstörungen, Aggressivität, Koordinationsstörungen und Minderungen der Konzentrationsfähigkeit auf. Nach dem Unfall traten diese Beeinträchtigungen deutlicher hervor. Das allein besagt jedenfalls dann, wenn auch andere unfallunabhängige Ursachen für die Intensivierung des Störungsbildes in Betracht kommen, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 287 ZPO, dass die Verschlechterung der genannten Befunde ursächlich auf den Unfall zurückzuführen ist. Die abweichende Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B...-G..., die sich zunächst allein auf die Chronologie der Befundbeschreibungen gestützt hat, ist im Gerichtsverfahren schon deshalb nicht tragfähig, weil es an einer hinreichenden Hypothesenbildung für die alternative Annahme eines unfallunabhängigen Befundes fehlt (vgl. mit zum Teil übergreifender Bedeutung zur Methodik der forensischen Begutachtung BGHSt 45, 164, 167 ff.). Deshalb ist im schriftlichen Gutachten das Vorliegen hinreichender Symptome für die Bejahung einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht erörtert und bei der mündlichen Erläuterung eher pauschal behauptet worden, ohne eine Abgrenzung zu anderen Ursachenalternativen vorzunehmen. Dabei wurde ein "emotionaler und sozialer Rückzug" als Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung gewertet (Bl. 239 GA), ohne dass der Ursachenzusammenhang der Befundwahrnehmungen mit dem Unfall belegt wäre. Die Heranziehung dieser behaupteten Befundtatsache aufgrund der Beschreibung der Eltern steht zudem in Widerspruch dazu, dass die Situationsbeschreibungen der Eltern des Klägers gerade in einem markanten Kontrast zu den Darstellungen des Klägers und seiner Lehrer standen (Bl. 181 GA). Nachdem diese Differenz von der Sachverständigen selbst im schriftlichen Gutachten noch hervorgehoben wurde, durfte nicht ohne weiteres in der mündlichen Gutachtenerläuterung von der Validität solcher Befundtatsachen, die sich aus der Schilderung der Eltern ergeben könnten, ausgegangen werden. Der Senat ist der Überzeugung, dass auf Seiten der Eltern eine unbewusste Zuschreibung ihrer wirklichen oder vermeintlichen Wahrnehmungen zu dem Unfallgeschehen aufgrund der Chronologie der Ereignisse erfolgt ist. Die von der Elterndarstellung abweichenden Angaben des Klägers, der auch nach dem Unfall betont hat, die Schule mache ihm Spaß (Bl. 175 GA), kommt der Realität näher als der Eindruck der Eltern, der mit einem Vorgang der Verantwortungszuschreibung vermischt ist.

Der privat beauftragte Sachverständige Dr. S... hat hingegen eine für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zureichende Symptomatik nachdrücklich verneint. Er hat nachvollziehbar ausgeführt, das Unfallereignis sei nach seiner Intensität und Ausprägung nicht dazu geeignet gewesen, eine bleibende psychische Traumatisierung auszulösen. Psychische Auffälligkeiten in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall seien nicht festzustellen gewesen. Das wird dadurch belegt, dass dem am Unfalltag um 08.10 Uhr, also schon rund 40 Minuten nach dem Unfall untersuchenden Krankenhausarzt Dr. B... keine Anzeichen aufgefallen sind, die auf eine traumatische Belastungsreaktion hindeuten könnten. Sie fanden den kindlichen Patienten vielmehr zu Zeit, Ort und Person voll orientiert (Bl. 9 GA) vor und haben die Frage nach weiteren Auffälligkeiten ausdrücklich verneint (Bl. 10 GA). Daraus wird es verständlich, dass der privat beauftragte Sachverständige Dr. S... das Vorliegen von Brückensymptomen verneint hat. Deshalb fehlen Symptome aus dem Bereich der beiden Kriterien der Kategorie A zum Diagnoseschlüssel F 43.1 der ICD (vgl. Bl. 243 GA), die kumulativ vorliegen müssen. Die gerichtliche Sachverständige Dr. B...-G... hat diesen Einwand des privat beauftragten Sachverständigen Dr. S... auch bei ihrer mündlichen Anhörung nicht ausgeräumt. Die gleichsinnige Meinungsäußerung des Arztes Dr. P..., der als Sachverständiger vernommen wurde, obwohl er nicht vom Gericht zum Sachverständigen bestellt worden war, kann nicht ohne weiteres beachtet werden. Warum er vom Gericht als Sachverständiger hinzugezogen wurde, nachdem ihn die gerichtlich bestellte Sachverständige offenbar aus eigenem Antrieb zur mündlichen Verhandlung mitgebracht hatte, erschließt sich aus den Akten nicht. Nach § 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO obliegt die Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen und die Bestimmung der Zahl von Sachverständigen allein dem Gericht; ein gerichtlich bestellter Sachverständiger kann danach nicht nach seinem Gutdünken weitere sachkundige Personen in den Prozess einbeziehen; zumindest wäre eine erkennbare nachträgliche Gerichtsentscheidung nach Anhörung der Parteien (Art. 103 Abs. 1 GG) erforderlich gewesen. Ein solches Verfahren ist hier bei Schweigen des Protokolls der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt (§ 165 Satz 1 ZPO). Allerdings haben die Beklagten diese Vorgehensweise nicht gerügt, so dass hiernach kein Beanstandungsgrund mehr verbleibt (vgl. OLG Frankfurt ZfSch 2002, 133 f.). Aber auch in der Sache trägt die Äußerung des Dr. P... nicht zu einer weiter gehenden Klärung des Falles im Sinne des Klägers bei.

Die Unfallbedingtheit der späteren Persönlichkeitsbeeinträchtigungen und Leistungseinbußen des Klägers ist auch deshalb zu verneinen, weil andere unfallunabhängige Ursachen ebenfalls in Betracht kommen, nicht ausgeschlossen werden können und letztlich näher liegen als eine posttraumatische Belastungsstörung. Eine unmittelbare Intelligenzminderung durch den Unfall ohne hirnorganische Beeinträchtigung ist auszuschließen. Die Testergebnisse der Untersuchung des Klägers durch die gerichtliche Sachverständige haben ergeben, dass er nur über niedrige bis - insbesondere im Bereich der verbalen Intelligenz - sehr niedrige Intelligenz verfügt. Das war auch schon vor dem Unfall der Fall, was sich insbesondere in der schon frühzeitig erkannten Sprechstörung ausgedrückt hat. Der vor diesem Hintergrund erwartbare Notenabfall wegen gesteigerter Leistungsanforderungen in der vierten Klasse der Grundschule hat - unfallunabhängig - zu einer Enttäuschung des Klägers geführt, die seine auffälligen Reaktionen erklärt. Das geht aus den von der gerichtlichen Sachverständigen erhobenen Befunden hervor (vgl. Bl. 174 GA). Deshalb ist der Kläger von der Grundschule auf die Sonderschule ungeschult worden. Daraus wiederum ergab sich die Reaktion der Kinder seiner häuslichen Umgebung, die darin bestanden hat, dass der Kläger gehänselt, gemieden und verprügelt wurde. Auch in der Sonderschule wurden vergleichbare Reaktionen der Mitschüler beobachtet. War der Umgebungswechsel mit seinen Begleitfolgen deshalb für den Kläger belastend und ist er nicht auf den Unfall zurückzuführen, dann können die dadurch hervorgebrachten Verhaltensänderungen nicht als Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung durch den Unfall gewertet werden. Eher wäre eine durch den Umgebungswechsel als solchen sowie das aggressive oder ablehnende Verhalten der anderen Kinder verursachte Anpassungsstörung anzunehmen. Irritationen des Klägers wegen der Geburt des jüngeren Bruders kamen hinzu (Bl. 238 f. GA). Waren diese nach der nicht näher erläuterten Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen für sich genommen nicht ausreichend, um die Verschlechterung der Leistungsfähigkeit des Klägers zu erklären, so konnten sie doch jedenfalls im Zusammenwirken mit dem Umgebungswechsel und den Reaktionen der anderen Kinder das zuletzt vorliegende Störungsbild begründen. Mit einer posttraumatischen Belastungsreaktion hat das alles nichts zu tun. Vielmehr liefert der Ablauf eine unfallunabhängige Erklärung für Verhaltensänderungen des Klägers als Sekundärreaktion auf das Verhalten in seiner Umgebung. Die gerichtliche Sachverständige Dr. B...-G... hat schließlich unauffällige Ergebnisse der testpsychologischen Untersuchung hinsichtlich der Symptombereiche sozialer Rückzug, körperliche Beschwerden, Angst, zwanghaftes Verhalten, Aggressionen festgehalten (Bl. 181 GA). Das spricht gegen die von der Sachverständigen behauptete posttraumatische Belastungsstörung.

Die gerichtliche Sachverständige ist im Übrigen von einem schon früher bei der logopädischen Therapie registrierten Verdacht dafür ausgegangen, dass der Kläger unfallunabhängig unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS oder hyperkinetisches Syndrom) leidet (Bl. 184, 185, 237, 238 GA). Auch diese Alternativursache für die nunmehr beklagten Befunde ist nicht ausgeräumt, sondern sogar nahe liegend. Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ist eine bereits im Kindesalter beginnende Störung, die sich primär durch leichte Ablenkbarkeit und geringes Durchhaltevermögen, sowie ein leicht aufbrausendes Wesen mit der Neigung zum Handeln ohne nachzudenken, häufig aber auch in Kombination mit Hyperaktivität, auszeichnet. Der Kläger wurde in der Klageschrift selbst als "sehr aktives Kind" beschrieben (Bl. 6 GA); seine Aufmerksamkeitsstörungen werden durchgehend von der Kindergartenzeit bis in die Schulzeit vor und nach dem Unfall beschrieben. Das unterstreicht die Annahme, es liege eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung vor. Bei unbehandelter Aufmerksamkeitsdefizitstörung kann es wegen der damit einhergehenden ständigen sozialen Konflikte zu Angststörungen kommen. Häufiges Versagen kann zu der Entwicklung einer Leistungsangst beitragen. Die Symptome der Aufmerksamkeitsdefizitstörung und diejenigen einer posttraumatischen Belastungsstörung (vgl. zu letzterer Senat NJW-RR 2004, 1318 ff.; Urt. vom 4. Oktober 2005 - 12 U 961/99) können hier zum Teil verwechselt werden. Auch vor diesem Hintergrund ist es zu bewerten, dass der privat beauftragte Sachverständige Dr. S... angenommen hat, das Unfallereignis erfülle nicht die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung, während die gerichtliche Sachverständige bei ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung pauschal behauptet hat, eine solche Störung liege vor. Sie hat aber die von ihr abstrakt mitgeteilten diagnostischen Kriterien (Bl. 243 f. GA) nicht im Einzelnen näher auf ihre Unfallbedingtheit geprüft und erläutert. Erst recht hat sie diese nicht von den Symptomen der von ihr in Betracht gezogenen - unfallunabhängigen - Aufmerksamkeitsdefizitstörung abgegrenzt.

Eine posttraumatische Belastungsstörung kann nach allem nicht mit einer nach § 287 ZPO zu fordernden überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Ursache der weiteren Beeinträchtigungen des Klägers angenommen werden; andere Ursachen liegen näher. Als Trauma wird ein Ereignis definiert, das für eine Person entweder in direkter persönlicher Betroffenheit oder indirekter Beobachtung eine intensive Bedrohung des eigenen Lebens, der Gesundheit und körperlichen Integrität darstellt und Gefühle von Horror, Schrecken und Hilflosigkeit auslöst. Ein posttraumatischer Stress umfasst Symptome, die auf die Konfrontation mit einem Trauma folgen. Eine posttraumatische Belastungsstörung kann sich nach der Belastung mit einem "Trauma" entwickeln, das heißt, wenn ein Mensch mit Ereignissen konfrontiert wird, die sein Verarbeitungsvermögen übersteigen. Dabei hängt die Frage, ob ein Ereignis traumatisierend wirkt, von der Art und Stärke des Ereignisses sowie von der Person, die dem Ereignis ausgesetzt ist, ab. Dafür werden meist beispielhaft Naturkatastrophen, Krieg, Misshandlung und Vergewaltigung als Ursachen genannt; andere Ursachen kommen aber ebenso in Frage. Die Belastungen sind für den Betroffenen im Fall der posttraumatischen Belastungsstörung von "katastrophalem" Ausmaß, wodurch auch die Störungsdauer erklärt wird. Relativ wenig belastbare Menschen sind öfter betroffen. Im vorliegenden Fall ist zwar einerseits die besondere Verletzlichkeit des Klägers infolge seiner schon vor dem Unfall vorhandenen Beeinträchtigungen in Rechnung zu stellen; andererseits fehlen gleichwohl aussagekräftige Symptome in zeitlicher Nähe zu dem Unfallgeschehen, die einen hinreichenden Rückschluss auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung zuließen. Allein das Vorhandensein von Alpträumen reicht dafür nicht aus, denn nach den gebräuchlichen Diagnosekatalogen (ICD 10, DSM IV) müssen zugleich mehrere Kriterien erfüllt sein, damit eine posttraumatische Belastungsstörung angenommen werden kann; daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Unfall war zwar potenziell dazu geeignet, ein Trauma zu begründen. Es fehlen aber Brückensymptome und ein psychisches Erstkörperschadensbild.

b) Selbst wenn man von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausginge, so wäre deren Ursächlichkeit für die Umschulung des Klägers von der Grundschule auf die Sonderschule nicht belegt. Der Kläger verfügte schon vor dem Unfall nur über eine niedrige bis sehr niedrige Intelligenz. Er wurde in der vierten Schulklasse mehr gefordert als zuvor und hielt diesem Druck nicht stand. Alle vorherigen Kindergartenbeurteilungen und Schulzeugnisse weisen zumindest seit dem Jahre 1995 deutlich darauf hin, dass er schon lange vor dem Unfall unter Aufmerksamkeitsstörungen litt und infolge seiner gestörten Sprachentwicklung kaum ausreichend leistungsfähig war. Störungen in der Feinmotorik und Koordinationsstörungen kamen hinzu. Der Gesamtintelligenzquotient des Klägers lag in der Untersuchungssituation der Sachverständigen bei 69, ebenso der Quotient für die verbale Intelligenz. In der ICD-10-Klassifikation ist die Lernbehinderung nicht gesondert aufgeführt. Sie gilt aber allgemein als unterdurchschnittliche Intelligenz mit einem Intelligenzquotienten von 70 bis 89. Derjenige des Klägers lag nach den Testergebnissen der Sachverständigen noch darunter. Menschen mit einer Lernbehinderung haben Schwierigkeiten, sich auf kognitivem Weg Kenntnisse anzueignen und besuchen deshalb oft eine Schule für Lernbehinderte. Dass dies beim Kläger nur deshalb angezeigt gewesen sei, weil er durch den Unfall traumatisiert wurde, kann angesichts der von der gerichtlichen Sachverständigen festgehaltenen Befunde nicht angenommen werden. Die gerichtliche Sachverständige hat dies mit Blick auf eine angebliche Unterstützung des Klägers durch seine Eltern im Ergebnis - trotz geäußerter Zweifel (Bl. 241 GA) - anders bewertet. Diese Einschätzung geht aber darüber hinweg, dass der Kläger nach seinen Angaben überwiegend alleine die Bewältigung der Hausaufgaben unternommen hatte. Von einer Unterstützung durch die Eltern ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht die Rede. Dass der selbst unter einem untherapierten Sprachfehler leidende Vater dem Kläger helfen konnte, ist schon zweifelhaft; dass seine berufstätige Mutter nach der Geburt des jüngsten Kindes im Unfalljahr dazu noch ebenso viel Gelegenheit hatte wie zuvor, liegt ebenfalls fern. Das spricht dafür, dass der Kläger in der vierten Schulklasse durch unfallunabhängige Gegebenheiten überfordert wurde.

c) Der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedarf es nicht, weil durch das gerichtliche Gutachten der Sachverständigen Dr. B...-G... und das als qualifizierter Parteivortrag zu bewertende Privatgutachten des Sachverständigen Dr. S... dem Senat genügend Sachkunde vermittelt worden ist. Zur posttraumatischen Belastungsstörung im Allgemeinen hat der erkennende Senat auch in anderen Fällen Informationen durch Gutachten anderer Sachverständiger erlangt (vgl. Senat NJW-RR 2004, 1318 ff.; Urt. vom 4. Oktober 2005 - 12 U 961/99, in juris). Kann die Beweisfrage vor diesem Hintergrund im Ergebnis im Einklang mit den Ausführungen des Privatgutachtens zuverlässig beantwortet werden, so macht dies eine weitere Beweisaufnahme entbehrlich (vgl. OLG Köln VersR 2001, 755 f.). Das Gericht darf Privatgutachten jedenfalls als ergänzendes Hilfsmittel im Rahmen der freien Beweiswürdigung benutzen (KG Urt. vom 20. September 1990 - 12 U 5533/89). Auch gerichtliche Gutachten von Sachverständigen unterliegen der freien Beweiswürdigung. Dementsprechend kann das Gericht von dem Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen abweichen, wenn es von dessen Ausführungen aufgrund konkreter Umstände nicht überzeugt ist (BVerfG NJW 1999, 3623, 3624 f.; BGH NJW 1997, 1446 f.). Eine strikte Bindung an das Beurteilungsergebnis eines Sachverständigengutachtens wäre auch mit der tatrichterlichen Aufgabe der gemäß Art. 97 Abs. 1 GG eigenverantwortlichen Streitentscheidung nicht vereinbar.

2. Der mit der Klage eingeforderte weitere Schmerzensgeldanspruch über die vorgerichtlich gezahlte Summe und den mit der Berufung nicht angefochtenen Verurteilungsbetrag hinaus ist nach allem nicht gerechtfertigt, weil die hierfür angeführte posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliegt.

3. Für die Feststellungsaussprüche ist nach dem Gesagten ebenfalls kein Raum. Eine posttraumatische Belastungsstörung ist nicht nachgewiesen. Die körperlichen Verletzungen des Klägers sind folgenlos verheilt; der Heilungsverlauf war komplikationslos (Bl. 10 GA).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.000 festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegt. Im Mittelpunkt der vorliegenden Entscheidung steht die Beweiswürdigung im Einzelfall. Die Rechtssache hat deshalb keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Ende der Entscheidung

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